Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 19.08.2013, Az.: 11 A 3741/12

Abschiebungskosten; Haftungsbegrenzung; Handlungsfähigkeit; Minderjährigkeit

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
19.08.2013
Aktenzeichen
11 A 3741/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2013, 64360
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Es ist zweifelhaft, ob die Haftungsbegrenzung nach § 1629 a BGB im öffentlichen Recht, insbesondere in Bezug auf Abschiebungskosten, unmittelbare oder entsprechende Anwendung findet.

§ 1629 a BGB greift im Hinblick auf § 80 Abs. 1 AufenthG jedenfalls dann nicht ein, wenn der Minderjährige im Zeitpunkt der Abschiebung bereits das 16. Lebensjahr vollendet hatte.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die am ... April 1986 geborene Klägerin ist serbische Staatsangehörige.

Sie reiste am 29. November 1995 mit ihren Eltern und Geschwistern in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte erfolglos ihre Anerkennung als Asylberechtigte.

Am 11. Dezember 2002 wurde sie auf Betreiben des Landkreises E. mit ihrer Familie nach B. abgeschoben.

Am 23. Januar 2012 nahm sie ihren Wohnsitz in L. und heiratete am 5. April 2012 den deutschen Staatsangehörigen S. Der Landkreis Vechta erteilte ihr daraufhin am 25. April 2012 eine Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG für die Dauer von drei Jahren.

Mit Bescheid vom 7. Juni 2012 setzte die Beklagte für die anteiligen Kosten der Abschiebung der Klägerin am 11. Dezember 2002 einen Betrag in Höhe von 603,71 Euro fest.

Am 22. Juni 2012 hat die Klägerin hiergegen Klage erhoben.

Sie trägt im Wesentlichen vor: Sie bestreite, dass die angesetzten Kosten überhaupt entstanden seien. Sie sei am Tage der Abschiebung auch erst 16 Jahre alt gewesen und als Kleinkind eingereist. Außerdem sei der Landkreis E. für die Abschiebung zuständig gewesen; nur dieser könne daher gegebenenfalls Kosten erstattet verlangen.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 7. Juni 2012 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie erwidert im Wesentlichen: Sie sei nach § 71 AufenthG i. V. m. den maßgeblichen Erlassen des Nds. Innenministeriums die für die Erhebung der Abschiebekosten zuständige Behörde. Die Klägerin sei im Alter von 16 Jahren abgeschoben worden und daher ausländerrechtlich voll handlungsfähig gewesen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und des Landkreises Vechta Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Über die Klage konnte ohne mündliche Verhandlung entschieden werden, weil die Beteiligten sich hiermit einverstanden erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).

Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 7. Juni 2012 ist rechtmäßig.

Zur Begründung wird zunächst auf den Beschluss des Einzelrichters vom 12. März 2013 betreffend das Prozesskostenhilfegesuch der Klägerin Bezug genommen. Zu den darin behandelten Gesichtspunkten hat sich die Klägerin seither nicht mehr geäußert.

Nach Auffassung des Einzelrichters ist hier auch keine Haftungseinschränkung nach § 1629 a BGB (entsprechend) zu berücksichtigen. Nach dieser Vorschrift ist die Haftung für Verbindlichkeiten, die die Eltern im Rahmen ihrer gesetzlichen Vertretungsmacht oder sonstige vertretungsberechtigte Personen im Rahmen ihrer Vertretungsmacht durch Rechtsgeschäft oder eine sonstige Handlung mit Wirkung für das Kind begründet haben, beschränkt auf den Bestand des bei dem Eintritt der Volljährigkeit vorhandenen Vermögens des Kindes. Dieser gesetzlichen Regelung ging eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 13. Mai 1986 – 1 BvR 1542/84 – BVerfGE 72, 155) voraus, wonach es mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Minderjähriger nicht vereinbar ist, dass die Eltern ihre Kinder kraft elterlicher Vertretungsmacht finanziell unbegrenzt verpflichten können (vgl. dazu auch BT-Drs. 13/5624).

Das Gericht hat bereits erhebliche Zweifel, ob die Vorschrift ohne ausdrückliche gesetzliche Anordnung auch im öffentlichen Recht, insbesondere in Bezug auf Abschiebekosten, unmittelbare oder entsprechende Anwendung finden kann (ablehnend BVerwG, Beschluss vom 28. März 2008 – 5 B 32.08 – juris betr. Rückzahlung von Leistungen nach BAföG). Angesichts der – wie auch der vorliegende Fall zeigt - regelmäßig überschaubaren Höhe der Kosten, die aufgrund einer Abschiebung entstehen, erscheint es kaum denkbar, dass abgeschobene Kinder wegen dieser Haftung ihr weiteres Leben nach Eintritt der Volljährigkeit nicht mehr ohne unzumutbare Belastungen gestalten können; dagegen ging es in dem vom Bundesverfassungsgericht (a.a.O.) zu beurteilenden Fall um einen Betrag in Höhe von 851.000 DM. Selbst wenn man aber mit dem Bundessozialgericht (Urteil vom 7. Juli 2011 – B 14 AS 153/10 R – juris, Rn. 40 ff.) und dem Bundesfinanzhof (Urteil vom 1. Juli 2003 – VIII R 45/01 – juris, Rn. 12) davon ausginge, dass die Haftungsbeschränkung des § 1629a BGB auch im öffentlichen Recht zu beachten und diese auch bereits bei der Festsetzung der Kosten und nicht nur im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens zu berücksichtigen wäre (so BSG a.a.O; a.A. BFH a.a.O.), könnte dies der Klage hier nicht zum Erfolg verhelfen.

Denn die Klägerin ist im Zeitpunkt der Abschiebung im Dezember 2002 bereits 16 Jahre alt gewesen und war damit ausländerrechtlich voll handlungsfähig (§ 68 Abs. 1 AuslG = § 80 Abs. 1 AufenthG iVm § 12 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG). Diese Regelung unterliegt insbesondere auch im Hinblick auf die UN-Kinderrechtskonvention keinen völkerrechtlichen Bedenken (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. November 2012 – 10 C 4.12 – NVwZ 2013, 947) und erfasst sowohl die aktive als auch die passive Handlungsfähigkeit (vgl. Funke/Kaiser in: GK-AufenthG, Rn. 29 zu § 80). Mithin hatten die zwangsweise Aufenthaltsbeendigung nicht die Eltern der Klägerin als ihre gesetzlichen Vertreter zu verantworten, sondern die bereits 16 Jahre alte Klägerin war selbst zur freiwilligen Ausreise verpflichtet.

Mithin sind die Eltern im Zusammenhang mit der Abschiebung nicht als gesetzliche Vertreter der Klägerin aufgetreten, so dass der Anwendungsbereich des § 1629 a BGB nach seinem nicht zweifelhaften Wortlaut gar nicht eröffnet ist. In der zivilrechtlichen Literatur besteht dementsprechend Einigkeit, dass die Regelung keine Anwendung findet, sofern ein Minderjähriger für einen bestimmten Bereich selbst handlungsfähig ist, wie dies beispielsweise nach § 828 BGB im Deliktsrecht (§§ 823 ff. BGB) der Fall sein kann (vgl. dazu Palandt/Diederichsen, BGB, 71. Auflage 2012, Rn. 12 zu § 1629a; Hamdan in juris PK-BGB, 6. Auflage 2012, Rn. 16 zu § 1629a; Huber in: Münchener Kommentar zum BGB, 6. Auflage 2012, Rn. 25 zu § 1629a). In einer solchen Konstellation besteht eine besondere Schutzbedürftigkeit des Minderjährigen nicht, weil er von seinen Eltern nicht in Rahmen einer gesetzlichen Vertretungsmacht verpflichtet wurde, sondern er den Anspruch selbst durch eigenverantwortliches Handeln begründet hat. Gleiches muss daher auch für den Bereich des Ausländerrechts gelten, in dem Minderjährige mit Vollendung des 16. Lebensjahres abweichend von der Grundregel des § 12 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG ausnahmsweise als handlungsfähig angesehen werden.

Im Falle der Klägerin kommt hinzu, dass sie noch nicht einmal vorgetragen hat, dass ihr im Zeitpunkt des Eintritts ihrer Volljährigkeit der verhältnismäßig geringe hier streitige Betrag in Höhe von etwas mehr als 600,- Euro nicht zur Verfügung stand.