Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 17.10.1975, Az.: VII OVG A 149/75

Untersagung der Fortführung eines Autohandelsgeschäftes und einer Kraftfahrzeugreparaturwerkstatt; Einstellung des Betriebes bei einem stehenden Gewerbe ohne besondere Genehmigung; Erlaubnis bei persönlicher Zuverlässigkeit für die selbständige Berufsausübung ; Gewinnerzielungsabsicht bei Ergänzungs- und Zubehöreinzelhandel; Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens bei Eintragung in der Handwerksrolle

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
17.10.1975
Aktenzeichen
VII OVG A 149/75
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1975, 11768
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1975:1017.VII.OVG.A149.75.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 26.02.1975 - AZ: I A 20/74

Verfahrensgegenstand

Einstellung eines Gewerbebetriebes

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Unerheblich ist bei der Genehmigung nach § 3 Abs. 1 des Gesetzes über die Berufsausübung im Einzelhandelt, wenn der Handel mit Kraftfahrzeugen neben der Reparatur von solchen nur einen Teil der geschäftlichen Betätigung darstellt. Grundsätzlich unterliegt jede Umsatztätigkeit, die die Begriffsmerkmale des § 1 Einzelhandelsgesetz erfüllt, mag sie Hauptgegenstand der geschäftlichen Tätigkeit sein oder nicht, der Erlaubnispflicht, wenn sie nur gewerbsmäßig, d. h. selbständig und gleichmäßig fortgesetzt auf Gewinnerzielung gerichtet erfolgt.

  2. 3.

    Die Bindung einer Betätigung im Einzelhandel mit Waren aller Art an eine besondere Erlaubnis verstösst nicht, soweit für die Erteilung der Erlaubnis in § 3 Abs. 2 Nr. 2 Einzelhandelsgesetz an die persönliche Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden angeknüpft wird, gegen Art. 12 Abs. 1 GG.

  3. 4.

    Die Regelung des § 16 Abs. 3 HwO, die der Behörde trotz rechtswidriger Betätigung des Gewerbetreibenden noch einen Ermessenspielraum belässt, ist mit dem Rechtsstaatsgebot, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, vereinbar.

  4. 5.

    In der Regel erscheint es zwar sachgerecht, die Fortführung eines rechtswidrig eröffneten Handwerksbetriebes zu untersagen. Es können jedoch besondere Umstände vorliegen, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, die Untersagung zu unterlassen oder zurückzustellen.

  5. 6.

    Solche Umstände können darin gesehen werden, dass der Betroffene zwar die Voraussetzungen für die Eintragung in die Handwerksrolle erfüllt, die Eintragung aus anderen, insbesondere von dem Betroffenen ist, oder dass der Betroffene zwar die materiellen Voraussetzungen nicht erfüllt, mit ihrer Erfüllung aber in nächster Zeit gerechnet werden kann. Auch die Tatsache, daß der Gewerbetreibende vor wesentlichen Schäden und Verlusten dadurch bewahrt werden kann, dass ihm Gelegenheit gegeben wird, die mit der Betriebsaufgabe notwendigen Geschäfte zunächst abzuwickeln, kann Anlaß sein, von einer sofortigen Untersagung Abstand zu nehmen.

In der Verwaltungsrechtssache
hat der VII. Senat des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg
auf die mündliche Verhandlung vom 17. September 1975
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. Klein,
den Richter am Verwaltungsgericht Schlukat sowie
die ehrenamtlichen Richter Schmidt und Dr. Struve
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten und der Beigeladenen wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - I. Kammer Hildesheim - vom 26. Februar 1975 geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen eine Verfügung der Beklagten, mit der ihr die Fortführung eines Autohandelsgeschäftes und einer Kraftfahrzeugreparaturwerkstatt in ..., Straße ..., untersagt worden ist.

2

Diesen Betrieb hatte sie von einer Firma ... übernommen - nach ihren Angaben am 1. August 1972 -, nachdem eine Betriebsübernahme durch ihren als Geschäftsführer bei der Firma ... tätigen Ehemann gescheitert war. Letzterem war nämlich am 23. November 1972 durch die Stadt ..., seiner für die Erteilung der Einzelhandelserlaubnis zuständigen Wohngemeinde, diese Erlaubnis unanfechtbar versagt worden, weil er in den Jahren 1964 bis 1972 wegen einfachen und schweren Diebstahls, Hehlerei, Urkundenfälschung und Körperverletzung hatte bestraft werden müssen und weil zur Zeit seiner Geschäftsführung bei der Firma ... mehrfach bei der Zulassung gebrauchter Kraftfahrzeuge Unstimmigkeiten hinsichtlich der Fahrgestellnummern und ein Mißbrauch des roten amtlichen Kennzeichens festgestellt worden war. Am 8. November 1972 suchte die Klägerin bei der Beigeladenen wegen der Kraftfahrzeugreparaturwerkstatt um die Eintragung in die Handwerksrolle nach. Ferner zeigte sie am 13. Dezember 1972 der Beklagten an, daß sie nunmehr den Betrieb übernommen habe. Unter dem 9. November 1972 teilte die Beigeladene der Klägerin mit, daß die Eintragung in die Handwerksrolle als Nebenbetrieb u.a. davon abhänge, daß sie die Führung eines ordnungsgemäßen Hauptbetriebes (Autohandelsgeschäft) nachweise. Ferner bat die Beigeladene am 28. Dezember 1972 die Beklagte, der Klägerin die Fortführung der Reparaturwerkstatt zu untersagen.

3

Nachdem die Stadt ... mit Bescheid vom 7. Februar 1973 die Erteilung der Einzelhandelserlaubnis an die Klägerin wegen zu erwartender Einflußnahme ihres unzuverlässigen Ehemannes auf die Geschäftsführung abgelehnt hatte, untersagte die Beklagte der Klägerin durch Verfügung vom 14. Februar 1973 die Fortführung des Autohandelsgeschäftes und den weiteren Betrieb der Reparaturwerkstatt wegen fehlender Einzelhandelserlaubnis bzw. wegen fehlender Eintragung in die Handwerksrolle.

4

Gegen die Versagung der Einzelhandelserlaubnis beschritt die Klägerin nach erfolglosem Widerspruch den Verwaltungsrechtsweg.

5

Ferner legte sie gegen die Verfügung der Beklagten vom 14. Februar 1973 Widerspruch ein und machte im wesentlichen geltend, daß die Versagung der Einzelhandelserlaubnis und die Weigerung, sie in die Handwerksrolle einzutragen, rechtswidrig seien. Den Widerspruch wies der Regierungspräsident in ... am 1. August 1973 zurück und führte zur Begründung u.a. aus: Die Fortführung des Autohandelsgeschäftes und der Reparaturwerkstatt seien ohne Einzelhandelserlaubnis bzw. ohne Eintragung in die Handwerksrolle rechtswidrig. Dies rechtfertige die Untersagung. Es sei nicht zu erwarten, daß der von der Klägerin gegen die Versagung der Einzelhandelserlaubnis erhobenen Klage Erfolg beschieden sein werde. Da damit auch eine Eintragung in die Handwerksrolle ausscheide, könne die Entscheidung der Beklagten weder aufgehoben noch die Entscheidung über den Widerspruch weiter hinausgeschoben werden. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sei gewahrt. Andere Mittel, das Interesse der Öffentlichkeit an der ordnungsgemäßen Führung von Gewerbebetrieben zu wahren, hätten nicht zur Verfügung gestanden.

6

Dagegen hat die Klägerin rechtzeitig Klage erhoben und vorgetragen: Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, ihr die Fortführung des Autohandelgeschäftes und der Reparaturwerkstatt zu untersagen. Dies habe vielmehr in ihrem Ermessen gestanden. Von ihrem Ermessen habe sie jedoch keinen sachgerechten Gebrauch gemacht. Sie habe nicht berücksichtigt, daß sie, die Klägerin, kein Verschulden daran treffe, daß ihr die Einzelhandelserlaubnis nicht rechtzeitig erteilt worden sei. Die Schließung des Betriebes sei für sie mit einem irreparablen Schaden verbunden. Sie habe einen langfristigen Pachtvertrag bei einer monatlichen Pacht von 1.300,- DM geschlossen und zur Anschaffung von Maschinen Investitionen von rund 200.000,- DM gemacht. Es treffe auch nicht zu, daß ihr Ehemann Einfluß auf die Betriebsführung nehme. Dies liege vielmehr ausschließlich in ihren Händen. Sie befinde sich den ganzen Tag auf dem Betriebsgelände und führe alle Besprechungen mit Kunden, Geschäftspartnern und Behörden.

7

Die Klägerin hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 14. Februar 1973 und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidenten in ... vom 1. August 1973 aufzuheben.

8

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

9

Sie hat geltend gemacht: Leiter des Betriebs sei der Ehemann der Klägerin. Die Klägerin sei als ehemalige Krankenschwester fachlich zur Leitung des Betriebes gar nicht befähigt. Der Ehemann habe inzwischen wegen Hehlerei, begangen im Betriebe der Klägerin, bestraft werden müssen. Auch fehle es entgegen den Behauptungen der Klägerin an einem verantwortlichen Meister für die Reparaturwerkstatt. Das private Interesse der Klägerin, entgegen den Vorschriften der Gewerbeordnung und der Handwerksordnung ihren Lebensunterhalt mit dem Betrieb des Autohandelsgeschäftes und der Reparaturwerkstatt verdienen zu können, sei nicht schützenswert.

10

Die beigeladene Handwerkskammer hat sich dem Antrag der Beklagten angeschlossen:

11

Durch Urteil vom 26. Februar 1975 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben. Maßgeblich für seine Entscheidung waren folgende Erwägungen: Weder die Beklagte noch der Regierungspräsident in ... hätten von dem ihnen nach § 15 Abs. 2 Gewerbeordnung (GewO), § 16 Abs. 3 Handwerksordnung (HwO) eingeräumten Ermessen Gebrauch gemacht. Die Beklagte habe die angefochtene Untersagung nur deshalb verfügt, weil keine Einzelhandelserlaubnis vorgelegen habe und keine Eintragung in die Handwerksrolle erfolgt sei. Aus denselben Gründen habe der Regierungspräsident in ... die Verfügung der Beklagten bestätigt. Beide Behörden hätten verkannt, daß die Untersagung trotz fehlender Einzelhandelserlaubnis und trotz fehlender Eintragung in die Handwerksrolle in ihrem Ermessen gestanden habe. Es sei nicht erkennbar, daß sie das "Für und Wider" einer Betriebsuntersagung gegeneinander abgewogen hätten. Daß zu einer derartigen Abwägung Anlaß bestanden habe, ergebe sich schon daraus, daß die Beklagte im Verfahren auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes ohne weiteres von der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Verfügung Abstand genommen habe.

12

Gegen dieses der Beklagten am 25. März 1975 und der Beigeladenen am 26. März 1975 zugestellte Urteil haben diese am 24. bzw. 25. April 1975 Berufung eingelegt.

13

Durch rechtskräftiges Urteil vom 15. Juni 1975 - IV A 1042/74 - hat das Oberverwaltungsgericht Münster festgestellt, daß die Versagung der Einzelhandelserlaubnis durch die Stadt ... wegen zu erwartender Einflußnahme des unzuverlässigen Ehemannes der Klägerin auf die Betriebsführung rechtmäßig war.

14

Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Beklagte vor: Zu Unrecht habe das Verwaltungsgericht angenommen, sie und der Regierungspräsident in ... hätten nicht von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht. Im vorliegenden Falle habe kein Anlaß bestanden, besondere Erwägungen über das "Für und Wider" der Betriebsuntersagung anzustellen. Auch das Gericht habe nicht sagen können, welche Erwägungen hätten angestellt werden müssen. Hier sei die Untersagung der Fortführung die einzige richtige Maßnahme gewesen. Grundsätzlich dürfe niemand ein erlaubnispflichtiges Gewerbe vor Erteilung der Erlaubnis und ein Handwerk vor Eintragung in die Handwerksrolle beginnen. Deshalb müßten schon besondere Umstände vorliegen, im Einzelfall ein Einschreiten gegen einen ohne Erlaubnis begonnenen Betrieb ermessensmißbräuchlich erscheinen zu lassen. Solche Umstände seien hier nicht erkennbar gewesen. Die Vermutung des Verwaltungsgerichts, die Tatsache, daß sie der Aussetzung der sofortigen Vollziehung zugestimmt habe, spreche für das Vorliegen solcher Umstände, gehe fehl. Daß die Klägerin trotz Versagung der Einzelhandelserlaubnis und trotz angeordneter Schließung zahlreiche Investitionen vorgenommen habe, falle in ihren Risikobereich und sei von ihr zu vertreten.

15

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und die Klage abzuweisen.

16

Die Beigeladene schließt sich dem Antrag und den Ausführungen der Beklagten an und trägt weiter vor: Die Beklagte habe ihr Ermessen hinreichend dadurch ausgeübt, daß sie vor Erlaß der Untersagungsverfügung geprüft habe, ob die Klägerin die Einzelhandelserlaubnis erhalten werde. Im übrigen habe das Verwaltungsgericht unberücksichtigt gelassen, daß die Beklagte verpflichtet gewesen sei, die Fortführung der Reparaturwerkstatt zu untersagen, nachdem sie, die Beigeladene, dies beantragt gehabt habe. Für einen Ermessensspielraum sei in einem solchen Fall kein Raum. Eine inzwischen durchgeführte Überprüfung habe ergeben, daß die Betriebsführung durch die Klägerin Anlaß zu Beanstandungen gebe. Die Klägerin führe kein Preisverzeichnis über die wesentlichen Arbeitsleistungen und zeichne die zum Verkauf angebotenen Kraftfahrzeuge nicht mit Preisen aus. Sowohl gegen die Klägerin als auch deren Ehemann seien mehrfach Haftanordnungen wegen Nichtabgabe "Eidesstattlicher Versicherungen" nach § 807 ZPO ausgesprochen und von der ... Bank sei ein Konkursverfahren eingeleitet worden.

17

Die Klägerin beantragt,

die Berufungen zurückzuweisen.

18

Sie wiederholt ihr Vorbringen aus erster Instanz, beruft sich auf die Gründe des verwaltungsgerichtlichen Urteils und macht weiter geltend: Ihr Ehemann werde nunmehr endgültig aus dem Betrieb ausscheiden. Der Betrieb sei wirtschaftlich gesund. Die Forderungen, die Gegenstand von Zwangsvollstreckungsverfahren gewesen seien, habe sie beglichen. Mit der ... Bank habe sie eine beiderseits befriedigende Zahlungsvereinbarung treffen können.

19

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze und wegen des Sachverhalts im übrigen auf die Gerichtsakten Bezug genommen. Die Verwaltungsvorgänge der Beklagten, der Beigeladenen und des Regierungspräsidenten in ... lagen dem Senat vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

20

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist begründet.

21

Rechtsgrundlage der verfügten Einstellung des Kraftfahrzeughandelsbetriebes ist § 15 Abs. 2 GewO und der angeordneten Untersagung, die Reparaturwerkstatt fortzuführen, § 16 Abs. 3 HwO in der seit dem 28. Dezember 1965 geltenden Fassung (BGBl 1966 I S. 1).

22

I.

Nach § 15 Abs. 2 GewO kann die Fortsetzung eines Betriebes polizeilich verhindert werden, wenn ein Gewerbe, zu dessen Beginn eine besondere Genehmigung erforderlich ist, ohne diese Genehmigung begonnen wird.

23

Zum Beginn eines Kraftfahrzeughandels ist eine Genehmigung nach § 3 Abs. 1 des Gesetzes über die Berufsausübung im Einzelhandel vom 5. August 1957 (BGBl I S. 1121) - EHG - erforderlich. Danach bedarf der Erlaubnis, wer Einzelhandel im Sinne dieses Gesetzes betreiben will. Einzelhandel betreibt nach § 1 Abs. 1 EHG, wer gewerbsmäßig Waren anschafft und sie unverändert oder nach im Einzelfall üblicher Be- oder Verarbeitung in einer oder mehreren offen Verkaufsstellen zum Verkauf an jedermann feilhält. Darunter fällt auch der Handel mit Kraftfahrzeugen. Unerheblich ist, daß für die Klägerin der Handel mit Kraftfahrzeugen neben der Reparatur von solchen nur einen Teil ihrer geschäftlichen Betätigung darstellt. Grundsätzlich unterliegt jede Umsatztätigkeit, die die Begriffsmerkmale des § 1 EHG erfüllt, mag sie Hauptgegenstand der geschäftlichen Tätigkeit sein oder nicht, der Erlaubnispflicht nach § 3 EHG, wenn sie nur gewerbsmäßig, d.h. selbständig und gleichmäßig fortgesetzt auf Gewinnerzielung gerichtet erfolgt (Britsch-Rosenberger-Hauss, Berufsausübung im Einzelhandel, Komm. 1961 Anm. 1 e zu § 1). Allerdings trifft die Erlaubnispflicht nicht den sogenannten Ergänzungs- und Zubehörhandel. Dieser ist nach § 7 EHG von der Erlaubnispflicht ausgenommen. Den Bedenken, die dagegen sprechen, daß der Handel mit Kraftfahrzeugen Ergänzungs- und Zubehörhandel zum Betrieb der Kraftfahrzeugreparaturwerkstatt ist, braucht nicht weiter nachgegangen zu werden. Ein erlaubnisfreier Ergänzungs- und Zubehörhandel liegt nach § 7 EHG nur vor, wenn das Hauptgewerbe befugt betrieben wird. Daran fehle es hier. Zum Betrieb der Kraftfahrzeugreparaturwerkstatt ist die Klägerin, wie noch ausgeführt wird, nicht berechtigt.

24

Die Bindung einer Betätigung im Einzelhandel mit Waren aller Art an eine besondere Erlaubnis verstößt auch nicht, soweit für die Erteilung der Erlaubnis in § 3 Abs. 2 Nr. 2 EHG an die persönliche Zuverlässigkeit des Gewerbetreibenden angeknüpft wird, gegen Art. 12 Abs. 1 GG (BVerwG, Urteil vom 17.1.1972 - BVerfGE 39, 247 ff [BVerfG 08.04.1975 - 2 BvR 207/75]). Die Klägerin hat den Einzelhandel mit Kraftfahrzeugen ohne die nach § 3 EHG erforderliche Erlaubnis begonnen und ist auch bis heute nicht im Besitz dieser Erlaubnis.

25

II.

Gemäß § 16 Abs. 3 Satz 1 HwO kann die zuständige Behörde von Amts wegen oder auf Antrag der Handwerkskammer die Fortsetzung des Betriebes untersagen, wenn der selbständige Betrieb eines Handwerks als stehendes Gewerbe entgegen den Vorschriften der Handwerksordnung ausgeübt wird.

26

Der selbständige Betrieb eines Handwerks als stehendes Gewerbe ist nach § 1 Abs. 1 Satz 1 HwO nur den in der Handwerksrolle eingetragenen natürlichen und juristischen Personen und Personengesellschaften (selbständige Handwerker) gestattet. Die Kraftfahrzeugreparaturwerkstatt der Klägerin ist ein Handwerksbetrieb. Ein solcher ist gegeben, wenn er handwerksmäßig betrieben wird und vollständig oder in wesentlichen Tätigkeiten ein Gewerbe umfaßt, das in der Anlage A zu der Handwerksordnung aufgeführt wird. Das Gewerbe des Kraftfahrzeugmechanikers ist unter Ziffer 26 dieser Anlage aufgeführt. Es wird auch handwerksmäßig betrieben. Da nach den Angaben der Klägerin nicht nur sie, sondern noch weitere Personen, u.a. ein Meister, in dem Betrieb beschäftigt sind, ist die Tätigkeit in der Reparaturwerkstatt auch nicht nur unerheblichen Umfangs (§ 3 Abs. 1, § 2 HwO). Da die Klägerin bis heute nicht in die Handwerksrolle eingetragen ist, übt sie den selbständigen Betrieb eines Handwerkes entgegen den Vorschriften der Handwerksordnung aus.

27

III.

Sowohl § 15 Abs. 2 GewO als auch § 16 Abs. 3 HwO verpflichtet die Behörde nicht, gegen einen gewerbetreibenden, der einen Betrieb ohne die erforderliche Erlaubnis bzw. ohne die erforderliche Eintragung in die Handwerksrolle führt, einzuschreiten. Die Untersagung steht vielmehr im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde.

28

Der entgegenstehenden Ansicht der Beigeladenen, die im übrigen auch vom VGH Kassel (Urt. v. 18.1.1972 - DVBl 1972, 855) vertreten wird, daß §§ 16 Abs. 3 Satz 1 HwO die Behörde zum Einschreiten verpflichte, kann sich der Senat nicht anschließen. Sie steht in Widerspruch zum Wortlaut des Gesetzes. Die Fassung der Vorschrift als "Kann-Bestimmung" läßt hinreichend erkennen, daß der Behörde ein Ermessensspielraum zugestanden werden soll. Demgegenüber eine bindende Verpflichtung zur Betätigung anzunehmen, kann nur dann in Betracht gezogen werden, wenn sich Anhaltspunkte dafür finden lassen, daß die Verwendung des Wortes "Kann" auf einem "Redaktionsversehen" des Gesetzgebers beruht und Sinn und Zweck des Gesetzes sowie das Gebot der Rechtsstaatlichkeit vernünftigerweise nach einer entgegenstehenden Auslegung verlangen.

29

Anhaltspunkte für ein "Redaktionsversehen" des Gesetzgebers sind nicht gegeben. Die Verwendung der "Kann-Bestimmung" kann nicht damit erklärt werden, daß der Gesetzgeber in § 16 Abs. 3 Satz 1 HwO zwei Tatbestände für die Einleitung des Verwaltungsverfahrens, nämlich "von Amts wegen oder auf Antrag der Handwerkskammer", nebeneinander gestellt hat (so VGH Kassel a.a.O.). Das wäre auch bei der Verwendung der Worte "hat" oder "muß" möglich gewesen.

30

Es entspricht dem Sinn und Zweck des Gesetzes und ist mit dem Rechtsstaatsgebot, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, vereinbar, der Behörde trotz rechtswidriger Betätigung des Gewerbetreibenden noch einen Ermessensspielraum zu belassen. In der Regel erscheint es zwar sachgerecht, die Fortführung eines rechtswidrig eröffneten Handwerksbetriebes zu untersagen. Es können jedoch besondere Umstände vorliegen, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, die Untersagung zu unterlassen oder zurückzustellen. Solche Umstände können darin gesehen werden, daß der Betroffene zwar die Voraussetzungen für die Eintragung in die Handwerksrolle erfüllt, die Eintragung aus anderen, insbesondere von dem Betroffenen ist, oder daß der Betroffene zwar die materiellen Voraussetzungen nicht erfüllt, mit ihrer Erfüllung aber in nächster Zeit gerechnet werden kann. Auch die Tatsache, daß der Gewerbetreibende vor wesentlichen Schäden und Verlusten dadurch bewahrt werden kann, daß ihm Gelegenheit gegeben wird, die mit der Betriebsaufgabe notwendigen Geschäfte zunächst abzuwickeln, kann Anlaß sein, von einer sofortigen Untersagung Abstand zu nehmen (Fuhr, Komm. zur Gewerbeordnung, Anm. 7 b zu § 15; Landmann-Rohmer-Eyermann-Fröhler, Komm. zur Gewerbeordnung, Rdn. 11, 12 zu § 15; Fröhler, Das Berufungsrecht der Handwerksordnung, 1971 S. 99; Schultze-Schäffer, Die Unterbindung der unerlaubten Gewerbetätigkeit, DVBl 1961, 202 ff: VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 7.11.1973 - GewA 1974, 120 [122]; Beschl. d. OVG Lüneburg vom 4.7.1967 - GewA 1967, 236). Eine Anwendung dieser Grundsätze gefährdet das Handwerk weder in seinem Bestand noch in seiner Ordnung.

31

Dem steht nicht entgegen, daß der Gesetzgeber der Handwerkskammer in § 16 Abs. 3 HwO für den Fall, daß die zuständige Behörde die Untersagung ablehnt, den Verwaltungsrechtsweg eröffnet hat. Das Interesse der Handwerkskammer ist hinreichend gewahrt, wenn sie auf diesem Wege eine gerichtliche Klärung der Frage herbeiführen kann, ob die Ablehnung auf sachgerechten Erwägungen beruht oder nicht.

32

Hinzu kommt folgendes: Vor Einführung des § 16 Abs. 3 HwO durch das Änderungsgesetz zur Handwerksordnung vom 28. Dezember 1965 wurde zwar von der herrschenden Meinung § 15 Abs. 2 GewO auch auf Handwerksbetriebe für anwendbar gehalten (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.7.1960 - BVerwGE 11, 87 ff. [BVerwG 15.07.1960 - BVerwG VII C 89.60]). Doch war diese Frage nicht unumstritten. Durch die Einführung des § 16 Abs. 3 HwO in der heute geltenden Fassung sollte die bis dahin geltende Rechtslage der Handwerksbetriebe nicht geändert, sondern klargestellt werden, daß die Fortführung von Handwerksbetrieben in gleicher Weise wie die von anderen Gewerbebetrieben untersagt werden kann (vgl. schriftl. Bericht des Ausschusses für Mittelstandsfragen, Bundestagsdrucksache IV/3461 S. 11).

33

§ 16 Abs. 3 Satz 1 HwO räumt somit der Behörde den gleichen Ermessensspielraum ein wie § 15 Abs. 2 GewO (Fuhr a.a.O. Anm. 6 c zu § 15; Siegert-Musielak, Das Recht des Handwerks, Komm. Rdn. 11 zu § 16; Fröhler a.a.O. S. 99; VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 25.3.1970 - GewA 1970, 249; Beschl. d. OVG Lüneburg v. 20.8.1973 - VII OVG B 47/73 -).

34

Die Ermessensentscheidung der für die Untersagung nach Nr. 1.4 und 8.5.1 der Anlage zu § 1 ZustVOGewAr vom 3.5.1971 (Nds. GVBl S. 181) zuständigen Beklagten kann der Senat nur dahin überprüfen, ob sie die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten hat oder von dem Ermessen in einer dem Zweck des Ermessens nicht entsprechende Weise Gebrauch gemacht hat (§ 114 VwGO). Ein Ermessensfehlgebrauch liegt auch im Fall einer Ermessensunterschreitung, d.h. dann vor, wenn von dem Ermessen überhaupt kein Gebrauch gemacht worden ist (Eyermann-Fröhler, Komm. zur VwGO, 6. Aufl. Rdn. 20 zu § 114).

35

Letzteres hat das Verwaltungsgericht zu Unrecht angenommen. Insbesondere der Widerspruchsbescheid läßt erkennen, daß der Entscheidung, ob die Untersagungsverfügung der Beklagten bestätigt werden sollte, eine eingehende Prüfung dahingehend vorangegangen ist, ob die Klägerin mit einem Obsiegen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren auf Erteilung der Einzelhandelserlaubnis und mit der davon nach § 7 Abs. 5 abhängigen Eintragung in die Handwerksrolle hat rechnen können. Das für die Klägerin ungünstige Ergebnis dieser Prüfung, deren Richtigkeit inzwischen durch das rechtskräftige Urteil des OVG Münster vom 13. Juni 1975 bestätigt worden ist, war maßgebend, die angefochtene Verfügung der Beklagten zu bestätigen und die endgültige Entscheidung über die Versagung nicht weiter zurückzustellen. Dies zeigt, daß die Verwaltungsbehörden sich nicht unter Verkennung ihres Ermessensspielraums zur Untersagung allein deshalb verpflichtet gefühlt haben, weil ein Verstoß gegen die §§ 15 Abs. 2 GewO, 16 Abs. 3 HwO vorlag, sondern sich bewußt waren, daß bei Vorliegen besonderer Umstände - hier begründete Aussicht auf Erteilung der Einzelhandelserlaubnis - auch eine für die Klägerin günstige Entscheidung gerechtfertigt sein konnte.

36

Daß die Beklagte zum Erlaß der angefochtenen Verfügung geschritten ist, nachdem sie zum Ergebnis gelangt war, daß der Betrieb des Autohandelsgeschäftes und der Kraftfahrzeugreparaturwerkstatt nicht nur formell, sondern auch materiell rechtswidrig war, ist nicht ermessenswidrig. Die Beklagte war nicht gehalten, weitere Ermessenserwägungen anzustellen. Besondere Umstände, die zu weiteren Ermessenserwägungen und dazu hätten Anlaß geben können, zunächst von einer Untersagung des Betriebes abzusehen, lagen hier nicht vor. Insbesondere kann auf das Vorliegen solcher Umstände nicht deshalb geschlossen werden, weil die Beklagte während des erstinstanzlichen Verfahrens der Aussetzung der sofortigen Vollziehung der angegriffenen Verfügung zugestimmt hat. Auch die Klägerin hat im Vorverfahren besondere Umstände nicht vorgetragen. Zwar hat sie in erster Instanz vorgebracht, das Betriebsgrundstück langfristig angepachtet und nach Übernahme des Betriebes Investitionen erheblichen Umfanges vorgenommen zu haben. Dies ist kein hinreichender Grund, die Fortsetzung des Betriebes weiterhin zu dulden. Es ist nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Behörde nicht bereit ist, den in der nichtgenehmigten Aufnahme eines Gewerbebetriebes liegenden Verstoß gegen die Rechtsordnung nur deshalb hinzunehmen, weil für die Aufnahme des Betriebes umfangreiche Mittel aufgewandt worden sind und die Einstellung des Betriebes mit einem nicht unerheblichen Verlust für den Gewerbetreibenden verbunden ist. Andernfalls hätte es dieser in der Hand, durch den Einsatz erheblicher finanzieller Mittel eine Duldung des nicht genehmigten Gewerbebetriebes zu erzwingen. Das muß zumindest dann gelten, wenn der Gewerbetreibende mit der Erteilung der Erlaubnis so ohne weiteres nicht hat rechnen können. Bei den Verfehlungen des Ehemannes der Klägerin hat diese nicht davon ausgehen können, ihr werde die Einzelhandelserlaubnis ohne weiteres erteilt werden. Sie durfte dieses jedenfalls nicht annehmen, solange sie ihren Ehemann in dem Betrieb beschäftigte.

37

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Sie ist nach § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 7 ZPO vorläufig vollstreckbar.

38

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 VwGO) sind nicht gegeben.

Hennig
Dr. Klein
Schlukat