Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 20.03.2013, Az.: Ss (OWiZ) 28/13
Alkoholkonsum; Alkoholkonsumverbot; Alkoholkonsum in der Öffentlichkeit; Bußgeld Alkoholkonsum; Verordnung; Gefahrenabwehr
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 20.03.2013
- Aktenzeichen
- Ss (OWiZ) 28/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2013, 64330
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG - 09.11.2012 - AZ: 9 OWi 99 Js 38981/12 (930/12)
Rechtsgrundlagen
- § 80 OWiG
- § 80a OWiG
- § 2 Nr 2 SOG ND
- § 4 SOG ND
- § 55 SOG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zu den Voraussetzungen, unter denen das Recht zum Konsum von Alkohol in der Öffentlichkeit durch eine Verordnung bußgeldbewehrt eingeschränkt werden darf.
Tenor:
Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Hann. Münden vom 9. November 2012 wird zugelassen.
Die Sache wird dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das genannte Urteil aufgehoben.
Die Betroffene wird freigesprochen.
Die Kosten des Verfahrens und die der Betroffenen entstandenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Hann. Münden hat die Betroffene wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen § 5 der Verordnung zur Begrenzung des Alkoholkonsums und zur Aufrechterhaltung der Reinhaltung der öffentlichen Straßen und Plätze im Innenstadtbereich von Hann. Münden mit einer Geldbuße von 200,- € belegt.
Nach den Feststellungen des Gerichts hielt sich die Betroffene am 19. Juni 2012 gegen 18.30 Uhr im Bereich zwischen der Rückseite des Rathauses und der Blasiuskirche auf. Unter Verstoß gegen das ihr bekannte Verbot (§ 2 der Verordnung) konsumierte sie dort Alkohol (Bier und Amaretto).
Nach Ansicht des Amtsgerichts ist die Verordnung wirksam. Sie sei wirksam bekanntgegeben worden und beruhe auf §§ 55, 2 NdsSOG. Das OVG Lüneburg (11 KN 187/12) habe eine Göttinger Verordnung zur Begrenzung des Alkoholkonsums geprüft und grundsätzlich anerkannt, dass eine solche Verordnung auf §§ 55, 2 Nr. 2 NdsSOG gestützt werden könne. Die konkrete Verordnung sei schließlich auch verhältnismäßig. Denn der Bereich um die Blasiuskirche werde oftmals von Personen frequentiert, die sich auf den zahlreichen Bänken aufhalten und übermäßig Alkohol trinken. Dabei komme es zu „lautstarken Streitigkeiten der anwesenden Personen bis hin zu Handgreiflichkeiten, Pöbeleien zum Nachteil von Passanten und Verschmutzung des Bereichs mit Abfall, Urin und Erbrochenem“. Dass die Verordnung den gesamten Innenstadtbereich und nicht nur den Bereich um die Blasiuskirche umfasse, sei nicht zu beanstanden, um einer Verlagerung der Gefahr - etwa auf den Tanzwerder oder die Wallanlagen - zu begegnen.
Gegen das in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat die Betroffene mit einem am 16. November 2012 bei dem Amtsgericht Hann. Münden eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt. Nach Urteilszustellung am 6. Dezember 2012 hat sie am 7. Januar 2013 (Montag) den Zulassungsantrag begründet. Die Rechtsbeschwerde sei zur Fortbildung des Rechts zuzulassen, weil das Urteil von tragenden Rechtssätzen abweiche, die das Oberlandesgericht Hamm in einem Beschluss vom 4. Mai 2010 (III 3 RBs 12/10) aufgestellt habe. Ein generelles Alkoholverbot für einen öffentlichen Bereich sei eine unzulässige Einschränkung des Gemeingebrauchs.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen. Die Verordnung sei insbesondere verhältnismäßig, obgleich sie den gesamten Innenstadtbereich erfasse.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zur Fortbildung des Rechts zuzulassen. Die Frage, ob durch eine Gemeindesatzung wirksam ein generelles Alkoholverbot in dem gesamten Bereich einer Innenstadt angeordnet werden kann, ist in Niedersachsen obergerichtlich noch nicht entschieden. Dementsprechend ist die Sache gemäß § 80a Abs. 3 OWiG auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde und die Übertragung der Sache auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern ist eine Entscheidung des mitunterzeichnenden Berichterstatters als Einzelrichter.
III.
Die zugelassene Rechtsbeschwerde hat mit der erhobenen Sachrüge Erfolg.
Die Betroffene ist unter Aufhebung des angefochtenen Urteils freizusprechen. Das in § 2 der Verordnung zur Begrenzung des Alkoholkonsums und zur Aufrechterhaltung der Reinhaltung der öffentlichen Straßen und Plätze im Innenstadtbereich von Hann. Münden enthaltene Alkoholkonsumverbot (§ 2) ist rechtswidrig und damit nichtig. Die Regelung ist damit nicht geeignet, gegen die Betroffene gemäß § 5 der Verordnung ein Bußgeld zu verhängen.
Der Konsum von Alkohol auf einer öffentlichen Verkehrsfläche gehört zum Gemeingebrauch und ist von der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art 2 Abs. 1 GG) gedeckt (OVG Lüneburg, Urteil vom 30.11.2012, 11 KN 187/12, juris, Rn. 54, 68, 93; Thüringer Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 21.06.2012, 3 N 653/09, juris, Rn. 73; OLG Saarbrücken, NJW 1998, 251, 252 [OLG Saarbrücken 15.09.1997 - Ss (Z) 217/97 (51/97)]). Dem zitierten Urteil des OVG Lüneburg vom 30.11.2012, auf das sich das Amtsgericht für die Zulässigkeit der verfahrensgegenständlichen Verordnung beruft, kann zwar entnommen werden, dass das Recht zum Konsum von Alkohol in Niedersachsen durch eine auf §§ 55, 2 Nr. 2 Nds. SOG gestützte Rechtverordnung eingeschränkt werden darf (OVG Lüneburg, a. a. O. Rn. 59 ff.). Zweifelhaft erscheint aber bereits die für die Annahme einer abstrakten Gefahr (§ 2 Nr. 2 Nds. SOG) erforderliche Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts. Diese mag noch im Bereich um die Blasiuskirche gegeben sein. Im gesamten Innenstadtbereich, für den die Verordnung gilt, liegt sie erkennbar nicht vor. Denn der Grad der Schadenswahrscheinlichkeit muss umso höher sein, je geringer der Wert des geschützten Rechtsguts ist (OVG Lüneburg, Urteil vom 30.11.2012, 11 KN 187/12, juris, Rn. 70). Hier geht es nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil zumindest nicht um den Schutz besonders herausragender Rechtsgüter. Die beschriebenen Pöbeleien zum Nachteil von Passanten sind zweifellos ebenso lästig wie die Verschmutzung des Bereichs mit Abfall, Urin und Erbrochenem, was aber nichts daran ändert, dass diese Beeinträchtigungen im Verhältnis zu anderen Rechtsgütern (Leib, Leben, Gesundheit etc.) von nachgeordneter Natur sind. Wenn die Streitigkeiten in „Handgreiflichkeiten“ münden, bezieht sich das nach den Feststellungen des Amtsgerichts nach dem Verständnis des Senats zum einen nicht auf unbeteiligte Dritte, sondern auf die anwesenden Alkoholkonsumenten. Zum anderen erreichen die beschriebenen „Handgreiflichkeiten“ nicht die Intensität von Körperverletzungen. Sodann fehlt jede nachvollziehbare Darlegung, weshalb eine Verlagerung der geschilderten Ordnungsverstöße tatsächlich in den räumlich weiten Bereich der Verordnung zu besorgen ist.
Die verfahrensgegenständliche Verordnung ist aber jedenfalls unverhältnismäßig i. S. d. § 4 NdsSOG. Sie beschränkt die Betroffenen unzumutbar in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit. Denn sie erfasst eine Vielzahl von Straßen im Innenbereich, ohne dass hinsichtlich des gesamten, von der Verordnung betroffenen Bereichs substantiiert eine konkrete Gefahr dargelegt wäre, und gestattet den Konsum von Alkohol im gesamten Innenstadtbereich nicht einmal zeitweise. Dadurch unterscheidet sich die vorliegende Verordnung grundlegend von der Göttinger Verordnung, die das OVG Lüneburg gebilligt hat. Jene Verordnung, der nach den Ausführungen des OVG Lüneburg im Übrigen sehr umfangreiche Erhebungen zur drohenden Gefahr vorausgegangenen sind, hat das Gericht erkennbar nur deshalb gebilligt und für verhältnismäßig angesehen, weil sie sich auf lediglich eine Straße (Nikolaistraße) bezog, dort primär dem Schutz der Nachtruhe der Anwohner, also eines hochrangigen Schutzguts (OVG Lüneburg, a. a. O. Rn. 73 [„insbesondere"], 76), diente und deshalb auf den Zeitraum von 0 Uhr bis 8 Uhr beschränkt war (vgl. OVG Lüneburg, a. a. O. Rn. 93).
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG.