Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 12.03.1987, Az.: 11 B 782/86

Einstweiliger Rechtsschutz bei Zurückschiebung von Ausländern

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
12.03.1987
Aktenzeichen
11 B 782/86
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1987, 12823
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1987:0312.11B782.86.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Braunschweig - AZ: 5 VG D 153/86

Fundstelle

  • NVwZ 1987, 1110-1111 (Volltext mit red. LS)

Verfahrensgegenstand

Zurückschiebung - vorläufiger Rechtsschutz -.

Prozessführer

des Herrn ...

Prozessgegner

Bundesrepublik Deutschland,

Bundesminister des Innern in Bonn,
dieser vertreten durch den Direktor der Grenzschutzdirektion ...

Gründe

1

I.

Der Antragsteller ist libanesischer Staatsangehöriger. Er gelangte am 4. August 1986 über ... nach ... und am 5. August 1986 in das Bundesgebiet.

2

Die Grenzschutzstelle ...-Bahnhof verweigerte ihm nach Anhörung ein Verbleiben. Mit Schriftsätzen vom 7. August 1986 legte die Bevollmächtigte des Antragstellers gegen die "mündliche Zurückschiebungsverfügung" Widerspruch ein, beantragte bei der Stadt ... für den Antragsteller Asyl und bei dem Verwaltungsgericht vorläufigen Rechtsschutz. Das Verwaltungsgericht ordnete durch den angefochtenen Beschluß die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen die Zurückschiebungsverfügung an.

3

II.

Durch die übereinstimmenden Erklärungen des Antragstellers und der Antragsgegnerin hat sich das Verfahren in der Hauptsache erledigt. Der angefochtene Beschluß war daher für unwirksam zu erklären und das Verfahren einzustellen. Die Kosten des Verfahrens hat nach § 161 Abs. 2 VwGO die Antragsgegnerin zu tragen, weil sie auch im Beschwerdeverfahren voraussichtlich unterlegen wäre.

4

Der von dem Antragsteller gestellte Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO war im Hinblick auf die Zurückschiebungsverfügung der Antragsgegnerin zulässig. Der Senat neigt entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts zu der Auffassung, daß einstweiliger Rechtsschutz hier nicht über § 80 Abs. 5 VwGO gewährt werden konnte: Einreisende Ausländer können unter den dort bezeichneten Voraussetzungen nach § 18 Abs. 1 AuslG zurückgewiesen oder nach § 18 Abs. 2 AuslG zurückgeschoben werden; suchen sie um Asyl nach, so greift § 9 AsylVfG ein. Die Antrags gegnerin hat ihre Maßnahme darauf gestützt, dem Vorbringen des Antragstellers lasse sich nicht entnehmen, daß er Asyl begehre. Liegt ein Nachsuchen um Asyl bei der Grenzbehörde (§ 9 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG) überhaupt nicht vor, so folgt die gesetzliche Ermächtigung, dem Ausländer die Einreise oder das Verbleiben im Bundesgebiet zu verweigern, aus den allgemeinen Einreisevorschriften (Meissner, VBlBW 1982, 386, 388; Hailbronner, AuslR, RdNr. 970). Die Antragsgegnerin hat in der Annahme, der Antragsteller begehre nicht Asyl, ihre Maßnahme daher folgerichtig auf § 18 AuslG gestützt.

5

Die Zurückweisung (§ 18 Abs. 1 AuslG) und - als Fall polizeilicher Nacheile (Deutscher Bundestag, Drucks. IV/868) - die Zurückschiebung (§ 18 Abs. 2 AuslG) sind eine Vergünstigung versagende Verwaltungsakte. Für den Rechtsschutz kommt als Klagetyp die Verpflichtungsklage in Betracht. Vorläufiger Rechtsschutz kann daher im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO begehrt werden (so auch OVG Hamburg, Beschl. v. 11.03.1983 - Bs V 39/83 -, NVwZ 1983, 434; Huber, Ausländer- und Asylrecht, RdNr. 343 m. Nachw. zum Meinungsstand).

6

Das Begehren auf vorläufigen Rechtsschutz hätte voraussichtlich auf Erfolg haben müssen. Sowohl die Zurückweisung als auch die Zurückschiebung setzen voraus, daß der Ausländer kein Recht zum Verbleiben im Bundesgebiet hat, in das er gelangt ist. Hat er bei den Grenzbehörden um Asyl nachgesucht, so ist dies nicht der Fall. Er ist - abgesehen von dem Ausnahmefall des § 9 Abs. 1 Satz 2 AsylVfG - an die für den Einreiseort zuständige Ausländerbehörde zur Antragstellung weiterzuleiten. Für die Annahme des Nachsuchens um Asyl ist erforderlich, daß sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen läßt, daß er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht (vgl. Hailbronner, a.a.O., RdNr. 965; Deutscher Bundestag, Drucks. 9/875 (K-Entwurf). Begründung zu § 6 Abs. 1 sowie zu § 7 Abs. 1). Die Grenzbehörde hat danach keine inhaltliche Überprüfung des Asylbegehrens vorzunehmen, sondern nur zu entscheiden, ob ein Asylbegehren überhaupt vorliegt. Diese Befugnis allerdings steht ihr entgegen der Ansicht des Antragstellers zu. Gibt der Ausländer als Grund für seine Einreise "Asyl" an, so hat die Grenzbehörde davon auszugehen, daß der Antragsteller auch inhaltlich um Asyl nachsucht, es sei denn, daß nach seiner sorgfältigen Anhörung durch die Grenzbehörde außer Zweifel ist, daß sein Vorbringen bei verständiger Würdigung und Berücksichtigung der gesamten Umstände seiner Einreise inhaltlich kein Asylbegehren darstellt - z.B. dann, wenn der Ausländer geltend macht, er begehre Asyl, um in der Bundesrepublik Deutschland seine Großmutter zu besuchen. In solchen Fällen ist die Grenzbehörde ermächtigt, nach allgemeinem Ausländerrecht zu verfahren und den Ausländer nicht nach § 9 Abs. 1 AsylVfG an die zuständige Ausländerbehörde zur Antragstellung weiterzuleiten. Unter diesen Voraussetzungen war nach dem bisherigen Sach- und Streitstand, auf den es für die Entscheidung im Rahmen von § 161 Abs. 2 VwGO ankommt, dem Vorbringen des Antragstellers zu entnehmen, daß er in der Bundesrepublik Deutschland um Asyl nachsuche. Er hat zwar bei seiner Anhörung am 5. August 1986 in der Übersetzung des Dolmetschers zunächst keine Gründe angegeben, die auf eine politische oder religiöse Verfolgung schließen ließen. Aufgefordert, sich dazu zu äußern, daß er in sein Heimatland zurückgeschoben werden solle, hat er jedoch ausgeführt: "Ich kann mit meiner Familie in jeden Staat zurückkehren außer Libanon und Syrien." Diese Bemerkung hätte Anlaß sein müssen, den Sachverhalt näher aufzuklären, insbesondere den Antragsteller zu fragen, welche Gründe einer Rückkehr in den Libanon oder einer Ausreise nach Syrien entgegenstünden. Die gegenwärtige politische Situation im Libanon hätte daran denken lassen, daß der Antragsteller in diesen beiden Staaten oder durch diese beiden Staaten Verfolgung - in welcher Art auch immer - befürchtet. Dann aber hätte sein Begehren als Nachsuchen um Asyl eingeordnet werden müssen, unabhängig davon, ob aus solchen Gründen Asyl zu gewähren wäre. Jedenfalls hätte der Antragsteller nach § 9 Abs. 1 AsylVfG an die zuständige Ausländerbehörde weitergeleitet werden müssen.

Stelling Dr. Große Inselberg