Landgericht Göttingen
Beschl. v. 10.09.1991, Az.: 1 Qs 89/91
Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte ; Anwendbarkeit der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung auf Hochschulllehrer; Kostenfestsetzungsantrag des Verteidigers ; Entsprechende Anwendung der Bundesrechtsanwaltsgebührenordnung
Bibliographie
- Gericht
- LG Göttingen
- Datum
- 10.09.1991
- Aktenzeichen
- 1 Qs 89/91
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1991, 16198
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGGOETT:1991:0910.1QS89.91.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Göttingen - 25.07.1991 - AZ: 32 Js 20010/90
- AG Göttingen - 25.07.1991 - AZ: 36 Ds 95/91
Rechtsgrundlagen
- § 467 StPO
- § 467a StPO
- § 84 Abs. 1 BRAGO
- § 83 Abs. 1 BRAGO
- § 138 Abs. 1 StPO
- § 408 S. 2 AO
Verfahrensgegenstand
Verdacht der Straßenverkehrsgefährdung
Erinnerung gegen eine Kostenfestsetzung des Amtsgerichts
Prozessgegner
Arzt Dr. med J. R. geb. am ... in ... wohnhaft ...
Sonstige Beteiligte
Bezirksrevisor bei dem Landgericht Göttingen als Vertreter der Landeskasse
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Außer zugelassenen Rechtsanwälten können auch Hochschullehrer zu Verteidigern gewählt werden.
- 2.
Bei der Kostenfesetzung sind nur Aufwendungen in angemessener Höhe zu erstatten sind, also Gebührenvereinbarungen über das hinaus, was die BRAGO vorsieht, im Kostenfestsetzungsverfahren im Interesse des Kostenpflichtigen nicht zu berücksichtigen sind. Hochschullehrer sind wegen der Regelung des § 138 Abs. 1 StPO den in § 408 AO aufgeführten Berufsgruppen gleichzustellen.
- 3.
Zwischen Steuerstraftaten und Verfahren wegen allgemeiner Kriminalität besteht kein prinzipieller Unterschied besteht und es ist kein Grund ersichtlich, warum gerade Hochschullehrer gegenüber anderen Verteidigern - was die Honorarfrage anbelangt schlechter gestellt sein sollten.
- 4.
Ein irgendwie gearteter "Abschlag" von den sich nach der BRAGO ergebenden Gebühren ist gegenüber einem Hochschullehrer nicht gerechtfertigt.
In dem Rechtsstreit
hat die 1. Strafkammer des Landgerichts Göttingen
auf die nunmehr als sofortige Beschwerde geltende Erinnerung des Bezirksrevisors vom
1./2. August 1991
gegen den ihm am 31. Juli 1991 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluß des Amtsgerichts Göttingen vom 25. Juli 1991
nach Anhörung des Verteidigers
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. S. und
die Richter am Landgericht J. und A.
am 10. September 1991
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde wird verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Landeskasse zur Last, die auch etwaige dem ehemaligen Angeschuldigten insoweit entstandene notwendige Auslagen zu tragen hat.
Gründe
Dem ehemaligen Angeschuldigten war mit Anklage vom 13.02.1991 vorgeworfen worden, eine Straßenverkehrsgefährdung begangen zu haben. Nachdem sich jedoch durch weitere Ermittlungen seine Unschuld herausgestellt hatte, nahm die Staatsanwaltschaft die Anklage zurück, worauf das Amtsgericht gem. §§ 467, 467a StPO die Kosten des Verfahrens und die dem ehemaligen Angeschuldigten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Landeskasse auferlegte. Aufgrund dieser Kosten-(Grund-)Entscheidung beantragte der Verteidiger sodann, seine Gebühren i.H.v. insgesamt 361,00 DM gegen die Landeskasse festzusetzen. Dabei berechnete der Verteidiger, der Hochschullehrer, also kein Rechtsanwalt ist, seinen Anspruch entsprechend den Gebühren, die ein Rechtsanwalt nach den Bestimmungen der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGO) ersetzt verlangen könnte (Gebühr gem. §§ 84 Abs. 1, 83 Abs. 1 BRAGO: 285,00 DM; Postgebühren gem. § 26 BRAGO: 30,00 DM; Schreibauslagen (Kosten für Kopien) gem. § 27 BRAGO: 46,00 DM).
Das Amtsgericht gab dem Kostenfestsetzungsantrag in vollem Umfang statt, obwohl der Bezirksrevisor - vor der Entscheidung angehört - die Auffassung vertreten hatte, daß die Bestimmungen der BRAGO auf Hochschullehrer unanwendbar seien.
Mit seiner hiergegen form- und fristgerecht eingelegten Erinnerung, die nunmehr als sofortige Beschwerde gilt, nachdem Rechtspfleger und Amtsrichter ihr nicht abgeholfen haben (§§ 21 Ziff. 2, 11 Abs. 1 und 2 RPflG, 104 Abs. 3 ZPO, 19 BRAGO, 464b StPO), vertritt der Bezirksrevisor weiter die Ansicht, daß die Bestimmungen der BRAGO vorliegend unanwendbar seien und dem Verteidiger hier allenfalls 50 bis 70 % der Gebühren zustehen würden, die ein zugelassener Rechtsanwalt aufgrund der BRAGO verlangen könnte.
Das Rechtsmittel ist zulässig, jedoch in der Sache nicht begründet. Der Kostenfestsetzungsantrag des Verteidigers ist weder dem Grunde noch der Höhe nach zu beanstanden. Nach Ansicht der Kammer sind die Gebühren und Auslagen, die ein als Verteidiger tätig gewesener Hochschullehrer geltend macht, in der gleichen Höhe erstattungsfähig, in der ein Rechtsanwalt nach der BRAGO Kostenerstattung verlangen könnte. Ein "Abschlag" (von den Rechtsanwälten zustehenden Gebühren) ist nicht vorzunehmen.
Ausgangspunkt der Überlegungen, nach welchen Kriterien sich der gegenüber dem kostenpflichtigen Beteiligten eines Strafverfahrens festzusetzende Honoraranspruch eines gem. § 138 Abs. 1 StPO als Verteidiger tätig gewesenen Hochschullehrers bemißt, ist die Vorschrift des § 464a Abs. 2 Ziff. 2 StPO. Danach gehören zu den erstattungsfähigen Auslagen eines Beteiligten auch die Gebühren und Auslagen eines Rechtsanwaltes, z.B. des Verteidigers. Unbestritten ist in diesem Zusammenhang, daß aus § 138 Abs. 1 StPO, der bestimmt, daß neben zugelassenen Rechtsanwälten - wie hier - auch Hochschullehrer zu Verteidigern gewählt werden können, folgt, dem Grunde nach seien auch das Honorar und die Auslagert eines verteidigenden Hochschullehrers erstattungsfähig. Hingegen besteht in Literatur und Rechtsprechung keine Einigkeit darüber, nach welchen Kriterien sich in derartigen Fällen die Höhe des Erstattungsanspruchs bemißt. Streitig ist insoweit insbesondere die Frage, ob zur Bestimmung des Erstattungsanspruchs überhaupt die Vorschriften der BRAGO (entweder direkt oder aber zumindest entsprechend) anzuwenden sind (so BVerwG, NJW 1978, 1173 - für den vergleichbaren Fall der §§ 162, 67 Abs. 1 VwGO; LG Lüneburg, NdsRPfl 1970, 24; Hartmann, Kostengesetze 24. Aufl., Anm. 2 Bj zu § 1 BRAGO; Mußgnug, Das Recht der Hochschullehrer zur Liquidation nach der BRAGO, NJW 1989, 2037 [VG München 29.06.1988 - I K 3650/-]/2039; Willms, Die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten durch Rechtslehrer an deutschen Hochschulen, NJW 1987, 1302/1307; Kleinknecht/Meyer, StPO 39. Aufl., Rdnrn. 7 und 11 zu § 464a; Löwe-Rosenberg (Hilger), StPO 24. Aufl., Rdnr. 44 zu § 464a; Karlsruher Kommentar zur StPO, 2. Aufl., Rdnr. 9 zu § 464a), ob zwar von den für Rechtsanwälte geltenden Gebührensätzen auszugehen, jedoch ein - wie auch immer zu berechnender - Abschlag vorzunehmen ist (so VG München, NJW 1989, 314 [VG München 29.06.1988 - 1 K 3650/-] - für §§ 162, 67 Abs. 1 VwGO; Schatte, MDR 1960, 983/985, der 75 % der Gebühren gem. BRAGO für angemessen hält; Herrmann, AnwBl 1987, 500 - Anm. zu LG Gießen, AnwBl 1987, 499 -, der ebenfalls einen Abschlag von 25 % vornehmen will) oder ob der Anspruch völlig losgelöst von den Regelungen der BRAGO festzusetzen ist (so Gerold/Schmidt (Madert), BRAGO 10. Aufl., Rdnr. 4 a.E. zu § 1; LG Gießen, AnwBl 1987, 499, das einem Hochschullehrer regelmäßig höhere Gebühren als einem Rechtsanwalt zubilligen will, wobei die Entscheidung allerdings kein Festsetzungsverfahren betrifft, sondern eine Honorarklage eines - "sich mit den BRAGO-Gebühren nicht begnügen wollenden" - Hochschullehrers gegen seinen Mandanten).
Die Kammer leitet ihre oben skizzierte Auffassung aus folgendem her:
Es trifft auch nach Ansicht der Kammer zu, daß sich der Honoraranspruch eines Hochschullehrers für seine Tätigkeit als Strafverteidiger nicht unmittelbar aus der BRAGO ergibt. Denn beamtete Hochschullehrer dürfen gem. § 7 Ziff. 11 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) nicht als Rechtsanwälte zugelassen werden, so daß nach dem eindeutigen Wortlaut des § 1 Abs. 1 die BRAGO auf Hochschullehrer - jedenfalls direkt - unanwendbar bleiben muß. Auch aus Artikel IX § 1 Abs. 1 des KostÄndG kann eine direkte Anwendbarkeit der BRAGO nicht hergeleitet werden, da Hochschullehrer mit der aus § 133 Abs. 1 StPO folgenden Befugnis, im Strafprozeß verteidigen zu dürfen, nicht die formale Stellung und Befugnis der in diesem Gesetz aufgeführten Berufsgruppen (z.B. Rechtsbeistände) zur geschäftsmäßigen Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten erhalten (vgl. LG Gießen, a.a.O.; Mußgnug, a.a.O.). Weiterhin stehen einer direkten Anwendung der §§ 464a Abs. 2 Ziff. 2 StPO i.V.m. den Gebührentatbeständen der BRAGO - einem Regelungstatbestand zu Lasten des Kostenpflichtigen im Strafprozeß - im Wege einer entsprechenden durch Auslegung herbeigeführten Ausdehnung dieser Vorschriften somit möglicherweise (auch) verfassungsrechtliche Bedenken (Vorbehalt des Gesetzes, Rechtsstaatsprinzip) entgegen (vgl. VG München, a.a.O.).
Andererseits folgt aus dieser Ausgangslage nach Ansicht der Kammer nicht, daß die Bestimmungen der BRAGO für die Bemessung des erstattungsfähigen Honorars eines Hochschullehrers insgesamt unberücksichtigt zu bleiben haben. Die Kammer vertritt insoweit bei auftretenden Zweifelsfragen im Rahmen von Kostenentscheidungen regelmäßig den Grundsatz, daß das Kostenrecht dem Verfahrensrecht zu folgen hat und nicht umgekehrt. Da §§ 464a, 467 Abs. 1, 467a StPO den im Strafverfahren obsiegenden Angeschuldigten von den ihm insoweit entstandenen Kosten freistellen wollen und § 138 Abs. 1 StPO es einem Beschuldigten gerade freistellt, ob er mit seiner Verteidigung einen Rechtsanwalt oder aber einen Hochschullehrer beauftragt, muß das, was ein Hochschullehrer üblicherweise von seinem Mandanten als Honorar verlangen kann, auch im Rahmen der Kostenfestsetzung erstattungsfähig sein. Auszugehen ist dabei allerdings von dem Grundsatz, daß nur Aufwendungen in angemessener Höhe zu erstatten sind, also Gebührenvereinbarungen über das hinaus, was die BRAGO vorsieht, im Kostenfestsetzungsverfahren im Interesse des Kostenpflichtigen nicht zu berücksichtigen sind (vgl. Kleinknecht/Meyer, a.a.O., Rdnr. 11 zu § 464a m.w.N.).
Die Kammer vertritt die Ansicht, daß bei der Frage, welches Honorar im Rahmen des materiellen Anspruchs (§§ 612, 315, 316 BGB) und damit auch bei der Kostenfestsetzung üblich und angemessen ist, der Vorschrift des § 408 Satz 2 Abgabenordnung (AO) besondere Bedeutung zukommt. Diese Vorschrift verweist für die Honoraransprüche von im Steuerstrafverfahren tätigen sog. "Nebenverteidigern" - die nicht Rechtsanwälte sind! - für den Fall, daß für diesen Personenkreis eine gesetzliche Gebührenregelung fehlt, gerade auf die Gebührentatbestände der BRAGO. Daraus folgt, daß der Gesetzgeber offenbar für die in § 408 AO aufgeführten Fälle den "Wert" der Verteidigung durch "Nicht-Rechtsanwälte" ebenso bemessen will, wie die Tätigkeit eines Anwalts. Im Hinblick auf § 408 Satz 2 AO wird daher in den Kommentierungen zur StPO annähernd einhellig die Auffassung vertreten, daß der im Festsetzungsverfahren maßgebliche Gebührenanspruch eines Hochschullehrers mit dem eines Rechtsanwaltes identisch ist (vgl. L-R (Hilger), a.a.O.; KK (Schikora), a.a.O.; K/M, a.a.O.). Dem ist zu folgen, weil Hochschullehrer wegen der Regelung des § 138 Abs. 1 StPO den in § 408 AO aufgeführten Berufsgruppen gleichzustellen sind, zwischen Steuerstraftaten und Verfahren wegen allgemeiner Kriminalität kein prinzipieller Unterschied besteht und kein Grund ersichtlich ist, warum gerade Hochschullehrer gegenüber anderen Verteidigern - was die Honorarfrage anbelangt schlechter gestellt sein sollten. Angesichts dessen hält die Kammer in Fällen wie hier die entsprechende Anwendung der BRAGO für geboten, zumal auch aus Artikel IX § 1 Abs. 1 des KostÄndG immerhin so viel hervorgeht, daß der Gesetzgeber - wie im Falle des § 408 Satz 2 AO - in bestimmten Fällen die Vorschriften der BRAGO entsprechend angewendet wissen will und damit zugleich Durchbrechungen des Prinzips, die BRAGO sei maßgebend nur für Tätigkeiten von Rechtsanwälten, geschaffen hat.
Die Kammer ist entgegen der Ansicht des Bezirksrevisors insoweit ausdrücklich auch der Ansicht, daß ein irgendwie gearteter "Abschlag" von den sich nach der BRAGO ergebenden Gebühren nicht gerechtfertigt ist. Dabei ist den Vertretern dieser Auffassung (s.o.) durchaus zuzugeben, daß ein Rechtsanwalt höhere Unkosten als ein Hochschullehrer haben dürfte (für Kanzleikosten, Personal etc.) und - als selbständig Tätiger - auch Rücklagen für seine Altersversorgung bilden muß. Hieraus kann jedoch die Notwendigkeit eines "Abschlages" nicht abgeleitet werden, ohne daß die Kammer in die unerfreuliche Diskussion eintreten will, ob andererseits die Kostennachteile des niedergelassenen Rechtsanwalts durch "höherwertige Arbeit" des Hochschullehrers aufgewogen werden. Denn die Frage der Kostennachteile betrifft zunächst nur die interne Kostenkalkulation des Anwalts, sagt jedoch nichts darüber aus, welchen Honoraranspruch ein Hochschullehrer üblicherweise gegenüber seinem Mandanten geltend macht. Erst wenn festgestellt werden könnte, daß etwaige Wettbewerbsvorteile der Hochschullehrer dazu führen, daß diese ihre Verteidigertätigkeit "am Markt preisgünstiger anbieten" als Rechtsanwälte, käme ein Abschlag in Betracht. Eine solche Übung läßt sich jedoch ersichtlich nicht feststellen. Es dürfte nach Ansicht der Kammer eher so sein, daß Hochschullehrer - wie z.B. im Bereich der Heilberufe im Verhältnis zwischen einem Hochschullehrer einer Universitätsklinik und einem niedergelassenen Arzt - ein höheres Honorar als Rechtsanwälte verlangen und ihre Mandanten dies auch erwarten (vgl. zu diesem Punkt insbesondere Mußgnug, a.a.O.). Im übrigen wäre die Bemessung eines "Abschlages" unpraktikabel und mangels sicherer Anhaltspunkte auch willkürlich. Die Kammer meint daher, daß die Gebührensätze der BRAGO im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens ungeschmälert auch dem verteidigenden Hochschullehrer zugute kommen müssen.
Da das Rechtsmittel des Bezirksrevisors somit erfolglos bleibt, folgt die Kostenentscheidung aus § 473 Abs. 1 StPO.