Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 21.08.2008, Az.: 9 U 44/08

Unterbrechung der Verjährung durch Beantragung eines Mahnbescheides; Anforderungen an die Individualisierung der Klageforderung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
21.08.2008
Aktenzeichen
9 U 44/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 36806
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2008:0821.9U44.08.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Aurich - AZ: 2 O 594/06

Fundstellen

  • OLGR Oldenburg 2009, 882-883
  • WM 2009, 1104-1105

Amtlicher Leitsatz

1. Zur Frage der hinreichenden Individualisierung eines Mahnbescheides gemäß § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO:

2. Bei einer Vielzahl besicherter Forderungen, insbesondere unterschiedlicher Gläubiger, muss der als Bürge in Anspruch genommene Schuldner anhand des Mahnbescheides erkennen können, aufgrund welcher Hauptforderungen er in Anspruch genommen wird.

In dem Rechtsstreit

...

Klägerin und Berufungsklägerin,

Prozessbevollmächtigter:

Rechtsanwalt ...

gegen

...

Beklagte und Berufungsbeklagte,

Prozessbevollmächtigte:

Rechtsanwälte ...

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch ... sowie die Richter am Oberlandesgericht ... und ...

am 21. August 2008

einstimmig beschlossen:

Tenor:

I. Gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO wird darauf hingewiesen, dass die Berufung der Klägerin keine Aussicht auf Erfolg hat. Das angefochtene Urteil weist weder Rechtsfehler im Sinne der §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO auf, noch rechtfertigen nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung.

Das Landgericht ist zutreffend von einer Verjährung des geltend gemachten Anspruches ausgegangen. Nachdem die besicherten Darlehensforderungen im Jahre 2002 fällig gestellt wurden, ist gleichsam die dreijährige Verjährungsfrist für die mit der Klage geltend gemachte Bürgschaftsforderung gemäß §§ 195, 199 BGB zum 31. Dezember 2002 in Lauf gesetzt worden. Die demzufolge zum 1. Januar 2006 eingetretene Verjährung hätte - unstreitig - allein durch den am 30. Dezember 2005 der Beklagten zugestellten Mahnbescheid entsprechend §§ 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB, 167 ZPO unterbrochen werden können. Das ist jedoch nicht der Fall, da es an einer insoweit notwendigen hinreichenden Individualisierung des Mahnbescheides im Sinne von § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO fehlt. Der Senat folgt insoweit den zum gleichen Sachverhaltkomplex ergangenen Entscheidungen des hiesigen 6. Senats vom 21. Mai 2007 (6 W 91/07) sowie des 15. Senats vom 8. Mai 2007 (15 U 5/07), auf deren Gründe verwiesen wird.

Zwar ist der Klägerin zuzugeben, dass die in § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO normierten Individualisierungsanforderungen im Interesse eines effektiven Gläubigerschutzes nicht überspannt werden dürfen. In diesem Sinne sind auch die in der Berufungsbegründung zitierten höchstrichterlichen Entscheidungen zu verstehen, wonach es dem Gläubiger im Einzelfall noch möglich sein soll, seine zunächst im Wege des Mahnverfahrens geltend gemachten Ansprüche im nachfolgenden Rechtsstreit weiter zu spezifizieren. Das darf aber andererseits nicht dazu führen, dass der mit der Regelung des § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO maßgeblich intendierte Schuldnerschutz gänzlich leer läuft. Der Bundesgerichtshof hat insoweit wiederholt klargestellt, dass es dem Schuldner vor allem möglich sein muss, anhand des Mahnbescheides zu prüfen, ob er sich gegen den in Rede stehenden Anspruch zur Wehr setzen will oder nicht (ständige Rspr., vgl. zuletzt BGH, NJW 2008, 1220 [BGH 23.01.2008 - VIII ZR 46/07]). Dazu muss insbesondere der im Mahnbescheid bezeichnete Anspruch durch seine Kennzeichnung von anderen Ansprüchen so unterschieden und abgegrenzt werden können, dass der Schuldner bereits im Zeitpunkt der Zustellung ohne weiteres erkennen kann, woraus der Gläubiger seinen Anspruch herleiten will (BGH, aaO.).

Die Individualisierungsanforderungen an einen Mahnbescheid sind mithin innerhalb des Spannungsfeldes zwischen Gläubigerinteresse und Schuldnerschutz zu beurteilen. Der Bundesgerichtshof hat demzufolge in ständiger Rechtsprechung hervorgehoben, dass hinsichtlich Art und Umfang der erforderlichen Angaben stets auf den Einzelfall abzustellen ist (vgl. etwa WM 2007, 1084). Soweit daher die bloße Bezeichnung einer für mehrere Darlehensverbindlichkeiten erteilten Bürgschaft in bestimmten, einfach gelagerten Parteibeziehungen noch ausreichend sein mag, kann dies nicht für den vorliegenden Fall gelten. Dabei nämlich handelt es sich um eine ganz erhebliche Zahl von insgesamt 37 verbürgten Forderungen, die darüber hinaus von fünf Gläubigern gegenüber vier Schuldnern geltend gemacht werden. Gerade bei der Geltendmachung mehrerer Einzelforderungen muss deren Bezeichnung im Mahnbescheid es dem Schuldner ermöglichen, die Zusammensetzung des verlangten Gesamtbetrags aus für ihn unterscheidbaren Ansprüchen zu erkennen (BGH, NJW 2008, 1220 [BGH 23.01.2008 - VIII ZR 46/07]. BGH, NJWRR 2006, 275). Das ist hier zu verneinen. Angesichts der Vielzahl besicherter Forderungen unterschiedlicher Gläubiger gegenüber verschiedenen Schuldnern war es der Beklagten jedenfalls anhand der bloßen Bezeichnung "Bürgschaft" im Mahnbescheid nahezu unmöglich, das Für und Wider einer eigenen Rechtsverteidigung abzuschätzen. Dies gilt umso mehr, als die Bürgschaft aufgrund ihrer Akzessorietät immer nur insoweit Bestand haben konnte, als die jeweils besicherte Hauptforderung noch bestand. Aus welcher der zahlreichen Hauptforderungen die Beklagte noch in Rückgriff genommen werden sollte, ließ sich dem Mahnbescheid nicht ansatzweise entnehmen, mithin war es ihr auch unmöglich zu prüfen, ob nicht möglicherweise ein Teil der verbürgten Forderungen zwischenzeitlich erloschen oder anderweitig einredebehaftet wäre. Damit sind die vom Bundesgerichtshof in Umsetzung des § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO formulierten Mindestanforderungen an eine Individualisierung zweifellos nicht erfüllt.

II. Da die Sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert, beabsichtigt der Senat, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen. Binnen zwei Wochen nach Zustellung besteht Gelegenheit, zu diesem Beschluss Stellung zu nehmen oder - im Kosteninteresse - die Berufung zurückzunehmen.