Amtsgericht Northeim
Urt. v. 10.07.2015, Az.: 3 C 495/14 (IV)
Bibliographie
- Gericht
- AG Northeim
- Datum
- 10.07.2015
- Aktenzeichen
- 3 C 495/14 (IV)
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2015, 44840
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Tenor:
1. Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 3.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.07.2014 zu zahlen.
2. Den Beklagten werden die Kosten des Rechtsstreits als Gesamtschuldner auferlegt.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die Beklagten wegen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch.
Der Kläger ist Eigentümer des Hausgrundstücks B.-straße 24 in U.. Die Toreinfahrt des Grundstücks ist begrenzt durch zwei Mauerwerkspfeiler. Das exakte Alter dieser Pfeiler ist unklar, beläuft sich aber in etwa auf 110 Jahre. Am 10.06.2014 kam der Beklagte zu 1) mit seinem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten PKW von der am Grundstück entlang führenden Straße ab und verursachte zwei Anstöße an den beiden Pfeilern der Toreinfahrt. Dabei wurde der erste Pfeiler beschädigt und aus seiner Verankerung gerissen. Der zweite Pfeiler wurde nur teilweise beschädigt, d.h. es wurde nur der „Kopf“ abgerissen. Dieser Pfeiler erlitt außerdem eine Schiefstellung sowie ein rissiges Mauerwerk. Der Kläger ließ durch eine Firma ein Kostenangebot bezüglich des Beschädigungsgrades erstellen. Das Angebot betrug 4.033,59 Euro (netto 3.389,57 Euro). Die Beklagte zu 2) zahlte daraufhin einen Betrag von 388,26 Euro an den Kläger. Der Kläger hat die Pfeiler bis heute nicht ersetzen bzw. reparieren lassen.
Mit Schreiben vom 09.07.2014 forderte der Kläger die Beklagte zu 2) erfolglos zur Zahlung des restlichen Nettobetrages unter Fristsetzung bis zum 23.07.2014 auf.
Der Kläger behauptet, bei beiden Pfeiler läge ein Totalschaden vor; sie müssten erneuert werden; ohne das schädigende Ereignis hätten die Pfeiler während der Nutzungszeit des Gebäudes nicht erneuert werden müssen.
Er ist der Ansicht, die Beklagten seien verpflichtet die Differenz zwischen der bereits geleisteten Summe und dem Nettobetrag des Angebotes zu zahlen; ein Abzug „neu für alt“ käme nicht zu tragen, da dieser voraussetze, dass die Wiederherstellung zu einer messbaren Vermögensmehrung des Geschädigten führe und diese sich für ihn günstig auswirke; dies sei vorliegend nicht der Fall; selbst wenn ein Verbesserung eintreten würde, so sei ihm diese aufgezwängt; ein etwaiger Abzug sei ihm nicht zumutbar; die Beklagte zu 2) habe den Abzug daher schematisch und ohne Rücksicht auf die besonderen Umstände vorgenommen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 3.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 24.07.2014 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten sind der Ansicht, der Kläger müsse sich einen Abzug „neu für alt“ anrechnen lassen; hierbei würde es sich um einen Abzug in Höhe von 90 % handeln; andernfalls würde auf Klägerseite ein Gebrauchsvorteil entstehen; der Kläger sei mit dem bereits geleisteten Betrag daher hinreichend entschädigt.
Die Beklagte behaupten, die Pfeiler hätten einer ständigen Alterung und Verschlechterung unterlegen; es seien auch bereits erhebliche Rissbildungen vorhanden gewesen; insgesamt hätten erhebliche Verwitterungsspuren und Substanzschädigungen bestanden; die Lebensdauer der Pfeiler sei bereits abgelaufen gewesen; dem Kläger hätten in absehbarer Zeit ohnehin Renovierungsmaßnahmen ins Haus gestanden, durch den Wegfall dieser würde es bei einem Ausgleich ohne entsprechenden Abzug zu einer Vermögensmehrung kommen; auch im Hinblick auf einen etwaigen Verkauf des Grundstücks würden neu sanierte Pfeiler eine Vermögensmehrung bedeuten.
Hinsichtlich des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.
Die Klage ist dem Beklagten zu 1) am 06.09.2014 und der Beklagten zu 2) am 10.09.2014 zugestellt worden. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. Helmut Gimpel.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von 3.000 Euro gemäß § 7 Abs. 1 StVG in Verbindung mit § 115 Abs. 1 VVG und § 1 PflVersG zu.
Der Tatbestand des § 7 Abs. 1 StVG ist verwirklicht, die grundsätzliche Einstandspflicht der Beklagten für den Schaden des Klägers ist unstreitig.
Die Parteien streiten darüber, in welcher Höhe Schadensersatz zu leisten ist, insbesondere geht es um die Frage, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe ein Abzug „Neu für Alt“ vorzunehmen ist.
Nachdem das Gericht zunächst die Auffassung vertreten hat, dass ein solcher Abzug auch im vorliegenden Fall vorzunehmen ist, ist es nunmehr - nach nochmaliger, eingehender Prüfung der Rechtslage - zu dem Ergebnis gekommen, dass ein Abzug „Neu für Alt“ vorliegend nicht vorzunehmen ist.
Grundsätzlich kommt zwar in den meisten Fällen der Grundsatz des Abzuges „Neu für Alt“ im Rahmen der Vorteilsausgleichung zur Anwendung. Der Geschädigte soll durch den Ersatz des Schadens nicht besser gestellt werden, als ohne den Eintritt des schädigenden Ereignisses. Denn gemäß § 249 Abs. 1 BGB hat der Schadensersatzpflichtige den Zustand wiederherzustellen, der bestünde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre (sog. Naturalrestitution) bzw. kann der Geschädigte nach § 249 S. 2 BGB statt der Wiederherstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Gemäß § 251 Abs. 1 BGB hat der Ersatzpflichtige den Gläubiger in Geld zu entschädigen, soweit die Herstellung nicht möglich oder zur Entschädigung des Gläubigers nicht genügend ist.
Jedoch muss eine Anrechnung des Abzuges „Neu für Alt“ dem Sinn und Zweck des Schadensersatzrechtes entsprechen, dem Geschädigten zumutbar sein und darf den Schädiger nicht unbillig begünstigen. Danach hat ein Abzug im vorliegenden Fall zu unterbleiben. Denn er ist dem Kläger als Geschädigtem nicht zumutbar.
Denn der Zeitwert der beschädigten Pfeiler liegt aufgrund ihres Alters erheblich unter dem Wiederbeschaffungswert. Alleine auf den Zeitwert abzustellen, wäre jedoch im vorliegenden Fall unbillig, weil faktisch durch eine entsprechende Geldentschädigung - der Zeitwert liegt ausweislich des eingeholten Gutachtens bei 390.- € - eine Wiederherstellung nicht möglich ist. Ein „Gebrauchtmarkt“ für Pfeiler, anders als bei einer Vielzahl von Dingen, existiert nicht, so dass der Kläger aufgrund des Schadensereignisses gezwungen wäre, bei einem 90 %igen Abzug „Neu für Alt“ über 3.500.- € aus eigenen Mitteln aufzuwenden, wenn er die Pfeiler wieder herstellen will.
Hinzu kommt, dass die Pfeiler voraussichtlich während der Dauer der Grundstücksnutzung nicht hätten erneuert werden müssen. Sie waren noch voll funktionsfähig. Die wirtschaftliche Nutzungsdauer liegt im vorliegenden Fall über der der technischen Nutzungsdauer.
Auch weist der Klägervertreter zutreffend darauf hin, dass bei einer Betrachtung des wirtschaftlichen Wertes nicht auf isoliert die Pfeiler, sondern auf das Grundstück und den gesamten darauf befindlichen Gebäudekomplex abzustellen ist. Unter diesem Aspekt fällt der Wert der Pfeiler jedoch kaum ins Gewicht. Anknüpfungspunkt für die Höhe des Schadensersatzes kann daher nur der tatsächliche Wert der gesamten Sache sein. Sie muss sich deshalb nach dem Aufwand bemessen, den der Geschädigte betreiben muss, um den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Daraus resultiert, dass in diesem Fall der Wiederbeschaffungswert der beschädigten Pfeiler zu ersetzen ist.
Andernfalls stünde der Geschädigte stets vor einer unzumutbaren Benachteiligung, wenn eine Sache beschädigt wurde, die nicht unter Berücksichtigung des Alterungsprozesses wiederbeschafft werden kann. Es ist daher nicht nur interessengerecht sondern entspricht auch dem Gedanken des § 251 Abs. 1 BGB. Der entstandene Schaden kann im vorliegenden Fall nur durch den Ersatz des Wiederbeschaffungswerts der beschädigten Pfeiler kompensiert werden.
Zudem wäre das Integritätsinteresse des Klägers in hohem Maße beeinträchtigt, würde nur der technische Zeitwert ersetzt werden. Denn der Kläger müsste erhebliche eigene Mittel aufwenden, um den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen. Aufgrund des hohen Abzuges von 90 % stünde der Kläger erheblich schlechter als zuvor. Der Geschädigte ist daher gegenüber dem Schädiger schutzwürdig. Auch unter diesem Gesichtspunkt wäre der bloße Ersatz des Zeitwertes hier unzumutbar.
Zuletzt kann auch ein etwaiges Risiko, eine Sache zu beschädigen, die nicht gebraucht, dem Zeitwert entsprechend, wiederbeschafft werden kann, nicht schlichtweg dem Geschädigten angelastet werden. Vielmehr trägt der Schädiger bei sachgerechter Beurteilung das Risiko eines außergewöhnlich hohen Wiederbeschaffungswerts. Eben der Schädiger ist schließlich in dieser Konstellation auch erheblich besser gestellt, wenn er lediglich den Zeitwert ersetzen muss ohne Rücksicht darauf, ob der Geschädigte den ursprünglichen Zustand damit wiederherstellen kann oder nicht. Es entstünde somit eine unbillige Begünstigung des Beklagten. Dieses Risiko kann daher, soweit es besteht, nur dem Beklagten als Schädiger angelastet werden.
Der Kläger müsste unstreitig einen Betrag von 4.033,59 Euro (netto 3.389,57 Euro) aufbringen, um den Zustand vor dem schädigenden Ereignis wiederherzustellen. Davon zahlte die Beklagte zu 2) 388,26 Euro an den Kläger, weitere 3.000 Euro macht er im Wege der Klage geltend. Dass eine günstigere Wiederherstellung möglich wäre, haben auch die Beklagten nicht vorgetragen.
Der Zinsanspruch ergibt sich unter dem Gesichtspunkt des Verzuges aus den §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 Abs. 1, 291 BGB. Der Antrag des Klägers ist im Wege der Auslegung dahingehend umzudeuten, dass nicht Zinsen in Höhe von 5 %, sondern vielmehr in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.07.2014 gefordert werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergib sich aus §§ 709 Satz 2 ZPO.