Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 23.08.2011, Az.: 1 U 68/10

Mietminderung und mietrechtliche Gewährleistungsansprüche bei anhaftendem Mangel der Mietsache

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
23.08.2011
Aktenzeichen
1 U 68/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 42158
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2011:0823.1U68.10.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Göttingen - AZ: 5 O 90/10

Gründe

I.

Der Senat weist darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Beklagten durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat und auch die Voraussetzungen des § 522 Abs. 2 Nr. 2 und 3 ZPO vorliegen.

Das angefochtene Urteil (Bl. 97ff. d. A.) erweist sich auch gemessen an den Ausführungen in der Berufungsbegründung (Bl. 142ff. d.A.) und des Schriftsatzes vom 25.2.2011 (Bl. 166f. d.A.) als zutreffend.

Die Rügen der Berufung greifen nicht durch. Insoweit wird zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen zunächst auf die Ausführungen in den Berufungserwiderungen der Klägerin vom 25.1.2011 (Bl. 159-164 d.A.) und ihrer Streithelferin vom 24.1.2011 (Bl. 154-158 d.A.) sowie im Schriftsatz des Klägerin vom 15.4.2011 (Bl. 168-170 d.A.) verwiesen. Diese sind in materiell-rechtlicher wie in verfahrensrechtlicher Hinsicht zutreffend.

Zusammenfassend und ergänzend gilt:

1.

Das Landgericht hat die materielle Rechtslage korrekt festgestellt und dargelegt (vgl. LGU S. 5-8 = Bl. 101-104 d.A.).

a)

Mietrechtliche Gewährleistungsansprüche wie auch der der Mietminderung erfordern grundsätzlich einen der Mietsache selbst anhaftenden Mangel. Außerhalb der Mietsache liegende tatsächliche oder rechtliche Verhältnisse können nur dann ein gewährleistungsrelevanter Mangel sein, wenn sie die Tauglichkeit der Mietsache unmittelbar beeinträchtigen. Umstände, die die Eignung der Mietsache zum vertragsgemäßen Gebrauch nur mittelbar berühren, sind nicht als Mängel zu qualifizieren (BGH, Urt. v. 16.2.2000 - XII ZR 279/97, Rn. 28 zit. n. [...] = MDR 2000, 821, 823; BGH, Urt. v. 21.9.2005 - XII ZR 66/03, Rn. 18 zit. n. [...]). Ob eine unmittelbare Beeinträchtigung in diesem Sinne vorliegt, wird in erster Linie durch den zum Vertragsinhalt erhobenen Verwendungszweck bestimmt (BGH, Urt. v. 1.7.1981 - VIII ZR 192/80, Rn. 11 zit. n. [...] mwNw = NJW 1981, 2405, 2406 [BGH 01.07.1981 - VIII ZR 192/80]; BGH, Urt. v. 16.2.2000 - XII ZR 279/97, Rn. 28 zit. n. [...] = MDR 2000, 821, 823). Störungen des Mietgebrauchs durch Bauarbeiten auf dem Nachbargrundstück sind nur dann gewährleistungsrechtlich relevant, wenn der Mieter bei Abschluss des Mietvertrages mit solchen Beeinträchtigungen nicht rechnen musste und sie deshalb als vertraglich ausgeschlossen zu gelten haben (vgl. OLG München, Urt. v. 26.3.1993 - 21 U 6002/92, Rn. 4f., hier zit. n. [...] = NJW-RR 1994, 654f. [OLG München 26.03.1993 - 21 U 6002/92]; KG Berlin, Urt. v. 3.6.1992 - 8 U 74/01, Rn. 4 zit. n. [...] = NZM 2003, 718). Befindet sich auf dem Nachbargrundstück erkennbar ältere Bausubstanz, ist grundsätzlich mit Störungen durch Bau- und/oder Renovierungsarbeiten auf dem Nachbargrundstück zu rechnen (vgl. OLG München a.a.O., Rn. 5; KG Berlin a.a.O.).

Auch in einer solchen Situation muss der Mieter jedoch grundsätzlich nicht damit rechnen, dass das Publikum seines Gewerbes die gemieteten Räume überhaupt nicht (vgl. KG Berlin, Urt. v. 12.4.2007 - 8 U 194/06, Rn. 7f., hier zit. n. [...] = NJW-RR 2008, 1042f.) oder nur unter Inkaufnahme gravierender Erschwernisse erreichen kann (vgl. OLG Dresden, Urt. v. 18.12.1998 - 5 U 1774/98, Rn. 12-14, zit. n. [...]). Werden Räume zum Betrieb eines Gewerbes mit Publikumsverkehr vermietet, ist der ungehinderte Zugang des Publikums nach dem Vertragszweck für die Gebrauchstauglichkeit bestimmend (BGH, a.a.O.).

b)

Die Grundsätze des Wegfalls der Geschäftsgrundlage kommen nur jenseits des Anwendungsbereichs mietrechtlicher Gewährleistungsvorschriften in Betracht und nicht schon dann, wenn der Anwendungsbereich mietrechtlicher Gewährleistungsvorschriften zwar betroffen ist, dabei aber aufgrund der konkreten Umstände ein Gewährleistungsfall nicht gegeben ist (vgl. BGH, Urt. v. 16.2.2000 - XII ZR 279/97, Rn. 41, hier zit. n. [...]). Im Verhältnis zwischen Vermieter und Mieter trägt grundsätzlich der Mieter das Verwendungsrisiko bezüglich der Mietsache (BGH a.a.O. Rn. 44). Diese Risikoverteilung schließt für den Betroffenen - abgesehen von extremen Ausnahmefällen, in denen eine unvorhergesehene Entwicklung mit unter Umständen existentiell bedeutsamen Folgen für eine Partei eintritt - regelmäßig die Möglichkeit aus, sich bei Verwirklichung des Risikos auf Wegfall der Geschäftsgrundlage zu berufen (BGH a.a.O., Rn. 42 mwN).

2.

Diese vorgenannten rechtlichen Maßstäbe hat das Landgericht zutreffend und ohne Verfahrensfehler angewandt.

a)

Das Landgericht war entgegen der Auffassung der Beklagten nicht gehalten, die von ihr angebotenen Beweise zu erheben. Denn es hat schon bereits aufgrund des unstreitigen Sachverhalts und insbesondere der von der Beklagten selbst vorgelegten Lichtbilder und Protokolle in Anwendung der oben ausgeführten Rechtsgrundsätze verfahrensfehlerfrei und ohne Verstöße gegen Denkgesetze festgestellt, dass ein Minderungsrecht der Beklagte - gleich aus welchem Rechtsgrund - nicht besteht.

aa)

Auch unter Zugrundelegung des Beklagtenvorbringens musste diese schon aufgrund des Alters der Nachbarbausubstanz mit Renovierungstätigkeiten rechnen. Es ist daher unerheblich, ob die Geschäftsführung der Beklagten (zusätzlich) die einschlägigen Zeitungsberichte aus dem "Z.-Blatt" kannte. Soweit die Beklagte in der Berufungsinstanz erstmals behauptet, kurz vor Vertragsschluss habe es an der Kirche zu Ende gegangene Arbeiten gegeben, weshalb sie - die Beklagte - darauf habe vertrauen dürfen, das keine grundlegende Renovierung mehr folge, ist das in der Berufungsinstanz nicht mehr zu berücksichtigen, da die Zulassungsvoraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen. Im Übrigen gibt es keinen anerkannten Lebenserfahrungsgrundsatz, dass beendete Arbeiten (in welchem Bereich?) an einem Jahrhunderte alten Gebäude die Gewähr dafür bietet, dass das Gebäude in absehbarer Zeit keine Arbeiten mehr erfordert. Es gibt entgegen der Auffassung der Berufung keinen allgemein anerkannten Lebenserfahrungsgrundsatz, dass bei Kirchen, die ggf. keine Kriegsschäden erfahren haben, nur äußerliche erkennbare Verwitterungsschäden möglich sind. Vielmehr ist allgemein bekannt, dass auch äußerlich erst spät erkennbare Schäden im Inneren (z. B. durch Schwamm, Schädlinge, Statikbelastung etc.) auftreten können.

bb)

Auch unter Zugrundelegung des Beklagtenvorbringens ist nichts dafür ersichtlich, dass der Zugang zu den gemieteten Räumen überhaupt nicht (vgl. KG Berlin, Urt. v. 12.4.2007 - 8 U 194/06, Rn. 7f., hier zit. n. [...] = NJW-RR 2008, 1042f.) oder nur unter Inkaufnahme gravierender Erschwernisse möglich (vgl. OLG Dresden, Urt. v. 18.12.1998 - 5 U 1774/98, Rn. 12-14, zit. n. [...]) war bzw. ist. Die Berufung zeigt - abgesehen davon, dass das auch in zweiter Instanz nicht mehr zulässig wäre - Derartiges auch nicht auf. Soweit sie meint, in "der Rechtsprechung" werde die Auffassung vertreten, der Mieter brauche nur kurzfristige Bauarbeiten, die für sein Geschäftslokal eine Beeinträchtigung darstellten, hinzunehmen, nicht jedoch, wenn - wie hier nach der (bestrittenen) Behauptung der Beklagten - die Sanierung 5 Jahre benötige, ist das - sowohl in dieser Allgemeinheit als auch auf Fälle wie den vorliegenden bezogen - nicht zutreffend. Auch aus dem oben zitierten Urteil des OLG Dresden ergibt sich nichts anderes. In dem dort zu Grunde liegenden Fall war der gesamte Platz, an dem das gemietete Geschäftslokal lag, jahrelang gar nicht mehr vorhanden ("zerstört"), sondern bestand aus einer Erdbrache, über die einzelne Holzplanken als "Ersatzzuwegung" gelegt worden waren. Eine derart gravierende, eine Unterbindung des Zugangs fast gleichkommende Behinderung lag vorliegend unstreitig nicht vor.

cc)

Zu Recht hat das Landgericht auch keine zeitweise Mietminderungsberechtigung festgestellt. Eine gravierende Beeinträchtigung, mit der in der Umgebung der Kirche auch nach den vorgenannten Rechtsgrundsätzen nicht gerechnet werden konnte, ist weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich. Es genügt für die erforderliche Erfolgssaussicht des Rechtsmittels nicht, dass die Berufung insoweit anderer - indes nicht überzeugender - Auffassung ist.

Die Berufung hat demzufolge keine Aussicht auf Erfolg.

II.

Der Beklagten wird Gelegenheit zur Stellungnahme oder zur Rücknahme der Berufung bis zum

26. September 2011

gegeben.

Hupka Präsident des Oberlandesgerichts
Brand Richter am Oberlandesgericht
Groß Richter am Oberlandesgericht