Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 14.06.1983, Az.: 2 W 46/83

Erstattungsfähigkeit von Anwaltskosten für die Einreichung eines Schriftsatzes mit dem Antrag auf Zurückweisung einer Berufung; Verwerfung des Rechtsmittels nach fruchtlosem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist; Erfordernis einer Beratung über das richtige und zweckmäßige Verhalten in dem durch Einreichung und Zustellung der Berufungsschrift bereits eingeleiteten zweiten Rechtszug; Überschreitung des Rahmens zweckentsprechender Rechtsverfolgung durch Stellung des auf Zurückweisung der Berufung lautenden Sachantrages

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
14.06.1983
Aktenzeichen
2 W 46/83
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1983, 14854
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:1983:0614.2W46.83.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG ... - 26.01.1983 - AZ: 10 O 358/82

Verfahrensgegenstand

Kaufpreisforderung;

Kostenfestsetzung

Prozessführer

Firma ... Inhaber: K.

Prozessgegner

Herr ...

In dem Rechtssteit
hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... sowie
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
am 14. Juni 1983
beschlossen:

Tenor:

Auf die als sofortige Beschwerde geltende Erinnerung der Klägerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluß des Landgerichts ... vom 26. Januar 1983 in der Fassung des Nichtabhilfebeschlusses vom 15. März 1983 abgeändert.

Der Beklagte hat der Klägerin über die durch den Kostenfestsetzungsbeschluß und den Nichtabhilfebeschluß zuerkannten Beträge hinaus weitere 386,91 DM Kosten nebst 4 % Zinsen seit dem 24. Januar 1983 zu erstatten.

Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Wert des Beschwerdeverfahrens: 386,91 DM.

Gründe

1

Die als sofortige Beschwerde geltende befristete Erinnerung der Klägerin ist zulässig. Das Rechtsmittel hat auch Erfolg. Entgegen der Auffassung des Rechtspflegers und der Zivilkammer des Landgerichts sind auch die der Klägerin in zweiter Instanz entstandenen Kosten (Prozeßgebühr und Nebenkosten des Rechtsanwalts ...) erstattungsfähig.

2

In der kostenrechtlichen Rechtsprechung und Literatur ist umstritten, ob überhaupt, ggf. unter welchen Umständen und in welcher Höhe der Berufungsbeklagte die Erstattung von Anwaltskosten für die Einreichung eines Schriftsatzes mit dem Antrag auf Zurückweisung der Berufung vom Berufungskläger verlangen kann, wenn das Rechtsmittel vor Einreichung der Berufungsbegründung zurückgenommen oder - wie hier - nach fruchtlosem Ablauf der Berufungsbegründungsfrist verworfen wird (zum Streitstand vgl. nur OLG Bamberg JurBüro 1982, 1353; KG JurBüro 1982, 604; Gerold-Schmidt, BRAGO, 7. Aufl. 1981, § 31 Rn 20; Hartmann, Kostengesetze, 20. Aufl. 1981, § 31 BRAGO Anm. 2 F). Diese Streitfrage ist entgegen der Auffassung der Klägerin auch durch den Bundesgerichtshof bislang nicht entschieden worden. Die von der Klägerin als Belegstelle angeführte Entscheidung NJW 70, 99 betrifft lediglich die Frage der Entstehung der vollen Prozeßgebühr im Verhältnis zwischen Prozeßbevollmächtigtem des Berufungsbeklagten und diesem selbst, nicht aber das hier maßgebliche Problem der Erstattungsfähigkeit dieser Gebühr im Verhältnis der Parteien. Das in Versicherungsrecht 197, 194 veröffentlichte Urteil des BGH befaßt sich in einem eher nur beiläufigen Satz mit der Erstattungsfähigkeit von Kosten des Berufungsbeklagten überhaupt. Der Beschluß des BGH JurBüro 1982, 52 = FamRZ 1982, 58 gibt schließlich für die hier in Rede stehende Frage aus zwei Gründen ebenfalls nichts her. Er betrifft zum einen das Sonderproblem, wann dem Rechtsmittel (Revisions-)Beklagten Prozeßkostenhilfe unter Beiordnung eines Rechtsanwalts zu bewilligen ist. Zum anderen ist zu berücksichtigen, daß sich das Revisionsverfahren von dem als zweite Tatsacheninstanz ausgestalteten Berufungsverfahren inhaltlich unterscheidet.

3

Die aufgeworfene, höchstrichterlich demnach noch nicht entschiedene Streitfrage ist nach Auffassung des Senats im vorliegenden Fall anders zu lösen, als dies Rechtspfleger und Zivilkammer getan haben. Auszugehen ist davon, daß der Beklagte mit der von ihm veranlaßten Einreichung einer mit Vorbehalten und Zusätzen ("nur zur Fristwahrung" oder dgl.) nicht versehenen Berufungsschrift seine unmißverständliche Absicht zu erkennen gegeben hatte, sich mit dem erstinstanzlichen Urteil nicht zufrieden geben zu wollen. Unter diesen Umständen lag es aber im Rahmen zweckentsprechender Rechtsverfolgung, wenn die Klägerin auch ihrerseits einen beim Berufungsgericht zugelassenen Rechtsanwalt mit der weiteren Warnung ihrer Interessen beauftragte. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang zum einen, daß der dem erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten erteilte Auftrag der Klägerin lediglich noch die mit der Prozeßgebühr der unteren Instanz abgegoltene Inempfangnahme der Rechtsmittelschrift deckte (vgl. § 37 Nr. 7 BRAGO), nicht aber mehr die Beratung über das richtige und zweckmäßige Verhalten in dem durch Einreichung und Zustellung der Berufungsschrift bereits eingeleiteten zweiten Rechtszug umfaßte. Auf eine derartige Beratung sind in der Regel prozeßunerfahrene und nicht rechtskundige Parteien indes im allgemeinen angewiesen. Dies gilt umso mehr, als ein bei dem Berufungsgericht zugelassener Rechtsanwalt aus der Distanz eines mit der Sache bislang nicht befaßten Beurteilers ... eher in der Lage ist zu erkennen, ob das angefochtene Urteil aus zweitinstanzlicher Sicht "Schwachstellen" aufweist, die eine nicht nur (auf die Berufungsbegründung) reagierende, sondern aktive und möglicherweise zeitaufwendige weitere Vorbereitung auch des Berufungsbeklagten angezeigt erscheinen lassen. Von daher und unter abschließender Berücksichtigung der von Gerichten jedenfalls teilweise gesetzten nur kurzen Fristen würde es in der Tat dem Grundsatz der Waffengleichheit verletzen, wollte man von dem Berufungsbeklagten verlangen, mit seinen Vorbereitungen abzuwarten, bis nach Vorliegen der Berufungsbegründung feststeht, daß das Rechtsmittel tatsächlich durchgeführt werden soll (KG JurBüro 1982, 604, 605). Der Klägerin kann es mithin kostenrechtlich nicht zum Nachteil gereichen, daß sie frühzeitig den bei dem Oberlandesgericht zugelassenen Rechtsanwalt ... überhaupt beauftragt hat. Daß dieser die Mandatsübernahme bei dem Oberlandesgericht anzeigte, war ebenfalls sachdienlich, schon um zu gewährleisten, daß Zustellungen ihn unmittelbar und nicht auf dem (im vorliegenden Fall wegen des Sozietätsverhältnisses allerdings nur denkbar kurzen) Umweg über den erstinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin erreichten. Damit aber ist die Auffassung gerechtfertigt, daß die Prozeßgebühr des Rechtsanwalts ... zumindest zur Hälfte erstattungsfähig ist (vgl. § 32 Abs. 1 BRAGO). Ergänzend stellt sich sonach nur noch die Frage, ob es den Rahmen zweckentsprechender Rechtsverfolgung überschritt, daß Rechtsanwalt ... es nicht bei einer bloßen Anzeige der Mandatsübernahme hat bewenden lassen, sondern durch Stellung des auf Zurückweisung der Berufung lautenden Sachantrages die volle Prozeßgebühr auslöste. Diese Frage ist unter den gegebenen Umständen zu verneinen. Denn jedenfalls dann, wenn der Berufungskläger wie hier ohne jeden einschränkenden Zusatz Berufung eingelegt hat, ist es nicht Sache des Rechtsmittelbeklagten, seinerseits Mutmaßungen über die wirklichen Absichten seines Prozeßgegners anzustellen und gegenüber demjenigen, der sich mit seinem Unterliegen in erster Instanz offenbar nicht abfinden will, besondere (kostenrechtliche) Fürsorge walten zu lassen. Der Berufungsbeklagte darf vielmehr, ohne einen kostenrechtlichen Nachteil befürchten zu müssen, seinen zweitinstanzlichen Prozeßbevollmächtigten zur Stellung des Antrags auf Zurückweisung der Berufung veranlassen, um auch seinerseits anzuzeigen, daß er ebenso wie der Berufungskläger uneingeschränkt zu weiterer Rechtsverfolgung bereit und willens ist. Auf die von dem Landgericht am Ende des Nichtabhilfebeschlusses angestellten Erwägungen kann es hierbei nicht ankommen. Aus den genannten Gründen hat der Beklagte der Klägerin die dieser durch die Einschaltung des Rechtsanwalts ... entstandenen Kosten in vollem Umfang zu erstatten. Diese Kosten waren "notwendig" im Sinne des § 91 Abs. 1 ZPO.

4

Zur Kostenentscheidung vgl. § 1 GKG i.V. mit Nr. 1181 der Anlage 1 zu § 11 Abs. 1 GKG (Kostenverzeichnis) und § 91 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Wert des Beschwerdeverfahrens: 386,91 DM.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens entspricht dem Betrag der Kosten, deren weitere Festsetzung die Klägerin nach der Teil-Erinnerung durch die Zivilkammer des Landgerichts noch begehrt hat.