Landgericht Bückeburg
Urt. v. 06.10.1970, Az.: 2 O 56/70

Schadensersatz für einen erschossenen Hund; Amtspflichtverletzung durch einen Forstbeamten; Ausübung des Jagdschutzes im Bereich der Forstverwaltung als hoheitliche Betätigung; Möglichkeit der Einwirkung auf einen Jagdhund

Bibliographie

Gericht
LG Bückeburg
Datum
06.10.1970
Aktenzeichen
2 O 56/70
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1970, 11423
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGBUECK:1970:1006.2O56.70.0A

Verfahrensgegenstand

Schadensersatzforderung

Prozessführer

Pfarrer ...

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die Ausübung des Jagdschutzes im Bereich der Forstverwaltung gehört zur hoheitlichen Betätigung.

  2. 2.

    Dass ein Hund gewildert hat, ist regelmäßig keine Voraussetzung der Tötungsbefugnis im Jagd- und Fortsrecht. Vielmehr ist hierfür grundsätzlich nur erforderlich, dass der Hund im Jagdbezirk angetroffen wird.

  3. 3.

    Ein Diensthund wird nicht nur durch seine Eignung für die betreffende Dienstleistung, sondern entscheidend auch dadurch bestimmt, dass er auch dementsprechend verwendet wird.

  4. 4.

    Ein Hund befindet sich außerhalb der Einwirkung seines Herrn, wenn er auf dessen Anruf nicht sofort zurückkehren würde. Danach setzt die Einwirkung zweierlei voraus, dass nämlich der Herr die Möglichkeit hat, auf den Hund einzuwirken, und dass er bereit ist, von dieser Möglichkeit jederzeit Gebrauch zu machen. Die tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit kann nicht schon der Einwirkung im Sinne des Gesetzes gleichgestellt werden, weil auch innerhalb des Bereichs der Einwirkungsmöglichkeit ein Hund dann außerhalb der Einwirkung steht, wenn der Herr sich nicht in dem durch die Umstände gebotenen Maß um ihn kümmert und ihn nicht unter Kontrolle hat.

In dem Rechtsstreit
hat die 2. Zivilkammer des Landgerichts Bückeburg
auf die mündliche Verhandlung
vom 22. September 1970
unter Mitwirkung
des Landgerichtsdirektors Franck und
der Landgerichtsräte Diem und Dr. Bethmann
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird auf Kosten des Klägers abgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt Geldersatz für seinen Hund, einen Gordon-Setter, den der Oberförster ... in seinem Dienstbezirk, der Revierförsterei Dobbelstein, am 25. September 1968 gegen 15.00 Uhr erschossen hat.

2

Der Kläger hatte in Begleitung von Frau ... die sogenannte Hünenburg in der Revierförsterei Dobbelstein besucht und befand sich auf dem von dem Ausflugsziel abwärts zu der Wegespinne, die auch von dem zwischen dem Forsthaus Dobbelstein und Wennenkamp in südlicher Richtung verlaufenden Forstwirtschaftsweg gebildet wird, führenden Fußweg. Der Hund des Klägers war nicht angeleint und lief frei umher. Oberförster ... fuhr zu dieser Zeit mit seinem PKW auf dem bezeichneten Wirtschaftsweg in Richtung auf das Forsthaus Dobbelstein. Nachdem er die Wegespinne passiert hatte, bemerkte er durch einen Blick aus dem linken Seitenfenster unterhalb der Fahrbahn nahe einer Biegung des in seiner Fahrtrichtung mit starkem Gefälle verlaufenden Weges den ihm bis dahin nicht bekannten Hund des Klägers. Er fuhr noch um die nächste Biegung näher an den Hund heran, verließ dann seinen PKW und tötete den Hund mit drei Schüssen aus seinem Drilling.

3

Der Kläger hat die zunächst auch gegen den Oberförster ... auf Schadensersatz gerichtete Klage zurückgenommen.

4

Er nimmt nunmehr allein das beklagte Land als Dienstherrn des Forstbeamten in Anspruch und behauptet:

5

Sein Hund sei der Rasse nach ein Jagdhund und sei auch als solcher ausgebildet gewesen. Das habe Oberförster ... erkennen können. Dieser habe - so meint der Kläger - schon deswegen den Hund nicht töten dürfen. Im übrigen sei der Hund innerhalb seiner, des Klägers, Einwirkung gewesen. Zur Zeit der Schüsse sei er nur etwa 84 Schritt von dem Hund entfernt gewesen. Als er den PKW des Forstbeamten bemerkt habe, habe er sogleich seinen Hund, der sehr folgsam gewesen sei, zu sich gepfiffen. Der Hund sei auf dem Rückweg gewesen, als er erschossen worden sei. Diese Situation habe der Zeuge ... bei gehöriger Sorgfalt erkennen können. Der Hund habe einen Wert von 500,- DM gehabt.

6

Der Kläger beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, an den Kläger 500,- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Oktober 1968 zu zahlen,

7

hilfsweise,

Vollstreckungsnachlaß zu gewähren.

8

Das beklagte Land beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Das beklagte Land meint, der Hund sei als Jagdhund nicht von der gesetzlich eingeräumten Tötungsbefugnis ausgenommen, weil er nicht zur Ausübung der Jagd verwendet worden sei, und behauptet:

10

Der Hund habe nicht unter der Einwirkung des Klägers gestanden. Der Förster habe den Hund auf eine Entfernung von 130 m mit tiefer Nase entlang des Weges in südlicher Richtung streunen gesehen und angenommen, es handele sich dabei um einen wiederholt im Revier wildernd angetroffenen schwarzen Hund aus Hohenrode. Er sei langsam an den Hund herangefahren und ausgestiegen. Er habe sodann sein Gewehr geladen und sei währenddessen auf den Hund zugegangen, um dann aus einer Entfernung von etwa 20 m den ersten Schuß abzugeben. Erst nach dem dritten Schuß habe ... weit entfernt Rufe gehört; einige Zeit später sei der Kläger atemlos angelaufen gekommen. Als ... auf den Hund geschossen habe, sei der Kläger mindestens 150 bis 200 m entfernt gewesen.

11

Zur weiteren Sachdarstellung wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

12

Das Gericht hat Beweis erhoben nach Maßgabe des Beweisbeschlusses vom 30. Juni 1970. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme, das Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, wird auf die Niederschrift vom 22. September 1970 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13

Die Klage ist nicht begründet.

14

Die Voraussetzungen der hier allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG sind nicht voll erfüllt. Nach diesen Bestimmungen trifft den Staat die Verantwortlichkeit, wenn ein in seinen Diensten stehender Beamter in Ausübung eines öffentlichen Amtes vorsätzlich oder fahrlässig die ihm einem Dritten gegenüber obliegende Amtspflicht verletzt.

15

Es besteht kein Zweifel daran, daß das beklagte Land als Dienstherr des Oberförsters ... haftbar wäre, wenn dieser eine Amtspflichtverletzung begangen hätte, da ihm die Ausübung des Jagdschutzes als "öffentliches Amt" oblag. Daß die Ausübung des Jagdschutzes im Bereich der Forstverwaltung zur hoheitlichen Betätigung gehört, ist in der Rechtsprechung anerkannt (vgl. u.a. BGH VersR 57, 63; OLG Celle VersR 1962, 452; Soergel-Siebert, BGB, 10. Aufl., § 839 RZ 127; Staudinger, BGB, 10./11. Aufl., § 839 RZ 107). Für das Land Niedersachsen ergibt sich das zudem aus dem gemeinsamen Runderlaß des Niedersächsischen Ministers für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und des Niedersächsischen Ministers des Inneren vom 26. März 1959 (Nds. Ministerialblatt 1959, 257). Darin sind polizeiliche Aufgaben der Forstbeamten umschrieben und ist unter anderem auch der Jagdschutz aufgeführt.

16

Die Klage konnte keinen Erfolg haben, weil nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht bewiesen ist, daß der Oberförster ... die ihm dem Kläger gegnüber obliegende Amtspflicht verletzt hat. Es bedarf keiner näheren Erörterung, daß es zu den Amtspflichten eines Beamten gehört, rechtswidrige Verletzungen fremden Eigentums zu unterlassen. Die durch die Tötung des Hundes begangene Eigentumsverletzung war jedoch rechtsmäßig, weil der Forstbeamte aufgrund des ihm nach dem vorbezeichneten Erlaß in seinem Bezirk obliegenden Jagdschutzes gemäß Artikel 18 Nr. 2 NLJG befugt war,

"Hunde und Katzen im Jagdbezirk zu töten, ..."

17

Daß der Hund gewildert hat, ist keine Voraussetzung der Tötungsbefugnis. Vielmehr ist hierfür grundsätzlich nur erforderlich, daß der Hund im Jagdbezirk angetroffen wird (vgl. u.a. BVerfG RdL 1965, 151).

18

Der an den bezeichneten Halbsatz des Artikels 18 Nr. 2 NLJG anschließende Satzteil,

"..., es sei denn, daß sich der Hund innerhalb der Einwirkung seines Herrn und die Katze weniger als 200 m vom nächsten Haus befindet, oder daß es sich um einen Jagd-, Hirten-, Blinden-, Polizei- oder sonstigen Diensthund handelt, der als solcher kenntlich ist",

19

regelt Ausnahmetatbestände, für deren Vorliegen nach der sprachlichen Fassung des Gesetzes ("es sei denn") derjenige darlegungs- und beweispflichtig, ist, der sich darauf beruft, nämlich im vorliegenden Fall der Kläger (vgl. OLG Celle Nds. Rpfl. 1968, 205; Mitzschke-Schäfer, BJG, 2. Aufl., § 25 Anm. 7) b) hh) - S. 197).

20

Die Voraussetzungen der hier infrage kommenden, das Tötungsrecht des Forstbeamten ausschließenden Ausnahmebestimmungen sind nicht dargelegt bzw. bewiesen.

21

Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Klägers handelte es sich bei seinem Hund zwar der Rasse nach um einen Jagdhund, der auch als solcher ausgebildet war. Durch diese Merkmale ist der Hund aber noch nicht als Jagdhund im Sinne des Artikels 18 Nr. 2 NLJG gekennzeichnet. Neben der Tauglichkeit des Hundes als Jagdhund ist weiterhin erforderlich, daß er auch als solcher verwendet wird. Das ergibt sich schon aus dem Wortlaut des Gesetzes, mit dem durch die Worte "sonstiger Diensthund" darauf hingewiesen wird, daß der Gesetzgeber auch die vor diesen Worten bezeichneten Hunde nur dann von der Tötungsbefugnis ausgenommen wissen will, wenn es sich dabei ebenfalls um Diensthunde handelt. Ein Diensthund wird aber nicht nur durch seine Eignung für die betreffende Dienstleistung, sondern entscheidend auch dadurch bestimmt, daß er dementsprechend verwendet wird.

22

Für diese Auslegung spricht auch folgende Erwägung:

23

Der Landesgesetzgeber hat mit der Fassung des Gesetzes erkennbar an die entsprechende Bestimmung des § 40 Abs. 2 Nr. 2 RJG angeknüpft. Nach dieser Bestimmung galt das Tötungsrecht

"... nicht gegenüber ... Jagdhunden ..., soweit die als solche kenntlich sind und solange sie vom Berechtigten zu ihrem Dienst verwendet werden oder sich aus Anlaß des Dienstes vorübergehend der Einwirkung ihres Führers entzogen haben".

24

Während andere Bundesländer - beispielsweise Hessen - diese Bestimmung wörtlich in ihre Jagdgesetze übernommen haben, weicht die Ausnahmebestimmung des Artikels 18 Nr. 2 NLJG insofern davon ab, als Jagdhunde, die als solche kenntlich sind, schlechthin vom Tötungsrecht ausgenommen sind. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sie an diesem Tag und zu dieser Stunde gerade zu Jagdzwecken verwendet werden oder nicht. Im übrigen ist die bezeichnete Bestimmung des Reichsjagdgesetzes dem Inhalt nach in Artikel 18 Nr. 2 NLJG übernommen worden. Das bedeutet insbesondere, daß nur die Jagdhunde vom Tötungsrecht ausgenommen sind, die im allgemeinen als solche verwendet werden (vgl. auch OLG Celle Nds. Rpfl. 1968, 205; Mitzschke-Schäfer, a.a.O., Anm. 7 b) ff) - S. 194 -).

25

Wenn - wie der Kläger meint - schon Jagdhunde der Rasse nach vom Tötungsrecht ausgenommen wären und diese Auffassung bei konsequenter Gesetzesauslegung auf Hirten-, Blinden-, Polizei- und sonstigen Diensthunde übertragen würde, so würde das bedeuten, daß der weitaus überwiegende Teil aller Hunde vom Tötungsrecht ausgenommen wäre, da die meisten Hunde zu Dienstleistungen irgendeiner Art geeignet sind. Die gesetzlich umschriebene Ausnahme würde bei dieser Auslegung die Regel sein, das heißt, daß ein Hund nur dann getötet werden dürfte, wenn er seinen Anlagen nach ausnahmsweise nicht als Diensthund geeignet wäre. Ein wirksamer Jagdschutz gegenüber Hunden wäre in diesem Fall praktisch kaum noch möglich. Daß diese Folge dem Wortlaut und Inhalt des Gesetzes widerspricht, bedarf keiner näheren Erörterung.

26

Weiterhin ist nach dem Ausnahmetatbestand des Artikels 18 Nr. 2 NLJG erforderlich, daß der Jagdhund "als solcher kenntlich ist". Dieses Merkmal bezieht sich auf einen Jagdhund im vorbezeichneten Sinn. Das bedeutet, daß ein Jagdhund sowohl seiner Rasse als auch seiner Punktion nach kenntlich sein muß. Während andere Diensthunde häufig durch äußere Merkmale erkennbar sind, beispielsweise der Blindenhund durch das am Geschirr angebrachte Rote-Kreuz-Abzeichen und der Hirtenhund an der räumlichen Beziehung zur Herde, fehlen dem Jagdhund regelmäßig diese Kennzeichen. Wenn das Gesetz für die Ausnahme von der Tötungsbefugnis dennoch erfordert, daß der Jagdhund als solcher kenntlich ist, so kann das nur bedeuten, daß der Jagdschutzberechtigte im Einzelfall den in seinem Jagdbezirk angetroffenen Jagdhund kennt und weiß, daß dieser auch als Jagdhund verwendet wird. Unter diesen Umständen ist ein Jagdhund im Sinne des Gesetzes faktisch unterschiedlich geschützt, je nach dem, ob er in der Nähe seines Heimatbezirkes angetroffen wird, wo er den benachbarten Jagdschutzberechtigten bekannt ist, oder ob er in einem Revier angetroffen wird, das weit von seinem Heimatbezirk entfernt ist. Im letztgenannten Fall wird er zumeist nur dann als Jagdhund kenntlich sein, wenn er auf einer Gesellschaftsjagd verwendet wird und bei dieser Gelegenheit "überjagt" und der betreffende Jagdschutzberechtigte von der Jagdveranstaltung Kenntnis hat. Diese weitere - faktische - Begrenzung des gesetzlich umschriebenen Ausnahmetatbestandes entspricht dem Sinn des Gesetzes, das die Belange der Allgemeinheit und des Jagdberechtigten an der Sicherheit und Erhaltung des Wildbestandes stark in den Vordergrund stellt und deshalb im Interesse eines wirksamen Jagdschutzes die Ausnahmen von der Tötungsbefugnis auf das wirklich notwendige Maß beschränkt.

27

Bei dieser Rechtslage bedurfte es keiner Aufklärung, ob der Kläger seinen Hund als Jagdhund verwendet hat. Denn auch gegebenenfalls war der Hund für den Zeugen ... nicht als Jagdhund im vorbezeichneten Sinn kenntlich, da er unstreitig weder den Kläger noch den Hund kannte. Daß der Zeuge - wie er bei seiner Vernehmung bekundet hat - den Hund mit einem anderen Hund verwechselt hat, ist rechtlich unerheblich.

28

Danach war die Tötungsbefugnis nicht dadurch ausgeschlossen, daß es sich bei dem Hund des Klägers um einen abgerichteten Jagdhund handelte, der möglicherweise auch als solcher verwendet wurde.

29

Unabhängig davon, ob es sich um einen der bezeichneten Diensthunde oder um einen anderen Hund handelte, hätte der Forstbeamte den Hund auch dann nicht töten dürfen, wenn er sich innerhalb der Einwirkung seines Herrn befunden hätte. Auch insoweit ist der Kläger beweisfällig geblieben.

30

Ein Hund befindet sich außerhalb der Einwirkung seines Herrn, wenn er auf dessen Anruf nicht sofort zurückkehren würde (vgl. Mitschke-Schäfer a.a.O. Anm. 7 b) bb) - Seite 190). Danach setzt die "Einwirkung" zweierlei voraus, daß nämlich der Herr die Möglichkeit hat, auf den Hund einzuwirken, und daß er bereit ist, von dieser Möglichkeit jederzeit Gebrauch zu machen. Die tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit kann nicht schon der Einwirkung im Sinne des Gesetzes gleichgestellt werden, weil auch innerhalb des Bereichs der Einwirkungsmöglichkeit ein Hund dann außerhalb der Einwirkung steht, wenn der Herr sich nicht in dem durch die Umstände gebotenen Maß um ihn kümmert und ihn nicht unter Kontrolle hat. Innerhalb welcher Entfernung es dem Herrn noch möglich ist, auf den Hund einzuwirken, kann nicht allgemeingültig bezeichnet werden. Im Schrifttum sind insoweit auch recht unterschiedliche und nur annähernde Angaben gemacht. Während das Landgericht Itzehoe (VersR 1957, 552) unter Berufung auf jagdliches Schrifttum meint, schon bei einer Entfernung von 100 m könne die Einwirkungsmöglichkeit fraglich sein, halten es Mitzschke-Schäfer (a.a.O. Anm. 7 b) bb) S. 190) für möglich, daß der Herr noch auf eine Entfernung von 200 bis 300 m auf seinen Hund einwirken kann. Bei der Beantwortung der Frage nach den Grenzen der Einwirkungsmöglichkeit ist entscheidend auf die Gegebenheiten des Einzelfalles abzustellen. Dabei haben die Folgsamkeit des Hundes sowie die Gelände- und Sichtverhältnisse besondere Bedeutung. Auf freiem Feld wird der Herr noch bei erheblich größerer Entfernung auf den Hund einwirken können als in hügeligem Gelände mit dichtem Baumbestand oder anderem Bewuchs. Von den Verhältnissen im Einzelfall hängt es auch ab, in welcher Weise der Herr von der gegebenen Einwirkungsmöglichkeit Gebrauch machen muß. Allgemein läßt sich lediglich feststellen, daß eine Einwirkung im Sinne des Gesetzes dann nicht mehr gegeben ist, wenn der Herr, auch nur vorübergehend, die Kontrolle über den Hund verloren hat und nicht mehr weiß, wo sich der Hund befindet. Der Hund ist in diesem Fall sich allein überlassen und kann ungezügelt seinen Instinkten folgen, insbesondere wildern. Aufgabe des Jagdschutzes ist es, schon diese Möglichkeit zu verhindern (vgl. u.a. OLG Celle Nds. Rechtspflege 1968, 205; LG Köln VersR 1958, 653 und 1959, 865; LG Itzehoe a.a.O.; Bundesverfassungsgericht a.a.O.).

31

Es ist im vorliegenden Fall nicht bewiesen, daß der Kläger noch auf seinen Hund einwirken konnte; vielmehr spricht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme alles dafür, daß der Hund nicht unter seiner Kontrolle stand.

32

Nach der Bekundung der Zeugin ... ließ der Kläger seinen Hund, den er zunächst angeleint hatte, sogleich nach dem Verlassen der Hünenburg frei laufen. Sie, die Zeugin und der Kläger, konnten den in dem zu beiden Seiten des Fußwegs abfallenden und von Bodenwellen durchzogenen Waldgelände, in dem die Sicht auch durch Krautbewuchs und Unterholz behindert war, nicht mehr sehen. Daß der Kläger diese Gegebenheit zum Anlaß genommen hat, seinen Hund zurückzurufen, hat sich nicht ergeben. Vielmehr hat er nach der weiteren Bekundung der Zeugin Mönkhoff dem Hund erst gepfiffen, als sie und der Kläger etwa 100 m unterhalb der Hünenburg waren, in etwa 150 m Entfernung an der Einmündung des Fußweges in die Wegespinne einen PKW auf dem Forstbetriebsweg vorbeifahren sahen und die Zeugin die Befürchtung äußerte, bei dem PKW-Fahrer handele es sich um einen Förster, der den Hund töten könne. Daß der Hund die Pfiffe seines Herrn befolgt oder auch nur gehört hat, hat sich nicht ergeben. Vielmehr lassen die von dem Zeugen ... bekundeten Umstände darauf schließen, daß der Hund nicht auf das Kommando seines Herrn reagiert hat. Danach überquerte der Hund, als ... ihn zum ersten Mal sah, den Forstbetriebsweg in südlicher Richtung, während sich der Kläger westlich des Hundes befand. Nachdem ... etwa 130 m weitergefahren war, um näher an den Hund heranzukommen, befand sich dieser nach den weiteren Bekundungen des Zeugen ... bereits wieder an dem Hang westlich des Forstbetriebsweges und lief in einem Abstand von einigen Metern entlang dieses Weges in südlicher Richtung. Dieses Verhalten des Hundes ergibt, daß er auf die Pfiffe des Klägers nicht reagiert hat, zumal dieser nach der Bekundung der Zeugin ... bereits 2 bis 3 Minuten vor dem ersten Schuß gepfiffen hatte und der Hund, wenn er das Kommando gehört und befolgt hätte, zu der Zeit, als Kassner den ersten Schuß abgab, bereits wieder bei dem - wie bei der Ortsbesichtigung festgestellt wurde - etwa 150 m entfernten Kläger hätte sein müssen.

33

Diese Umstände ergeben zumindest dringende Anhaltspunkte dafür, daß der Hund sich außerhalb der Einwirkung seines Herrn befunden hat. Jedenfalls hat der Kläger das Gegenteil nicht bewiesen.

34

Obwohl danach die gesetzlich umschriebenen Ausnahmen von der Tötungsbefugnis nicht vorgelegen haben, hätte der Forstbeamte den Hund dennoch nicht töten dürfen, wenn es sich dabei offensichtlich um einen dem Wild ungefährlichen Hund gehandelt hätte, da die Tötung in diesem Fall eine rechtsmißbräuchliche Rechtsausübung bedeutet hätte (vgl. OLG Köln NJW 1954, 1617 [OLG Köln 02.07.1954 - Ss 117/54]; BVerfG a.a.O.; OLG Celle Nds. Rpfl. 1968, 205). Bei der Anwendung dieses Grundsatzes der exceptio doli, der jede formale Rechtsposition begrenzt, muß jedoch dem zum Gesetz gewordenen Gedanken Rechnung getragen werden, daß es für das Tötungsrecht gemäß Artikel 18 Ziff. 2 NLJG gerade nicht darauf ankommt, ob der Hund gewildert hat. Der Einwand der rechtsmißbräuchlichen Rechtsausübung kann danach nur in den seltenen Fällen eine zusätzliche Begrenzung der Tötungsbefugnis darstellen, in denen es auf der Hand liegt, daß der Hund keine Gefahr darstellen kann. Ein solcher Fall kann beispielsweise dann gegeben sein, wenn es sich um einen Zwerghund oder einen schwer verletzten oder völlig entkräfteten Hund handelt. Im vorliegenden Fall lag eine Ausnahme dieser Art nicht vor. Der Hund des Klägers konnte nach Körpergröße und Rasse dem Wild gefährlich werden.

35

Da somit nicht bewiesen ist, daß einer der Ausnahmetatbestände vorgelegen hat, war der Forstbeamte befugt, den Hund zu töten. Die damit begangene Eigentumsverletzung war rechtmäßig, so daß das gemäß § 839 BGB bestimmte Erfordernis der Amtspflichtverletzung entfällt. Schon aus diesem Grund konnte die Klage keinen Erfolg haben.

36

Aber auch dann, wenn unterstellt wird, daß der Hund sich innerhalb der Einwirkung des Klägers befunden hat und damit die Tötungshandlung eine Amtspflichtverletzung bedeutet, kann die Klage keinen Erfolg haben, weil dem Zeugen ... kein Schuldvorwurf gemacht werden kann. Es ist nämlich nicht bewiesen, daß er fahrlässig gehandelt, nämlich die ihm allgemein und von einem Durchschnittsbeamten in besonderen aufzubringende Aufmerksamkeit außer Acht gelassen hat.

37

Bevor der Zeuge ... auf den Hund schoß, hat er sich nach seiner Bekundung nach allen Seiten vergewissert, ob Personen in der Nähe waren, und keine dahingehenden Wahrnehmungen gemacht. Diese Bekundung kann nach dem weiteren Ergebnis der Beweisaufnahme nicht in Zweifel gezogen werden. Daß sich auf dem von ... befahrenen und auf dem vor ihm liegenden Wegestück, das er - wie bei der Augenscheinseinnahme festgestellt wurde - von seinem Haltepunkt aus auf etwa 100 m einsehen konnte, Menschen befunden haben, hat sich nicht ergeben. Es war ... praktisch unmöglich, den Kläger und die Zeugin ... zu erkennen. Von dem Geländebereich aus, in dem er mit seinem PKW gehalten hatte, konnte er den Kläger und seine Begleiterin wegen des Bewuchses und wegen eines Geländesattels nicht sehen. Vorher hätte er beim Durchfahren der Wegespinne während eines Bruchteils einer Sekunde durch einen Blick in die Einmündung des Fußweges möglicherweise bemerken können, daß sich in etwa 150 m Entfernung Menschen auf dem Weg befanden. Zu dieser Zeit hatte Kassner aber noch keinen Anlaß, auf Menschen zu achten.

38

Weitere Maßnahmen als eine aufmerksame Umschau waren durch die dem Forstbeamten obliegende besondere Sorgfaltspflicht nicht geboten. Insbesondere war er nicht gehalten, durch lautes Rufen den möglicherweise in der Nähe befindlichen Hundeführer aufzufordern, sich bemerkbar zu machen, weil er hierdurch einen wirksamen Jagdschutz unmöglich gemacht, zumindest aber infrage gestellt hätte. Denn dieser Zuruf hätte nur dann einen Sinn haben können, wenn Kassner danach noch eine gewisse Zeit auf Antwort gewartet hätte. Während dieser Zeit hätte der durch den Ruf erschreckte Hund mit großer Wahrscheinlichkeit bereits das Weite gesucht gehabt und Maßnahmen des Jagdschutzes wären nicht mehr möglich gewesen. Der Jagdschutzberechtigte kann sich in solchen Situationen vielmehr darauf verlassen, daß er möglicherweise in der Nähe befindliche, für ihn aber nicht sichtbare Hundeführer entsprechend der gemäß § 9 Nds. FFordG umschriebene Pflicht, Hunde nicht streunen zu lassen, nach seinem Hund ruft oder pfeift und sich auf diese Weise auch dem Jagdschutzberechtigten bemerkbar macht. Das hat der Kläger nicht getan. Er hat seinen Hund nach der Bekundung der Zeugin ... gepfiffen, als der Zeuge Kassner gerade über die Wegespinne gefahren war und die Pfiffe im Inneren seines PKWs, dessen Motor lief, nicht hören konnte.

39

Nach allem war die Klage mit der Kostenfolge gemäß § 91 ZPO abzuweisen. Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, hat er die Kosten entsprechend § 271 Abs. 3 ZPO zu tragen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 Ziffer 4 ZPO.

Franck
Diem
Dr. Bethmann