Amtsgericht Hildesheim
Urt. v. 23.12.1998, Az.: 18 C 1/97

Zahlung von Schmerzensgeld; Kennzeichnung von Arzneimitteln; Verätzungen durch Anlegen eines Verbandes in Verbindung mit einem Gel

Bibliographie

Gericht
AG Hildesheim
Datum
23.12.1998
Aktenzeichen
18 C 1/97
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1998, 17678
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGHILDE:1998:1223.18C1.97.0A

Verfahrensgegenstand

Zahlung von Schmerzensgeld

In dem Rechtsstreit
hat das Amtsgericht Hildesheim
auf die mündliche Verhandlung vom 25. Nov. 1998
durch den Richter ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung der Beklagten - wegen der Kosten - durch Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000,00 DM, die auch in Form einer unwiderruflichen und selbstschuldnerischen Bürgschaft einer deutschen Großbank, Sparkasse oder Genossenschaftsbank erbracht werden kann, abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Der Gegenstandswert des Rechtsstreits wird auf 3.000,00 DM festgesetzt.

Tatbestand

1

Die Klägerin verwendete im Oktober 1995 das von der Beklagten vertriebene Fertigarzneimittel ... indem sie das Gel auf den Knöchel ihres linken Beines auftrug. Die Klägerin deckte die Einsalbung mit einem Verband ab, der erst am nächsten Morgen abgenommen wurde. Die Verwendung des Gels zusammen mit dem Verband führte zu Hautverätzungen an der Stelle, wo das Gel aufgebracht war.

2

Das von der Klägerin verwandte Gel wurde in der 48. Kalenderwoche 1990 produziert. Auf der damaligen Gebrauchsinformation nach § 11 Arzneimittelgesetz (sogen. Beipackzettel oder Packungsbeilage), die der Klägerin hier vor dem Gebrauch im Oktober 1995 abhanden gekommen war, war - wie unstreitig geworden ist - angegeben:

"Keine Umschläge (Verband) mit luftundurchlässigen Stoffen anlegen. Überempfindlichkeitsreaktionen sind möglich."

3

Diese Angabe wurde aufgrund eines Vorfalles im Jahr 1987 in die Gebrauchsinformation aufgenommen. Einen derartigen Hinweis wies die Umhüllung (Tube und Schachtel) der damaligen Charge des Gels nicht auf, während sich dieser Hinweis heute auch auf der Umhüllung befindet.

4

Die Klägerin behauptet, sie habe lediglich eine leichte luftdurchlässige Mullbinde verwandt.

5

Sie ist der Ansicht, dass die Beklagte es schuldhaft unterlassen habe, das Gel ausreichend dahingehend zu kennzeichnen, dass es nicht mit einem Verband verwendet werden dürfe. Ein derartiger Hinweis hätte sich auch auf der Umhüllung des Arzneimittels befinden müssen. Der Hinweis auf der Packungsbeilage sei nicht ausreichend.

6

Die Klägerin hält ein Schmerzensgeld von mindestens 3.000,00 DM für angemessen.

7

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen.

8

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Sie ist der Ansicht, dass das Arzneimittel ordnungsgemäß gekennzeichnet worden sei. Eine Verpflichtung, auch auf der Umhüllung darauf hinzuweisen, dass das Gel nicht zusammen mit einem Verband verwendet werden dürfe, bestehe nicht.

10

Sie behauptet, dass die Verletzungen der Klägerin durch einen nicht bestimmungsgemäßen Gebrauch des Arzneimittels verursacht worden seien.

11

Zur ergänzenden Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

12

Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 12. März 1997 (Bl. 38 d.A.) und Verfügung vom 22. Mai 1998 (Bl. 49 d.A.) durch Einholung schriftlicher Auskünfte des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 28. April 1998 (Bl. 45 f. d.A.) sowie auf die ergänzende Stellungnahme vom 30. Juni 1998 (Bl. 51 f. d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

13

Die Klage ist unbegründet.

14

Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Zahlung eines Schmerzensgeldes aus § 847 BGB liegen nicht vor, da die Beklagte keine ihr obliegende Hinweispflicht, dass das Fertigarzneimittel ... nicht zusammen mit einem Verband aufgebracht werden dürfe, verletzt hat.

15

Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass auf der Umhüllung des Gels der Charge 1158480 kein Hinweis, dass das Gel nicht zusammen mit einem Verband angewandt werden solle, aufgedruckt war, während sich auf der Gebrauchsinformation nach § 11 Arzneimittelgesetz (sogen. Packungsbeilage) der Hinweis, dass keine Umschläge (Verbände) mit luftundurchlässigen Stoffen angelegt werden dürften, befindet.

16

Ein Verstoß gegen § 10 Abs. 2 Arzneimittelgesetz in der hier anzuwendenden Fassung der 4. AMG-Novelle liegt schon deshalb nicht vor, weil ein entsprechender Hinweis weder durch Auflage der zuständigen Bundesoberbehörde nach § 28 Abs. 2 Nr. 1 AMG angeordnet war noch ein solcher Hinweis durch Rechtsverordnung nach § 12 Abs. 1 Nr. 3 AMG oder nach § 36 Abs. 1 AMG vorgeschrieben war.

17

Der Bundesgerichtshof hat jedoch wiederholt ausgeführt, dass der Hersteller eines Arzneimittels sich nicht auf die Gefahrenhinweise und Gefahrenkennzeichnungen beschränken darf, die Gesetze oder Rechtsverordnungen von ihm verlangen (vgl. BGH NJW 1989, 1542, 1544 [BGH 24.01.1989 - VI ZR 112/88]; BGH NJW 1987, 372). Ein Arzneimittelhersteller habe auch die deliktische Pflicht, über mögliche Gefahren, die von seinem Arzneimittel ausgehen, die Verbraucher zu warnen (BGH NJW 1989, 1542, 1544) [BGH 24.01.1989 - VI ZR 112/88].

18

Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte hat in seinen Auskünften vom 28.04.1998 und 30.06.1998 ausgeführt, dass der Hinweis, dass ... nicht mit einem Verband verwendet werden dürfe, kein Warnhinweis nach § 10 Abs. 2 AMG, sondern vielmehr eine Vorsichtsmaßnahme für den Verbraucher sei. In der Packungsbeilage finde sich der Hinweis unter "Art der Anwendung", so dass dieser Hinweis von der Klägerin hätte gelesen und entsprechend umgesetzt werden können. Nach der Auskunft des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte könne aus medizinischer Sicht angenommen werden, dass bei Beobachtung der Packungsbeilage das Anlegen eines Verbandes hätte vermieden werden können (vgl. Seite 2 der Auskunft vom 12. März 1997). Das Bundesinstitut hat im Ergebnis ausgeführt, dass der genannte Hinweis in der Packungsbeilage im Lichte der zum Zeitpunkt der Abgabe des Arzneimittels an den Handel bestandenen Erfahrungen als ausreichend erscheine.

19

Das Gericht schließt sich der Auskunft des Bundesinstitutes für Arzneimittel und Medizinprodukte insoweit an, als das das Gericht den Hinweis in der Packungsbeilage nach § 11 AMG für ausreichend hält.

20

Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung vom 24. Jan. 1989 (NJW 1989, 1542) ausgeführt, dass eine Gebrauchsinformation für ein Dosier-Erosol gegen Asthma auch deutliche Hinweise auf etwaige lebensbedrohende Risiken einer Überdosierung enthalten müsse. Die Gefahren einer Überdosierung des Arzneimittels müssten mindestens über die Gebrauchsinformation, wenn nicht auch in der Kennzeichnung auf der Packung vermittelt werden. (BGH NJW 1989, 1542, 1544) [BGH 24.01.1989 - VI ZR 112/88].

21

Soweit das Gericht in dieser Entscheidung andeutet, wenn auch nicht abschließend entscheidet, dass auch bei einem lebensbedrohlichen Risiko ein Warnhinweis in der Packungsbeilage ausreichend sein könne, erscheint dem Gericht im vorliegenden Sachverhalt der Hinweis der Beklagten in der Gebrauchsinformation für ausreichend.

22

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 708, Nr. 11, 711 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Der Gegenstandswert des Rechtsstreits wird auf 3.000,00 DM festgesetzt.