Verwaltungsgericht Hannover
Beschl. v. 07.06.2011, Az.: 9 B 1999/11

Bindungswirkung; Fahrerlaubnis; Punkteabzug; verkehrspsychologische Beratung

Bibliographie

Gericht
VG Hannover
Datum
07.06.2011
Aktenzeichen
9 B 1999/11
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 45235
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Eine Mitteilung über einen Punkteabzug nach Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung entfaltet keine Bindungswirkung für nachfolgende Maßnahmen von Straßenverkehrsbehörden.

2. Um einen Punkteabzug nach § 4 Abs. 4 Satz 2, 2. Halbsatz StVG zu erhalten, muss der Inhaber der Fahrerlaubnis an der verkehrspsychologische Beratung nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVG innerhalb von zwei Monaten nach der Verwarnung teilnehmen.

Tenor:

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die sofortige Vollziehbarkeit eines Bescheides des Antragsgegners, mit dem ihm die Erlaubnis zum Führen von erlaubnispflichtigen Kraftfahrzeugen im öffentlichen Straßenverkehr entzogen wurde.

Der Antragsteller verfügte vor 2004 nicht über eine Fahrerlaubnis. Mit Strafbefehl des Amtsgerichts E. vom 09.02.2001 erhielt er eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen wegen vorsätzlichen Führens eines Kraftfahrzeuges ohne Fahrerlaubnis, fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und Urkundenfälschung. Zugleich wurde sein gefälschter jugoslawischer Führerschein eingezogen und eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis von vier Monaten angeordnet. Der Strafbefehl wurde am 08.03.2001 rechtskräftig.

Am 28.09.2001 stellte der Antragsteller bei der Stadt E. einen Antrag auf Erteilung einer Fahrerlaubnis. Das hierzu vorgelegte medizinisch-psychologische Gutachten vom 04.02.2002 kam zu dem Ergebnis, es sei zu erwarten, dass der Antragsteller auch zukünftig erheblich gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen werde. Ihm wurde deshalb keine Fahrerlaubnis erteilt, die Stadt E. stellte jedoch seinen Antrag zur späteren Beibringung eines weiteren Gutachtens zurück.

Wegen einer am 18.06.2002 begangenen Urkundenfälschung in Tateinheit mit vorsätzlichem Gebrauch eines nicht haftpflichtversicherten Fahrzeuges wurde er vom Amtsgericht E. zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen verurteilt. Das Urteil wurde am 31.10.2002 rechtskräftig. Dieser Verstoß wurde mit sechs Punkten im Verkehrszentralregister bewertet.

Am 29.07.2004 unterzog sich der Antragsteller einer weiteren medizinisch-psychologi-schen Untersuchung. Dem hierzu erstellten Gutachten zufolge war nicht zu erwarten, dass der Antragsteller auch zukünftig gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen wird. Am 29.11.2004 wurde dem Antragsteller erstmalig in Deutschland eine Fahrerlaubnis der Klasse B erteilt.

Danach beging der Antragsteller folgende Verkehrsverstöße:

Lfd. Nr.

Tattag

Eintritt der
Rechtskraft

Art der Zuwiderhandlung

Punkte

1       

15.06.2005

10.08.2005

Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts um 35 km/h

3       

2       

17.08.2005

01.11.2005

Führen eines Kraftfahrzeuges mit mangelhaften Reifen

3       

3       

16.03.2006

25.05.2006

Verbotswidriges Benutzen eines Mobiltelefons

1       

4       

03.01.2007

10.02.2007

Verbotswidriges Benutzen eines Mobiltelefons

1       

5       

07.02.2007

11.05.2007

Beförderung mehrerer Kinder ohne jede Sicherung

1       

6       

15.03.2007

12.05.2007

Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts um 22 km/h

1       

7       

05.04.2009

09.07.2009

Geschwindigkeitsüberschreitung außerorts um 40 km/h

3       

8       

02.08.2009

25.09.2009

Beförderung mehrerer Kinder ohne jede Sicherung

1       

9       

03.11.2009

06.01.2010

Beförderung mehrerer Kinder ohne jede Sicherung

1       

10    

24.11.2009

06.02.2010

Führen eines Kraftfahrzeuges bzw. Anhängers, obwohl dessen Reifen keine ausreichende Profil- oder Einschnitttiefe bzw. keine ausreichenden Profilrillen oder Einschnitte besaßen

3       

11    

05.05.2010

14.07.2010

Verbotswidriges Benutzen eines Mobiltelefons

1       

12    

02.08.2010

02.04.2011

Beförderung mehrerer Kinder ohne jede Sicherung

1       

Unter dem 21.09.2005 ordnete die Stadt E. gegenüber dem Antragsteller die Teilnahme an einem Aufbauseminar an. Der Antragsteller legte eine Bescheinigung vom 16.01.2006 über die Teilnahme hieran vom 02. bis 16.01.2006 vor.

Mit Schreiben vom 23.04.2007 verwarnte die Stadt E. den Antragsteller wegen seines bisherigen Verhaltens als Fahranfänger auf Probe. Sie teilte ihm mit, dass sich für ihn nach Erteilung der Fahrerlaubnis acht Punkte ergeben würden und wies ihn darauf hin, dass er die Möglichkeit habe, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Verwarnung an einer verkehrspsychologischen Beratung teilzunehmen. Sofern er eine Bescheinigung hierüber innerhalb von drei Monaten nach Durchführung der Beratung vorlege, würden ihm zwei Punkte abgezogen. Bei der Berechnung berücksichtigte die Stadt E. nur die unter Nr. 1 bis 4 genannten Verstöße. Die Verwarnung wurde am 28.04.2007 zugestellt.

Vom 16.04.2008 bis 07.05.2008 nahm der Antragsteller an einer verkehrspsychologischen Beratung teil, reichte die Teilnahmebescheinigung vom 07.05.2008 am 05.06.2008 bei der Stadt E. ein und bat um Mitteilung seines aktuellen Punktestandes. Die Stadt E. machte ihm unter dem 30.06.2008 folgende Mitteilung:

"Aufgrund des aktuellen Punktestands im Verkehrszentralregister vom 06.06.2008 in Flensburg, sind dort rechtskräftig 10 Punkte vermerkt. Somit wird gem. § 2a (2) Ziff. 2 StVG ein Abzug von 2 Punkten gewährt, so dass sich der Punktestand jetzt auf 8 Punkte reduziert.

Hinweis: Etwaige noch nicht gemeldete, aber bereits rechtskräftige Eintragungen könnten evtl. zu einer Änderung der Entscheidung führen."

Mit Schreiben vom 15.04.2010 sprach die Stadt E. erneut eine Verwarnung gegenüber dem Antragsteller aus, da sich aus den Eintragungen im Verkehrszentralregister 16 Punkte ergeben hätten. Der Anlage zu diesem Schreiben zufolge, legte die Stadt E. dieser Bewertung die unter Nr. 1 bis 10 genannten Verstöße zugrunde.

Am 10.08.2010 wurde die Eintragung der Entscheidung über die Ordnungswidrigkeit vom 15.06.2005 wegen Ablaufs von fünf Jahren nach § 29 Abs. 6 Satz 4 StVG im Verkehrszentralregister getilgt. Ebenso wurde die Eintragung wegen der am 17.08.2005 begangenen Ordnungswidrigkeit am 01.11.2010 getilgt.

Unter dem 23.03.2011 hörte der Antragsgegner den nach F. bzw. G. verzogenen Antragsteller zu der Entziehung der Fahrerlaubnis an, da sich nach seiner Bewertung mit den Verstößen Nr. 1 bis 11 sowie der am 18.06.2002 begangenen Straftat, die mit sechs Punkten bewertet wurde, ein Punktestand von 18 Punkten ergebe. Der Antragsgegner nahm bei der Berechnung im Gegensatz zu der Bewertung durch die Stadt E. keinen Punktabzug für die Teilnahme an der verkehrspsychologischen Beratung vor, da der Antragsteller an dieser weder nach § 2a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StVG innerhalb von zwei Monaten nach der Verwarnung oder gemäß § 4 Abs. 3 Nr. 3 StVG nach einem angeordneten Aufbauseminar teilgenommen habe. Die am 10.08.2010 und 01.11.2010 erfolgten Tilgungen seien unerheblich, da der Antragsteller mit dem letzten Verstoß 18 Punkte erreicht habe. Mit Bescheid vom 14.04.2011 - zugestellt am 21.04.2011 - entzog der Antragsgegner dem Antragsteller die Erlaubnis zum Führen erlaubnispflichtiger Kraftfahrzeuge.

Hiergegen richtet sich die am 16.05.2011 erhobene Klage des Antragstellers (Az. 9 A 1998/11), über die noch nicht entschieden wurde. Zugleich hat er einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gestellt. Zur Begründung führt er an, dass ihm für die Teilnahme an der verkehrspsychologischen Beratung zwei Punkte hätten abgezogen werden müssen. Der in der Verwarnung vom 15.04.2010 ermittelte Punktestand von 16 sei für den Antragsgegner verbindlich. Mit dem Verstoß vom 05.05.2010 habe er deshalb nur 17 Punkte erreicht. Darüber hinaus seien vor der Entziehung der Fahrerlaubnis die Verstöße vom 15.06. und 17.08.2005 getilgt worden. Diese hätten bei der Entscheidung hierüber keine Berücksichtigung finden dürfen. In einem solchen Fall stehe es zumindest im Ermessen der Behörde, ob sie diese Punkte bei ihren Entscheidungen noch mit berücksichtigt. Punkte, die er vor Erteilung der Fahrerlaubnis erhalten habe, seien nun nicht mehr einzubeziehen.

Der Antragsteller beantragt sinngemäß,

die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 14.04.2011 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er ist der Ansicht, die Mitteilungen der Stadt E. über den jeweiligen Punktestand seien nicht verbindlich gewesen. Insbesondere handele es sich nicht um Verwaltungsakte, an die er gebunden sei. Die Ordnungswidrigkeiten vom 15.06. und 17.08.2005 seien trotz zwischenzeitlicher Tilgung zu berücksichtigen gewesen, da es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts lediglich darauf ankomme, ob an dem Tag, an dem ein Verkehrsverstoß begangen wurde, 18 Punkte erreicht werden. Die Fahrerlaubnisbehörde müsse dann Maßnahmen ergreifen, auch wenn im Zeitpunkt der Maßnahme Punkte schon wieder getilgt seien. Die vor Erteilung der Fahrerlaubnis erlangten sechs Punkte seien ebenfalls zu berücksichtigen, da nach § 4 Abs. 2 Satz 3 StVG nur die bis zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis oder Sperrfristanordnung erlangten Punkte gelöscht werden. Ein Punktabzug könne für die Teilnahme an der verkehrspsychologischen Beratung nicht gewährt werden, da diese nicht innerhalb der Zweimonatsfrist des § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVG erfolgt sei.

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

II.

Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, aber unbegründet.

Statthaft ist ein Antrag gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung, da die aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO in Verbindung mit § 4 Abs. 7 Satz 2 StVG aufgrund eines Bundesgesetzes entfällt.

Die nach § 80 Abs. 5 VwGO zu treffende Ermessensentscheidung geht zu Lasten des Antragstellers aus. Entfällt die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs gegen einen Verwaltungsakt kraft Gesetzes gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, kann das Gericht die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Dabei sind die widerstreitenden Interessen gegeneinander abzuwägen, wobei auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs berücksichtigt werden. Zu berücksichtigen ist jedoch auch, dass der Gesetzgeber durch die Regelung des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO grundsätzlich dem Vollzugsinteresse Vorrang eingeräumt hat. Ist der erlassene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig, kann an dessen sofortiger Vollziehung aber ein öffentliches Interesse nicht bestehen. Dagegen überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes das Privatinteresse des Antragstellers daran, von der Vollziehung vorläufig verschont zu bleiben, wenn sich der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig erweist.

Der Bescheid vom 14.04.2011 ist offensichtlich rechtmäßig, weshalb im vorliegenden Fall das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers überwiegt.

Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich für den Inhaber einer Fahrerlaubnis 18 oder mehr Punkte ergeben. Dann gilt der Betroffene als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen. Diese Voraussetzungen sind gegeben, denn unter Berücksichtigung des Regelungsgefüges in § 4 StVG zum Punktsystem und der gebotenen Auslegung dieser Bestimmungen ist der Antragsgegner zu Recht davon ausgegangen, dass sich für den Antragsteller mit dem Verstoß vom 05.05.2010 18 Punkte ergaben. Im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides ergaben sich für ihn sogar 19 Punkte.

Dabei kommt es nicht darauf an, ob die mit Verstoß vom 18.06.2002 vor Erteilung der Fahrerlaubnis erlangten sechs Punkte bei der Berechnung zu berücksichtigen sind. Auch ohne deren Berücksichtigung hat der Antragsteller 19 Punkte erlangt.

Dies ergibt sich aus folgender Berechnung:

Verstoß (Tattag/ Rechtskraft)

Punkte für die einzelnen Verstöße

Punkte unter Berücksichtigung des Verstoßes vom 18.06.2002

Punkte ohne Berücksichtigung des Verstoßes vom 18.06.2002

18.06.02/ 31.10.02

6 Punkte

6 Punkte

-       

15.06.05/ 10.08.05

3 Punkte

9 Punkte

3 Punkte

17.08.05/ 01.11.05

3 Punkte

12 Punkte

6 Punkte

Für die Teilnahme am Aufbauseminar vom 02.01. bis 16.01.2006 wird kein Punktabzug gewährt, da diese nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG angeordnet wurde.

16.03.06/ 25.05.06

1 Punkt

13 Punkte

7 Punkte

03.01.07/ 10.02.07

1 Punkt

14 Punkte

8 Punkte

07.02.07/ 11.05.07

1 Punkt

15 Punkte

9 Punkte

15.03.07/ 12.05.07

1 Punkt

16 Punkte
= 13 Punkte

10 Punkte

Da bei Berücksichtigung der vor Erteilung der Fahrerlaubnis erlangten Punkte sich am 15.03.2007 nach dem maßgeblichen Tattagprinzip ein Punktestand von 16 Punkten ergeben hätte, wäre nach § 4 Abs. 5 Satz 1 StVG dieser auf 13 Punkte zu reduzieren, weil die Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG nicht ergriffen wurde. Die Anordnung des Aufbauseminars vom 21.09.2005 kann nicht als eine solche Unterrichtung und Verwarnung betrachtet werden, da diese im Rahmen der Fahrerlaubnis auf Probe nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 StVG erfolgte und der Antragsteller in diesem Schreiben nicht über seinen Punktestand unterrichtet wurde.

Mit Schreiben vom 23.04.2007 erfolgte die nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG vorgesehene Verwarnung. Da die Entscheidungen über die beiden letzten Verkehrsverstöße noch nicht rechtskräftig waren, ging die Stadt E. von einem Punktestand von acht Punkten aus.

Für die Teilnahme an der verkehrspsychologischen Beratung vom 16.04. bis 07.05.2008 erhält der Antragsteller keinen Punktabzug. Nach § 4 Abs. 4 Satz 2 StVG werden zwei Punkte abgezogen, wenn der Betroffene nach der Teilnahme an einem Aufbauseminar und nach Erreichen von 14 Punkten, aber vor Erreichen von 18 Punkten an einer verkehrspsychologischen Beratung teilnimmt und hierüber der Fahrerlaubnisbehörde innerhalb von drei Monaten nach Beendigung eine Bescheinigung vorlegt; dies gilt auch, wenn er nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVG an einer solchen Beratung teilnimmt. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Antragsteller hatte nach beiden Berechnungen 14 Punkte nicht erreicht. Nach einer Teilnahme im Rahmen des § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVG würde der Punktabzug zwar unabhängig vom Punktestand erfolgen (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Auflage, § 4 StVG, Rn. 46). Dazu müssen aber auch die Voraussetzungen erfüllt sein, die die Vorschrift des § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVG aufstellt. Das ist nicht der Fall, da der Antragsteller nicht innerhalb von zwei Monaten, sondern erst ein Jahr nach der Verwarnung vom 23.04.2007 an der verkehrspsychologischen Beratung teilgenommen hat. Dass die durch die Verwarnung ausgelöste Zweimonatsfrist auch im Rahmen des § 4 Abs. 4 Satz 2, 2. Hs. StVG einzuhalten ist, ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut der Vorschrift. Der Abzug wird gewährt, "wenn er nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 an einer solchen Beratung teilnimmt". Damit hat die Teilnahme so zu erfolgen, wie es § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVG vorschreibt, nämlich innerhalb von zwei Monaten nach der Verwarnung. Zum anderen ergibt sich dies aus dem Sinn und Zweck des Verweises. Der Fahrerlaubnisinhaber auf Probe wird hier privilegiert, da er bereits vor Erreichen von 14 Punkten durch die Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung Punkte abbauen kann. Die verkehrspsychologische Beratung nach § 4 Abs. 4 Satz 3 StVG führt nur einmal innerhalb von fünf Jahren zu einem Punktabzug, weshalb ihn dies davon abhalten könnte, schon nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVG vor Erreichen von 14 Punkten an ihr teilzunehmen. Für ihn ist aber die Teilnahme an einer verkehrspsychologischen Beratung bereits frühzeitig erforderlich, da nach § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG die Fahrerlaubnis unter erleichterten Bedingungen entzogen werden kann. Verstöße, die er in dieser Zweimonatsfrist begeht, können noch nicht zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis führen. Die Frist dient so im Sinne einer Bewährungsfrist dazu, dem Fahranfänger kurzfristig Hilfestellung zu geben, um seine Einstellung zu den Regeln des Straßenverkehrs zu verbessern, damit es gar nicht erst zu einer Entziehung der Fahrerlaubnis kommt. Durch die Regelungen über den Punktabzug in § 4 Abs. 4 StVG soll belohnt werden, wer freiwillig Maßnahmen ergreift, die seine Fahrereignung verbessern. Um diese Privilegierung zu erhalten, müssen die hierfür aufgestellten gesetzlichen Regelungen eingehalten werden, d.h. man muss entweder 14 Punkte erreicht haben oder im Rahmen des Regelungssystems für die Fahrerlaubnis auf Probe die Zweimonatsfrist beachten. Eine ein Jahr nach der Verwarnung durchgeführte verkehrspsychologische Beratung kann auf den Fahrerlaubnisinhaber auf Probe, der bereits mehrere Verstöße begangen hat, gerade nicht mehr kurzfristig einwirken. Eine Privilegierung erfolgt aus diesem Grunde dann nicht.

Der Punktestand des Antragstellers ist zu diesem Zeitpunkt nicht aufgrund des Schreibens der Stadt E. vom 30.06.2008 zu reduzieren, mit dem diese ihm einen Punktabzug gewährte und einen Punktestand von acht Punkten mitteilte. Dieses Schreiben hat keinen verbindlichen Charakter und löst für den Antragsteller auch keinen Vertrauensschutz aus. Die Stadt E. ist in diesem Schreiben offenbar fälschlicherweise davon ausgegangen, dass der Antragsteller die Voraussetzungen des § 2a Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 StVG eingehalten hatte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (Beschl. v. 15.12.2006 - 3 B 49/06 -, juris), der die Kammer folgt, entfaltet die Unterrichtung nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG im Hinblick auf den mitgeteilten Punktestand keine Bindungswirkung für nachfolgende Maßnahmen der Straßenverkehrsbehörde. Bei der Mitteilung handelt es sich, wie auch bei den Eintragungen im Verkehrszentralregister, nicht um einen Verwaltungsakt. Sie löst keine unmittelbaren Rechtsfolgen im Sinne des § 35 VwVfG für den Betroffenen aus, sondern schafft nur eine Tatsachengrundlage zur Vorbereitung von Maßnahmen der Straßenverkehrsbehörde. Das ergibt sich im Umkehrschluss auch aus § 4 Abs. 3 Satz 2 StVG, wonach die Fahrerlaubnisbehörde bei den Maßnahmen nach den Nummern 1 bis 3 allein an die rechtskräftige Entscheidung über die Straftat oder Ordnungswidrigkeit gebunden ist. Da die Mitteilung nicht in Bestandskraft erwächst, hat sie keine Bindungswirkung für Maßnahmen derselben oder einer anderen Fahrerlaubnisbehörde (vgl. auch Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 41. Aufl., § 4 StVG, Rn. 23, 31, 35).

Das Schreiben der Stadt E. weist keine äußerlichen Merkmale eines Verwaltungsaktes auf, somit handelt es sich auch nicht um einen sogenannten formellen Verwaltungsakt, so dass sich auch unter diesem Aspekt keine Bindungswirkung ergeben kann.

Der Antragsteller kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass aus Vertrauensschutzgründen sein Punktestand wegen der Mitteilung der Stadt E. vom 30.06.2008 zu reduzieren ist. Sie drückt sich zwar verbindlich aus, indem sie beispielsweise mitteilt, dass im Verkehrszentralregister "rechtskräftig 10 Punkte vermerkt" seien, ein "Abzug von zwei Punkten gewährt" werde und "noch nicht gemeldete, aber bereits rechtskräftige Entscheidungen … zu einer Änderung der Entscheidung führen" könnten. Es erfolgt auch kein Hinweis darauf, dass diese Mitteilung unverbindlich ist und lediglich die Bewertung der Behörde nach dem damaligen Kenntnisstand darstellt. Ein etwaiges Vertrauen des Antragstellers in die Verbindlichkeit dieser Mitteilung ist jedoch nicht schutzwürdig. Das Vertrauen konnte nämlich nur darauf gerichtet sein, dass der Antragsteller sich weitere Verkehrsverstöße erlauben könne, ohne mit einer Maßnahme der Fahrerlaubnisbehörde rechnen zu müssen. Sinn und Zweck der Unterrichtung nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StVG ist es hingegen, erzieherisch auf den Fahrerlaubnisinhaber einzuwirken, um ihn für die Zukunft von Verkehrsverstößen abzuhalten. Ein durch die Mitteilung erwecktes Vertrauen würde jedoch genau das gegenteilige Ziel verfolgen. Ein Vertrauen, durch fortgesetztes rechtswidriges Handeln behördliche Maßnahmen im Punktesystem nicht auszulösen, kann durch behördliches Handeln nicht begründet werden.

In der Folgezeit erreichte der Antragsteller folgende Punkte:

Verstoß (Tattag/ Rechtskraft)

Punkte für die einzelnen Verstöße

Punkte unter Berücksichtigung des Verstoßes vom 18.06.2002

Punkte ohne Berücksichtigung des Verstoßes vom 18.06.2002

05.04.09/ 09.07.09

3 Punkte

16 Punkte

13 Punkte

02.08.09/ 25.09.09

1 Punkt

17 Punkte

14 Punkte

03.11.09/
06.01.10

1 Punkt

18 Punkte
= 17 Punkte

15 Punkte

Da bei Berücksichtigung der vor Erteilung der Fahrerlaubnis erlangten Punkte sich am 03.01.2010 ein Punktestand von 18 Punkten ergeben hätte, wäre nach § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG dieser auf 17 Punkte zu reduzieren, weil die Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG nicht ergriffen wurde.

Verstoß (Tattag/ Rechtskraft)

Punkte für die einzelnen Verstöße

Punkte unter Berücksichtigung des Verstoßes vom 18.06.2002

Punkte ohne Berücksichtigung des Verstoßes vom 18.06.2002

24.11.09/
06.02.10

3 Punkte

20 Punkte
=17 Punkte

18 Punkte
=17 Punkte

Nach beiden Berechnungen ergab sich am 24.11.2009 ein Punktestand von 18 oder mehr Punkten. Da die Maßnahme nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG nicht ergriffen wurde, ist dieser nach § 4 Abs. 5 Satz 2 StVG auf 17 Punkte zu reduzieren. Mit Schreiben vom 15.04.2010 wurde die nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG erforderliche Unterrichtung durchgeführt. Die Anordnung eines Aufbauseminars war nicht möglich, da der Antragsteller innerhalb der letzten fünf Jahre bereits an einem solchen teilgenommen hatte.

05.05.10/ 14.07.10

1 Punkt

18 Punkte

18 Punkte

02.08.10/ 02.04.11

1 Punkt

19 Punkte

19 Punkte

Der letzte Verstoß war dem Antragsgegner zwar wohl im Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides nicht bekannt, er hätte aber dennoch berücksichtigt werden müssen, da die Entscheidung hierüber bereits rechtskräftig war.

Die Tilgungen der Eintragungen der Verstöße vom 15.06.2005 am 10.08.2010 und vom 17.08.2005 am 01.11.2010 ändern diese Bewertung nicht. Nach der von der Kammer geteilten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 25.09.2008 - 3 C 21/07 -, juris) ist eine Tilgung von Punkten im Verkehrszentralregister unerheblich, die nach Erreichen eines Punktestandes erfolgt, der nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 StVG die mangelnde Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zur Folge hat. Eine nach dem Überschreiten dieser Schwelle eingetretene Punktetilgung kann nicht mehr berücksichtigt werden. Wurde einmal die 18-Punkte-Grenze überschritten, hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis wegen mangelnder Eignung des Betroffenen zu entziehen. Denn eine einmal begründete unwiderlegliche Vermutung der mangelnden Eignung kann nicht allein durch den Ablauf von Tilgungsfristen entfallen.

Ergeben sich wie hier 18 oder mehr Punkte, hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen. Ein Ermessen, das es der Behörde erlaubt, die persönlichen Verhältnisse des Antragstellers zu berücksichtigen, ist hierbei nicht gegeben. Der Antragsteller gilt vielmehr als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 63 Abs. 2 Satz 1 und 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG und entspricht Nummer 1.5 i. V. m. 46.3 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in NVwZ 2004, 1327).