Amtsgericht Goslar
Urt. v. 29.07.1987, Az.: 13 F 43/87
Umfang der Unterhaltsverpflichtung einer Mutter gegenüber ihren Kindern aus erster Ehe; Erwerbsobliegenheit der geschiedenen und wieder verheirateten Ehefrau; Führung des ehelichen Haushalts auf einem Schiff; Berücksichtigung eines Taschengeldanspruchs gegenüber dem verdienenden Ehemann
Bibliographie
- Gericht
- AG Goslar
- Datum
- 29.07.1987
- Aktenzeichen
- 13 F 43/87
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1987, 20146
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOSLR:1987:0729.13F43.87.0A
Rechtsgrundlagen
- § 1360a BGB
- § 1603 Abs. 1 BGB
- § 1603 Abs. 2 BGB
Verfahrensgegenstand
Unterhalt
In der Familiensache
...
hat das Amtsgericht - Familiengericht - Goslar
durch
den Richter am Amtsgericht Dr. Schünemann
im schriftlichen Verfahren (letzter Termin zur Einreichung von Schriftsätzen: 22.7.1987)
für Recht erkannt.
Tenor:
- 1.
Der Prozeßvergleich des Amtsgerichts Wolfenbüttel vom 30.1.1980 (15 F 411/79) wird dahin geändert, daß die Klägerin ab 18.3.1987 nur noch folgenden Unterhalt für die Beklagten zu Händen von deren Vater, Henner Stahn, zu zahlen hat:
- a)
für Thomas monatlich 80,- DM,
- b)
für Pamela monatlich 80,- DM.
Die weitergehende Klage wird abgewiesen.
- 2.
Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
- 3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
- 4.
Der Streitwert wird auf 4.092,- DM festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerin ist die Mutter der Beklagten (geb. am 3.11.1970 und am 14.6.1974). Die Ehe der Mutter mit dem Vater der Beklagten wurde 1978 geschieden. Das Sorgerecht für die Beklagten wurde dem Vater übertragen, der die beiden Kinder seitdem auch versorgt.
Durch Prozeßvergleich vom 30.1.1970 (Amtsgericht Wolfenbüttel 15 F 411/79) verpflichtete sich die Klägerin, monatlich 190,50 DM für den Beklagten zu 1), monatlich 150,50 DM für die Beklagte zu 2) als Unterhalt zu zahlen. Dabei ging man davon aus, daß die klägerin seinerzeit Gastwirtin war und einen Jahresgewinn von 15.000,- DM erzielte.
Am 28.7.1980 heiratete die Klägerin wieder. Ihr Ehemann ist von Beruf Binnenschiffer. Nachdem die Klägerin die zusammen mit ihrem Ehemann betriebene Gaststätte im Herbst 1980 wegen mangelnder Rentabilität (Schuldenstand ca. 25.000,- DM) aufgegeben hatte, nahm der Ehemann seine Tätigkeit als Binnenschiffer wieder auf. Er fährt seitdem (seit 1981 als Schiffsführer) für die Reederei Dettmer in Bremen. Sein Einkommen ist zwischen den Parteien streitig. Die Klägerin begleitet ihn auf den Fahrten und führt auf dem Schiff den ehelichen Haushalt. Eigenes Einkommen hat sie nicht.
Die Klägerin macht geltend:
Sie sei unterhaltsrechtlich nicht mehr leistungsfähig. Einen etwaigen Taschengeldanspruch gegen ihren Ehemann durchzusetzen und das Geld für den Unterhalt zu verwenden, sei ihr nicht zumutbar.
Die Klägerin beantragt mit der am 17.3.1987 zugestellten Klage,
den Prozeßvergleich des Amtsgerichts Wolfenbüttel vom 30.1.1980 dahin abzuändern, daß die Klägerin Unterhalt an die Beklagten ab 1.2.1987 nicht mehr zu zahlen hat.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten machen geltend:
Die Klägerin sei zumindest in Höhe des ihr zustehenden Taschengeldes leistungsfähig.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Das Gericht hat über das Einkommen des Ehemannes Beweis erhoben durch Einholung einer Auskunft der Firma Dettmer; auf die Auskunft vom 10.6.1987 wird verwiesen.
Die Parteien haben sich mit der Entscheidung des Rechtsstreits im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
I.
Die Klage ist als Abänderungsklage (§ 323 ZPO) zulässig.
II.
Die Klage ist zum Teil begründet.
1.
Die Klägerin ist (nur noch) in Höhe des aus dem Tenor ersichtlichen Umfanges unterhaltsrechtlich leistungsfähig und daher (nur) insoweit zum Unterhalt verpflichtet.
Die Klägerin ist nach § 1603 II BGB verpflichtet, alle verfügbaren Mittel zu ihrem und der Kinder Unterhalt gleichmäßig zu verwenden.
a)
Diese Verpflichtung führt allerdings im vorliegenden Fall nicht dazu, ein fiktives Einkommen aus einer Berufstätigkeit der Klägerin anzunehmen.
Zwar ist eine solche Obliegenheit bei einer geschiedenen und wieder verheirateten Ehefrau gegenüber ihren Kindern aus erster Ehe grundsätzlich anzunehmen (vgl. BGH, FamRZ 1982, 590 f.). Die Annahme einer solchen Verpflichtung ist auch nicht verfassungswidrig (vgl. Bundesverfassungsgericht, FamRZ 1985, 143 ff.). Die Klägerin trifft jedoch eine solche Obliegenheit unter den gegebenen Umständen nicht, da sie ihrem Ehemann zur Haushaltsführung verpflichtet ist (§§ 1353, 1360 S. 1 BGB), diese Verpflichtung angesichts der besonderen beruflichen Situation nur auf dem Schiff ausüben und deshalb eine Berufstätigkeit nebenher nicht ausüben kann. Denn dieses würde dazu führen, daß die Eheleute monatelang getrennt leben müßten, obwohl hierzu von den wohnlichen Möglichkeiten auf dem Schiff her keine Notwendigkeit bestünde.
Die Klägerin hat - von den Beklagten unwidersprochen - vorgetragen, daß auch eine Heimarbeit deshalb nicht möglich sei, weil das Schiff ihres Ehemannes nicht im Linienverkehr eingesetzt sei. Eine auch den Interessen des Arbeitgebers einer Heimarbeit genügende sinnvolle Organisation läßt sich daher kaum finden.
Aus einer Obliegenheit der Klägerin zu Berufstätigkeit läßt sich deshalb der Unterhaltsanspruch der Beklagten nicht herleiten.
b)
Ein Unterhaltsanspruch der Beklagten läßt sich auch nicht damit begründen, daß der Klägerin ihrerseits ein Unterhaltsanspruch gegen ihren Ehemann zustehe und sie hiervon den Unterhalt der Kinder decken könne.
Da die Klägerin mit ihrem Mann zusammenlebt, hat sie keinen Anspruch auf Unterhaltsrente in Geld gemäß § 1361 IV I BGB, vielmehr einen überwiegend auf Naturalleistungen (Wohnung, Verpflegung, Bekleidung usw.) gerichteten Anspruch; im übrigen steht ihr - abgesehen von dem Taschengeld - Geld nur zu treuhänderischen Verwaltung zur Verfügung (vgl. BGH., NJW 1986, 1869 [BGH 19.03.1986 - IVb ZR 18/85]).
c)
Eine Teil-Leistungsfähigkeit der Klägerin ergibt sich dagegen aus dem Taschengeldanspruch, den sie gegen ihren Ehemann hat.
(1)
In Rechtsprechung und Literatur ist seit langem anerkannt, daß zum angemessenen Unterhalt der Familie, den der Ehemann im Falle seiner Leistungsfähigkeit gemäß § 1360 a I BGB zu erbringen hat, auch ein Taschengeld an die (nicht verdienenende)Ehefrau gehört (vgl. die Nachweise im Münchner Kommentar, § 1360 a Rdn. 6).
Die Höhe dieses Taschengeldanspruchs bestimmt sich nach Einkommen und Lebensstellung der Ehegatten. Er wird im allgemeinen mit 5 % des bereinigten Nettoeinkommens des verdienenden Ehegatten angenommen (vgl. OLG Zweibrücken, FamRZ 1980, 445). Dies erscheint dem Gericht auch im vorliegenden Fall angemessen, da das Einkommen des Ehemannes der Klägerin im guten Durchschnitt liegt. Nach der Auskunft der Firma Dettmer vom 10.6.1987 hat der Ehemann 1986 zuzüglich Vorschüssen insgesamt 50.131,15 DM ausgezahlt erhalten, also monatlich rund 4.180,- DM verdient. In den vier für 1987 vorliegenden Monaten hat er insgesamt 13.563,64 DM ausgezahlt erhalten, also monatlich im Durchschnitt rund 3.390,- DM. Da es keine Anhaltspunkte dafür gibt, daß der Ehemann gerade in den ersten vier Monaten eines jeden Jahres besonders wenig verdient, ist anzunehmen, daß sich das Einkommen 1987 gegenüber 1986 insgesamt reduzieren wird. Das Gericht geht deshalb davon aus, daß das Durchschnittseinkommen per 1987 rund 3.400,- DM betragen wird. Von dieser Summe ist ein gewisser Betrag für erhöhte Aufwendungen abzusetzen: Denn die Lebenshaltungskosten auf einem Binnenschiff dürften - schon wegen der Notwendigkeit, auf günstige Einkaufsmöglichkeiten etc. weitgehend zu verzichten - gegenüber denen an Land erhöht sein. Eine Entlastung von den Mietkosten tritt nicht ein, weil die Klägerin und ihr Ehemann für die Urlaube etc. eine Mietwohnung halten müssen. Es erscheint daher angemessen, von einem Durchschnittseinkommen von 3.200,- DM auszugehen.
Damit ergibt sich ein Taschengeldanspruch der Klägerin von 160,- DM monatlich.
(2)
Dieses Taschengeld ist für den Unterhalt der Kinder einzusetzen.
Verfassungsrechtliche Bedenken dagegen, daß das Taschengeld für Kinder aus früheren Ehen eingesetzt wird, bestehen nicht (vgl. Bundesverfassungsgericht, FamRZ 1985, 143, 146). In diesem Zusammenhang ist besonders darauf hinzuweisen, daß dem Ehemann bei Eheschließung die frühere Ehe und das Vorhandensein von unterhaltsberechtigten Kindern bekannt waren und daß er daher auch von der "wirtschaftlichen Hypothek" wußte, mit der seine neue Verbindung belastet war (so ausdrücklich das Bundesverfassungsgericht, a.a.O., zu der Arbeitsobliegenheit der wieder verheirateten Ehefrau). Dem Interesse der Eheleute, ihre neue Ehe nicht unangemessen durch die alte Unterhaltsverpflichtung belastet zu sehen, ist im vorliegenden Fall ausreichend dadurch Rechnung getragen, daß eine Erwerbsobliegenheit nicht angenommen worden ist (vgl. oben (1)).
Unter diesen Umständen kann sich die Klägerin auch nicht darauf berufen, sie erhalte faktisch kein Taschengeld. Denn es ist ihr durchaus zuzumuten, daß sie diesen Anspruch gegen ihren Ehemann geltend macht. Das Taschengeld, das ein verdienender Ehemann seiner Ehefrau gewährt, ist nicht Ausdruck einer besonderen Gnade, sondern eine Verpflichtung, die sich aus der ehelichen Lebensgemeinschaft ergibt (§§ 1353, 1360 a BGB). Das Verlangen der Ehefrau auf Taschengeld bedeutet also nach der gesetzgeberischen Wertung durchaus keine Belastung der Ehe; eine solche ist insbesondere dann nicht anzunehmen, wenn es sich um die Befriedigung der vom Gesetzgeber besonders privilegierten Unterhaltsansprüche minderjähriger Kinder (§ 1603 I BGB) handelt.
(3)
Die Klägerin kann nicht geltendmachen, der Taschengeldanspruch sei nicht pfändbar und daher auch bei der Berechnung des Unterhalts der Kinder nicht zu berücksichtigen. Vielmehr ist auch hier vorrangig die Wertung des § 1603 I BGB, wonach Eltern für den Unterhalt ihrer minderjährigen unverheirateten Kinder alle verfügbaren Mittel einzusetzen haben. Der Rückgriff auf den Taschengeldanspruch scheidet nur dann aus, wenn das Einkommen des verdienenden Ehemannes des Unterhaltspflichtigen nur zur Deckung des notwendigen Familienunterhaltes reichen würde (OLG Hamm, FamRZ 1986, 357). Das ist aber hier nicht der Fall. Denn würde man den Unterhaltsanspruch der Klägerin gegen ihren Ehemann in Geld berechnen, so läge dieser bei etwa (3.200,- DM × 3/7 =) 1.370,- DM, also weit über ihrem notwendigen Eigenbedarf (910,- DM), bis zu dem sie ihr Einkommen nach § 1603 I BGB den Kindern unterhaltsrechtlich zur Verfügung halten muß. Ihr Familienunterhaltsanspruch gemäß § 1360 a BGB entspricht in seinem Wert diesem Geldanspruch. Daraus folgt, daß der Klägerin die Berufung auf die Unpfändbarkeit des Taschengeldanspruchs in diesem Zusammenhang versagt ist.
2.
Die zur Verfügung stehenden 160,- DM sind zu gleichen Teilen auf die Beklagten zu verteilen, weil beide Kinder für den fraglichen Zeitraum der Altersstufe 3 der Düsseldorfer Tabelle zuzuordnen sind.
Damit ergibt sich für jeden der Beklagten ein Unterhalts anspruch in Höhe von noch 80,- DM.
Die Anrechnung von Kindergeldanteilen hierauf kommt nicht in Betracht, weil es sich um einen Mangelfall handelt (vgl. Leitlinien des Oberlandesgerichts Hamm Nr. 15 IV, FamRZ 1984, 963, 964).
3.
Die Herabsetzung des titulierten Unterhaltes auf diese Höhe kann die Klägerin ab 18.3.1987 begehren. Zwar gilt die Beschränkung des § 323 III ZPO (Abänderung erst ab Zustellung der Klage) für Prozeßvergleiche nicht. Es muß aber eine "verzugsähnliche Situation" vorgetragen werden. Eine solche Situation war für die Beklagten noch nicht dadurch entstanden, daß der Unterhaltspfleger mit Schreiben vom 4.2.1987 Zwangsvollstreckungsmaßnahmen ankündigte; denn da die Beklagten nur einen widerruflichen Vollstreckungsverzicht erklärt haben, war mit diesem Schreiben zunächst rechtlich nur der Zustand wieder hergestellt, der bei Schaffung des Titels entstanden war, also eine vollstreckbare Forderung in der ursprünglich titulierten Höhe. Daß durch weiteren vorprozessualen Schriftwechsel eine verzugsähnliche Situation hergestellt worden wäre, ist nicht vorgetragen. Für die Beklagten wurde daher erst mit Zugang der Klageschrift an sie deutlich, daß die Klägerin nicht in der ursprünglich titulierten Höhe Unterhalt zahlen wollte. Abzustellen ist daher für die Abänderung auf den Zeitpunkt der Zustellung am 17.3.1987. Erst für die Zeit danach ist daher das ABänderungsbegehren gerechtfertigt.
Insoweit war der Klage stattzugeben. Im übrigen war sie abzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 91, 92 ZPO; die Klägerin ist mit ihrem Begehren etwa zur Hälfte durchgedrungen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 ZPO.