Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 24.11.2005, Az.: 211 Ss 111/05 (Owiz)

Pflicht zur Verwendung des Sicherheitsgurtes bei zwischenzeitlichenm Anhalten des Autos; Umfang des Verbots des Benutzens eines Mobiltelefons im Straßenverkehr

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
24.11.2005
Aktenzeichen
211 Ss 111/05 (Owiz)
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 25590
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2005:1124.211SS111.05OWIZ.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 14.07.2005 - AZ: 7371 Js 47706/05

Fundstellen

  • CR 2006, 619 (amtl. Leitsatz)
  • DAR 2006, 159 (Volltext mit amtl. LS)
  • NJW 2006, XII Heft 5 (Kurzinformation)
  • NJW 2006, 710-711 (Volltext mit amtl. LS)
  • NZV 2006, 164 (Volltext mit amtl. LS)
  • SVR 2006, 232

Verfahrensgegenstand

Verkehrsordnungswidrigkeit

Amtlicher Leitsatz

Die Pflicht zum Anlegen des Sicherheitsgurtes nach § 21 a Abs. 1 Satz 1 StVO entfällt nicht bei einem kurzfristigen, verkehrsbedingten Anhalten. Entsprechendes gilt hinsichtlich des Verbots des Benutzens eines Mobiltelefons nach Maßgabe von § 23 Abs. 1 a Satz 1 StVO

In der Bußgeldsache
hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle
auf die mit Beschluss vom 23. November zugelassene Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen
das Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 14. Juli 2005
nach Anhörung
der Generalstaatsanwaltschaft
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######,
den Richter am Oberlandesgericht ####### und
den Richter am Landgericht #######
am 24. November 2005
beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde an das Amtsgericht Hannover zurückverwiesen.

Gründe

1

1.

Mit Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 14. Juli 2005 ist der Betroffene von dem gegen ihn mit Bußgeldbescheid der Landeshauptstadt Hannover zur Last gelegten Vorwurf, am 23. Februar 2005 in Hannover verbotswidrig ein Mobil- oder Autotelefon benutzt und während der Fahrt den vorgeschriebenen Sicherheitsgurt nicht angelegt zu haben, freigesprochen worden. Das angefochtene Urteil teilt hierzu (lediglich) mit, der Betroffene habe in der Hauptverhandlung angegeben, er habe vor einer Rotlicht zeigenden Ampelanlage anhalten müssen. Er fahre die Strecke häufiger, weshalb ihm bekannt gewesen sei, dass die Rotphase sehr lange dauern würde. Als dann ein Anruf auf seinem Mobiltelefon aufgelaufen sei, habe er sich abgeschnallt und den Anruf entgegen genommen. Das Amtsgericht hat hierzu ausgeführt, danach stehe fest, dass der Vorwurf dem Betroffenen nicht mit der erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden könne, so dass der Betroffene freizusprechen sei.

2

Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer als Zulassungsantrag gestellten Rechtsbeschwerde, mit der sie die Verletzung materiellen und formellen Rechts rügt. Das Amtgericht habe es unterlassen, die Aussage des Betroffenen mit den zur Verfügung stehenden Beweismitteln zu überprüfen. Die Generalstaatsanwaltschaft vertritt das Rechtsmittel.

3

2.

Die zur Entscheidung zugelassene Rechtsbeschwerde hat in der Sache Erfolg. Das angefochtene Urteil konnte keinen Bestand haben.

4

a)

Die Entscheidung des Amtsgerichts lässt zunächst einmal nicht hinreichend erkennen, ob der Freispruch mangels Beweisbarkeit aus tatsächlichen Gründen erfolgt ist oder aus Rechtsgründen, weil ein feststellbarer Sachverhalt keine Ordnungswidrigkeit darstellt. Schon hieran krankt das Urteil. Aber auch sonst hält das Urteil der auf die Sachrüge hin vorzunehmenden sachlich-rechtlichen Überprüfung nicht stand. Hierzu ist auszuführen:

5

b)

Soweit das Amtsgericht offenbar davon ausgeht, der Tatbestand des § 21 a Abs. 1 Satz 1 StVO sei nicht erfüllt, wenn der Sicherheitsgurt während eines verkehrsbedingten Haltens nicht angelegt sei, ist dies nicht frei von Rechtsfehlern. Zwar hat der vormalige 1. Strafsenat des OLG Celle in einer Entscheidung vom 10. Oktober 1985 (1 Ss 374/85, DAR 1986, 28) ausgeführt, es bestehe keine Pflicht zum Anlegen der vorgeschriebenen Sicherheitsgurte in der Zeit, in der das Kraftfahrzeug im Straßenverkehr verkehrsbedingt halten müsse, weil der Begriff der "Fahrt" im Sinne von § 21 a Abs. 1 Satz 1 StVO einen Zustand der Bewegung des Fahrzeugs voraussetze. Dem aber steht die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12. Dezember 2000 (BGH NJW 2001, 1485 [BGH 12.12.2000 - VI ZR 411/99]) entgegen. Hiernach besteht wegen der hierbei nicht beseitigten besonderen Gefährdungslage die Gurtanlegepflicht während der Fahrt nach § 21 a Abs.1 Satz 1 StVO auch bei kurzzeitig verkehrsbedingtem Anhalten. Dem schließt der Senat sich aus zutreffenden Erwägungen an. Die durch den Straßenverkehr gegebene Gefahrenlage der Fahrzeuginsassen, der das Anlegen des Gurtes begegnen soll, wird durch ein kurzfristiges Stehen des Fahrzeugs nicht beseitigt. An der gegenteiligen Rechtsprechung des früheren 1. Strafsenats wird nicht festgehalten.

6

c)

Ebenfalls nicht frei von Rechtsfehlern ist die Auffassung, ein Verstoß gegen § 23 Abs. 1 a Satz 1 StVO liege nicht vor bei einem kurzzeitigen verkehrsbedingten Halten, etwa an einer roten Ampel. Zunächst wird das im Benutzen eines Mobiltelefons durch Ablenkung vom Verkehrsgeschehen hervorgerufene Gefährdungspotential bei nur kurzfristigem Halten nicht beseitigt. Insofern gilt nichts anderes als hinsichtlich der Gurtpflicht. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Vorschrift (Satz 2) aber gilt das Verbot des Benutzens eines Mobiltelefons (nur) dann nicht, wenn das Fahrzeug steht und bei Kraftfahrzeugen der Motor ausgeschaltet ist (vgl. auch Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl., § 23 StVO Rn. 13; Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 18. Aufl., § 23 StVO Rn. 22 a ). Dass der Betroffene den Motor ausgestellt hätte, ist seiner im Urteil wiedergegebenen Einlassung nicht zu entnehmen, und wäre überdies auch lebensfremd.

7

3.

Da das Urteil bereits auf die Sachrüge hin keinen Bestand haben kann, kam es auf die - nicht in zulässiger Form erhobene - Aufklärungsrüge nicht an.

8

4.

Eine eigene Sachentscheidung durch den Senat nach Maßgabe von § 79 Abs. 6 OWiG kam schon deshalb nicht in Betracht, weil in dem angefochtenen Urteil Feststellungen im eigentlichen Sinne nicht getroffen wurden. Das Urteil ist daher auch lückenhaft.