Verwaltungsgericht Osnabrück
Beschl. v. 04.02.2022, Az.: 3 B 4/22
Bestimmtheit; Corona; Covid-19 Virus; Genesenennachweis; Verfassungswidrigkeit
Bibliographie
- Gericht
- VG Osnabrück
- Datum
- 04.02.2022
- Aktenzeichen
- 3 B 4/22
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2022, 59435
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 2 Nr 5 SchAusnahmV
- § 28c IfSG
Tenor:
Dem Antragsteller wird aufgegeben, binnen einer Frist von zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses einen Rechtsbehelf in der Hauptsache in Bezug auf die Ausstellung eines Genesenennachweises für den Zeitraum 11. Februar 2022 bis 13. Juli 2022 zu erheben.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig bis zu einem fruchtlosen Ablauf der erstgenannten Frist, im Falle einer Klageerhebung bis zur Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache verpflichtet, dem Antragsteller einen Nachweis über seine Genesung im Sinne des § 2 Abs. 5 der Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (SchAusnahmV) für den Zeitraum 11. Februar 2022 bis 13. Juli 2022 auszustellen.
Im Übrigen werden die Anträge abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller zu 2/3 und der Antragsgegner zu 1/3.
Der Streitwert wird auf 15.000 € festgesetzt.
Gründe
Die sinngemäß gestellten Anträge,
1. den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller einen Nachweis über seine Genesung im Sinne des § 2 Abs. 5 der Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 (SchAusnahmV) für den Zeitraum 22. Januar bis 21. Juli 2022 auszustellen und
2. dem Antragsgegner aufzugeben, sämtliche vom Antragsteller gespeicherten Daten zu löschen sowie
3. dem Antragsgegner die Verarbeitung der Daten des Antragstellers zu untersagen,
haben nur im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden, oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Antragsteller hat dabei sowohl die Eilbedürftigkeit der begehrten gerichtlichen Regelung (Anordnungsgrund) als auch seine materielle Anspruchsberechtigung (Anordnungsanspruch) glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Wird - wie im vorliegenden Fall - mit einer Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Hauptsache ganz oder teilweise vorweggenommen und dadurch in aller Regel ein faktisch endgültiger Zustand geschaffen, kann eine Regelung nur ergehen, wenn der Antragsteller in der Hauptsache zumindest überwiegende Erfolgsaussichten hat und schlechthin unzumutbaren, anders nicht abwendbaren Nachteilen ausgesetzt wäre, wenn er auf den rechtskräftigen Abschluss eines Klageverfahrens verwiesen werden müsste. Überwiegende Aussichten in der Hauptsache bestehen nur dann, wenn der geltend gemachte Anspruch mit größter Wahrscheinlichkeit begründet ist und aller Voraussicht nach auch im Hauptsacheverfahren bestätigt werden wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 1988 – 2 BvR 745/88 –, juris Rn. 17; BVerwG, Beschluss vom 21. Januar 1999 – 11 VR 8/98 –, juris Rn. 5; BVerwG, Beschluss vom 13. August 1999 – 2 VR 1/99 –, juris Rn. 24 f.; BVerwG, Beschluss vom 26. November 2013 – 6 VR 3/13 –, juris Rn. 5). Diese Voraussetzungen liegen hier alleine bezüglich der Ausstellung eines Genesenenausweises für den ganz überwiegenden zeitlich begehrten Zeitraum, nicht aber bezüglich der Begehren zu Ziffern 2. und 3. des Antrages, vor.
1. Der Antrag zu 1. nach § 123 Abs. 1 VwGO auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt, dem Antragsteller einen für den Zeitraum vom 22. Januar bis zum 21. Juli 2022 gültigen Genesenennachweis auszustellen, ist zulässig und bis auf einen kurzen Zeitraum der begehrten Dauer auch begründet.
a. Statthaft ist vorliegend ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO auf Erlass einer einstweiligen Anordnung. Bei der begehrten Bescheinigung über den Genesenenstatus handelt es sich um einen feststellenden Verwaltungsakt. Nach § 35 Satz 1 VwVfG in Verbindung mit § 1 NdsVwVfG ist Verwaltungsakt jede Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Eine Maßnahme hat Regelungscharakter, wenn sie nach ihrem objektiven Erklärungsgehalt darauf gerichtet ist, eine Rechtsfolge zu setzen. Sie muss für den Betroffenen rechtsverbindlich Rechte oder Pflichten begründen, inhaltlich ausgestalten, ändern, aufheben, feststellen oder einen derartigen Ausspruch rechtsverbindlich ablehnen (BVerwG, Urteile vom 29. April 1988 - 9 C 54.87 - BVerwGE 79, 291 <293> und vom 5. November 2009 - 4 C 3.09 - BVerwGE 135, 209 Rn. 15). Ein feststellender Verwaltungsakt schreibt das Ergebnis der behördlichen Rechtsanwendung rechtsverbindlich fest (BVerwG, Urteile vom 20. November 2003 - 3 C 29.02 - Buchholz 316 § 35 VwVfG Nr. 55 S. 9 und vom 5. November 2009, a.a.O.). Kein Regelungsgehalt im Sinne des § 35 Satz 1 VwVfG kommt behördlichen Erklärungen zu, denen sich kein Regelungs- bzw. Rechtsbindungswille entnehmen lässt. Hierzu gehören Auskünfte oder Mitteilungen, dass die Behörde gegen ein bestimmtes Verhalten keine rechtlichen Bedenken hat oder nicht beabsichtigt, eine rechtsverbindliche Maßnahme zu ergreifen (BVerwG, Urteil vom 6. November 1986 - 3 C 72.84 - BVerwGE 75, 109 <113>; U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 35 Rn. 83).
Ob eine behördliche Maßnahme Regelungscharakter und damit Verwaltungsaktqualität hat, ist durch Auslegung zu bestimmen. Nach den auch im Öffentlichen Recht nach dem Prinzip der Einheit der Rechtsordnung maßgeblichen Auslegungsregelungen der §§ 133, 157 BGB ist der objektive Erklärungsgehalt der Maßnahme zu bestimmen; es kommt darauf an, wie sie der Adressat bei objektiver Betrachtung verstehen kann (BVerwG, Urteile vom 25. Mai 1984 - 8 C 100.83 - Buchholz 316 § 38 VwVfG Nr. 4, vom 21. Juni 2006 - 6 C 19.06 - BVerwGE 126, 149 Rn. 52 und vom 5. November 2009 - 4 C 3.09 - BVerwGE 135, 209 Rn. 21).
Hiernach handelt es sich bei der Ausstellung eines Genesenennachweises um einen Verwaltungsakt mit dem Regelungsausspruch, der Antragsteller könne die an diesen Status geknüpften Vergünstigungen, etwa den Besuch von 2G-pflichtigen Veranstaltungen in Anspruch nehmen. Als noch in der Hauptsache zu erhebenden Klage wäre daher die Verpflichtungsklage in dem Sinne des § 42 Abs. 1 VwGO statthaft, sodass sich nach der Abgrenzungsnorm des § 123 Abs. 5 VwGO der vorläufige Rechtsschutz nach § 123 VwGO richtet.
b. Bezüglich des Begehrens der Erteilung eines Genesennachweises hat der Antragsteller einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Der Genesennachweis ist nach derzeit geltender Rechtslage als einziges Surrogat zum Impfnachweis Voraussetzung für die Teilnahme des Einzelnen am gesellschaftlichen und sozialen Leben in vielen Bereichen, so etwa für den Besuch von Restaurants und Arbeitsstätten, und in einigen Bundesländern sogar für den Besuch in Geschäften des Einzelhandels. Da eine Entscheidung in der noch zu erhebenden Hauptsache nicht vor dem Enddatum der Zuerkennung des Genesenstatus ergehen wird, drohen dem Antragsteller ohne Erlass einer einstweiligen Anordnung unzumutbare und irreversible Nachteile, da er sein Rechtsschutzbegehren ohne die begehrte einstweilige Regelung im Hauptsacheverfahren nicht mehr effektiv in dem Sinne des Art. 19 Abs. 4 GG durchsetzen könnte. Dass der Ausschluss von der Teilnahme am sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben für den Einzelnen eine hohe Grundrechtsrelevanz, insbesondere in Bezug auf die Allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, die körperliche Unversehrtheit des Art. 2 Abs. 2 GG unter dem Gesichtspunkt der psychischen Gesundheit und auf die Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG – sowie auf weitere Grundrechtspositionen – hat, liegt auf der Hand. Ohne Verstoß gegen das grundsätzliche Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache ist ein Anordnungsgrund damit glaubhaft gemacht.
c. Der Zulässigkeit steht auch nicht eine etwaige Vorrangigkeit des Verfahrens nach § 47 Abs. 6 VwGO in einem eventuellen Normenkontrollverfahren gegen die Niedersächsische Corona-Verordnung in der Fassung vom 2. Februar 2022 entgegen. Das Normenkontrollverfahren ist hier nicht einschlägig, da sich der Antragsteller zum einen nicht gegen die Notwendigkeit der Vorlage eines Genesenachweises als solcher wendet, wie sie sich zum Beispiel aus den Vorgaben der §§ 7a, 8a und 8b der Verordnung ergibt. Er begehrt vielmehr lediglich eine anderweitige Feststellung der Dauer seines Genesennachweises. Regelungen bezüglich des Genesenennachweises finden sich zudem in der SchAusnahmV, welche als Bundesrecht nicht in einem Normenkontrollverfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO angegriffen werden kann (vgl. VG Würzburg, Beschluss vom 21. Dezember 2021 - W 8 E 21.1606 -, juris). Zum anderen entfaltet § 47 VwGO gegenüber der Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Rechtsverordnung im Wege der Verpflichtungsklage keine Sperrwirkung. Dem System des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes kann nämlich nicht entnommen werden, dass außerhalb des § 47 VwGO die Überprüfung von Rechtsetzungsakten ausgeschlossen sein soll (BVerfG, Beschluss vom 17.Januar.2006 - 1 BvR 541/02 -, juris, BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010, - BVerG 8 C 19/09 -, juris, Rn. 25). Dem schließt sich die Kammer wie schon in ihrer bisherigen Rechtsprechung (Beschluss vom 11. Mai 2020 - 3 B 23/20 –, juris) überzeugt an.
d. Der Antrag zu 1. hat auch ganz überwiegend in der Sache Erfolg. Auch ein Anordnungsanspruch ist hier von dem Antragsteller glaubhaft gemacht worden (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Es bestehen ganz überwiegende Erfolgsaussichten in der noch zu erhebenden Hauptsacheklage. Der Antragsgegner hat die Dauer des Genesenenstatus des Antragstellers fehlerhaft bestimmt. Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Erteilung eines Genesenennachweises für den Zeitraum 11. Februar bis 13. Juli 2022, also für den sich aus § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 8. Mai 2021 ergebenden Zeitraum. Einen Anspruch auf Erteilung eines Genesenennachweises für den Zeitraum vor dem 11. Februar 2022 hat der Antragsteller nicht; sein Genesenennachweis ist jedoch auch nicht - anders als der Antragsgegner meint - auf den sich aus § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 14. Januar 2022 in Verbindung mit den entsprechenden Vorgaben des Robert Koch-Instituts (RKI) ergebenden Zeitraum von 90 Tagen ab positiver Testung auf eine Infektion mit dem Coronavirus zu beschränken. Denn die Verkürzung des Genesenstatus auf drei Monate durch das Robert-Koch-Institut auf der Grundlage der „Verordnung zur Regelung von Erleichterungen und Ausnahmen von Schutzmaßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von Covid-19“ [SchAusnahmV, zuletzt geändert durch VO vom 14. Januar 2022, BAnzAT 14.01.2022V1] ist verfassungswidrig.
(aa) Grundsätzlich ist der Landesverordnungsgeber an die Regelungen der bundesrechtlichen SchAusnahmV gebunden (Art. 31 GG). Dies verdeutlicht auch § 11 Satz 1 SchAusnahmV, der Ausnahmen von den auf Grund der Vorschriften im fünften Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes erlassenen landesrechtlichen Geboten oder Verboten "für geimpfte Personen, genesene Personen und getestete Personen" gestattet, dies aber nur, "soweit diese Verordnung (Anm.: die SchAusnahmV) nichts anderes regelt". Der Landesverordnungsgeber ist daher grundsätzlich an die „Genesenendefinition" des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV gebunden (vgl. hierzu auch VG Berlin, Beschluss vom 20. September 2021 - 14 L 512/21 -, juris Rn. 23). Auch wenn ein gegen den § 2 Nr. 5 SchAusnahmV gerichteter Normenkontrollantrag als solcher nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO nicht zulässig wäre, ist eine inzidente Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Regelungen der SchAusnahmV in jedem verwaltungsgerichtlichen Verfahren (§§ 42 Abs. 1 oder 47 VwGO) nicht ausgeschlossen und kann dazu führen, diese bei einer Rechts- oder Verfassungswidrigkeit für unwirksam zu erachten (vgl. zu dieser Möglichkeit: BVerwG, Urteil vom 28. Januar 2010 - BVerwG 8 C 19.09 -, BVerwGE 136, 54 - juris Rn. 25 f. m.w.N.; vgl. insgesamt zum Vorstehenden Nds. OVG, Beschluss vom 13. Oktober 2021 – 13 MN 422/21 –, Rn. 34, juris).
(bb) § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 14. Januar 2022, mit dem die Gültigkeit des Genesenenachweises auf 90 Tage begrenzt wird, ist nach Ansicht der Kammer aus mehreren, im Folgenden dargelegten Gesichtspunkten verfassungswidrig, daher unwirksam und entfaltet mithin keine Bindungswirkung, soweit dort die Dauer des Genesenenstatus mittelbar durch einen Verweis auf die vom RKI im Internet veröffentlichen Vorgaben auf - aktuell - 90 Tage nach festgestellter Infektion beschränkt wird.
Mit dem wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages („Ausarbeitung zur Verfassungsmäßigkeit der Regelung des Genesenennachweises durch Rechtsverordnung“ vom 28. Januar 2022, Az. WD 3 - 3000 - 006/22 -, abrufbar unter https://www.bundestag.de/resource/blob/879942/99eedf2b3492882053bd16491ec42a7c/WD-3-006-22-pdf-data.pdf) geht die Kammer von einer Verfassungswidrigkeit des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 14. Januar 2022 aus, da
· § 28c IfSG und die auf ihn gestützte SchAusnahmV, insbesondere der hier streitgegenständliche § 2 Nr. 5, gegen den Wesentlichkeitsgrundsatz des Art. 20 Abs. 3 GG insoweit verstoßen, als hier im Verordnungswege Sachverhalte geregelt werden, die zumindest mittelbar in die Grundrechte der Betroffenen eingreifen, da ein Genesenennachweis im Rahmen der sogenannten 2G - Regelung für die Teilhabe am öffentlichen Leben neben einer Impfung essenziell ist und diese Regelungen aufgrund des Verweises auf die entsprechenden Vorgaben des RKI nicht durch den Verordnungsgeber selbst, sondern durch die Exekutive getroffen werden. § 2 Nr. 5 selbst gibt keine Kriterien dazu vor, wann eine Immunisierung vorliegt, durch wen diese festgestellt wird, wie lange sie gilt und welche Ausnahmen möglich sind. Ob insoweit sogar – weitergehend – ein Parlamentsvorbehalt besteht, lässt die Kammer ausdrücklich offen;
· die dynamische Verweisung auf die Internetseite des RKI gegen das Verkündungsgebot verstößt. Eine schlichte Verweisung auf eine Internetseite genügt den Anforderungen des Art. 82 Abs. 1 GG insbesondere aufgrund der Tatsache, dass sich der Inhalt dieser Seite quasi sekündlich ändern kann, nicht.
· es sich bei dem Verweis auf die Vorgaben des RKI um eine verdeckte Subdelegation handelt, die mangels Ermächtigung seitens des Gesetzgebers unzulässig ist. § 28c IfSG enthält lediglich eine Verordnungsermächtigung in Bezug auf die Landesregierungen. Indem der Verordnungsgeber in § 2 Nr. 5 SchAusnahmV die konkrete Ausgestaltung der Norm vollständig dem RKI überlässt, nimmt er gleichsam eine Unterermächtigung der Behörde vor, die nicht von der Verordnungsermächtigung gedeckt ist. Mit dieser Regelung hat die Bundesregierung als Verordnungsgeber eigene Aufgaben an das RKI weitergegeben, ohne dazu ermächtigt gewesen zu sein. Dieses Vorgehen verstößt gegen die Vorgaben des Art. 80 Abs. 1 Satz 4 GG.
· die Regelung durch den Verweis auf die Internetseite des RKI gegen den verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 20 Abs. 3 GG verstößt, da der Inhalt dieser Internetseite - wie bereits ausgeführt - ohne großen Aufwand und viel schneller als ein Rechtsetzungsverfahren möglich ist. Der Rechtsanwender muss somit ständig überprüfen, ob die Internetseite weiterhin denselben Inhalt hat, um über die Rechtslage informiert zu bleiben. Zutreffend stellt der Wissenschaftliche Dienst auch darauf ab, dass fraglich ist, ob im Fall einer Änderung der Internetseite der frühere Inhalt archiviert abrufbar bleibt, um es sowohl für Bürger als auch Behörden und Gerichte nachvollziehbar zu machen, welche Regelung zu einem bestimmten Zeitpunkt gegolten hat. Dieser Aspekt hat insbesondere im Rahmen eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens erhebliche Bedeutung. Schließlich könnte es auch einen technischen Ausfall der Seite geben, die zur Folge hätte, dass die Regelungen nicht abgerufen werden könnten. Ein zeitlicher Regelungsdruck, der ein solches Vorgehen rechtfertigen könnte, ist auch für die Kammer nicht ersichtlich. Auch der parlamentarische Gesetzgeber scheint von einer besonderen Eilbedürftigkeit nicht auszugehen, da er die Bundesregierung in § 28c Satz 3 IfSG nur unter dem Vorbehalt der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat zum Erlass und zur Änderung der Ausnahmeverordnung ermächtigt.
Auch in materiell-rechtlicher Hinsicht - die Verfassungsmäßigkeit des § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in Bezug auf die genannten Punkte unterstellt - hat die Kammer durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit dieser Regelung. Weder der Begründung zur Änderung der SchAusnahmV (BT-Drs. 20/390, S. 10) noch der entsprechenden Seite des RKI ist eine wissenschaftlich überzeugende Begründung für die Dauer der Verkürzung des Genesenenstatus auf 90 Tage zu entnehmen.
In der Verordnungsbegründung heißt es lediglich:
„Der Genesenennachweis muss den auf der Internetseite des RKI unter www.rki.de/covid-19-genesenennachweis veröffentlichten Vorgaben entsprechen. Diese werden unter Berücksichtigung des aktuellen Stands der medizinischen Wissenschaft vom RKI bekannt gemacht. Es handelt sich dabei um die zugrundeliegende Art der Testung zum Nachweis der vorherigen Infektion (z. B. PCR-Test), die Zeit, die nach der Testung vergangen sein muss (Beginn des Genesenenstatus) sowie die Zeit, die seit der Testung höchstens zurückliegen darf (Ablauf des Genesenenstatus). Anstelle der Zeit, die seit der die Infektion bestätigenden Testung vergangen sein muss kann auch der Nachweis zur Aufhebung der aufgrund der vorherigen Infektion erfolgten Absonderung (z. B. Freitestung) bestimmt werden.“
Das RKI führt auf der genannten Seite im Zeitpunkt der Beschlussfassung der Kammer (lediglich) drei Quellen auf:
(1) Neil Ferguson, Azra Ghani, Wes Hinsley and Erik Volz. Hospitalisation risk for Omicron cases in England. Imperial College London (22-12-2021)
(2) UK Health Security Agency: SARS-CoV-2 variants of concern and variants under investigation in England. Technical briefing 34
(3) Wissenschaftliche Begründung der STIKO für die Empfehlung zur Verkürzung des Impfabstands zwischen Grundimmunisierung bzw. Infektion und Auffrischimpfung auf einen Zeitraum ab 3 Monaten
Demgegenüber steht eine Vielzahl von namhaften Stimmen aus Wissenschaft und Praxis, die eine Verkürzung dieses Status auf drei Monate für nicht nachvollziehbar und überflüssig hält (vgl. exemplarisch https://www.aerztezeitung.de/Politik/BAeK-Praesident-Reinhardt-unterstuetzt-Verkuerzung-des-Genesenenstatus-426411.html; https://www.focus.de/gesundheit/news/immun-status-gilt-nur-noch-drei-monate-daten-rechtfertigen-keine-verkuerzung-experten-zerlegen-verkuerzte-genesenen-regel_id_44524051.html; https://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/coronavirus-carsten-watzl-kritisiert-neue-dauer-des-genesenenstatus-a-16b8846c-09cc-4283-9850-85188b9680c8; https://www.deutschlandfunk.de/verkuerzung-des-genesenenstatus-100.html, jeweils abgerufen am 2. Februar 2022). So weist beispielsweise der Virologe Prof. Dr. Hendrik Streeck, Mitglied des Expertenrates der Bundesregierung, darauf hin, dass Genesene einen ebenso guten Schutz vor einer erneuten Infektion haben wie Geimpfte, eine Ungleichbehandlung damit also nicht angezeigt ist (vgl. https://www.welt.de/vermischtes/article236476819/Markus-Lanz-Koennen-die-Pandemie-nicht-wegimpfen-warnt-Hendrik-Streeck.html, abgerufen am 3. Februar 2022).
Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang überdies, dass sich die Quellen, die das RKI anführt, zum großen Teil überhaupt nicht konkret mit der Dauer des Genesenenstatus beschäftigen. So empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO), auf die das RKI verweist, generell die Impfung. Genesene sollten mindestens drei Monate nach der Infektion abwarten. Ab dann gebe es keine gesundheitlichen Bedenken. Die Dauer der Schutzwirkung einer Infektion spielt hier keine Rolle. Mehr ist dort nicht ausgesagt; die Quelle taugt damit nicht zum wissenschaftlich fundierten Beleg einer Verkürzung des Genesenstatus.
Auch wenn man annehmen sollte, dass dem Verordnungsgeber beim Erlass der Verordnungen eine Einschätzungsprärogative zukommt (vgl. VG Köln, Beschluss vom 8. November 2021 – 7 L 1768/21 –, juris; VG Gera, Beschluss vom 12. Oktober 2021 - 3 E 1200/21 Ge - juris Rn. 30 mit Hinweis auf ThürOVG, Beschluss vom 12. November 2020 - 3 EN 747/20 - juris Rn. 75, BVerfG, Beschlüsse vom 12. Mai 2020 - 1 BvR 1027/20 - juris und vom 13. Mai 2020 - 1 BvR 1021/20 - juris; OVG NRW, Beschluss vom 6. April 2020 - 13 B 398/20.NE - juris; BayVGH, Beschlüsse vom 30. März 2020 - 20 NE 20.632 - juris Rn. 60 und - 20 CS 20.611 - juris Rn. 22; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23. März 2020 - OVG 11 S 12/20 - juris Rn. 10), ist diese Änderung der Verordnung rechtswidrig. Aufgrund der soeben aufgezeigten wissenschaftlichen Unsicherheit der Rechtfertigung der Verkürzung des Genesenenstatus hat der Verordnungsgeber bzw. das von ihm ermächtigte RKI eine eventuelle Einschätzungsprärogative überschritten.
Ebenfalls zu beachten ist, dass sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union kurz nach Inkrafttreten der Änderung der SchAusnahmV auch mit Zustimmung der deutschen Delegation auf eine Anerkennung des Genesenenstatus bei der Einreise innerhalb der Union für sechs Monate geeinigt haben (vgl. https://www.businessinsider.de/politik/deutschland/in-den-eu-staaten-sind-genesenen-zertifikate-laenger-gueltig-deutschland-braucht-eine-extrawurst-b/, abgerufen am 2. Februar 2022). Zu dieser Regelung steht § 2 Nr. 5 SchAusnahmV nun in deutlichem Widerspruch, der auch vor dem Hinblick des Vorrangs des Unionsrechts Bedenken hervorruft.
Nach alledem hält die Kammer § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 14. Januar 2022 für unwirksam.
(cc) Somit findet § 2 Nr. 5 SchAusnahmV in der Fassung vom 8. Mai 2021 mit einer Dauer des Genesenenstatus von 180 Tagen Anwendung. Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit dieser Vorschrift bestehen nicht; die Kammer schließt sich insoweit vollumfänglich der dazu ergangenen Rechtsprechung an (vgl. nur exemplarisch Nds. OVG, Beschluss vom 13. Oktober 2021, a.a.O.; VG Würzburg, Beschluss vom 21. Dezember 2021, a.a.O.; VG Köln, Beschluss vom 8. November 2021, a.a.O., jeweils m.w.N.).
(dd) Soweit sich der Kläger gegen den Beginn seines Genesenenstatus erst 28 Tage nach der festgestellten Infektion wendet und fordert, dass er bereits ab dem Zeitpunkt, an dem er aus der Quarantäne entlassen sei, als genesen gelten müsse, kann ihm darin nicht gefolgt werden. Diese Regelung beruht auf nachvollziehbaren wissenschaftlichen Erwägungen, die von der Einschätzungsprärogative des Verordnungsgebers gedeckt sind. Das RKI führt zu dieser Frage aus, dass die Dauer von 28 Tagen darin begründet sei, dass das Immunsystem eine gewisse Zeit benötige, um eine stabile Antikörper-Antwort aufzubauen. Erst dann sei ein verlässlicher Schutz vor einer Reinfektion gegeben. Da die Zeitspanne nach fachlichem Konsens zwischen 2 und 4 Wochen liegt, habe man sich auf 28 Tage geeinigt. So solle sichergestellt werden, dass mit dem Genesenenzertifikat auch ein ausreichender Immunschutz einhergehe. Nach demselben Prinzip gehe man auch bei der Impfung vor. Dort betrage die Zeitspanne zwischen der letzten erforderlichen Impfung und dem Gültigkeitsbeginn des Impfzertifikates 14 Tage, um dem Körper genug Zeit zu geben, einen Immunschutz aufzubauen (vgl. https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.genesung-warum-28-tage-warten-mhsd.8e4d2060-7871-4881-af0e-b49dd6f14b55.html, abgerufen am 2. Februar 2022).
Gegen die Rechtmäßigkeit dieser bereits aus dem Umgang mit Impfungen und dem entsprechenden Status bekannte Vorgehensweise, die wissenschaftlich allgemein anerkannt ist, hat die Kammer keine Bedenken.
Der Kläger hat damit (lediglich) einen Anspruch auf die Ausstellung eines Genesenennachweises in der Form, in der er ihn bereits unter dem 14. Januar 2022 - vor Inkrafttreten der Änderung der SchAusnahmV - vom Antragsgegner erhalten hatte (vgl. Bl. 16 f. der GA).
2. Die weiteren Anträge des Antragstellers zu 2. und 3., die sich auf die Löschung sämtlicher von ihm gespeicherter Daten und ein Unterlassen der Verarbeitung seiner Daten im Wege des Erlasses einer einstweiligen Anordnung richten, haben keinen Erfolg.
a. Ihnen steht zunächst das oben aufgeführte Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen; anders als zu Ziffer 1. des Begehrens sind schwere und unzumutbare Nachteile des Antragstellers durch ein Zuwarten auf die Hauptsacheentscheidung nicht ersichtlich.
b. Weiterhin fehlt es an der Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruchs. Aus dem Vortrag des Antragsgegners geht hervor, dass die Daten des Antragstellers, die dort im Rahmen der Bearbeitung der im Zusammenhang mit seiner Infektion mit dem Coronavirus anfallenden Verwaltungsvorgänge gespeichert worden sind, derzeit noch weiter benötigt werden. Dies liegt auch auf der Hand. Dafür, dass der Antragsgegner die Daten in der Folgezeit unrechtmäßig weiterverarbeiten oder nutzen wird, ist nichts ersichtlich. Ein Anspruch auf Löschung bzw. Untersagung der Weiterverarbeitung der Daten besteht damit nicht.
3. Die Anordnung der Hauptsacheklageerhebung beruht auf § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit § 926 ZPO. Hiernach ist dann, wenn - wie hier - die Hauptsache nicht anhängig ist, durch die Kammer anzuordnen, dass die Partei, die die einstweilige Anordnung erwirkt hat, binnen einer zu bestimmenden Frist Klage zu erheben hat. Aus der lediglich entsprechenden Anwendung der Norm folgt für den nach dem Amtsgrundsatz zu gestaltenden Verwaltungsprozess ein entsprechender Ausspruch von Amts wegen (Puttler, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Auflage Baden-Baden 2018, § 123 Rn. 116). Die gesetzte Frist gibt dem Antragsteller unter Berücksichtigung der ihm vorliegenden Gründe dieses Beschlusses hinreichend Zeit zur Klageerhebung.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Der Antragsteller ist mit zwei seiner drei Anträge unterlegen; der dritte, ursprünglich ausschließlich auf einen früheren Beginn des Genesenenstatus gerichtete Antrag beinhaltete ein teilweises Obsiegen. Vor diesem Hintergrund erscheint es der Kammer sachgerecht, dass der Antragsteller 2/3 und der Antragsgegner 1/3 der Kosten des Verfahrens trägt.
5. Die Streitwertfestsetzung erfolgt gemäß §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG. Die drei selbständigen Begehren hat die Kammer jeweils mit dem Regelstreitwert bewertet und kumuliert. Von einer Streitwerthalbierung hat die Kammer aufgrund der begehrten faktischen Vorwegnahme der Hauptsache unter Berücksichtigung der begrenzten Gültigkeitsdauer des Genesenennachweises abgesehen.