Landgericht Lüneburg
Beschl. v. 08.07.1968, Az.: 4 T 57/68

Berücksichtigung von Kindergeld bei der Berechnung des dem Schuldner zu belassenden Betrages im Rahmen der Pfändung; Pfändbarkeit von Kindergeld nach dem Bundeskindergeldgesetz (BKGG); Zweckentfremdung von Kindergeld bei Berücksichtigung dessen im Rahmen des § 850 d ZPO (Zivilprozessordnung)

Bibliographie

Gericht
LG Lüneburg
Datum
08.07.1968
Aktenzeichen
4 T 57/68
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1968, 11677
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGLUENE:1968:0708.4T57.68.0A

In der Zwangsvollstreckungssche
hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg
auf die sofortige Beschwerde des Gläubigers
gegen den Beschluss des Amtsgerichts Lüneburg vom 20. Februar 1968
unter Mitwirkung
des Landgerichtsdirektors ...
des Landgerichts ... und
des Gerichtsassessors ...
am 8. Juli 1968 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Gläubigers ... wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Gläubiger.

Gründe

1

Auf Antrag des Gläubigers hat das Amtsgericht Lüneburg am 4. Januar 1968 wegen rückständiger und laufender Unterhaltsforderungen einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss erlassen hinsichtlich der angeblichen Forderungen des Schuldners gegen seinen Arbeitgeber, die Firma .... Den dem Schuldner zu belassenen Betrag hat es darin auf monatlich 623,50 DM und auf wöchentlich 145,00 DM festgesetzt. Dagegen hat der Gläubiger Erinnerung eingelegt mit dem Ziel, eine Herabsetzung des pfandfreien Betrages zu erreichen. Zur Begründung hat er angeführt, bei der Berechnung des dem Schuldner zu belassenden Betrages sei zu Unrecht das vom Schuldner bezogene Kindergeld nicht berücksichtigt worden. Durch den angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht Lüneburg die Erinnerung mit der Begründung zurückgewiesen, das Kindergeld dürfe bei der Berechnung des dem Schuldner zu belassenden Betrages nicht berücksichtigt werden.

2

Gegen diesen am 29. Februar 1968 zugestellten Beschluss hat der Gläubiger durch einen am 7. März 1968 eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt.

3

Die sofortige Beschwerde ist zulässig, aber nicht begründet. Entgegen der im angefochtenen Beschluss vertretenen Auffassung ist allerdings bei der Berechnung des dem Schuldner nach § 850 d ZPO zu belassenden Betrages das von ihm bezogene Kindergeld zu berücksichtigen. Dem Schuldner, der der uneheliche Erzeuger des Gläubigers ist, ist nach § 850 d ZPO von seinem Arbeitseinkommen so viel zu belassen, dass er davon seinen eigenen notwendigen Unterhalt und den angemessenen Unterhalt seiner Ehefrau und seiner 5 ehelichen Kinder bestreiten kann. Der angefochtene Beschluss hält eine Berücksichtigung des Kindergeldes in diesem Rahmen deswegen nicht für zulässig, weil das Kindergeld nach dem BKGG nicht pfändbar ist und nicht als Einkommen im Sinne der Sozialversicherung anzusehen ist. Dieser Argumentation vermochte sich die Kammer nicht anzuschließen.

4

Es ist zwar richtig, daß das Kindergeld eine zweckgebundene Beihilfe für den Unterhalt der Kinder darstellt. Das schließt aber eine Berücksichtigung im Rahmen des § 850 d ZPO nicht aus. Eine Zweckentfremdung tritt dadurch nicht ein, der Schuldner wird nicht gehindert, das Kindergeld zweckentsprechend für den Unterhalt seiner Kinder einzusetzen. Soweit er das aber tut, braucht er nur einen entsprechend geringeren Anteil seiner Arbeitseinkommens für diesen Zweck zu verwenden. Bleibe das Kindergeld bei der Berechnung des Schuldners nach § 850 d ZPO zu belassenden Betrages unberücksichtigt, so bliebe ihm von seinem Arbeitseinkommen für den Unterhalt seiner Kinder mehr, als er dafür aufzuwenden brauchte. Darin läge eine nicht zu vertretende Benachteiligung des Gläubigers, der ja seinerseits auch Unterhaltsansprüche gegen den Schuldner hat. Anderseits werden bei einer Berücksichtigung des Kindesgeldes die ehelichen Kinder des Schuldners nicht unangemessen benachteiligt. Die Zahlung des Kindergeldes soll nicht dazu führen, dass das Kind gegen seinen Vater einen höheren Unterhaltsanspruch erlangt, als er ihn nach bürgerlichem Recht ohnedies hat.

5

Dem Schuldner steht für seine 5 ehelichen Kinder und dem Gläubiger insgesamt ein Kindergeld von 275,00 DM zu. Davon hat der Gläubiger seinen Anteil mit 46,00 DM gepfändet, so daß dem Schuldner ein Betrag von 229,00 DM monatlich ausgezahlt wird. Dieser Betrag ist im Rahmen des § 850 d ZPO zu berücksichtigen.

6

Gleichwohl kann das Rechtsmittel des Gläubigers im Ergebnis keinen Erfolg haben. Die im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 04.01.1968 zugrunde gelegten Unterhaltsbeträge (50,00 DM wöchentlich für den Schuldner, 20,00 DM für seine Ehefrau und 15,00 DM für jedes Kind) entsprechen der bisherigen Rechtsprechung der Kammer. Eine erneute Überprüfung muß jedoch zu einer Änderung dieser Sätze führen.

7

Die bisherigen Sätze ließen nicht in befriedigender Weise eine Anpassung an die Verhältnisse des Einzelfalles zu. Insbesondere konnte es nicht hinreichend berücksichtigt werden, daß die Aufwendungen für den Unterhalt von Kindern je nach deren Alter sehr verschieden sind. In Anlehnung an eine Entscheidung des Landgerichts Hamburg (Rechtspfleger 1966, S. 147) hält es die Kammer für angezeigt, die dem Schuldner für sich und seine Familie zu belassenden Beträge an den Regelsätzen der Sozialhilfe auszurichten.

8

Es ist davon auszugehen, dass der Begriff des notwendigen Unterhalts in § 850 d ZPO und in § 12 BSHG, identisch ist. Die Regelsätze der Sozialhilfe sind daher geeignet, für die Berechnung des dem Schuldner nach § 850 d ZPO zu belassenden Betrages als Grundlage zu dienen. Sie werden entsprechend den folgenden Grundsätzen, die in der angeführten Entscheidung des LG. Hamburg aufgestellt sind und die auch die Kammer für zutreffend erachtet, zu modifizieren.

9

Die Regelsätze der Sozialhilfe umfassen nicht den gesamten notwendigen Lebensunterhalt. Die Leistungen für Unterkunft, Heizung, größere Anschaffungen und Instandhaltung werden gesondert festgesetzt. Außerdem rechtfertigt nach § 23 Abs. 3 BSGH. Berufstätigkeit des Empfängers eine angemessene Erhöhung des Regelsatzes. Entsprechend wird im Rahmen von § 850 d ZPO der für den Schuldner selbst einzusetzende Betrag über den Regelsatz hinaus zu erhöhen sein. Wo das möglich ist, werden die insoweit im Einzelfall anfallenden Kosten zu berücksichtigen sein. Wenn das nicht möglich ist, wird insgesamt noch ein weiterer Betrag in Höhe des Regelsatzes einzusetzen sein, und zwar in Höhe von einem Drittel für Berufstätigkeit, in Höhe eines weiteren Drittels für Unterkunft und Heizung und eines weiteren Drittels für Anschaffungen und Instandhaltungen.

10

Hinsichtlich der Familienangehörigen des Schuldners ist zu berücksichtigen, daß der Schuldner in der Lage bleiben muß, nicht nur für den notwendigen, sondern für den angemessenen Unterhalt zu sorgen. Insoweit erscheint daher eine Erhöhung der Regelsätze um jeweils ein Drittel notwendig.

11

Im vorliegenden Fall errechnet sich der dem Schuldner zu belassende Betrag demnach wie folgt: Für den Schuldner selbst ist der Regelsatz von 126,00 DM zweimal einzusetzen, weil nähere Anhaltspunkte hinsichtlich der besonderen Aufwendungen nicht vorhanden sind. Für die Ehefrau des Schuldners ist der um eine Drittel erhöhte Regelsatz (100,00 DM) einzusetzen, also 133,00 DM. Für die drei jüngsten Kinder des Schuldners (..., geb. am 09.08.1962, ..., geb. am 16.08.1964 und ..., geb. am 05.10.1967) gilt der niedrigste Regelsatz von 60,00 DM, der ebenfalls um ein Drittel zu erhöhen ist. Daraus ergibt sich insgesamt ein Betrag von 240,00 DM. Für die Kinder ..., geb. am 08.02.1958, und ..., geb. am 15.07.1959, schließlich ist der um ein Drittel erhöhte Regelsatz von 91,00 DM einzusetzen, zusammen 243,00 DM. Der notwendige Unterhalt für den Schuldner und der angemessene Unterhalt für seine Familienangehörigen beläuft sich demnach auf insgesamt 868,00 DM. Diese Summe ist um den Betrag zu vermindern, der dem Schuldner monatlich an Kindergeld ausgezahlt wird, nämlich 229,00 DM. Demnach verbleibt ein Betrag von 639,00 DM monatlich, der dem Schuldner gemäß § 850 d ZPO von seinem Arbeitseinkommen zu belassen ist.

12

Da dieser Betrag höher liegt als der im Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 04.01.1968 eingesetzte Betrag, ist eine Herabsetzung nicht möglich.

13

Der angefochtene Beschluss hat daher im Ergebnis zu Recht die Erinnerung zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde war deshalb ebenfalls zurückgewiesen.

14

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.