Amtsgericht Westerstede
Urt. v. 19.02.1997, Az.: 1626-8-11 F 482/96

Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung in Unterhaltsansprüchen (hier: rückständiger Unterhalt); Rechtskraftfragen bei der freiwilligen Leistung von erhöhten Unterhaltszahlungen; Art und Weise der Verrechnung von Unterhaltszahlungen

Bibliographie

Gericht
AG Westerstede
Datum
19.02.1997
Aktenzeichen
1626-8-11 F 482/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 24124
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGWESTS:1997:0219.1626.8.11F482.96.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Westerstede - 12.03.1996 - AZ: 11 F 233/94

Fundstelle

  • NJW-RR 1998, 509-510 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Vollstreckungsabwehrklage

In der Familiensache
hat das Amtsgericht - Familiengericht - Westerstede
auf die mündliche Verhandlung vom 15. Januar 1997
durch
den Richter am Amtsgericht ...
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. I.

    Die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Amtsgerichts Westerstede vom 12.03.1996 (11 F 233/94) wird im Hinblick auf Unterhaltsrückstände für den Zeitraum 01.06.1994 bis 30.11.1996 in Höhe von 25.500,00 DM für unzulässig erklärt.

    Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

  2. II.

    Von den Kosten des Verfahrens tragen der Kläger 56 %, die Beklagte 44 %.

  3. III.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; für die Beklagte aber nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 2.200,00 DM.

    Der Beklagten wird gestattet, die Zwangsvollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 1.800,00 DM abzuwenden, sofern nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt mit der Vollstreckungsabwehrklage, daß die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Amtsgerichts Westerstede vom 12.03.1996 - 11 F 233/94 - im Hinblick auf Unterhaltsrückstände für den Zeitraum 01.06.1994 bis 30.11.1996 für unzulässig erklärt wird.

2

Nach diesem Urteil ist der Kläger verpflichtet, an die Beklagte - seine von ihm getrenntlebende Ehefrau - "ab 01.06.1994 über die seitdem freiwillig gezahlten 1.150,00 DM hinaus eine weitere monatlich im voraus fällige Unterhaltsrente in Höhe von 2.000,00 DM zu zahlen".

3

Bis einschließlich Juli 1996 zahlte der Kläger monatlich 1.150,00 DM, seit August 1996 monatlich 2.000,00 DM.

4

Die Beklagte betreibt die Zwangsvollstreckung. Sie hat beim. Amtsgericht Oldenburg ... einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluß erwirkt und den pfändbaren Anteil des Arbeitseinkommens des Klägers gegen seinen früheren Arbeitgeber gepfändet, und zwar wegen eines angeblichen Unterhaltsrückstands für den Zeitraum 01.06.1994 bis 01.05.1996 in Höhe von (23 Monate × 2.000,00 DM) 46.000,00 DM und wegen der fortlaufenden Zahlungen ab 01.06.1996 in Höhe von 2.000,00 DM.

5

Nachdem die Beklagte per Fax vom 07.11.1996 Vollstreckungsmaßnahmen angekündigt hatte, hat der Kläger mit Schriftsatz vom 11.11.1996 - soweit ersichtlich erstmals - darauf hingewiesen, daß seiner Ansicht nach "die gemäß Urteil des Amtsgerichts Westerstede ausgeurteilten Unterhaltsansprüche ... in vollem Umfang durch Erfüllung erloschen sind". Er meint dies deshalb, weil auf den titulierten Unterhalt für den Zeitraum 01.06.1994 bis 31.10.1996 in Höhe von 58.000,00 DM Zahlungen von (26 × 1.150,00 DM; 3 × 2.000,00 DM) 35.900,00 DM und - per Überweisung vom 11.11.1996 - restliche 22.100,00 DM geleistet worden sind.

6

Der Kläger beantragt,

die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Amtsgerichts Westerstede vom 12.03.1996 - Az.: 1626-8-11 F 233/94 - im Hinblick auf Unterhaltsrückstände für den Zeitraum 01.06.1994 bis 30.11.1996 für unzulässig zu erklären.

7

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Sie ist der Ansicht, eine nachträgliche Verrechnungsbestimmung - so wie vom Kläger vorgenommen - sei nicht zulässig. Vielmehr seien alle bislang geleisteten Zahlungen zunächst auf den Sockelbetrag von 1.150,00 DM zu verrechnen.

9

Der Kläger hat beim Amtsgericht Essen (...) die Scheidung eingereicht. Der Scheidungsantrag ist zugestellt.

10

Die Parteien haben Widerklage erhoben. Die Beklagte mit dem Ziel, ab Rechtshängigkeit den Sockelbetrag von 1.150,00 DM zu titulieren (Schriftsatz vom 08.01.1997) der Kläger mit dem Begehren, keinen Unterhalt mehr zahlen zu müssen (Schriftsatz vom 04.02.1997).

11

Die Widerklagen sind mit Beschluß vom heutigen Tag an das Amtsgericht Essen verwiesen worden, wo jetzt das Scheidungsverfahren anhängig ist (§ 621 III ZPO)...

12

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gegenseitig gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13

Das angerufene Gericht bleibt auch nach Rechtshängigkeit des Scheidungsantrages beim Amtsgericht Essen für die Entscheidung über die Vollstreckungsabwehrklage zuständig, § 767 I ZPO. Eine Verweisung gem. § 621 III ZPO erfolgt nicht. Denn mit der Klage wird keine Regelung für den Fall der Scheidung begehrt. Vielmehr betrifft sie den im Vorprozeß titulierten Anspruch und kommt in der Sache einer Fortsetzung des früheren Rechtsstreits nahe (BGH FamRZ 80, 346).

14

Die Klage ist im Hinblick auf Unterhaltsrückstände für den Zeitraum 01.06.1994 bis 30.11.1996 in Höhe von 25.500,00 DM begründet. Insoweit ist die Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des erkennenden Gerichts vom 12.03.1996 für unzulässig zu erklären. Denn der Kläger hat in Höhe dieses Betrages Zahlungen auf den Titel geleistet. Dadurch ist Erfüllung eingetreten.

15

Es entspricht seit der Entscheidung des BGH vom 30.01.1995 (FamRZ 85, 371 = BGHZ 93, 330) gefestigter Rechtssprechung, daß ein Urteil, welches eine Unterhaltsrente über einen freiwillig gezahlten Betrag - hier 1.150,00 DM - hinaus zuspricht, über eine Teilklage entscheidet und nicht rechtskräftig feststellt, daß der zugrundeliegende Unterhaltsanspruch im Umfang der freiwilligen Zahlung besteht. Vielmehr erwächst in Rechtskraft lediglich der titulierte Betrag - hier in Höhe von 2.000,00 DM -. Nur in Höhe dieses Betrages kann die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden.

16

Von dieser Frage der Rechtskraftwirkung von Urteilen der vorgenannten Art ist streng zu trennen die Beurteilung, wie die Verrechnung von Unterhaltszahlungen zu erfolgen hat. Das beurteilt sich nach § 366 BGB. Ist der Schuldner dem Gläubiger aus mehreren Schuldverhältnissen zu gleichartigen Leistungen verpflichtet und reicht das von ihm geleistete nicht zur Tilgung sämtlicher Schulden aus, so wird diejenige Schuld getilgt, welche er bei der Leistung bestimmt, § 366 I BGB. Gleiches gilt auch bei einer Mehrheit von Forderungen aus demselben Schuldverhältnis (Münchener Kommentar-Heinrichs, 3. Auflage, § 366, Rand-Nr. 2). Die Anrechnungsbestimmung muß bei der Leistung erfolgen. Dies kann auch stillschweigend geschehen (BGH NJW RR 91, 565; OLG Hamm FamRZ 93, 75).

17

Erfolgt die Anrechnungsbestimmung bei der Leistung weder ausdrücklich noch stillschweigend, so geht das Bestimmungsrecht nicht etwa auf den Gläubiger über. Vielmehr gilt § 366 II BGB, es sei denn, Gläubiger und Schuldner bedingen durch Vertrag die gesetzliche Regelung ab. Ist das - wie hier - nicht der Fall, so wird nach der Regelung des § 366 II BGB zunächst die fällige Schuld, unter mehreren fälligen Schulden diejenige, welche dem Gläubiger geringere Sicherheit bietet, unter mehreren gleichsicheren die dem Schuldner lästigere, unter mehreren gleichlästigen die ältere Schuld und bei gleichem Alter jede Schuld verhältnismäßig getilgt. Dabei gibt es keinen Erfahrungssatz, daß der Schuldner im Zweifel auf die titulierte Forderung zahlen will (Münchener Kommentar-Heinrichs, § 366, Rand-Nr. 10 m.w.N.; Palandt-Heinrichs, 55. Auflage, § 366, Rand-Nr. 4).

18

Der Kläger hat bis zum Schreiben seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 11.11.1996 weder ausdrücklich noch - aus den Umständen erkennbar - stillschweigend eine Anrechnungsbestimmung bei Leistung vorgenommen. Für die Zeit von Juni 1994 bis Juli 1996 zahlte er monatlich 1.150,00 DM. Das ist genau der Betrag, über den es in der Vergangenheit nie Streit gab, der stets freiwillig gezahlt und deshalb als Sockelbetrag im Urteil vom 12.03.1996 antragsgemäß nicht tituliert wurde. Entsprechend der Regelung des § 366 II BGB ist daher die Zahlung zuerst auf die nicht titulierte, weil weniger sichere Forderung, anzurechnen (vgl. BGH WM 83, 1337; OLG Hamburg MDR 71, 757). Gleiches gilt für die Zeit von August bis November 1996, wo der Kläger - ebenfalls ohne Anrechnungsbestimmung - den Unterhalt auf monatlich 2.000,00 DM aufgestockt hat. Ohne irgendeine Erklärung für die erhöhten Zahlungen sind keine Umstände erkennbar, die den Schluß zulassen, der Schuldner wolle zumindest stillschweigend bei Leistung von jetzt an eine Anrechnung auf den Titel vornehmen. Für die Zahlungsempfängerin bleibt offen, aus welchen Gründen statt wie bisher 1.150,00 DM nunmehr 2.000,00 DM gezahlt werden. Diese Zweifel gehen zu Lasten des Schuldners, § 366 II BGB. Daher ist lediglich in Höhe des 1.150,00 DM übersteigenden Betrages von monatlich 850,00 DM, mithin (4 × 850,00 DM) 3.400,00 DM Erfüllung auf den Unterhaltstitel eingetreten. Gleiches gilt für den am 11.11.1996 überwiesenen Betrag von 22.100,00 DM. Zwar hat der Kläger keine ausdrückliche Anrechnungsbestimmung i.S. von § 366 I BGB erklärt. Auf dem Überweisungsträger heißt es lediglich "Rückständiger Unterhalt". Auch dem vorprozessualen Schriftsatz vom 11.11.1996 ist eine solch ausdrückliche Bestimmung nicht zu entnehmen. Aus den gesamten Umständen, insbesondere der Rechtsauffassung, daß die "ausgeurteilten Unterhaltsansprüche ... in vollem Umfang durch Erfüllung erloschen sind", ist konkludent zu entnehmen, daß die Zahlung von 22.100,00 DM auf den Unterhaltstitel erfolgen soll.

19

Somit ist in Höhe von insgesamt 25.500,00 DM Erfüllung eingetreten. In diesem Umfang ist die Zwangsvollstreckung aus dem Titel unzulässig.

20

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 ZPO.

21

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711; 709 ZPO.