Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 21.10.1987, Az.: 3 VG A 152/86
Heranziehung zu einem Kanalbaubeitrag für die Mischwasserkanalisation ; Anschlusses an die öffentliche Kanalisation
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 21.10.1987
- Aktenzeichen
- 3 VG A 152/86
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1987, 20152
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:1987:1021.3VG.A152.86.0A
Fundstelle
- WuM 1990, 600-601 (Volltext mit amtl. LS)
Die 3. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig hat
unter Mitwirkung
des Vorsitzenden Richters am Verwaltungsgericht Hirschmann,
die Richter am Verwaltungsgericht Franzkowiak und Stubben sowie
der ehrenamtlichen Richterin Möricke und
des ehrenamtlichen Richters Krüger
auf die mündliche Verhandlung vom 21. Oktober 1987
für Recht erkannt:
Tenor:
Der Bescheid der Beklagten vom 16.12.1985 und der Widerspruchsbescheid vom 4.8.1986 werden aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des gegen sie festzusetzenden Kostenerstattungsbetrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu einem Kanalbaubeitrag für die Mischwasserkanalisation durch die Beklagte.
Der Kläger ist Eigentümer des 2,412 qm großen Grundstücks an der Straße ... - Flurstück ... der Flur ... Gemarkung ... -. Bei dem Flurstück handelt es sich um ein Eckgrundstück, das außerdem an die Straße ... angrenzt. Es ist in seinem südöstlichen Bereich seit über 70 Jahren mit einem Wohnhaus bebaut. Unstreitig ist dieses Wohnhaus seit den 20iger Jahren an die in der Straße ... verlegte Mischwasserkanalisation angeschlossen. Kein Eigentümer des Grundstücks zahlte jemals an die Beklagte eine einmalige Kanalanschlußgebühr nach dem alten preußischen Abgabenrecht oder einen Beitrag für den Anschluß an die Schmutzwasserkanalisation nach dem niedersächsischen kommunalen Abgabenrecht jeweils im Zusammenhang mit örtlichem Satzungsrecht.
Mit Bescheid vom 16. Dezember 1985 veranlagte die Beklagte den Kläger für eine 1.000 qm große Teilfläche seines Grundstückes zu dem Kanalbaubeiträg für die Mischwasserkanalisation. Sie fügte dem Bescheid eine die herausgemessene Fläche darstellende Zeichnung bei. Der gegen die Heranziehung erhobene Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 4. August 1986).
Mit der rechtzeitig erhobenen Klage macht der Kläger im wesentlichen geltend: Die Beklagte habe sozusagen willkürlich ein weiteres Grundstück auf dem Grundstück des Klägers geschaffen und dieses mit der Bezeichnung ... versehen. Ein solches Grundstück gäbe es jedoch nicht. Es sei auch nicht ersichtlich, wie die Beklagte zu dem herausgemessenen Grundstück überhaupt gekommen sei, worauf sich die Ermittlung der Grundstücksgröße beziehe. Im übrigen sei das Grundstück schon seit Jahren an die Mischwasserkanalisation angeschlossen.
Der Kläger beantragt,
den Heranziehungsbescheid vom 16.12.1985 i.d.F. des Widerspruchsbescheides vom 4.8.1986 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie weist darauf hin, daß für das Grundstück des Klägers zu keiner Zeit eine Abgabenpflicht bestanden habe, weil erst ab 1958 die Stadt Münden für ihr Gebiet zunächst einmalige Anschlußgebühren für das Nehmen eines neuen Anschlusses eingeführt habe und später dann Kanalbaubeiträge nach dem NKAG erhebe. Mithin sei für das Grundstück erstmals im Jahre 1981, als die Grundstücksanschlußleitungen nicht mehr Teil der öffentlichen Entwässerungsanlage gewesen seien, eine Vorteilslage entstanden, die die Erhebung eines Beitrages rechtfertige. Hier könne zudem ausnahmsweise vom formellen Grundstücksbegriff abgewichen werden, denn beim Vergleich des Grundstückes des Klägers mit Nachbargrundstücken falle dessen Größe auf. Der Kläger sei in die Lage versetzt, auf dem Grundstück noch ein weiteres Gebäude zu errichten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und auf die Verwaltungsvorgänge verwiesen. Sie waren Gegenstand der Beratung.
II.
Die Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten. Sie sind daher gemäß § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufzuheben.
Die Rechtswidrigkeit ergibt sich im wesentlichen nicht aus den vom Kläger genannten Gründen. Seine Heranziehung ist deshalb mit geltendem Recht nicht vereinbar, weil das Grundstück bereits seit urdenklichen Zeiten an die Kanalisation angeschlossen ist und 1981 keine erneute Beitragspflicht für das Grundstück entstanden sein kann.
Zutreffend geht die Beklagte zwar davon aus, daß die Beiträge für Grundstücke nicht mehr erheben kann, die vor 1958 an die öffentliche Kanalisation der Stadt Münden in ihrer damaligen Ausdehnung angeschlossen waren. Sie geht dabei offensichtlich - und im Ergebnis zu Recht - davon aus, daß der alt dem seinerzeit genommene Anschluß und damit dem Grundstück zugewachsene Vorteil zwischenzeitlich jedenfalls nicht mehr "abschöpfbar" ist. Denn anders wäre nicht nachvollziehbar, daß sie nur eine Teilfläche und nicht das gesamte Grundstück des Klägers der Veranlagung zugrundegelegt hat. Die Kammer vertritt hierzu den Standpunkt, daß die Beklagte bei erstmaliger Schaffung ortsrechtlicher Bestimmungen über die Erhebung von Anschlußgebühren im Jahre 1958 sich bindend darauf verzichtet hat, für das Behalten eines Anschlusses an die öffentliche Kanalisation eine Gebühr zu erheben. Obwohl er rechtlich dazu in der Lage war, erließ der Rat der Beklagten seinerzeit lediglich eine Satzung, die die Erhebung einer einmaligen Anschlußgebühr für das Nehmen eines neuen Anschlusses vorsah. Der Beklagten ist es damit verwehrt - wie im Falle des Klägers -, nach über 25 Jahren gleichsam über den Umweg der abgabenrechtlichen Grundstücksteilung diesen generellen Verzicht zu unterlaufen. Nur in Ausnahmefällen, wie gleich darzulegen sein wird, wird die Beklagte Beiträge erheben können.
Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Die Beklagte verkennt bei Ihrer Veranlagung zunächst, daß dem Grundstück durch die Möglichkeit der Anschlußnahme an die Kanalisation nicht erst 1981 ein Vorteil zugewachsen ist, denn diesen Vorteil hat das Grundstück bereits seit mehreren Jahrzehnten. Für einen Vorteil, den ein Grundstück durch die Anschlußnahme an ein öffentliche Entwässerungsanlage hat, kann aber nicht erst nach mehreren Jahrzehnten ein Beitrag erhoben werden.
Im kommunalen Abgabenrecht unterliegen nämlich nur Grundstücke im formellen rechtlichen Sinn der Festsetzung und Heranziehung zu Beiträgen (ständige Rechtsprechung des OVG Lüneburg seit dem Beschluß vom 20.1.1984 - 3 OVG A 109/82 -, der sich die Kammer in ständiger Rechtsprechung angeschlossen hat: vgl. Urteil vom 19. August 1987 - 3 VG A 165/86). Das gilt auch für solche Grundstücke, die in die Vorteilslage hineingewachsen sind, als diese Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts sich noch nicht allgemein durchgesetzt hatte. Zwar hat die Beklagte in § 3 Abs. 3 ihrer Entwässerungssatzung vom 16. Dezember 1974 i.d.F. vom 15. Dezember 1983 bestimmt, daß Grundstücke ohne Rücksicht auf die Grundbuchbezeichnung jeder Grundbesitz ist, der eine selbständige wirtschaftliche Einheit nach dem Bewertungsgesetz bildet. Diese Vorschrift ist unwirksam, denn sie widerspricht übergeordnetem Landesrecht. Nur ausnahmsweise ist von dem formellen Grundstücksbegriff zugunsten einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise abzuweichen, beispielsweise dann, wenn die Anwendung des formellen Grundstückbegriffs, gemessen an der Vorteilslage des betreffenden Grundstücks, zu einem grob unbilligen Ergebnis führen würde. Die Beklagte hat die Kammer nicht davon überzeugen können, daß ein so einzuschätzender Fall hier der Beurteilung zugrundeliegt. Aus der Vielfalt der vorgelegten Pläne, insbesondere auch aus dem in der mündlichen Verhandlung noch vorgelegten Plan aus dem Jahre 1939 mit Stand 1959 vermag die Kammer nicht zu entnehmen, daß das Grundstück einen Zuschnitt und eine Größe hat, die es aus abgabenrechtlicher Sicht als grob unbillig erscheinen läßt, wenn für dieses Grundstück ein weiterer Beitrag nicht erhoben werden könnte. Der Beklagten ist zwar zuzugeben, daß es sich bei dem klägerischen Grundstück möglicherweise um einen Grenzfall handeln mag. Das darf aber nicht dazu führen, es abgabenrechtlich anders zu behandeln, als andere Grundstücke der Umgebung zu behandeln wären. Nicht nur in der näheren, sondern auch in der weiteren Umgebung des klägerischen Grundstücks sind Grundstücke mit einer 2000 oder über 2000 qm großen Grundstücksfläche vorzufinden. Diese Wertung entnimmt die Kammer Insbesondere dem ältesten der vorgelegten Pläne, denn es ist auf die Vorteilslage in dem Zeitpunkt abzustellen, in dem das Grundstück erstmals der Vorteil zugewachsen ist. Das war im Zeitpunkt des Anschlusses des Grundstücks an die Kanalisation. Zutreffend ist zwar, daß bei der heutigen Grundstückssituation das Grundstück des Klägers eine exponierte Stellung innehat. In diese Stellung ist das Grundstück aber erst im Laufe der Jahrzehnte, hineingewachsen, indem die umliegenden Grundstücke durch Teilung verkleinert worden sind. Dieser Umstand ist unerheblich. Allein durch die Teilung eines Grundstücks entsteht für das abgetrennte Teilstück nicht per Gesetz eine Kanalbaubeitragspflicht. Aus diesem Grunde ist auf auch die alte Vorteilslage - wie oben dargelegt - Bezug zu nehmen. Bei Ihrer Wertung ist die Kammer im übrigen von der ihr bekannten Gebietssituation in ... ausgegangen. Es handelt sich um einen vorwiegend in Hanglage gelegenen Stadtteil der Beklagten, in dem die Grundstücke - abweichend von sonstigen Wohngebieten der Beklagten - großzügiger geschnitten sind.
Es mag der Beklagten zwar unbillig erscheinen, daß hier der Kläger in die Lage versetzt wird, durch Trennung seines Grundstücks ein neues, schönes und großen Baugrundstück zu schaffen. Auch mag es der Beklagten nicht gerecht erscheinen, daß der Kläger ohne Trennung seines Grundstückes eine zweite Wohneinheit errichten kann. Diese Unbilligkeit darf aber nicht dazu führen, die Lage des Grundstücks abgabenrechtlich als grob unbillig zu bezeichnen, soweit es nicht zu einem erneuten Beitrag herangezogen werden könnte. Es ist nach Ansicht der Kammer durchaus vertretbar, hier die erneute Erhebung eines Kanalbaubeitrages nicht zu bestätigen.
Anzumerken hierzu wäre noch, daß selbst die Beklagte dies wohl kaum anders sehen kann, nachdem sie einen Veranlagungsbescheid bezogen auf ein Nachbargrundstück (ehemaliges Hotelgrundstück)im Hinblick auf die Rechtsprechung der Kammer aufgehoben hat. Im Grunde stellt sich die Grundstückssituation jenes Grundstücks nicht anders dar, als die des Klägers.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.