Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 23.06.2022, Az.: 1 Ausl 18/22
Überschreitung der Übergabefrist für Rumänien durch Generalstaatsanwaltschaft; Gerichtliche Überprüfung eines neuen Übergabetermins bei Zeitüberschreitung; Kein Zuständigkeitswechsel bei verspäteter Vollstreckung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 23.06.2022
- Aktenzeichen
- 1 Ausl 18/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 24878
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2022:0623.1AUSL18.22.00
Rechtsgrundlagen
- Rahmenbeschluss 2002/584/JI Art. 6 Abs. 2
- § 13 IRG
- § 83c IRG
- § 83d IRG
- § 79 Abs. 2 IRG
Amtlicher Leitsatz
Der Umstand, dass die Generalstaatsanwaltschaft infolge ihrer Weisungsgebundenheit den Erfordernissen einer vollstreckenden Justizbehörde i.S.d. Art.6 Abs.2 RB-EuHB nicht genügt, hat zur Folge, dass im Falle einer Überschreitung der - erst mit Bewilligung der Auslieferung durch die Generalstaatsanwaltschaft beginnenden - zehntägigen Übergabefrist die Feststellung der Ursächlichkeit von Umständen, die sich dem Einfluss der beteiligten Staaten entziehen, und ein neuer Übergabetermin gerichtlich zu überprüfen sind, nicht aber, dass die der Generalstaatsanwaltschaft durch das IRG zugewiesene Aufgabe der Bewilligung und Organisation der Übergabe nunmehr in die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts fällt.
Tenor:
Die Fortdauer der durch Beschluss des Senats vom 31. März 2022 angeordneten Auslieferungshaft wird angeordnet.
Gründe
Der Senat hat gegen den am 24. März 2022 in dieser Sache festgenommenen Verfolgten mit Beschluss vom 31. März 2022 die Auslieferungshaft zum Zwecke seiner Auslieferung nach Rumänien zur Strafvollstreckung der mit Urteil des Amtsgerichts Focşani vom 20. Dezember 2019 (Nr. 1669) in Verbindung mit dem Strafbeschluss des Berufungsgerichts Galati vom 3. September 2020 (Nr. 700) rechtskräftig verhängten Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten angeordnet. Nach Eingang ausreichender Zusicherungen in Bezug auf die zu erwartenden Haftbedingungen hat der Senat mit Beschluss vom 10. Juni 2022 die Auslieferung für zulässig erklärt und die Fortdauer der zuvor bereits mit Beschluss vom 12. Mai 2022 aufrecht erhaltenen Auslieferungshaft angeordnet. Wegen der Einzelheiten wird auf die bezeichneten Entscheidungen Bezug genommen.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Verfügung vom 14. Juni 2022 gegenüber den rumänischen Behörden die Auslieferung des Verfolgten bewilligt. Die Überstellung des Verfolgten war zunächst für den 20. Juni 2022 durch Übergabe des Verfolgten an die rumänischen Behörden am Flughafen Frankfurt/Main vorgesehen. Dieser Termin ist durch die rumänischen Behörden abgesagt worden, weil wegen des Ferienbeginns nur wenige Flugtickets verfügbar seien. Es werde stattdessen die Übernahme des Verfolgten am Flughafen Frankfurt/Main am 5. Juli 2022 vorgeschlagen. Mit Verfügung vom 20. Juni 2022 hat die Generalstaatsanwaltschaft die Sache unter Hinweis auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 28. April 2022 (C-804/21 PPU) dem Senat vorgelegt mit dem Antrag auf Feststellung, dass die Übergabe des Verfolgten innerhalb von zehn Tagen nach der Entscheidung des Senats über die Zulässigkeit der Auslieferung auf Grund von Umständen, die sich dem Einfluss der Mitgliedsstaaten entziehen, unmöglich ist, und dass als neues Datum zur Übergabe der 8. (nunmehr: 5.) Juli 2022 vereinbart ist.
Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft führt zur Anordnung der Fortdauer der Auslieferungshaft.
1.
Der Senat hat mit seiner Zulässigkeitserklärung am 10. Juni 2022 die Fortdauer der Auslieferungshaft beschlossen. Da eine Auslieferung des Verfolgten innerhalb von zehn Tagen nach dem zunächst vereinbarten, entsprechend § 83c Abs. 4 Satz 2 IRG maximal zehn Tage nach der auch in Ansehung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 28. April 2022 insoweit maßgeblichen Bewilligungsentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft vom 14. Juni 2022 - der allein den Verfahrensbeteiligten bekannt gemachten Zulässigkeitsentscheidung des Senats vom 10. Juni 2022 kommt eine Wirkung gegenüber dem ersuchenden Mitgliedsstaat nicht zu - liegenden Übergabetermin (20. Juni 2022) nicht von den rumänischen Behörden übernommen werden wird, wäre er gemäß § 83d IRG mit Ablauf des 30. Juni 2022 zu entlassen, wenn bis dahin kein neuer Übergabetermin wirksam vereinbart würde.
2.
Vorliegend liegen die Voraussetzungen für die Vereinbarung eines neuen Übergabetermins gemäß § 83c Abs. 4 Satz 3 IRG vor. Danach ist ein neuer Termin zu vereinbaren, wenn die Einhaltung des zunächst vereinbarten Termins auf Grund von Umständen unmöglich ist, die sich dem Einfluss der beteiligten Staaten entziehen. Derartige Umstände sind bei ungewöhnlichen und unvorhersehbaren Ereignissen gegeben, auf die derjenige, der sich darauf beruft, keinen Einfluss hat und deren Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätten vermieden werden können. So liegt es hier. Denn ob bzw. bzw. für welchen Tag Flugtickets für die Überstellung eines Verfolgten zur Verfügung stehen, liegt in der Hand von (zumeist zivilen) Linienfluggesellschaften und nicht in der Hand der an der Überstellung beteiligten Staaten, zumal die Beschaffung der Flugtickets bereits nach dem gesetzlich vorgesehenen Verfahrensablauf nur mit einem sehr kurzen zeitlichen Vorlauf erfolgen kann. Alternative Transportmöglichkeiten versprechen ersichtlich ebenfalls keine wesentliche Zeitersparnis (vgl. OLG München, Beschluss v. 09.06.2022, 1 AR 122/22).
3.
Der seitens der Generalstaatsanwaltschaft auf den 5. Juli 2022 bestimmte neue Übergabetermin ist nicht zu beanstanden.
a)
Die Vereinbarung eines neuen Übergabetermins obliegt (weiterhin) der Generalstaatsanwaltschaft.
Zwar dürfte im Hinblick auf die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes vom 27. Mai 2019 (C-508/18 und C-82/19 PPU) und 24. November 2011 (C-510/19) fraglich sein, ob es sich bei der Generalstaatsanwaltschaft um eine "vollstreckende Justizbehörde" i.S. von Art. 6 Abs. 2 RB-EuHB handelt. Auch in Ansehung der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vom 28. April 2022 ist es angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 13 Abs. 2 IRG ("Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht bereitet die Entscheidung über die Auslieferung vor und führt die bewilligte Auslieferung durch.") aber weiterhin Aufgabe der Generalstaatsanwaltschaft, die Übergabe des Verfolgten, dessen Auslieferung der Senat für zulässig erklärt hat, gegenüber dem ersuchenden Staat zu bewilligen und seine Übergabe an die zuständigen Behörden dieses Staates zu organisieren. Dass diese Aufgabe nunmehr durch das Oberlandesgericht wahrzunehmen wäre, vermag der Senat - anders als das Oberlandesgericht München ausweislich seiner Entscheidung vom 9. Juni 2022 (1 AR 122/22) - nicht zu erkennen. Vielmehr folgt aus der Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft, dass die getroffene Entscheidung ebenso wie die nach § 79 Abs. 2 IRG zur Entscheidung über die Nichtgeltendmachung der in § 83b IRG enumerativ aufgeführten Bewilligungshindernisse der vollständigen Überprüfung durch den Senat unterliegt.
b)
Der seitens der Generalstaatsanwaltschaft vereinbarte neue Übergabetermin ist nicht zu beanstanden.
Die Entscheidung, eine gesuchte Person in Haft zu halten und ein neues Übergabedatum zu vereinbaren, steht allerdings nur dann mit Art. 6 der Grundrechtscharta in Einklang, wenn das Übergabeverfahren mit hinreichender Sorgfalt geführt wurde und somit keine übermäßig lange Inhaftierung vorliegt (vgl. OLG München a.a.O). Hieran gemessen liegt angesichts des eingangs dargestellten Verfahrensganges keine übermäßig lange Inhaftierung vor. Auch liegt der neue Übergabetermin nur zehn Tage nach Ablauf der in § 83c Abs. 4 Satz 2 IRG vorgesehenen Frist nach der Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls, so dass insgesamt keine übermäßig lange Inhaftierung des Verfolgten gegeben ist.
Nach alledem liegen die Voraussetzungen für die Fortdauer der Auslieferungshaft jedenfalls bis zum Ablauf des 15. Juli 2022 (§ 83d IRG) vor.