Oberlandesgericht Oldenburg
v. 24.02.2022, Az.: 1 Ws 360/21
Klageerzwingungsverfahren; Verletzte; Angehörige; Dritte; Unterlassene Hilfeleistung; Ermittlungserzwingung
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 24.02.2022
- Aktenzeichen
- 1 Ws 360/21
- Entscheidungsform
- Entscheidung
- Referenz
- WKRS 2022, 14585
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 172 StPO
- § 373 b StPO
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Zu den Voraussetzungen der Gleichstellung naher Angehöriger mit dem Verletzten im Falle seines Todes gem. § 373 b StPO im Rahmen von Klageerzwingungsverfahren, insbesondere zur erforderlichen kausalen Verknüpfung von Tod und untersuchter Tat
- 2.
Zur Zulässigkeit von Ermittlungserzwingungsverfahren
In dem Ermittlungsverfahren
gegen 1. Herrn AA,
2. Herrn BB,
3. Herrn CC,
4. Frau DD,
5. Herrn EE,
Verteidiger: (...),
6. Herrn FF,
7. Herrn GG,
wegen Körperverletzung im Amt u.a.,
Antragsteller: HH und II,
(...),
vertreten durch (...),
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 24. Februar 2022
durch die unterzeichnenden Richter beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der Antrag, entgegen dem Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Oldenburg vom 29. Juli 2021 die Erhebung der öffentlichen Klage wegen Körperverletzung im Amt sowie unterlassener Hilfeleistung zu beschließen, wird als unzulässig verworfen.
- 2.
Der Antrag, entgegen dem Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft Oldenburg vom 29. Juli 2021 weitere Ermittlungen der Staatsanwaltschaft zur Ursache des Todes des am TT. MM. 2021 verstorbenen JJ anzuordnen, wird ebenfalls als unzulässig verworfen.
- 3.
Die Entscheidung ergeht frei von Gerichtsgebühren.
Gründe
Die Antragsteller sind die Eltern des am TT. MM. 2021 verstorbenen JJ. Dieser war am TT. MM. 2021 (...) vorläufig festgenommen worden, wobei er Widerstand gegen die vorläufige Festnahme leistete und es deshalb zum Einsatz von Reizgas gegen ihn kam. Herr JJ war anschließend in Polizeigewahrsam verbracht worden, wo er (...) in seiner Zelle plötzlich zu Fall kam und mit dem Kopf auf den Boden aufschlug. Vor Ort befindliche Polizeibeamte verbrachten Herrn JJ aus der Zelle, um einen besseren Zugang für die verständigten Rettungssanitäter zu ermöglichen, kontrollierten die Vitalzeichen und verbrachten ihn in die stabile Seitenlage. Reanimationsmaßnahmen führten sie nicht durch. Die wenige Minuten später eingetroffenen Rettungssanitäter konnten Herrn JJ reanimieren und in das KK Krankenhaus in Ort1 verbringen, wo er intensivmedizinisch behandelt wurde, bis er am TT. MM. 2021 (...) an einem Multiorganversagen verstarb, dessen Ursache im Zuge des bisherigen Ermittlungen nicht abschließend geklärt werden konnte.
Die gegen die beteiligten Polizeibeamten gerichteten Ermittlungsverfahren hat die Staatsanwaltschaft Oldenburg mit Bescheid vom 17. Mai 2021 gemäß § 170 Abs. 2 StPO mangels Tatverdachts eingestellt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Antragsteller hat die Generalstaatsanwaltschaft Oldenburg mit Bescheid vom 29. Juli 2021 als unbegründet zurückgewiesen.
Mit ihrem Antrag begehren die Antragsteller die Erhebung der öffentlichen Klage gegen die angezeigten Polizeibeamten wegen der Vorwürfe der Körperverletzung im Amt durch Unterlassen sowie der unterlassenen Hilfeleistung. Den Tatbestand der Körperverletzung im Amt durch Unterlassen sehen sie durch ein pflichtwidriges Unterlassen der Beamten, den Verstorbenen von den Wirkungen und Folgen des erfolgten Pfefferspray-Einsatzes zu befreien, verwirklicht, den Tatbestand der unterlassenen Hilfeleistung durch ein Unterlassen einer Laienreanimation nach dem Zusammenbruch im Gewahrsamsbereich der Polizei. Aufgrund dessen halten sie die Erhebung der öffentlichen Klage für geboten.
Des Weiteren begehren sie die Durchführung von weiteren Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft Oldenburg zur Klärung der Ursache des Versterbens. Ihrer Ansicht nach bedarf die Todesursache weiterer Aufklärung.
So sei nicht hinreichend geklärt, wie der im Magen des Verstorbenen aufgefundene Superabsorber, dessen Einnahme nach dem Gutachten der Rechtsmedizin mutmaßlich zum Tod geführt habe, aufgenommen worden sei. Auch sei unklar, ob der Tod mit einem im KK Krankenhaus ausweislich der Patientenunterlagen vermuteten Bauchtrauma in Zusammenhang gestanden habe.
1.
Die Klageerzwingungsanträge erweisen sich als unzulässig.
Eine Antragsberechtigung im Hinblick auf die erhobenen Tatvorwürfe der Körperverletzung im Amt und der unterlassenen Hilfeleistung besteht nicht.
Antragsberechtigt ist nach § 172 Abs. 1 StPO nur der Verletzte (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 64. Aufl., § 172, Rn. 10).
Der Begriff des Verletzten ist mit Einführung des § 373b StPO durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Strafprozessordnung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 25. Juni 2021 erstmals allgemein gesetzlich definiert. Diese zum 1. Juli 2021 in Kraft getretene Regelung, welche der Umsetzung der sog. Opferschutzrichtlinie der EU (Rahmenbeschluss des Rates vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren - RB 2001/220/JI) dient, findet ausweislich der Gesetzesbegründung insbesondere auch auf die Bestimmung des Verletzten im Rahmen der §§ 171, 172 StPO Anwendung (vgl. BT-Drucksache 19, 27654, S. 104; BeckOK StPO/ Weiner, 41. Ed. 1. Oktober 2021, § 373b Rn. 44). Ein Rückgriff auf die durch die Neuregelung unberührt gebliebenen, bislang in diesem Zusammenhang zur Beurteilung herangezogenen Regelungen der Befugnis zum Anschluss als Nebenkläger (§ 395 StPO) verbietet sich auf Grundlage der aktuellen gesetzlichen Regelung ebenso wie ein solcher auf die - ebenfalls durch die Neuregelung nicht betroffene - materiell rechtliche Vorschrift des § 77 StGB.
Nach § 373b Abs. 1 StPO ist Verletzter, wer durch die Tat, ihre Begehung unterstellt oder rechtskräftig festgestellt, in seinen Rechtsgütern unmittelbar beeinträchtigt ist. Dritte - auch dem Opfer als Verwandte nahestehende Personen - sind grundsätzlich nicht zur Durchführung eines Klagerzwingungsverfahrens berechtigt. Ausnahmen sieht die Neuregelung lediglich für den Fall vor, dass der unmittelbar Verletzte verstorben ist. Aber auch wenn dieser infolge Todes selbst nicht mehr zur Durchsetzung seines Begehrens auf Strafverfolgung in der Lage ist, steht dieses Recht nahestehenden Personen nur hinsichtlich gegen die körperliche Unversehrtheit des Verletzten gerichteten Delikten zu und auch nur dann, wenn diese in enger kausaler Verknüpfung mit dem Eintritt des Todes stehen. Nach § 373b Abs. 2 Nr. 3 StPO sind Verwandte in gerader Linie, also auch die Eltern des Opfers, den unmittelbar Verletzten nur dann gleichgestellt, wenn der Tod eine direkte Folge der Tat, ihre Begehung unterstellt oder rechtskräftig festgestellt, gewesen ist.
Die Voraussetzungen der Vorschrift sind nicht bereits dann erfüllt, wenn ein kausaler Zusammenhang mit dem Tod des Opfers nicht ausgeschlossen werden kann. Nach dem Wortlaut der Norm, welche klar hervorhebt, dass die Tatbegehung selbst nur hypothetisch anzunehmen ist, muss der Tod des unmittelbar Verletzten uneingeschränkt direkte Folge der behaupteten und fiktiv unterstellten Tat sein. Für eine einschränkende Auslegung bieten weder die Formulierung der Regelung noch die Gesetzesbegründung bzw. die Intention der Opferschutzrichtlinie hinreichende Anhaltspunkte. Es handelt sich vielmehr um Zulässigkeitsvoraussetzungen, deren eventueller Bestand nicht ausreicht, welche vielmehr tatsächlich gegeben sein müssen. Der Umstand, dass die Begehung der Tat als solche ungeklärt und gerade Gegenstand des in Rede stehenden Verfahrens ist, rechtfertigt keine abweichende Wertung. Im Rahmen der Prüfung der Antragsberechtigung wird die Begehung der Tat so, wie sie im Zuge des Klagerzwingungsverfahrens behauptet wird, zu Grunde gelegt und aufbauend hierauf geprüft, ob der Tod direkte Folge dieser Tat wäre.
a)
Hieran gemessen mangelt es zunächst an einer Verletzteneigenschaft gemäß § 373b Abs.2 StPO, soweit die Antragsteller die Erhebung der öffentlichen Klage im Hinblick auf die behauptete Körperverletzung im Amt durch unterlassene Behandlung der Folgen des Einsatzes von Pfefferspray begehren. Dass diese Tat für den Todeseintritt ursächlich geworden sein könnte, erscheint von vorneherein fernliegend, ist auf der Grundlage der Obduktionsberichte nicht nachweisbar und wird seitens der Antragsteller auch nicht behauptet.
b)
Aber auch hinsichtlich der durch die Antragsteller behaupteten unterlassenen Hilfeleistung durch Verabsäumen einer gebotenen Laienreanimation sind die Antragsteller dem Verletzten nicht gleichgestellt.
Insoweit mangelt es an einem dem Regelungsbereich der Ausnahmeregelung des § 373b Abs. 2 Nr. 3 StPO unterfallenden Geschehen. Eine unterlassene Hilfeleistung, bezüglich derer auch nach bisheriger Rechtslage eine Antragsbefugnis von Angehörigen nicht angenommen wurde (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23. April 1992, NJW 1992, 2370, juris), ist - jedenfalls grundsätzlich - nicht geeignet, den Tod direkt zu bewirken. Dieser ist vielmehr unmittelbare Folge einer anderweit eingetretenen Notsituation. Die bereits bestehende, auf das Versterben des Opfers gerichtete Kausalkette wird lediglich nicht aufgehalten bzw. unterbrochen. Als tauglicher Anknüpfungspunkt für ein Klageerzwingungsverfahren kommt insoweit nur eine fahrlässige Tötung durch Unterlassen in Betracht. Eine solche - ursprünglich seitens der Antragsteller in den Raum gestellte - Tat ist von ihnen jedoch nicht zum Gegenstand des Antrages auf gerichtliche Entscheidung gemacht worden.
Eine abweichende Beurteilung ist auch nicht auf der Grundlage der von den Antragstellern zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Juni 2014, 2 BvR 2699/10, NStZ-RR 2015, 117 [OLG Koblenz 25.11.2014 - 2 Ws 614/14]) geboten. Denn in dieser Entscheidung führt das Bundesverfassungsgericht lediglich aus, dass bei (von Amtsträgern begangenen) Kapitaldelikten auch nahen Angehörigen ein Anspruch auf Klageerzwingung zustehen kann. Auf niedrigschwelligere Delikte - wie etwa die unterlassene Hilfeleistung nach § 323c StGB - bezieht sich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht.
2.
Der Ermittlungserzwingungsantrag hinsichtlich der Todesursache ist ebenfalls unzulässig.
Ein Ermittlungserzwingungsantrag unterliegt als Sonderform des Klageerzwingungsantrages grundsätzlich demselben Maßstab und hat den diesbezüglichen Anforderungen Genüge zu tun (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 23. Februar 2021, 2 BvR 1304/17, NStZ-RR 2021, 146). Darüber hinaus ist er jedoch an weitere Voraussetzungen geknüpft. Eine bloße Ermittlungserzwingung kommt nur in engen Ausnahmefällen in Betracht, wie das Bundesverfassungsgericht in der erwähnten neueren Entscheidung klargestellt hat.
Eine solche Ausnahme liegt etwa vor, wenn entweder die Staatsanwaltschaft einen Anfangsverdacht aus rechtlichen Gründen verneint und deshalb den Sachverhalt in tatsächlicher Hinsicht überhaupt nicht bzw. nur unzureichend aufgeklärt hat, wenn die Staatsanwaltschaft unter Verneinung eines Anfangsverdachts aus tatsächlichen Gründen nach § 152 Abs. 2 StPO keinerlei Ermittlungen durchgeführt hat, das Oberlandesgericht aber entweder von seiner Rechtsauffassung her oder anhand des angezeigten Sachverhalts nach dem derzeitigen Verfahrensstand entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft den Anfangsverdacht annimmt, den für die Anklageerhebung vorausgesetzten hinreichenden Tatverdacht aber noch nicht bejahen kann, weil es an einer ausreichenden tatsächlichen Aufklärung fehlt, so dass die seitens des Oberlandesgerichts i. S. von § 173 Abs. 3 StPO als lückenschließende Beweiserhebung lediglich zulässigen "ergänzenden" Ermittlungen ersichtlich nicht ausreichend sind (vgl. KG, Beschluss vom 11. April 2013 - 3 Ws 504/12, NStZ-RR 2014, 14; OLG Koblenz, Beschluss vom 4. November 2016 - 2 Ws 396/16-, juris), unter Umständen auch, wenn die Staatsanwaltschaft im Kernbereich der zu untersuchenden Tat eklatant unzureichend ermittelt hat (vgl. OLG Koblenz a.a.O.; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 1. März 2001, 1 Ws 83/01, juris).
Ein derartiger Ausnahmefall ist vorliegend nicht gegeben. Die Staatsanwaltschaft hat einen Anfangsverdacht bejaht und sodann umfassende Ermittlungen durchgeführt. Im Rahmen des Ermittlungsverfahrens hat sie sich mit den neuen Erkenntnissen auseinandergesetzt, die weiteren Ermittlungen darauf angepasst und am Ende unter umfassender Würdigung des Ermittlungsergebnisses ihre Einstellungsentscheidung nachvollziehbar begründet.
Dem entsprechen auch die Erwägungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrem Bescheid vom 29. Juli 2021. Sie führt dort umfassend aus, dass und weshalb das Verhalten der angezeigten Polizeibeamten nicht ursächlich für den Tod des Sohnes der Anzeigeerstatter sei. Vielmehr sei Todesursache ein Multiorganversagen, dessen Ursache zwar nicht eindeutig habe geklärt werden können, das aber vermutlich auf die orale Einnahme eines im Magen aufgefundenen sog. Superabsorbers zurückzuführen sei, welcher vom Verstorbenen nach den Ermittlungsergebnissen freiwillig eingenommen worden sein müsse, da keine auf eine gewaltsame Verabreichung hindeutenden Verletzungen hätten festgestellt werden können.
Die Ermittlungen erweisen sich auf hinsichtlich des Kernbereiches der zu untersuchenden Tat zweifelsohne als umfänglich und sorgfältig. Neben einer durch die Staatsanwaltschaft veranlassten Obduktion wurden u.a. eine neuropathologisch-anatomische Begutachtung des Gehirns sowie eine chemisch-toxokologische Untersuchung des Mageninhalts vorgenommen, eine seitens der Antragsteller beauftragte Privatsektion ausgewertet und eine Vielzahl von Zeugen vernommen.
Es bedarf insbesondere keiner weitergehenden Ermittlungen hinsichtlich einer durch ein Bauchtrauma hervorgerufenen Portalvehnenthrombose. Hinweise auf ein auf äußere Einwirkung zurückzuführendes Bauchtrauma vermochte eine computertomographische Untersuchung ausweislich eines Berichtes des Instituts für Radiologie des KK Krankenhause vom TT. MM. 2021 nicht zu erbringen, der Verdacht einer Portalvehnenthrombose konnte ebenso wenig verifiziert werden, eine solche wurde als unwahrscheinlich eingeschätzt, wie die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 25. Oktober 2021 zutreffend anführt.
Auch weitere Ermittlungen im Hinblick auf die Einnahme des im Magen aufgefundenen Superabsorbers sind nicht erforderlich. Die Annahme der Staatsanwaltschaft, der Verstorbene habe diesen spätestens im Zeitpunkt der Festnahme eingenommen, ist in Anbetracht der Ermittlungsergebnisse nicht zu beanstanden. Dafür spricht insbesondere, dass der Verstorbene bereits zum Zeitpunkt der Festnahme bzw. während dieser ein starkes Durstgefühl verspürt hatte, was mit der Wirkungsweise des Superabsorbers in Einklang zu bringen sein dürfte, wie die Rechtsmedizin in ihrem Gutachten vom TT. MM. 2021 ausführt.
Soweit die Antragsteller aus früheren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts eine darüber hinaus gehende Aufklärungsverpflichtung der Strafverfolgungsbehörden herzuleiten suchen, verfängt dies angesichts der bereits erfolgten umfänglichen Ermittlungen nicht; aus dem Anspruch auf effektive Strafverfolgung erwächst grundsätzlich kein solcher auf einklagbare Ermittlungsmaßnahmen, ein Ermittlungserzwingungsantrag kommt grds. nur unter den nunmehr durch das Bundesverfassungsgericht aufgestellten Voraussetzungen in Betracht.
3.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 177 StPO.