Amtsgericht Braunschweig
Urt. v. 25.02.2014, Az.: 118 C 3210/13

Zugehörigkeit von Pfändungsfreibeträgen auf dem vom Schuldner geführten Pfändungsschutzkonto zur Insolvenzmasse bis zur Freigabeerklärung

Bibliographie

Gericht
AG Braunschweig
Datum
25.02.2014
Aktenzeichen
118 C 3210/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 31031
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGBRAUN:2014:0225.118C3210.13.0A

Fundstellen

  • NZI 2014, 659-660
  • ZInsO 2015, 1025-1026
  • ZVI 2014, 389-390

In dem Rechtsstreit
Kläger Prozessbevollmächtigte:
gegen
Geschäftszeichen:
Beklagter
Prozessbevollmächtigter:
hat das Amtsgericht Braunschweig auf die mündliche Verhandlung vom 04.02.2014 durch den Richter am Amtsgericht xxx
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.

    Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  3. 3.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung des Urteils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, sofern nicht das beklagte Finanzamt Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Über das Vermögen des Herrn xxx wurde durch Beschluss des Amtsgerichts Braunschweig vom 01.04.2005 das Insolvenzverfahren zu Aktenzeichen 273 IN 594/04 b eröffnet und Rechtsanwalt xxx zum Insolvenzverwalter bestellt. Zumindest im Jahre 2012 und 2013 übte der Schuldner eine selbstständige Tätigkeit als Reinigungsunternehmer aus, ohne dass der Insolvenzverwalter Rechtsanwalt xxx dies erfuhr. Der Schuldner richtete ferner ein Pfändungsschutzkonto ein. Das beklagte Finanzamt pfändete im Wege der Zwangsvollstreckung durch Kontopfändung auf dem Pfändungskonto am 20.12.2012 1.730,91 €, am 29.01.2013 1.490,95 €, am 19.02.2013 372,71 € und am 11.04.2013 1.391,96 €. Nachdem der Insolvenzverwalter Rechtsanwalt xxx von xxx der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners erfuhr, gab er die selbstständige Tätigkeit in dem Verfahren 273 IN 594/04 mit Schreiben vom 22.04.2013 frei.

Aufgrund eines Fremdantrages eines Sozialversicherungsträgers wurde mit Beschluss vom 15.05.2013 ein zweites Insolvenzverfahren über das Vermögen des Herrn xxx unter Aktenzeichen 273 IN 75/13 b eröffnet. Mit Schreiben vom 24.05.2013 forderte der Kläger als Insolvenzverwalter über das Zweitverfahren das beklagte Finanzamt auf, die im Wege der Kontenpfändung vom Schuldner eingezogenen Beträge in Höhe von insgesamt 4.985,33 € bis zum 14.06.2013 an die Insolvenzmasse des Zweitverfahrens zu erstatten. Der Kläger berief insoweit hinsichtlich seines Anspruches auf die Vorschrift des § 131 InsO, wonach die Zahlung im Wege der Zwangsvollstreckung ein inkongruentes Rechtsgeschäft darstellen würde und deshalb anfechtbar sei.

Der Kläger ist der Meinung, dass das vom Schuldner bei der xxx Bank xxx geführte Pfändungsschutzkonto der Verwaltung der Gelder diente, welche er durch seine selbstständige Tätigkeit erwirtschaftet habe. Soweit die Beträge auf dem Pfändungsschutzkonto über dem Pfändungsfreibetrag nach § 850 c ZPO hinaus gegangen seien, stünden diese Gelder zur Befriedigung der Gläubiger des Zweitinsolvenzverfahrens zur Verfügung. Eine Zuordnung der Gelder zu dem Erstinsolvenzverfahren sei nicht zulässig, da nach Freigabe der Schuldner lediglich die Abführung fiktiver Pfändungsbeträge schuldete und darüber hinausgehende Einnahmen behalten dürfe. Da die Kontenpfändung des beklagte Finanzamtes innerhalb der letzten drei Monate vor dem Insolvenzantrag vom 05.03.2013 erfolgt seien, unterlegen sie der Insolvenzanfechtung gemäß § 131 Abs. 1 InsO und seien deshalb an den Insolvenzverwalter des Zweitverfahrens herauszugeben.

Der Kläger beantragt,

das beklagte Finanzamt zu verurteilen, an den Kläger in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn xxx 4.985,33 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hierauf seit dem 15.05.2013 zu zahlen.

Das beklagte Finanzamt beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das beklagte Finanzamt ist der Meinung, dass der Kläger schon nach eigenem Sachvortrag nicht aktivlegitimiert sei. Gegenstand des Zweitverfahrens sei ausschließlich das freigegebene Sondervermögen. Frühestens mit Zugang der Freigabeerklärung beim Schuldner sei die Haftung der Masse des Erstverfahrens ex nunc beendet worden und das ausschließlich danach erworbene berufliche Vermögen stehe als Masse im Zweitinsolvenzverfahren zur Verfügung.

Zur Ergänzung des Sachverhaltes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Entgegen der Ansicht des Klägers gehörten auch die Pfändungsfreibeträge auf dem vom Schuldner geführten Pfändungsschutzkonto bis zur Freigabeerklärung vom 22.04.2012 zur Insolvenzmasse des Erstverfahrens. Mit der Zahlung der Beträge, die das pfändungsfreie Einkommen des Schuldners überstiegen, unterfiel das Geld in dem Moment der Pfändung, in dem es auf das Pfändungsschutzkonto überwiesen wurde und den dortigen Freibetrag überstieg (vgl. AG Neubrandenburg, Urteil vom 17.01.2013, Aktenzeichen 103 C 514/12, zitiert bei ). Damit waren die Beträge, die von dem beklagten Finanzamt auf dem Pfändungsschutzkonto des Schuldners gepfändet worden sind, Teil der Insolvenzmasse des Erstverfahrens, das von Rechtsanwalt geführt wurde. Die vom Kläger erklärte Anfechtung mit Schreiben vom 24.05.2013 führte nicht dazu, dass der Betrag von 4.985,33 € nun zur Insolvenzmasse des vom Insolvenzverwalter geführten Insolvenzverfahren gehörte. Eine Entscheidung darüber, inwiefern eine Anfechtungserklärung in einem Zweitverfahren die Massezugehörigkeit von pfändbaren Geldern auf einem vom Schuldner geführten Pfändungsschutzkonto berühren könnte, hat es bisher noch nicht gegeben. Es steht jedoch unzweifelhaft fest, dass die vom beklagten Finanzamt gepfändeten Beträge zur Masse des Erstverfahrens, das von Herrn Rechtsanwalt geführt wurde, gehörten. Dies gilt auch dann, wenn Rechtsanwalt von der tatsächlich durchgeführten selbstständigen Tätigkeit des Schuldners keine Kenntnis erlangt hat und ihm auch die Existenz des Pfändungsschutzkontos unbekannt geblieben ist. Dadurch wird die Tätigkeit des Schuldners und werden auch die Beträge, die auf dem Pfändungsschutzkonto über dem pfändbaren Bereich hinaus eingezahlt werden, nicht zu Vermögensgegenständen des Schuldners, die nicht dem Insolvenzbeschlag unterliegen. Vielmehr gehörten diese Beträge weiterhin zur Insolvenzmasse des Erstverfahrens. Die Vollstreckung des beklagten Finanzamtes im Wege der Kontenpfändung war gegenüber dem Insolvenzverfahren, das von Herrn Rechtsanwalt geführt wurde, nach § 89 InsO unzulässig. Zwar war das beklagte Finanzamt insoweit kein Insolvenzgläubiger gemäß § 38 InsO, weil die Forderung des beklagten Finanzamtes erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu Aktenzeichen 273 IN 594/04 b offensichtlich aufgrund der ohne Kenntnis des Insolvenzverwalters im Erstverfahren aufgenommenen wirtschaftlichen Tätigkeit des Schuldners entstanden ist. Aus den §§ 35, 38, 49 ff und insbesondere aus § 91 InsO folgt jedoch, dass die bei Eröffnung vorhandene Masse und der Neuerwerb des Schuldners nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß § 35 Abs. 1 2. Halbsatz InsO zur Insolvenzmasse des Erstverfahrens in diesem Fall zählt. Anders zu beurteilen wäre die Rechtslage nur, wenn der Neuerwerb des Schuldners aufgrund einer freigegebenen Tätigkeit des Schuldners nach § 35 Abs. 2 InsO nicht mehr dem Insolvenzbeschlag unterliegen würde (vgl. Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht-Schröder, 4. Auflage 2012, § 89 InsO, Rdnr. 7). Zu einer solchen Freigabe der vom Schuldner ausgeübten Tätigkeit als Reinigungsunternehmer ist es jedoch erst mit Schreiben vom 22.04.2013 gekommen. Für den aufgrund der selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeiten erlangten Neuerwerb wirkt die Freigabe nicht zurück. Das bis zum Zugang der Freigabeerklärung erworbene Neuvermögen bleibt in vollem Umfang massezugehörig (vgl. Hamburger Kommentar zum Insolvenzrecht-Lücke, 4. Aufl. 2012, § 35 InsO Rdnr. 258). Daran kann die vom Kläger erklärte Anfechtung mit Schreiben vom 24.05.2013 nichts ändern. Insoweit hat deshalb das beklagte Finanzamt zu Lasten des Erstverfahrens Beträge erhalten, jedoch nicht zu Lasten des Zweitverfahrens.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit fußt auf den §§ 708 Ziffer 11, 711 ZPO.

Rechtsbehelfsbelehrung

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