Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 14.06.2019, Az.: 7 A 1358/19

Armenien; Asyl; Gesundheit; Grundversorgung; Hydrocortison; Lage; Morbus Addison

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
14.06.2019
Aktenzeichen
7 A 1358/19
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 69707
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

In Armenien existiert ein gut funktionierendes Gesundheitssystem, das die Behandelbarkeit weitgehend aller Krankheiten gewährleistet; hier: Morbus Addison.

Fortführung Gerichtsbescheid vom 4. Oktober 2018 - 7 A 2946/18 - zu PTBS und Urteil vom 27. Oktober 2017 - 7 A 7349/17 - zu Krebs, jeweils juris.

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Kläger die Klage zurückgenommen haben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kläger tragen die außergerichtlichen Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand:

Der im Jahre 2004 geborene Kläger zu 3. ist Sohn des Klägers im Verfahren 7 A 1357/19. Er begehrt die Feststellung des Vorliegens von Abschiebungshindernissen hinsichtlich seiner angedrohten Abschiebung nach Armenien.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Dreieich, vom 22. März 2018 lehnte die Beklagte den Asylantrag (Asyl- und Flüchtlingsanerkennung sowie subsidiärer Schutz) der damals als georgische Staatsangehörige aufgetretenen Kläger als offensichtlich unbegründet sowie das Vorliegen von Abschiebungsverboten ab, forderte sie unter Abschiebungsandrohung in den Herkunftsstaat zur Ausreise binnen Wochenfrist auf und befristete das Wiedereinreiseverbot.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg, vom 15. April 2019 stellte die Beklagte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz nicht vorlägen und konkretisierte die mit dem o.a. Bescheid vom 22. März 2018 erlassene Abschiebungsandrohung dahin, dass die Kläger für den Fall, dass sie der Ausreiseaufforderung nicht nachkämen, nach Armenien abgeschoben würden.

Die Kläger haben am 9. Mai 2019 Klage erhoben und bringen vor, der Kläger zu 3. leide an Morbus Addison. Dazu legen sie die „Ärztliche Stellungnahme“ des Päd. Endokrinologen R. O., M., MVZ für Endokrinologie Diabetologie und Hormonanalytik in Oldenburg, ohne Datum vor, in der es wörtlich heißt:

„Bei ... geb. am ...2004, besteht seit Oktober 2018 eine primäre Nebennierenrindeninsuffizienz Morbus Addison. Die Erkrankung führt zu einem kompletten Verlust der Hormonproduktion der Nebennierenrinde, im Verlauf ist durchaus auch ein Verlust der Hormonproduktion des Nebennierenmarks möglich. Die Erkrankung hat eine autoimmune Genese, es kommt zu einer Entzündungsreaktion an den Nebennierenrinden, welche zu einem vollständigen Verlust der Funktion führen. Der Befund ist irreversibel und wird ein Leben lang anhalten.

Durch die Erkrankung kommt es zum Verlust der Produktion der lebenswichtigen Hormone Cortisol und Aldosteron, diese regulieren zum einen den Energiestoffwechsel und Zuckerhaushalt des Körpers. Cortisol ist das wichtigste Stresshormon des Körpers und ermöglicht in einer Stresssituation erst eine adäquate Reaktion des Körpers. Bei Ausfall dieses Hormons tritt im Verlauf eine lebensbedrohliche Situation ein.

Aldosteron ist für die Aufrechterhaltung der normalen Elektrolytspiegel von Natrium und Kalium im Körper verantwortlich. Auch der Verlust von Aldosteron führt zu einer lebensbedrohlichen Situation mit Abfall des Natriums und Erhöhung des Kaliums.

Die Erkrankung muss lebenslang mit Hydrocortison und Fludrocortison behandelt werden, diese Medikamente werden in Tablettenform 3x täglich (Hydrocortison) und 2x täglich (Astonin H) eingenommen. In Stresssituationen muss die Dosis sofort adäquat angepasst werden, es sind dann zum Teil deutlich höhere Dosierungen erforderlich. Die Erkrankung erfordert eine lebenslange genaue Überwachung des Stoffwechsels der beteiligten Hormone, da sowohl eine Unterdosierung, als auch eine Überdosierung gesundheitliche Folgen haben kann. Patienten mit dieser Erkrankung müssen einen Notfall-Ausweis mit sich tragen, um in akuten Situationen (Unfälle z.B. mit Bewusstlosigkeit) dem beteiligten Arzt die Erkrankung sicher anzuzeigen, damit die notwendigen Maßnahmen sofort ergriffen werden können. Eine Krisen-Situation bei Morbus Addison ist eine lebensgefährliche Erkrankung, welche innerhalb weniger Stunden zum Tode führen kann. Von daher ist eine lebenslange Versorgung mit den entsprechenden Hormonen unbedingt sicherzustellen. ...“

Mit Schriftsatz vom 12. Juni 2019 haben die Kläger zu 1. und 2. ihre Klage zurückgenommen. Der Kläger zu 3. beantragt sodann,

die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass in seiner Person Abschiebungshindernisse in Bezug auf Armenien vorliegen, und den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 15. April 2019 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.

Die Beklagte tritt dem bezugnehmend auf die Gründe des angegriffenen Bescheides entgegen und beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens und der Verfahren 7 A 1655/18, 7 A 1650/18 und 7 A 1357/19 einschließlich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.

Entscheidungsgründe

Das Verfahren war einzustellen, soweit die Kläger zu 1. und zu 2. ihre Klage zurückgenommen haben, § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO; insoweit ergibt sich die Kostenfolge aus § 155 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG.

Die Klage im Übrigen, über die das Gericht nach Übertragungsbeschluss der Kammer vom 13. Mai 2019 durch den Einzelrichter entscheidet, bleibt ohne Erfolg. Insoweit – mithin noch hinsichtlich der Klage des Klägers zu 3. – ist die Klage unbegründet und mit der Kostenfolge aus §§ 154 Abs. 1, 167 Abs. 2 VwGO, 83b AsylG abzuweisen. Denn der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger zu 3. nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 VwGO; die Voraussetzungen der geltend gemachten Ansprüche sind nicht erfüllt, Abschiebungshindernisse liegen nicht vor, § 113 Abs. 5 VwGO.

Es ist nichts dafür ersichtlich, dass dem Kläger zu 3. Ansprüche auf Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 5, 7 AufenthG zustehen könnten. Insgesamt ist seine Klage aus den Gründen des angegriffenen Bescheides, auf die sich das Gericht zur Begründung des Urteils bezieht (§ 77 Abs. 2 AsylG), und aus folgenden Gründen unbegründet.

Armenien ist ein Binnenstaat im Kaukasus im Bergland zwischen Georgien, Aserbaidschan, Iran und der Türkei und entspricht dem nordöstlichen Teil des früheren, ehemals viel größeren armenischen Siedlungsgebietes. Die Bevölkerungszahl beträgt etwa drei Millionen. Mit dem Zerfall der Sowjetunion im Jahre 1991 erlangte die vormalige Armenische Sozialistische Sowjetrepublik ihre Unabhängigkeit. Innerhalb der seitherigen demokratischen Verfassung nach westlichen Muster hat die Republik Armenien als Staatsoberhaupt einen Präsidenten und als Regierungschef einen Premierminister.

Nach den Verfassungsänderungen von 2005 ist die Gewaltenteilung in der Verfassung der Republik Armenien formell gestärkt. Insoweit lässt sich allerdings in der Realität auch anderes feststellen. Die Unabhängigkeit der Gerichte leidet noch unter Korruption und Nepotismus (sog. Vetternwirtschaft). Im Dezember 2015 kam es zur Billigung weitreichender Verfassungsänderungen durch ein Referendum und damit zur Ausweitung des Grundrechtekatalogs, zur Umwandlung von einem semi-präsidialen zu einem parlamentarischen System und gleichzeitig auch zur Stärkung der Rechte der Opposition. Der Staatspräsident billigte im Februar 2015 den Strategieplan 2014 bis 2016 zur Umsetzung der internationalen Verpflichtungen Armeniens im Bereich der Menschenrechte durch die zuständigen Staatsorgane. Es kommt dennoch in Armenien zu politisch motivierten strafrechtlichen Verurteilungen und auch Haftstrafen. Friedensverhandlungen zur Beilegung des Bergkarabach-Konflikts mit Aserbaidschan werden geführt, eine Beilegung des Konfliktes ist aber derzeit nicht ersichtlich. Zuletzt kam es im Jahr 2016 zu Konflikten. Defizite sind im Bereich der Medien-und Informationsfreiheit weiterhin zu verzeichnen. Demonstrationen werden regelmäßig genehmigt; die verfassungsmäßig garantierte Versammlungsfreiheit wird allerdings durch das Gesetz über administrative Haft und das Versammlungsgesetz reglementiert. Auch im Laufe des Jahres 2015 ging die Polizei teilweise hart gegen verschiedene Demonstrationen vor. Die Proteste richteten sich beispielsweise gegen Strompreiserhöhungen oder gegen das Referendum zur Verfassungsreform (s.o.). Die Religionsfreiheit wird durch die Verfassung prinzipiell gewährt, unterliegt allerdings in der Praxis gewissen Einschränkungen. Die armenisch-apostolische Kirche genießt eine privilegierte Stellung, was in der Praxis zuweilen zu einer Zurücksetzung anderer Religionsgemeinschaften führen kann. Einvernehmliche homosexuelle Handlungen unter Erwachsenen sind seit 2003 nicht mehr strafbar. Männer und Frauen sind gleichberechtigt; eine rechtliche Diskriminierung von Frauen gibt es nicht; die Rolle der Frau ist durch die traditionelle patriarchalische Gesellschaftsstruktur geprägt. Es gibt nur wenige Frauen in wichtigen Ämtern, schlechtere Bezahlung und mangelnde Aufstiegschancen sind die Regel. Die medizinische Versorgung ist grundsätzlich gewährleistet.

Die Erkenntnisse, die Grundlage der voranstehenden Einschätzung der Lage in Armenien sind, werden durch den

Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: Februar 2017)“ des Auswärtigen Amtes vom 21. Juni 2017

bestätigt, dessen damalige ‚Zusammenfassung‘ (S. 5 ebd.) wörtlich wie folgt lautete:

- Die im Dezember 2015 durch Referendum gebilligten weitreichenden Verfassungsänderungen sehen zum einen die Ausweitung des Grundrechtekatalogs, zum anderen die Umwandlung von einem semi-präsidialen zu einem parlamentarischen System bei gleichzeitiger Stärkung der Rechte der Opposition vor.

- Die Menschenrechtslage bleibt jedoch trotz Fortschritten in einigen Teilbereichen weiterhin unbefriedigend.

- Grundsätzlich ist keine staatliche Beschränkung der Aktivitäten von Vertretern der Zivilgesellschaft oder eine Einschränkung der Meinungsfreiheit festzustellen. Gleichwohl sind Defizite im Bereich der Medien- und Informationsfreiheit zu verzeichnen. Die verfassungsmäßig garantierte Versammlungsfreiheit ist in der Praxis durch das Gesetz über administrative Haft und das Versammlungsgesetz eingeschränkt. Auch geht die Polizei weiterhin gelegentlich unangemessen hart gegen Demonstranten vor.

- Obwohl in der armenischen Verfassung das Verbot von Folter sowie von unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung festgeschrieben ist, kommen körperliche Misshandlungen in Polizeigewahrsam weiter vereinzelt vor. Das armenische Strafgesetzbuch steht weiterhin nicht in Übereinstimmung mit der VN Konvention gegen Folter. Die Situation in den Strafanstalten des Landes entspricht größtenteils nicht den internationalen Mindeststandards der Häftlingsbetreuung.

- Die Verfassung gewährt prinzipiell Religionsfreiheit. Diese unterliegt in der Praxis jedoch gewissen Einschränkungen. Die privilegierte Stellung der armenisch-apostolischen Kirche führt in der Praxis zuweilen zu einer Zurücksetzung anderer Religionsgemeinschaften.

Daran ändern die jüngeren Lageberichte Armenien, der

Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: März 2018)“des Auswärtigen Amtes vom 17. April 2018, und der

„Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: Februar 2019)“ des Auswärtigen Amtes vom 7. April 2019,

nichts, die im Wesentlichen vielmehr bestätigend zu denselben Ergebnissen gelangen und insbesondere aber nun auch die positiven Entwicklungen in Armenien beschreiben. Insoweit heißt es nunmehr in der ‚Zusammenfassung‘ (Seite 5 Bericht vom 7. April 2019 ) wörtlich wie folgt:

- Die im Dezember 2015 durch Referendum gebilligten weitreichenden Verfassungsänderungen sehen zum einen die Ausweitung des Grundrechtekatalogs, zum anderen den Übergang von einem semi-präsidialen zu einem parlamentarischen System bei gleichzeitiger Stärkung der Rechte der Opposition vor. Dieser Übergang wurde im März/April 2018 mit den Wahlen eines neuen Staatspräsidenten (Armen Sarkissian) bzw. eines neuen Premierministers (Serzh Sargsyan, zuvor von 2008 - 2018 Staatspräsident) durch das Parlament abgeschlossen. Vor allem wurde die Rolle des Parlaments gestärkt.

- Völlig neue Rahmenbedingungen haben sich durch die friedlich verlaufende sog. „Samtene Revolutionen“ im April/Mai 2018 ergeben. Aufgrund von Massenprotesten gegen die Wahl von Serzh Sargsyan zum Premierminister trat Sargsyan am 23. April 2018 von seinem Amt zurück, und es wurde der Anführer der Proteste, der Abgeordnete Nikol Pashinyan, am 8. Mai 2018 zum neuen Premierminister gewählt. Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen am 9. Dezember 2018 errang das Wahlbündnis „Mein Schritt“ von Pashinyan mit über 70 % der Wählerstimmen einen überwältigenden Sieg.

- Seit Pashinyans Machtübernahme hat sich das innenpolitische Klima deutlich verbessert. Die in weiten Teilen der Bevölkerung vorherrschende Hoffnungs- und Perspektivlosigkeit ist einem spürbaren Optimismus gewichen. Die Absicht vieler Armenier, das Land zu verlassen, ist gesunken. Vor allem im Kampf gegen Korruption und Wirtschaftskriminalität, beim Aufbrechen der alten verkrusteten Strukturen und bei der Förderung einer unabhängigen Justiz hat Pashinyan bereits sichtbare Erfolge erzielt.

- Die Regierung Pashinyan geht bestehende Menschenrechts-Defizite weitaus engagierter als die Vorgängerregierungen an. Die Menschenrechtslage hat sich weiter verbessert, bleibt aber in einigen Teilbereichen noch nicht befriedigend. Dies betrifft die Gesetzgebung und insbesondere Implementierung bestehender Gesetze.

- Positiv zu vermerken ist, dass keine staatliche Beschränkung der Aktivitäten von Vertretern der Zivilgesellschaft oder eine Einschränkung der Meinungsfreiheit zu beobachten ist. Beeindruckend ist, wie zurückhaltend sich die Sicherheitskräfte anlässlich der Demonstrationen im April/Mai 2018 verhalten haben. Aber auch die Demonstranten waren bedacht, keinerlei Anlass zum Eingreifen der Sicherheitskräfte zu bieten.

- Die verfassungsmäßig garantierte Versammlungsfreiheit wird unter der Regierung Pashinyan nicht mehr durch Anwendung des Gesetzes über administrative Haft und des Versammlungsgesetzes eingeschränkt.

- In der armenischen Verfassung ist das Verbot von Folter sowie von unmenschlicher oder entwürdigender Behandlung festgeschrieben. Es sollen aber weiterhin vereinzelt körperliche Misshandlungen in Polizeigewahrsam vorkommen. Das armenische Strafgesetzbuch wurde mittlerweile um eine Definition und die Kriminalisierung von Folter ergänzt (in Übereinstimmung mit der VN Konvention gegen Folter). Die Situation in den Strafanstalten des Landes entspricht nur in Teilen den internationalen Mindeststandards der Häftlingsbetreuung.

- Die Verfassung gewährt Religionsfreiheit. Diese unterliegt in der Praxis jedoch gewissen Einschränkungen. Die privilegierte Stellung der armenisch-apostolischen Kirche führt in der Praxis zuweilen zu einer Zurücksetzung anderer Religionsgemeinschaften.

Der Kläger zu 3. kann angesichts dessen und aber auch in Ansehung der mit Schriftsatz vom 12. Juni 2019 gelten gemachten gesundheitlichen Gründe (Morbus Addison) keine Abschiebungshindernisse im Sinne von § 60 Abs. 5, Abs. 7 AufentG erfolgreich ins Feld führen. Das Gericht hält dazu ergänzend und insbesondere mit Blick auf § 60 Abs. 7 AufenthG noch Folgendes fest (§ 77 Abs. 1 AsylG):

Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Diese ist u.a. dann gegeben, wenn mit überwiegender Wahrscheinlichkeit alsbald nach der Rückkehr ins Heimatland die wesentliche oder gar lebensbedrohliche Verschlimmerung einer Krankheit zu erwarten ist (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG; vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1997 - 9 C 58.97 - BVerwGE 105, 383 <387>, juris), wobei in zeitlicher Hinsicht ein Prognosezeitraum von etwa einem Jahr angemessen ist (vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 22. März 2006 - 10 LA 287/05 - <Seite 6>). Zu berücksichtigen ist dabei, ob dem Ausländer die erforderlichen therapeutischen Maßnahmen individuell zugänglich sind, insbesondere finanziert werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2002 - 1 C 1.02 - NVwZ-Beilage 2003, 53, juris). Es ist aber nicht erforderlich, dass die Versorgung im Zielstaat mit der Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland gleichwertig ist (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG). Die Gefahr muss zudem nicht nur im Heimatort des Betroffenen, sondern landesweit bestehen (§ 60 Abs. 7 Satz 4 AufenthG; vgl. BVerwG, Urteil vom 15. April 1997 - 9 C 38.96 - BVerwGE 104, 265 <267>). Diese Voraussetzungen decken sich insoweit mit der bisherigen ständigen Rechtsprechung in der Kammer (vgl. Urteil vom 8. November 2016 - 7 A 3449/16 -, Vnb., Beschlüsse vom 9. April 2015 - 7 B 1548/15 -, vom 27. Januar 2016 - 7 B 283/16 -, vom 1. Juni 2016 - 7 B 1888/16 -, und Urteil vom 25. November 2016 - 7 A 5498/16 -, jeweils juris; siehe auch OVG Lüneburg, Beschluss vom 19. August 2016 - 8 ME 87/16 - juris).

Hinsichtlich der medizinischen Versorgung heißt es im aktuellen

Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Armenien (Stand: Februar 2019)“ des Auswärtigen Amtes vom 7. April 2019 im Wortlaut (Seite 19 f.):

1.3. Medizinische Versorgung

Die medizinische Grundversorgung ist flächendeckend gewährleistet.

Die primäre medizinische Versorgung ist größtenteils noch immer wie zu Sowjetzeiten organisiert. Die Leistungen werden in der Regel entweder durch regionale Polikliniken oder ländliche Behandlungszentren/Feldscher-Stationen erbracht. Die sekundäre medizinische Versorgung wird von 37 regionalen Krankenhäusern und einigen der größeren Polikliniken mit speziellen ambulanten Diensten übernommen, während die tertiäre medizinische Versorgung größtenteils den staatlichen Krankenhäusern und einzelnen Spezialeinrichtungen in Eriwan vorbehalten ist.

Die primäre medizinische Versorgung ist wie früher grundsätzlich kostenfrei. Anders als zu Zeiten der UdSSR gilt dies allerdings nur noch eingeschränkt für die sekundäre und die tertiäre medizinische Versorgung. Das Fehlen einer staatlichen Krankenversicherung erschwert den Zugang zur medizinischen Versorgung insoweit, als für einen großen Teil der Bevölkerung die Finanzierung der kostenpflichtigen ärztlichen Behandlung extrem schwierig geworden ist. Viele Menschen sind nicht in der Lage, die Gesundheitsdienste aus eigener Tasche zu bezahlen. Der Abschluss einer privaten Krankenversicherung übersteigt die finanziellen Möglichkeiten der meisten Familien bei weitem.

Ein Grundproblem der staatlichen medizinischen Fürsorge ist die schlechte Bezahlung des medizinischen Personals (für einen allgemein praktizierenden Arzt ca. 250 Euro/Monat). Dies führt dazu, dass die Qualität der medizinischen Leistungen des öffentlichen Gesundheitswesens in weiten Bereichen unzureichend ist. Denn hochqualifizierte und motivierte Mediziner wandern in den privatärztlichen Bereich ab, wo Arbeitsbedingungen und Gehälter deutlich besser sind.

Der Ausbildungsstand des medizinischen Personals ist zufriedenstellend. Die Ausstattung der staatlichen medizinischen Einrichtungen mit technischem Gerät ist dagegen teilweise mangelhaft. In einzelnen klinischen Einrichtungen – meist Privatkliniken - stehen hingegen moderne Untersuchungsmethoden wie Ultraschall, Mammographie sowie Computer- und Kernspintomographie zur Verfügung.

Insulinabgabe und Dialysebehandlung erfolgen grundsätzlich kostenlos: Die Anzahl der kostenlosen Behandlungsplätze ist zwar beschränkt, aber gegen Zahlung ist eine Behandlung jederzeit möglich. Die Dialysebehandlung kostet ca. 100 USD pro Sitzung. Selbst Inhaber kostenloser Behandlungsplätze müssen aber noch in geringem Umfang zuzahlen. Derzeit ist die Dialysebehandlung in fünf Krankenhäusern in Eriwan möglich, auch in den Städten Armavir, Gjumri, Kapan, Noyemberyan und Vanadsor sind die Krankenhäuser entsprechend ausgestattet.

Die größeren Krankenhäuser in Eriwan sowie einige Krankenhäuser in den Regionen verfügen über psychiatrische Abteilungen und Fachpersonal. Die technischen Untersuchungsmöglichkeiten haben sich durch neue Geräte verbessert. Die Behandlung von posttraumatischem Belastungssyndrom (PTBS) und Depressionen ist auf gutem Standard gewährleistet und erfolgt kostenlos.

Problematisch ist die Verfügbarkeit von Medikamenten: Nicht immer sind alle Präparate vorhanden, obwohl viele Medikamente in Armenien in guter Qualität hergestellt und zu einem Bruchteil der in Deutschland üblichen Preise verkauft werden. Importierte Medikamente sind dagegen überall erhältlich und ebenfalls billiger als in Deutschland; für die Einfuhr ist eine Genehmigung durch das Gesundheitsministerium erforderlich.

Danach sind generell und bei grundsätzlicher Betrachtung die hier angegebenen Krankheiten und Beschwerden, insbesondere die gesundheitlichen Probleme des Klägers zu 3. (Morbus Addison) bei gedachter Rückkehr nach Armenien dort behandelbar und erfüllen nicht die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Aufenthaltsgesetz. Daran hält das Gericht im und als Grundsatz fest. Selbst für den Fall, dass man auf eine Behandlung in Armenien länger warten müsste als in Deutschland und deren Standard hinter dem hiesigen zurückbleibt, genügt dies nicht, um von einer konkreten, d.h. alsbald eintretenden und erheblichen Verschlechterung der gesundheitlichen Situation auszugehen, vgl. § 60 Abs. 7 AufenthG. Zur Überbrückung der Zeit bis zum Beginn der Behandlung in Armenien ist es zudem möglich, die ggf. in Deutschland erhaltenen Medikamente zu gebrauchen, die aber auch in Armenien erhältlich sind. Denn die Gewährung von Abschiebungsschutz gem. § 60 Abs. 7 AufenthG dient nicht dazu, eine bestehende Erkrankung optimal zu behandeln oder ihre Heilungschancen zu verbessern. Schließlich könnte man eventuell benötigte Medikamente (iwS Cortison) auch in Armenien erhalten. Zwar mag für den Kläger eine medizinische Behandlung seiner Beschwerden in Deutschland vorteilhaft sein; dies muss rechtlich aber hier dahinstehen.

Allerdings sollte berücksichtigt werden, dass die Frage, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz angesichts einer Erkrankung bei dem jeweiligen Ausländer vorliegen, nur einer Beurteilung anhand der jeweiligen Fallumstände, insbesondere des konkreten Krankheitsbildes, der konkreten notwendigen medizinischen Behandlungen und deren individueller Verfügbarkeit im Herkunftsstaat zugänglich ist, die grundsätzlich nicht „abstrakt“ für eine Vielzahl von Fällen gleichsam vorab vorgenommen werden kann (Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichtes vom 11. August 2015 - 8 LA 145/15 -, Vnb., mwN.).

Die insoweit gebotene Einzelfallbetrachtung führt hier aber zu keinem anderen Ergebnis. Der Kläger zu 3. muss sich zumutbar auf das funktionierende Gesundheitssystem des Staates Armenien verweisen lassen und schlussendlich damit abfinden, dass seine Behandlung auch dort gewährleistet ist.

Die in der Bescheinigung des Päd. Endokrinologen R. O. (ohne Datum) enthaltene Feststellung, die Erkrankung Morbus Addison des Klägers zu 3. müsse lebenslang mit Hydrocortison und Fludrocortison behandelt werden, ändert daran nichts. Zwar war noch im Jahre 2016 die Erkenntnislage hinsichtlich der Verfügbarkeit von Cortisolen und Cortisonpräparaten womöglich nicht ganz eindeutig, soweit es die Bevorratung und Erhältlichkeit in Armenien selber anbelangte. Nach den Auskünften der IOM vom 13. April 2016 und vom 20. April 2016 (den Beteiligten übersandt mit Verfügung des Gerichtes vom 12. Juni 2019) war allerdings die Möglichkeit vorhanden, diese Medikamente selber mit nach Armenien zu nehmen und dort nach Deklaration bei Grenzübertritt einzuführen. Mithin war auch schon damals eine Erhältlichkeit sichergestellt. Dies gilt aber nunmehr erst recht angesichts der Angabe des Auswärtigen Amtes 2019 im o.a. aktuellen Lagebericht (Seite 20), wo es nämlich heißt, dass zwar nicht immer alle Präparate vorhanden seien, aber (wörtlich):

„Importierte Medikamente sind dagegen überall erhältlich und ebenfalls billiger als in Deutschland; für die Einfuhr ist eine Genehmigung durch das Gesundheitsministerium erforderlich.“

Mithin stellt sich die Lage nunmehr so dar, dass auf jeden Fall alle Medikamente über den Importweg auch in Armenien bezogen werden können, und zwar kostengünstiger als beispielsweise auf dem deutschen Markt. Darauf muss der Kläger zu 3. sich verweisen lassen. Dies gilt erst recht, weil er sich auf die Mithilfe seiner Familienangehörigen und weiteren Angehörigen, ggf. auch aus dem Ausland verlassen muss. Hinsichtlich seiner Erstversorgung (nach Ankunft in Armenien) muss er sich zudem der Mithilfe seiner hiesigen Ausländerbehörde vergewissern.

Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis liegt nach Allem nicht vor.

Bei der dargestellten Sach- und Rechtslage war die Klage insgesamt abzuweisen.