Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 14.08.2001, Az.: 3 Ws 318/01
Justizvollzugsanstalt; Freiheitsstrafe ; Videotextempfang; Nachrichtenübermittlung ; Fernsehfernbedienung; Anstaltssicherheit ; Gefahrenabwehr
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 14.08.2001
- Aktenzeichen
- 3 Ws 318/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2001, 17161
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2001:0814.3WS318.01.0A
Rechtsgrundlagen
- § 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG
Fundstellen
- NStZ 2002, 530 (Kurzinformation)
- NStZ 2002, 111-112 (Volltext mit amtl. LS)
- StraFo 2002, 32-34
Amtlicher Leitsatz
Die Möglichkeit der unkontrollierten Übermittlung privater Nachrichten über sog. Chatrooms auf Videotextseiten verschiedener Fernsehsender ist geeignet, die Sicherheit der Justizvollzugsanstalt zu gefährden. Der Videotextempfang darf deswegen durch geeignete Maßnahmen verhindert werden.
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss der 2. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts ....... vom 25. 05. 2001 wird als unbegründet verworfen.
Die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens hat der Antragsteller zu tragen.
Der Streitwert wird auf 1000 DM festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller befindet sich seit dem 05. 08. 1997 in Haft in der Justizvollzugsanstalt ........ Nachdem er sich zunächst in Untersuchungshaft befand, verbüßt er dort seit dem 13. 05. 1998 eine Freiheitsstrafe von 5 Jahren. Seit dem 04. 12. 1997 besitzt er -mit entsprechender Erlaubnis der Justizvollzugsanstalt- einen Fernseher mit Fernbedienung auf seinem Haftraum. Diese Fernbedienung ist in der 15. Kalenderwoche 2001 von der Antragsgegnerin unter Hinweis auf einen entsprechenden Erlass des Niedersächsischen Justizministeriums vom 01. 03. 2001 (Az. : 4434 I - 304. 607) eingezogen worden, nachdem sich der Antragsteller -unter Vorbehalt- mit der Abgabe der Fernbedienung zu seiner Habe einverstanden erklärt hatte. Diese Maßnahme wurde durch ein an alle Inhaftierten gerichtetes Rund- schreiben der Justizvollzugsanstalt ....... wie folgt begründet:
"Gem. des Erlasses des Niedersächsischen Justizministeriums vom 01. 03. 2001 -4434 I - 304. 607- sind in Anstalten des geschlossenen Vollzuges, insbesondere unter Berücksichtigung der Vermeidung von Verdunkelungsgefahr in der Untersuchungshaft, Fernsehgeräte nur zugelassen, wenn sie nicht über ein Videotextteil verfügen. Der Erlass gilt für alle Anstalten des geschlossenen Vollzuges in Niedersachsen.
(. . . )
Die Registrierung der Fernsehgeräte mit Videotext ergab, dass eine Vielzahl der bereits zugelassenen Geräte eingezogen werden müsste. Doch eine grundsätzliche Einziehung der Geräte hat die Anstalt nicht vor, sofern der Gefangene als Eigentümer sich schriftlich einverstanden erklärt, technische Veränderungen an der Fernbedienung vornehmen zu lassen und dafür auch die notwendigen Kosten zu tragen. (. . . )"
Das Erfordernis, den Empfang von Videotext zu untersagen bzw. zu verhindern wurde von der Anstaltsleitung unter Bezugnahme auf entsprechende Erlasse des Niedersächsischen Justizministeriums vom 03. 11. 2000 bzw. 01. 03. 2001 damit begründet, dass bekannt geworden sei, dass die Fernsehsender SAT 1 und VIVA auf ihren Videotextseiten sogenannte Chatrooms eingerichtet hätten, die die Übermittlung privater Nachrichten von Mobilfunkgeräten aus ermöglichten. Hierdurch sei eine unzulässige Nachrichtenübermittlung von Außenstehenden, die der JVA unbekannt blieben und die nicht der richterlichen Kontrolle unterlägen, an Untersuchungsgefangene in der JVA möglich geworden. Derartige Nachrichtenübermittlungen müssten im Interesse der Sicherheit der Anstalt unterbunden werden. Zu diesem Zweck sei als mildestes Mittel die Verhinderung des Empfangs von Videotext durch Stillegung der entsprechenden Taste auf der Fernbedienung, Einbehaltung der Fernbedienung oder Austausch der Fernbedienung gegen eine solche, die keine Videotexttaste aufweiset, gewählt worden, um nicht die privaten Fernseher in den Hafträumen insgesamt einziehen zu müssen. Diese Maßnahme habe auch auf die Strafgefangenen ausgedehnt werden müssen, weil nur so den Sicherheitsbelangen der Anstalt habe Rechnung getragen werden können.
Gegen diese Maßnahme hat der Antragsteller am 17. 04. 2001 Rechtsmittel eingelegt und Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt.
Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts ....... hat diesen Antrag durch Beschluss vom 25. 05. 2001 zurückgewiesen.
Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner Rechtsbeschwerde vom 23. 07. 2001. Er beantragt, die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer und die zugrundeliegende Maßnahme der Justizvollzugsanstalt aufzuheben, dem Antragsteller die Fernbedienung wieder auszuhändigen und ihm den Empfang des Videotextes zu ermöglichen. Er rügt die Verletzung materiellen Rechts.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht erhoben worden. Die Überprüfung des angefochtenen Beschlusses ist auch zur Fortbildung des Rechts geboten (§ 116 Abs. 1 StVollzG). Es bedarf der Klärung der Frage, ob einem Strafgefangenen der Empfang von Videotext aus Gründen der Sicherheit der Anstalt (§ 70 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG) durch entsprechende Maßnahmen untersagt werden kann.
In der Sache erweist sich das Rechtsmittel als unbegründet.
Die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vom 25. 05. 2001 ist nicht zu beanstanden.
Gemäß § 70 Abs. 1 StVollzG darf ein Strafgefangener Gegenstände zur Freizeitgestaltung in angemessenem Umfang besitzen, sofern hierdurch nicht die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt gefährdet wird (§ 70 Abs. 2 Ziff. 2 StVollzG). Ein Versagungsgrund im Sinne von § 70 Abs. 2 StVollzG liegt bereits dann vor, wenn der fragliche Gegenstand generell abstrakt geeignet ist, die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt zu gefährden (OLG Koblenz, ZfStrVo 1988, 372) und diese Gefährdung nicht durch eine ordnungsgemäße Aufsicht unter Zuhilfenahme der gebotenen Kontrollmittel seitens der Justizvollzugsanstalt ausgeschlossen bzw. auf ein nicht mehr beachtliches Maß reduziert werden kann (BVerfG ZfStrVo 1997, 367 (369); OLG Hamm ZfStrVo 2001, 185 (186)).
Der grundsätzlich zugelassene Besitz von Gegenständen zur Freizeitgestaltung findet dort seine Grenzen, wo eine Sicherheitsgefährdung der Anstalt in Betracht kommt. Dies ist bei der Möglichkeit des Videotextempfangs durch Strafgefangene in der Justizvollzugsanstalt angesichts der erst vor kurzem eingerichteten und bekannt gewordenen sog. Chatrooms der Fall.
Die von den Mobilfunkanbietern betriebenen sog. Chatrooms ermöglichen es, jederzeit und anonym von Mobiltelefonen mittels des sog. "SMS-Dienstes" Textnachrichten auf den Bildschirm eines Fernsehgerätes direkt zu versenden. Durch einen derartigen zeitnahen und unkontrollierbaren Informationsfluss wird die Sicherheit der Anstalt gefährdet, weil auf diesem Wege neben jeglichen Nachrichten auch Informationen über Fluchtmöglichkeiten und bestehende Sicherheitsvorkehrungen übermittelt werden können (OLG Celle, Beschluss vom 05. 01. 2001 (2 Ws 259/00); ebenso bzgl. des Besitzes eines Walkman OLG Koblenz ZfStrVo 1988, 372).
Aus diesem Grunde sind -entgegen der Ansicht des Antragstellers- auch keine Feststellungen der Antragsgegnerin oder der Strafvollstreckungskammer dazu erforderlich gewesen, ob es bereits über die sog. Chatrooms auf den Videotextseiten der Fernsehsender SAT 1 und VIVA zu sicherheitsrelevanten Nachrichtenübermittlungen von privaten Mobilfunkgeräten an Insassen der Justizvollzugsanstalt .......r -ggfs sogar unter Beteiligung des Antragstellers- gekommen ist. Die bloße Möglichkeit des unkontrollierten Informationsflusses über die Videotextfunkaktion des Fernsehgerätes ist, wie die obigen Ausführungen belegen, generell abstrakt geeignet, die Sicherheit der Justizvollzugsanstalt zu gefährden. Hierbei kommt es auch nicht darauf an, ob der Antragsteller konkret beabsichtigt, die fraglichen Videotextfunktionen zu nutzen und ggfs. hierdurch erlangte Informationen an andere Gefangene weiterzugeben. Der Antragsteller ist durch die gemeinsame Arbeit und Freizeit, durch die Gemeinschaftsveranstaltungen und den Zellenumschluss in starkem Maße in die Gemeinschaft seiner Mitgefangenen eingebunden. Deshalb ist er auch dem Einfluss anders gesonnener Gefangener ausgesetzt, die ihn beispielsweise unter Druck zur Weitergabe von per Videotext empfangenen, sicherheitsrelevanten Informationen und Nachrichten veranlassen können. Aus diesem Grunde ist es nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin die getroffene Maßnahme auch auf ihn erstreckt hat.
Die von der Antragsgegnerin ergriffene Maßnahme, den Empfang von Videotext durch unterschiedliche Maßnahmen wie Umbau des Fernsehempfangsteils, Austausch des Fernsehgerätes, Einziehung bzw. Austausch der Fernsehfernbedienungen bzw. Sperrung der Videotexttaste auf der jeweiligen Fernbedienung -jeweils nach Wahl des Gefangenen- unmöglich zu machen, verletzt den Antragsteller auch nicht in seinem Grundrecht auf Informationsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 GG, da es sich bei der Regelung des § 70 Abs. 2 StVollzG um eine zulässige Inhaltsbestimmung eines Grundrechts durch den Gesetzgeber handelt und nicht um einen Eingriff in ein Freiheitsrecht (vgl. BVerfG ZfStrVo 1997, 367 (369)).
Es ist auch nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin die Versagung der Videotextempfangsmöglichkeit nicht nur auf Untersuchungshäftlinge, sondern auch auf Strafgefangene erstreckt. Zum einen ist angesichts der bekannt starken Belegsituation in der JVA ....... eine strikte Trennung zwischen beiden Gruppen im Anstaltsbetrieb nicht konsequent durchführbar und zum anderen ist die Justizvollzugsanstalt auch nicht gehindert, im Interesse der Anstaltssicherheit auch die Strafgefangenen in die getroffene Maßnahme mit einzubeziehen. Dies gilt auch deshalb, weil der Zweck der Maßnahme mit der Formulierung "insbesondere unter Berücksichtigung der Vermeidung von Verdunkelungsgefahr in der Untersuchungshaft" nicht abschließend umrissen ist, sondern es auch durchaus zulässig ist - wie es die Antragsgegnerin getan hat - diese Maßnahme zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit der Anstalt auch auf Strafgefangene zu erstrecken.
Die Vereitelung der Videotextempfangsmöglichkeit genügt auch dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne), der bei der Anwendung des § 70 Abs. 2 StVollzG stets zu beachten ist (BVerfG ZfStrVo 1997, 367 (369); OLG Hamm ZfStrVo 2001, 185 (186)).
Die Versagung der Videotextempfangsmöglichkeit ist geeignet, einen unkontrollierten Informationsfluss von außen zu Gefangenen in der Justizvollzugsanstalt zu unterbinden.
Diese Versagung ist auch erforderlich, da andere Möglichkeiten, einen derartigen unkontrollierten Informationsfluss zu unterbinden, nicht bestehen. Weder durch Verplombungen oder Versiegelungen der Fernsehgeräte, noch durch einen erhöhten Kontrollaufwand seitens der Justizvollzugsanstalt könnte der sicherheitsrelevante, unkontrollierte Informationsfluss unterbunden oder auch nur auf ein hinzunehmendes Minimum beschränkt werden. Bereits die Tatsache, dass die Antragsgegnerin davon Abstand genommen hat, sämtliche privaten Fernseher der Gefangenen mit Videotextempfangsmöglichkeit einzuziehen und sie zudem den Gefangenen mehrere Wahlmöglichkeiten eingeräumt hat, wie im konkreten Einzelfall der Empfang von Videotext zu unterbinden ist, zeigt, dass die Antragsgegnerin das mildeste bzw. die mildesten von mehreren geeigneten Mitteln ausgewählt hat, um die damit verbundenen Einschränkungen so gering wie möglich zu halten.
Die von der Antragsgegnerin ergriffenen Maßnahmen zur Vereitelung des Videotextempfanges sind für den Antragsteller auch zumutbar (verhältnismäßig im engeren Sinne). Die Einschränkungen des Antragstellers bei der Informationsbeschaffung, die mit dem Wegfall der Videotextempfangsmöglichkeit verbunden sind, halten sich in engen Grenzen, stehen ihm doch weiterhin Fernsehen, Radio und Presse uneingeschränkt zur Verfügung, um sein Informationsbedürfnis zu stillen. Demgegenüber wäre bei der Aufrechterhaltung der unkontrollierten Videotextempfangsmöglichkeit auf dem privat genutzten Fernseher des Antragstellers die Sicherheit der Anstalt erheblich gefährdet, wie bereits ausgeführt.
Die erfolgte Einziehung der Fernbedienung des Antragstellers ist auch unter dem Gesichtspunkt des (Teil)-Widerrufs einer einmal erteilten Genehmigung nach § 70 Abs. 3 StVollzG nicht zu beanstanden, da der Antragsteller entsprechend dieser Vorschrift grundsätzlich befugt ist, auch bereits früher erteilte Erlaubnisse zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 StVollzG vorliegen. Hierbei hat die Antragsgegnerin allerdings -über den Wortlaut der Vorschrift hinaus- in besonderem Maße dem Grundsatz des Vertrauensschutzes als Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips Rechnung zu tragen. Das bedeutet, dass sie in einem derartigen Fall verpflichtet ist zu prüfen, ob jeweils die Belange des Allgemeinwohls oder das Interesse des einzelnen am Fortbestand einer Rechtslage, auf die er sich eingerichtet hat und auf die er vertraut, den Vorrang verdienen (BVerfG ZfStrVo 1997, 367 (368)).
Auch diesen besonderen Anforderungen wird die Entscheidung der Antragsgegnerin, die Fernbedienung des Antragstellers zur persönlichen Habe zu nehmen, gerecht.
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, das die dem Antragsteller im Jahre 1997 erteilte Erlaubnis, einen privaten Fernseher zu besitzen, von ihm durch eine besonders positive Führung "erworben" worden wäre, so das sein Vertrauen in den Fortbestand dieser Vergünstigung besonders schutzwürdig wäre. Zudem ist eine besondere Schutzwürdigkeit dieser Rechtsposition auch deshalb nicht gegeben, weil sich eine im Jahre 1997 erteilte Erlaubnis zum Besitz eines Fernsehers nicht automatisch auf alle zukünftigen technischen Möglichkeiten im Zusammenhang mit der Nutzung dieses Fernsehers erstreckt. Da die Möglichkeit, über die Videotextfunktion bestimmter Fernsehkanäle an sogenannten Chatforen teilnehmen zu können, infolge der im Jahre 1997 gegebenen technische Möglichkeiten noch nicht bestanden hat, sondern erst in der Folgezeit geschaffen und publik gemacht worden ist, kann hieraus auch kein gesteigerter Vertrauensschutz hinsichtlich eines Teilwiderrufs der Fernsehbesitzberechtigung bzgl. der Videotextempfangsmöglichkeit hergeleitet werde.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 2 Satz 1 StVollzG. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 48a, 13 GKG.