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  • ab 01.05.2017 (aktuelle Fassung)

Abschnitt 4 VV-ROG/NROG - ZAV - Verfahren, Form und Anfechtung

Bibliographie

Titel
Verwaltungsvorschriften zum ROG und zum NROG für die Durchführung von Zielabweichungsverfahren (VV-ROG/NROG - ZAV)
Amtliche Abkürzung
VV-ROG/NROG - ZAV
Normtyp
Verwaltungsvorschrift
Normgeber
Niedersachsen
Gliederungs-Nr.
23100

Der Ablauf eines Zielabweichungsverfahrens ist im Regelfall wie folgt:

  • Aufmerksamwerden auf einen möglichen Zielverstoß, z. B. durch eine formlose Voranfrage bei der Landesplanungsbehörde, Kenntniserlangung von einem raumbedeutsamen Vorhaben infolge der Beteiligung der Landesplanungsbehörde als Träger öffentlicher Belange in einem anderen Verfahren oder Eingang eines Antrags auf Zielabweichung.

  • Feststellung der Landesplanungsbehörde, dass es eines Zielabweichungsverfahrens bedarf (Vorprüfung siehe Nummer 1) und Tätigwerden auf Antrag oder ausnahmsweise Einleitung von Amts wegen (siehe Nummer 4.1).

  • Entscheidung über ein Beteiligungsverfahren und dessen Durchführung:

    Ist offenkundig und eindeutig, dass eine Zielabweichung für das Vorhaben nicht raumordnerisch vertretbar ist und/oder dass die Grundzüge der Planung berührt sind, kann eine ablehnende Entscheidung auch allein auf die Nichterfüllung der Tatbestandsmerkmale des § 6 Abs. 2 ROG gestützt werden; eine Beteiligung der in ihren Belangen berührten öffentlichen Stellen und der betroffenen Gemeinden ist optional.

    Wird eine Zielabweichung raumordnerisch in Betracht gezogen oder ist noch ergebnisoffen, ob eine Zielabweichung für das Vorhaben raumordnerisch vertretbar ist und/oder die Grundzüge der Planung nicht berührt sind, ist zwingend eine Beteiligung der in ihren Belangen berührten öffentlichen Stellen und der betroffenen Gemeinden notwendig.

  • Abschließende Prüfung der rechtlichen Voraussetzungen (siehe Nummer 2) und Ausarbeitung der Entscheidung.

  • Bekanntgabe der Entscheidung.

4.1
Antragserfordernis, Antragsberechtigung, Inhalt und Umfang des Antrags

Mit Eingang eines Zielabweichungsantrags bei der Landesplanungsbehörde hat das Zielabweichungsverfahren formal begonnen. Es besteht kein Ermessen der Landesplanungsbehörde, die Annahme eines Zielabweichungsantrags wegen offensichtlicher Erfolglosigkeit von vornherein zu verweigern. Hat ein Vorhabenträger einen Antrag auf Zielabweichung gestellt, hat er einen Anspruch auf ordnungsgemäße Bescheidung, auch wenn der Antrag schon nach überschlägiger Prüfung eindeutig keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Gründe sollten der Antragstellerin oder dem Antragsteller in einem solchen Fall zunächst formlos mitgeteilt werden verbunden mit der Anregung, den Antrag auf Zielabweichung zurückzunehmen. Wird ein Antrag aufrechterhalten, ist das Verfahren durch eine (positive oder negative) Entscheidung über den Antrag abzuschließen.

Zielabweichungsverfahren sollen nur auf Antrag erfolgen. Zulässig ist zwar auch die Einleitung von Amts wegen, die Durchführbarkeit eines solchen Verfahrens ist jedoch nur gegeben, wenn prüffähige Unterlagen vorliegen. Der Vorhabenträger kann zur Vorlage solcher Unterlagen nicht verpflichtet werden.

Nach § 6 Abs. 2 Satz 2 ROG sind antragsberechtigt sowohl öffentliche Stellen als auch Personen des Privatrechts, die das Ziel, von dem eine Abweichung zugelassen werden soll, zu beachten haben. Antragsberechtigt ist insofern, wer nach § 4 ROG an das Ziel der Raumordnung gebunden ist.

Öffentliche Stellen sind antragsbefugt, wenn sie Träger einer raumbedeutsamen Planung oder Maßnahme oder Genehmigungsbehörde im Hinblick auf eine Planung oder Maßnahme einer anderen öffentlichen Stelle sind. So besteht insbesondere eine Antragsbefugnis einer Gemeinde, um ihre Bauleitplanung abweichend von Zielen der Raumordnung dahingehend ändern zu dürfen, dass ein raumbedeutsames Projekt planungsrechtlich zulässig wird.

Antragsbefugt ist weiterhin die Behörde, die für die Planfeststellung (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ROG) oder für die Erteilung der Genehmigung oder sonstigen Zulassung eines privaten Vorhabens zuständig ist, sofern die Genehmigung oder Zulassung des Vorhabens auch eine Prüfung von Zielen der Raumordnung verlangt (Raumordnungsklausel, § 4 Abs. 2 ROG).

Private Vorhabenträger sind antragsbefugt, wenn ihr Vorhaben einer Planfeststellung bedarf (§ 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ROG).

Ferner sind private Vorhabenträger von solchen Vorhaben antragsbefugt, bei deren Genehmigung oder Zulassung auch die Einhaltung von Zielen der Raumordnung als Genehmigungs- oder Zulassungsvoraussetzung vorgeschrieben ist (Raumordnungsklausel, § 4 Abs. 2 ROG). Daher dürfen insbesondere private Investorinnen und Investoren, deren Vorhaben im jeweiligen Zulassungsverfahren als Außenbereichsvorhaben nach § 35 BauGB beurteilt werden, eine Zielabweichung beantragen. Denn § 35 Abs. 3 Sätze 2 und 3 BauGB enthält Regelungen, nach denen auch Ziele der Raumordnung als öffentliche Belange zu werten sind, die der Zulassung raumbedeutsamer Außenbereichsvorhaben entgegenstehen können.

Mehrere Antragsberechtigungen können nebeneinander bestehen (z. B. Zulassungsbehörde und Vorhabenträger).

Andere als die in § 6 Abs. 2 ROG genannten Stellen und Personen (z. B. Verbände) sind nicht antragsbefugt. Wird ein solcher Antrag dennoch gestellt, ist er ohne inhaltliche Prüfung als unzulässig zurückzuweisen.

Wird ein Antrag auf Zielabweichung während des Verfahrens zurückgezogen oder ein von Amts wegen eingeleitetes Verfahren vor der Entscheidung eingestellt, sind die bis dahin beteiligten Stellen über die Einstellung des Verfahrens zu informieren.

Der Antrag hat sämtliche für die Beurteilung notwendigen Angaben zu enthalten. Dies umschließt auch eine Darlegung der Antragstellerin oder des Antragsstellers, warum aus ihrer oder seiner Sicht die Voraussetzungen einer Zielabweichung erfüllt sind. Fehlen notwendige Angaben, ist der Antrag nicht entscheidungsreif und die Antragstellerin oder der Antragsteller ist um Vervollständigung zu bitten.

4.2
Beteiligungsverfahren; Entbehrlichkeit der Beteiligung anderer Stellen

Im Beteiligungsanschreiben ist deutlich zu machen, ob aus Sicht der Landesplanungsbehörde eine Beteiligung als in ihren Belangen berührte öffentliche Stelle, als betroffene Gemeinde oder als sonstige Stelle erfolgt (die nur informell beteiligt wird) und welche Äußerungen die verfahrensführende Stelle von den Beteiligten erwartet, z. B.

  • eine Aussage, ob und inwiefern eine fachliche Berührtheit oder räumliche Betroffenheit vorliegt,

  • eine eindeutige Willenserklärung, ob das Einvernehmen erteilt oder versagt wird,

  • eine Äußerung zwecks Herstellung des Benehmens.

Es ist um Rückäußerung in schriftlicher oder elektronischer Form zu bitten. Die Frist, innerhalb der Stellung genommen werden kann, ist im Hinblick auf den Einzelfall zu bestimmen. Sie sollte mindestens einen Monat betragen; nur in einfach gelagerten Fällen kann sie verkürzt werden.

Kann die Landesplanungsbehörde bereits auf Basis des Antrags ohne weitere Beteiligung anderer Stellen eindeutig erkennen, dass die Zielabweichung raumordnerisch nicht vertretbar ist und/oder die Grundzüge der Planung berührt sind, ist die Beteiligung der fachlich berührten Stellen und der betroffenen Gemeinden nicht erforderlich. Da alle Tatbestandsvoraussetzungen kumulativ erfüllt sein müssen (siehe Nummer 2), könnte auch ein erteiltes Einvernehmen oder ein Benehmen keine Zielabweichung ermöglichen.

4.3
Weitere Verfahrens- und Formerfordernisse, Kosten

Je nach Verhältnis zwischen Adressat und entscheidender Stelle kann eine Zielabweichungsentscheidung mit oder ohne Außenwirkung ergehen. Erfolgt die Zielabweichungsentscheidung allein zwischen Behörden - unabhängig davon, ob diese dem gleichen oder unterschiedlichen Rechtsträgern angehören - liegt in der Regel mangels Außenwirkung kein Verwaltungsakt vor (z. B. von der unteren Landesplanungsbehörde bei einem Landkreis an eine andere Stelle des Landkreises, die für die Zulassung eines raumbedeutsamen Vorhabens zuständig ist, zu dessen Gunsten eine Zielabweichung beantragt wurde). Ergeht die Zielabweichungsentscheidung jedoch gegenüber einer Privatperson oder gegenüber einer anderen öffentlichen Stelle im eigenen Wirkungskreis (z. B. durch die untere Landesplanungsbehörde gegenüber einer Gemeinde als Trägerin der Bauleitplanung), ist aufgrund der Außenwirkung ein Verwaltungsakt gegeben.

Soweit ein Zielabweichungsbescheid mit Außenwirkung als raumordnerischer Verwaltungsakt ergeht, finden ergänzend die Bestimmungen des VwVfG i. V. m. § 1 NVwVfG Anwendung, insbesondere die besonderen Bestimmungen der §§ 35 ff. VwVfG.

Liegt kein Verwaltungsakt vor (z. B. wenn eine Zielabweichungsentscheidung innerhalb des gleichen Rechtsträgers ohne Außenwirkung ergeht, siehe Absatz 1) sind die für Verwaltungsakte geltenden Regelungen nicht unmittelbar heranziehbar. Die in den Absätzen 4 und 5 näher erläuterten Vorschriften über Nebenbestimmungen und zur Begründung von Verwaltungsakten sind jedoch analog auch bei verwaltungsintern wirkenden Entscheidungen anzuwenden. Die Begründung der Zielabweichung einschließlich eventueller Nebenbestimmungen nach außen erfolgt in diesen Fällen im Rahmen der zugrundeliegenden Hauptentscheidung, beispielsweise der Entscheidung über die Genehmigung eines Flächennutzungsplans oder eines Bauvorhabens.

Die Entscheidung über die Zielabweichung ist zu begründen, § 39 VwVfG. In der Begründung sind die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe mitzuteilen, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Neben der Nennung der einschlägigen Rechtsgrundlagen bezieht sich die Begründungspflicht auf jedes einzelne Tatbestandsmerkmal sowie auf die Ermessensentscheidung.

Der Zielabweichungsbescheid kann mit Nebenbestimmungen versehen werden, wenn nur so die raumordnerische Vertretbarkeit oder die Einhaltung der Grundzüge der Planung gewährleistet werden können, oder die Einvernehmenserteilung einer fachlich berührten Stelle an bestimmte, konkret überprüfbare Voraussetzungen gebunden war (§ 36 Abs. 2 i. V. m. Abs. 1 VwVfG) oder wenn dies aus Ermessenserwägungen heraus zweckmäßig erscheint (§ 36 Abs. 2 VwVfG). Die Nebenbestimmungen sind ebenfalls zu begründen.

Adressat des Bescheides ist die Antragstellerin oder der Antragsteller oder die öffentliche Stelle, für deren Planung (z. B. Bauleitplanung) oder Entscheidung über ein Vorhaben (z. B. Baugenehmigung) die Zielabweichung Voraussetzung ist. Die Entscheidung über die Zielabweichung ist auch den übrigen Verfahrensbeteiligten bekannt zu geben.

Ergeht der Zielabweichungsbescheid als Verwaltungsakt der Landesplanungsbehörde, ist er mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen. Muster einer Rechtsbehelfsbelehrung:

"Gegen diesen Bescheid kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe Klage bei dem Verwaltungsgericht [einfügen: Bezeichnung des zuständigen Verwaltungsgerichts] in [einfügen: Sitz des zuständigen Verwaltungsgerichts] erhoben werden."

Zu den Kosten eines Verfahrens zählen einerseits Gebühren, andererseits Auslagen (z. B. Vervielfältigungskosten, Zustellungskosten). Die Entscheidung über eine Zielabweichung ist gebührenfrei, da dafür kein Gebührentarif in der AllGO vorgesehen ist. Soweit in einem Zielabweichungsverfahren notwendige Auslagen entstehen, sind diese gemäß § 13 NVwKostG zu erstatten.

4.4
Anfechtbarkeit der Entscheidung

Die einmonatige Klagefrist gilt nur gegenüber demjenigen, dem der Zielabweichungsbescheid mit einer ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung bekannt gegeben wurde. Ist die Belehrung unterblieben oder fehlerhaft, läuft gemäß § 58 Abs. 2 VwGO grundsätzlich die Jahresfrist für die Einlegung eines Rechtsbehelfs.

Sind die Voraussetzungen einer Zielabweichung sowie die Ermessensausübung nicht gegeben oder nicht ausreichend nachvollziehbar in der Entscheidung dokumentiert, führt dies nicht nur zur Anfechtbarkeit der Zielabweichungsentscheidung, sondern kann - solange keine Bestandskraft des Zielabweichungsbescheides eingetreten ist (vgl. BVerwG 25. 6. 2007, 4 BN 17.07) - auch zur rechtlichen Angreifbarkeit der auf der Zielabweichung beruhenden weiteren Planungen (z. B. einer durch die Zielabweichung ermöglichten Bauleitplanung) oder Genehmigungen (z. B. einer durch die Zielabweichung ermöglichten Anlagenzulassung) führen.

Wird eine Zielabweichungsentscheidung gerichtlich überprüft, so umschließt die richterliche Prüfungskompetenz auch die Befassung mit dem normierten Ziel der Raumordnung (Inzidentkontrolle).

Ist eine Zielabweichungsentscheidung innerhalb des gleichen Rechtsträgers ohne Außenwirkung ergangen, kann sie mangels Verwaltungsaktqualität nicht isoliert, sondern nur inzident mit der Entscheidung über die Zulassung oder Ablehnung des Vorhabens gerichtlich überprüft werden.

Außer Kraft am 1. Januar 2025 durch Nummer 6 des Runderlasses i.d.F. vom 2. Mai 2018 (Nds. MBl. S. 454)