Landgericht Lüneburg
Beschl. v. 06.11.2014, Az.: 26 Qs 274/14

Voraussetzungen der Duldung einer Wahlgegenüberstellung durch den Beschuldigten einer Straftat; Wahrung des allgemeinen Grundsatzes der Aussage- und Selbstbelastungsfreiheit als Bestandteil des Rechts auf ein faires Verfahren

Bibliographie

Gericht
LG Lüneburg
Datum
06.11.2014
Aktenzeichen
26 Qs 274/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 38426
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGLUENE:2014:1106.26QS274.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Lüneburg - 05.09.2014

Amtlicher Leitsatz

Sind die Voraussetzungen des § 58 Abs. 2 StPO erfüllt, so hat der Beschuldigte eine Gegenüberstellung zu dulden. Er ist jedoch nicht verpflichtet, an ihr aktiv mitzuwirken. Gegen seinen Willen kann ihm deshalb nicht abverlangt werden, vor Zeugen auf eine bestimmte Weise zu gehen, oder bestimmte Worte zu sprechen.

In dem Ermittlungsverfahren
gegen pp.
XXX
wegen schweren Raubes
hat die 6 Strafkammer des Landgerichts Lüneburg auf die Beschwerde des Beschuldigten vom 19. September 2014 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Lüneburg vom 5. September 2014 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht sowie die Richterin am Landgericht und der Richter am Landgericht am 6. November 2014 beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Amtsgerichts Lüneburg vom 5. September 2014 wird aufgehoben.

Gründe

I.

Die Staatsanwaltschaft Lüneburg ermittelt gegen den Beschuldigten wegen des Verdachts des schweren Raubes.

Die Zeugin pp. zeigte am 17. Mai 2011 gegenüber der Polizei an, sie sei in der Nacht als Angestellte der Spielhalle "Casino" in Itzehoe durch einen männlichen Täter überfallen worden. Dieser habe sie unter Vorhalten einer Pistole veranlasst, den Tresor der Spielhalle zu öffnen, und das in diesem befindliche Geld entnommen. Die Zeugin äußerte einen vagen Verdacht gegen den Beschuldigten, der sich jedoch nicht erhärtete, so dass das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde.

Am 27. April 2014 wurde in einer anderen Sache die Wohnung des Beschuldigten in Lüneburg polizeilich durchsucht. Dabei wurden unter anderem eine Geldtasche der Volksbank Itzehoe und mehrere Banderolen für Münzgeld aufgefunden, die die Zeugin pp. auf Grund handschriftlicher Namenskürzel der überfallenen Spielhalle in Itzehoe zuordnete.

Die Polizei regte daraufhin an, eine Wahlgegenüberstellung dahingehend durchzuführen, dass der Beschuldigte sowie fünf bis sechs Vergleichspersonen in gleicher Bekleidung auf die Zeugin pp zutreten und die nach deren Aussage beim Überfall gefallenen Worte sprechen sollen. Eine solche Wahlgegenüberstellung könne eine Identifizierung des Beschuldigten ermöglichen, weil der Zeugin pp. nach deren, eigener Aussage die Sprache ebenso wie die Worte des Täters noch gegenwärtig seien. Der Beschuldigte hat erklärt, er sei nicht bereit, an einer derartigen Wahlgegenüberstellung freiwillig mitzuwirken.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft ordnete das Amtsgericht durch Beschluss vom 5. September 2014 gemäß § 81 a Abs. 1, 2 StPO eine Wahlgegenüberstellung samt Stimmenvergleich an.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Beschuldigte mit seiner Beschwerde, in der er insbesondere rügt, der angeordnete Stimmenvergleich verstoße gegen den Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. Die vom Amtsgericht mit dem angefochtenen Beschluss angeordnete Wahlgegenüberstellung mit Stimmenvergleich kann nicht auf § 58 Abs. 2 StPO i. V. m. § 81 a StPO gestützt werden.

1. Nach § 58 Abs. 2 StPO kann der Beschuldigte zum Zwecke der Identifizierung Zeugen gegenübergestellt werden. Sind die Voraussetzungen des § 58 Abs. 2 StPO erfüllt, so hat der Beschuldigte die Gegenüberstellung zu dulden. Er ist jedoch nicht verpflichtet, an ihr aktiv mitzuwirken. Gegen seinen Willen kann ihm deshalb nicht abverlangt werden, vor dem Zeugen auf eine bestimmte Weise zu gehen, oder bestimmte Worte zu sprechen. Dies folgt aus dem allgemeinen Grundsatz der Aussage- und Selbstbelastungsfreiheit, der als Bestandteil des Rechts auf ein faires Verfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 EMRK folgt. Deshalb kann nur das freiwillig gesprochene Wort des Beschuldigten Gegenstand eines Stimmenvergleichs sein; verpflichtet zur Mitwirkung an einem solchen ist der Beschuldigte nicht. Da der Beschuldigte ausdrücklich erklärt hat, er sei nicht bereit, an einer Wahlgegenüberstellung mit Stimmenvergleich freiwillig mitzuwirken, ist die Anordnung eines Stimmenvergleichs unzulässig.

2. Die Voraussetzungen einer Wahlgegenüberstellung ohne Mitwirkung des Beschuldigten, insbesondere ohne Stimmenvergleich, sind auf der Grundlage von § 58 Abs. 2 StPO ebenfalls nicht erfüllt, weil eine solche Gegenüberstellung keinen Erfolg verspricht und damit nicht für das weitere Verfahren geboten erscheint. Es ist nicht zu erwarten, dass die Zeugin pp. im Rahmen einer Gegenüberstellung den Beschuldigten als Täter entweder identifizieren oder aber ausschließen wird können. Die Zeugin konnte den Täter im Rahmen ihrer ersten polizeilichen Vernehmung zwar beschreiben, bekundete aber, dieser sei mit einer Stoffmaske, unter der nur die Augen sichtbar gewesen seien, maskiert gewesen. Sein Gesicht konnte sie mithin nicht erkennen. Im Rahmen einer Gegenüberstellung ist deshalb auch ein Wiedererkennen anhand der Gesichtszüge nicht möglich. Ein Wiedererkennen anhand anderer körperlicher Merkmale erscheint ebenfalls ausgeschlossen, weil der Zeugin im Rahmen einer Gegenüberstellung mehrere identisch gekleidete und maskierte Männer mit ähnlichem Körperbau gezeigt werden müssten. Sind bei einer solchen Gegenüberstellung die Gesichtszüge nicht sichtbar, bietet die Gegenüberstellung keine hinreichenden Unterscheidungsmerkmale, die der Zeugin eine Identifizierung ermöglichen könnten.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 467 Abs. 1 StPO.