Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 30.01.1997, Az.: L 1 An 115/96

Gewährung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit ; Bisheriger Beruf; Mehrstufenschema des Bundessozialgerichts; Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen
Datum
30.01.1997
Aktenzeichen
L 1 An 115/96
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1997, 14639
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:1997:0130.L1AN115.96.0A

Fundstelle

  • SGb 1997, 527 (amtl. Leitsatz)

In dem Rechtsstreit
hat der 1. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 30. Januar 1997
durch
den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht L.,
den Richter am Landessozialgericht W.,
den Richter am Landessozialgericht H. sowie
die ehrenamtlichen Richter G. und V.
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die im November 1940 geborene Klägerin begehrt die Zahlung einer Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU). In ihrem Rentenantrag vom Juli 1993 gab die Klägerin an, den Beruf der Bäckereifachverkäuferin erlernt, die Prüfung aber nicht bestanden zu haben. Sie sei dann bis Juni 1991 als Bäckereifachverkäuferin tätig gewesen, habe von August bis Dezember 1982 einen Verkaufsleiterlehrgang mit Erfolg durchlaufen und zuletzt bis November 1992 einen eigenen Kiosk betrieben, in dem sie Lebensmittel und Zeitschriften verkauft habe.

2

Die Beklagte zog das arbeitsamtsärztliche Gutachten des Arztes Z. vom 24. August 1993 bei, wonach wegen eines Bruchs des 12. Brustwirbelkörpers im Januar 1993 eine verminderte Belastbarkeit der Wirbelsäule bestehe. Die Klägerin könne aber vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne häufiges Bücken und ohne Zwangshaltungen verrichten. Die Beklagte ließ das orthopädische Gutachten des Dr. S. vom 4. Oktober 1993 erstatten, der ebenfalls mittelschwere Arbeiten ohne außergewöhnliche Einseitigkeitsmerkmale der Körperhaltung, auch die einer Bäckereifachverkäuferin/Verkaufsleiterin für zumutbar hielt. Deshalb lehnte die Beklagte den Rentenantrag durch Bescheid vom 27. Oktober 1993 ab.

3

Auf den Widerspruch der Klägerin ließ die Beklagte das internistische Gutachten des Dr. J. vom 14. Januar 1994 erstatten, der aus seiner Sicht keine wesentliche Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit feststellen konnte. Die Beklagte zog noch den ärztlichen Entlassungsbericht über das vom 10. Mai 1994 bis 7. Juni 1994 in der D.-K. B. I. durchgeführte Heilverfahren bei, wonach die Klägerin als Bäckereifachverkäuferin nur noch zwei Stunden bis unter halbschichtig tätig sein könne. Sonst seien aber vollschichtig alle anderen wechselnden Tätigkeiten ohne schweres Heben und Tragen zumutbar. Die Wirbelsäule ist als gut beweglich beschrieben worden. Durch Widerspruchsbescheid vom 7. November 1994 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück mit dem Hinweis, daß diese auf kaufmännische Büroarbeiten verwiesen werden könne.

4

Hiergegen hat die Klägerin bei dem Sozialgericht (SG) B. Klage erhoben und vorgetragen, im Vordergrund ihrer Gesundheitsstörungen stünden umformende Veränderungen der Wirbelsäule mit einem Wirbelkörperbruch des 12. Brustwirbelkörpers. Ihr Leistungsvermögen werde weiter durch arthrotische Veränderungen im rechten Sprunggelenk, Kreislaufstörungen sowie Gallenblasenbeschwerden beeinträchtigt.

5

Das SG hat die Arbeitgeberauskunft der Bäckerei S. vom 14. März 1995 beigezogen, wonach die Klägerin dort von Juli 1990 bis Juni 1991 als Bäckereifachverkäuferin tätig gewesen ist und tariflich wie eine Fachverkäuferin bezahlt worden ist. Ferner sind Befundberichte von Dr. B., Dr. M. und der Ärztin N. sowie das sozialmedizinische Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Niedersachsen vom 3. Mai 1995 beigezogen worden. Nach diesem Gutachten sind der Klägerin noch leichte Arbeiten vollschichtig überwiegend im Sitzen ohne Zwangshaltungen zumutbar.

6

Das SG hat dann das chirurgische Gutachten des Chefarztes Dr. Z. vom 12. Januar 1996 erstatten lassen. Seine Diagnosen lauten:

1.
Unter keilförmiger Deformierung fest-knöchern verheilter Kompressionsbruch des 12. Brustwirbelkörpers.

2.
Geringe Bandscheibenschädigung an der Halswirbelsäule C6/C7 mit begleitender Fehlhaltung und mit Einengung einzelner Nervenwurzelaustrittslöcher rechts.

3.
Geringgradige Besenreiserkrampfadern beider Kniegelenke.

4.
Erhebliche Fettleibigkeit und erhebliches Übergewicht.

7

In der Beurteilung heißt es, der Wirbelkörperbruch habe zu keiner nennenswerten Funktionseinbuße geführt, so daß die Klägerin noch vollschichtig leichte bis mittelschwere Arbeiten vorzugsweise in wechselnder Körperhaltung verrichten könne.

8

Das SG hat ferner das berufskundliche Gutachten des Abschnittsleiters der Abteilung Arbeitsvermittlung und Arbeitsberatung im Arbeitsamt B. Sch. vom 1. Juni 1996 erstatten lassen und den Sachverständigen im Termin am 19. Juni 1996 gehört. Dieser ist zu dem Ergebnis gekommen, daß die Klägerin ihren bisherigen Beruf als Bäckereifachverkäuferin nicht mehr verrichten könne, da hier das Bücken, Hocken und Überkopfarbeiten erforderlich seien. Die Klägerin könne aber auf den Beruf der Kassiererin verwiesen werden.

9

Dieser Auffassung hat sich das SG B. angeschlossen und die Klage durch Urteil vom 19. Juni 1996 abgewiesen.

10

Hiergegen hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie trägt vor, ihr stehe eine Rente wegen BU zu, da sie sowohl als Bäckereiverkäuferin als auch als Kassiererin nicht mehr tätig sein könne. Die Tätigkeit einer Kassiererin an einer Supermarktkasse erfordere eine einseitige Körperhaltung und darüber hinaus das einseitige Bewegen der Waren mit der linken Hand. Dies sei ihr nicht mehr möglich. Auch in anderen Abteilungen könne sie nicht als Kassiererin arbeiten. Hier sei eine wechselnde Körperhaltung nicht möglich.

11

Die Klägerin beantragt,

  1. 1.

    das Urteil des Sozialgerichts B. 19. Juni 1996 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. Oktober 1993 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. November 1994 aufzuheben und

  2. 2.

    die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. August 1993 Rente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.

12

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

13

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

14

Der Senat hat von Dr. B. den Befundbericht vom 22. November 1996 beigezogen und den Parteien die berufskundlichen Stellungnahmen des Sachverständigen W. vom 28. November 1991 und der Firma K. vom 19. Januar 1994 übersandt, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

15

Im übrigen wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Akten der Beklagten Bezug genommen, die ebenfalls Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

16

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Ihr steht kein Anspruch auf Zahlung einer Rente wegen BU gegen die Beklagte zu.

17

Ein Anspruch auf Rente wegen BU setzt gemäß § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) u. a. voraus, daß die Klägerin berufsunfähig ist. Unter welchen Voraussetzungen der Begriff der BU erfüllt ist, hat das SG in seinem Urteil im einzelnen aufgeführt. Diese Voraussetzungen erfüllt die Klägerin nicht.

18

Mit dem SG geht der erkennende Senat davon aus, daß der bisherige Beruf der Klägerin der einer Bäckereifachverkäuferin ist. Zwar hat die Klägerin den Beruf der Bäckereifachverkäuferin nicht mit der vorgesehenen Abschlußprüfung beendet. Sie ist aber über eine lange Zeit in diesem Beruf tätig gewesen und, wie die Arbeitgeberauskunft der Bäckerei S. zeigt, auch wie eine Fachverkäuferin bezahlt worden. Dieser Beruf ist in die dritte Stufe von unten des vom Bundessozialgericht (BSG) gebildeten Mehrstufenschemas einzuordnen, in die Versicherte gehören, die eine Ausbildung von mehr als zwei Jahren zurückgelegt haben. Der Senat folgt dem Urteil des SG und damit den Ausführungen des Sachverständigen S. auch insoweit, als die Klägerin nicht mehr als Bäckereifachverkäuferin einsetzbar ist, da durch häufigeres Bücken, Hocken und Überkopfarbeiten Leistungsanforderungen gestellt werden, denen die Klägerin nicht mehr genügen kann.

19

Der Senat teilt grundsätzlich auch die Auffassung des SG, daß die Klägerin auf die Tätigkeit einer Kassiererin verwiesen werden kann. Insoweit wird gemäß § 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) auf die Ausführungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen. Soweit die Klägerin meint, daß hierbei eine wechselnde Körperhaltung nicht immer eingenommen werden kann, wird jedenfalls auf die Tätigkeit einer Kassiererin an Sammelkassen der Firma K. verwiesen, für die ausdrücklich eine wechselnde Körperhaltung bestätigt worden ist. Dies ist deshalb möglich, weil sich an den Sammelkassen der Firma K. die Tätigkeiten nicht auf das reine Kassieren beschränkt, sondern auch Geld zu wechseln ist, Rechnungen und Quittungen auszustellen sind. Warenrückgaben und Auswahlen behandelt werden müssen, der Verpackungsservice ist zu bedienen, Kontrolltätigkeiten sind auszuüben und Informationsservice für Kunden gehört dazu. Das BSG hat unter anderem in seinem Urteil vom 14. Mai 1996 (Az.: 4 RA 60/94) die Verweisung des erkennenden Senats einer Fleischereifachverkäuferin auf die Tätigkeit einer Kassiererin an einer Sammelkasse der Firma K. für bedenkenfrei erklärt. Dies ist bei einer Bäckereifachverkäuferin nicht anders zu sehen, zumal die Bezahlung einer Kassiererin an Sammelkassen wie die einer Verkäuferin erfolgt, wie die Firma K. bestätigt hat.

20

Für das Gericht hat keine Veranlassung bestanden, den medizinischen Sachverhalt weiter aufzuklären. Aus dem Befundbericht des Dr. B. vom 22. November 1996 ergibt sich, daß die durch die Distorsion des rechten Sprunggelenkes eingetretene Schwellung rückläufig gewesen ist und eine Verschlimmerung des Zustandes nicht eingetreten ist. Es ist lediglich eine Krankschreibung vom 6. August bis 24. August 1996 erforderlich gewesen. Es ist somit weiterhin von dem vollschichtigen Leistungsvermögen für leichte bis mittelschwere Arbeiten im Wechsel der Körperhaltung auszugehen, das auch das SG seiner Beurteilung zutreffend zugrunde gelegt hat.

21

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

22

Es hat kein rechtlicher Grund vorgelegen, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen.