Amtsgericht Sulingen
Urt. v. 18.05.2010, Az.: 3 C 162/09

Bibliographie

Gericht
AG Sulingen
Datum
18.05.2010
Aktenzeichen
3 C 162/09
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2010, 41512
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGSULIG:2010:0518.3C162.09.0A

In dem Rechtsstreit

...

hat das Amtsgericht Sulingen

auf die mündliche Verhandlung vom 27.04.2010

durch die Richterin am Amtsgericht Hachmann

für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.)

    Die Klage wird abgewiesen.

  2. 2.)

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

  3. 3.)

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 1.400,00 EUR abzuwenden, wenn nicht zuvor der Beklagte Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin beliefert den Beklagten seit Jahren mit Erdgas.

2

Das zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis wurde durch die Gasentnahme seitens des Beklagten ohne Abschluss eines schriftlichen Vertrages begründet.

3

Im vorliegenden Rechtsstreit macht die Klägerin Restforderungen aus ihren Jahresabrechnungen für die Jahre 2004/2005, 2005/2006, 2006/2007 und 2007/2008 (Anlagenkonvolut K 6 zur Klageschrift) geltend.

4

Hierbei berücksichtigt die Klägerin jeweils Preisänderungen, die sie in Anpassung an die Entwicklung des Ölpreises auf dem Weltmarkt ihren Vorlieferanten zahlt. Ihre Abrechnungen erstellte die Klägerin dem Beklagten unter Berücksichtigung des Tarifs "Sondervereinbarung S. I." bzw. "EWE Erdgas Classic". Hierbei wies sie in den Abrechnungen jeweils auf die Geltung der AVBGas bzw. GasGVV hin.

5

Seit dem Jahr 2004 widersprach der Beklagte den jeweiligen Rechnungen der Klägerin und zahlte den Energieverbrauch lediglich ohne Berücksichtigung der jeweiligen Preiserhöhungen.

6

Den hierdurch entstandenen Rückstand berechnet die Klägerin mit 2.053,75 EUR.

7

Die Klägerin meint, sie sei zu den vorgenommenen Preisanpassungen gemäß § 4 Abs. 2 AVBGasV bzw. seit dem 08.11.2006 gemäß der GasGVV berechtigt; diese seit zumindest aufgrund der vertraglichen Einbeziehung durch den jeweiligen Hinweis in den Jahresabrechnungen Vertragsbestandteil geworden, zumal der Beklagte sie bis zum 2005 widerspruchslos hingenommen und weiter Erdgas von der Klägerin bezogen habe.

8

Auf jeden Fall sei der Klägerin - so meint sie - ein Preisanpassungsrecht aus der Anwendung der AVBGasV als dispositives Gesetzesrecht oder im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zuzugestehen.

9

Schließlich sei von einer konkludenten Preisvereinbarung auszugehen, da der Beklagte einzelnen Preisänderungen, die die. Klägerin öffentlich bekannt gemacht und brieflich mitgeteilt hafte, nicht widersprochen habe und gleichzeitig weiter Erdgas bezogen habe. Da der Klägerin die Weiterbelieferung des Beklagten zu dem ursprünglichen Preis nicht zumutbar sei folge ein Preisanpassungsrecht aus den Regeln des faktischen Vertrages.

10

Die Klägerin beantragt,

  1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag von 2.053,75 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.10.2009 zu zahlen.

11

Der Beklagte beantragt,

  1. die Klage abzuweisen.

12

Er rügt unter Hinweis auf § 102 EnWG die Zuständigkeit des Amtsgerichts und meint, der Rechtsstreit falle in die Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen beim Landgericht.

13

Der Beklagte hält im übrigen die Preiserhöhung der Klägerin nicht für wirksam. Dazu verweist er darauf, dass er nicht Tarifkunde sondern Sondervertragskunde und deshalb eine Preisanpassung zu seinen Lasten gemäß § 4 Abs. 2 AVBGas nicht erfolgen könne.

14

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

15

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet.

16

Entgegen der Ansicht des Beklagten ist das Amtsgericht hier für die Entscheidung des Rechtsstreits zuständig. Die Sonderzuständigkeit der Kammer für Handelssachen ist vorliegend nicht durch § 102 EnWG (Energiewirtschaftsgesetz) begründet.

17

Denn die Frage, ob der Klägerin ein einseitiges Preisanpassungsrecht zusteht, ist allein nach den allgemeinen Grundsätzen des Schuldrechts anhand des Tatsachenvortrages der Parteien zu prüfen. Dass die Klägerin sich dabei auf die Regelungen der AVBGasV bzw. GasVVG meint stützen zu können, begründet eine Zuständigkeit nach dem EnWG nicht. Denn auch die Frage der direkten Anwendbarkeit dieser Vorschrift bzw. der vertraglichen Einbeziehung entsprechender Regeln als Allgemeine Geschäfts- bedingung ist nach den allgemeinen schuldrechtlichen Kriterien zu klären. Nach der rechtlich zu würdigenden eigenen Darlegung der Klägerin ist wie unten weiter auszuführen sein wird gerade nicht von einer Anwendbarkeit der AVBGasV auszugehen.

18

Der Anspruch der Klägerin auf Begleichung ihrer restlichen Rechnungsforderungen ist jedoch nicht begründet.

19

Denn die Klägerin hat ihren Anspruch auf Zahlungen der restlichen Beträge aus den streitgegenständlichen Jahresabrechnungen nicht schlüssig dargelegt, da die darin berücksichtigten Preiserhöhungen nicht zu Recht zugrunde gelegt wurden.

20

Diese wurden nach der eigenen Darstellung der Klägerin weder ausdrücklich noch schlüssig zwischen den Parteien vereinbart.

21

Die Klägerin behauptet selbst nicht, dass es sich bei den berechneten Preisen um die ursprünglich vereinbarten Preise handelt.

22

Ein einseitiges Preisanpassungsrecht kann der Klägerin entgegen ihrer hier vertretenen Rechtsansicht nicht zugesprochen werden.

23

Die Regelung in § 4 Abs. 2 AVBGasV rechtfertigt die Preisanpassung vorliegend nicht.

24

Denn bei der Beklagtenseite handelt es sich nicht um einen Tarifkunden, auf den diese Vorschriften anwendbar wären. Die Klägerin hat vielmehr die Beklagtenseite von vornherein nach dem Tarif "Sondervereinbarung S. I." bzw. später "EWE Erdgas Classic" eingestuft. So ergibt es sich aus ihren Abrechnungen.

25

Schon die von der Klägerin gewählte Bezeichnung des Tarifs lässt den Schluss zu, dass es sich hierbei nicht um den im Rahmen der Grundversorgungspflicht anzuwendenden allgemeinen Tarif handelt.

26

Ein Sondervertrag wird auch nicht etwa nur dadurch begründet, dass die Konditionen im einzelnen zwischen dem Kunden und dem Energielieferanten ausgehandelt werden. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass in § 115 EnWG zwischen Verträgen mit "Letztverbrauchern im Rahmen der allgemeinen Vorsorge" und mit "Haushaltskunden außerhalb der allgemeinen Versorgungspflicht" unterschieden wird. Hieraus erhält, dass auch mit Haushaltskunden, obwohl mit ihnen in der Regel standardisierte Tarife vereinbart werden, Sonderverträge geschlossen werden können.

27

Zum anderen ergibt sich aus § 10 NWG, dass der im Rahmen der Versorgungspflicht abzuschließende Grundversorgungsvertrag mit Rücksicht auf den Kontrahierungszwang bis zur Grenze der Unzumutbarkeit besonders hoch kalkuliert sein muss. Damit sind alle über diesen Grundtarif hinausgehenden Tarife als Sondertarife einzustufen (so auch OLG Düsseldorf XVII 2 U (KART) 14/08).

28

Die AVBGasV bzw. GasGVV sind auch nicht als Allgemeine Geschäftsbedingungen der Klägerin wirksam in die vertragliche Beziehung der Parteien einbezogen worden. Insofern hat die Klägerin das Vorliegen der Voraussetzungen des § 305 Abs. 2 BGB, unter denen Allgemeine Geschäftsbedingungen Vertragsbestandteil werden, nicht schlüssig dargelegt.

29

Danach muss der Kunde bei Vertragsschluss auf die Geltung der AGB hingewiesen werden und in zumutbarer Weise von ihnen Kenntnis nehmen können. Diesen Anforderungen genügt es nicht, wenn die Klägerin wie hier auf die AGB erst nach Vertragsschluss in den jeweiligen Abrechnungen hinweist. Dasselbe gilt, soweit bei Aufnahme der Belieferung des Kunden dessen Versorgungsvertrag schlüssig durch Entnahme der Energie zustande kommt, auf die AGB hingewiesen wird. Denn im letzten Fall wäre es möglich gewesen, zunächst einen Tarifkundenvertrag abzuschließen und unter Übersendung der die Preisanpassungsklausel enthaltenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen anschließend einen Sonderkundenvertrag mit wirksamer Einbeziehung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen abzuschließen.

30

Schließlich sind die Regelungen der AVBGasV/GasGVV auf das Vertragsverhältnis der Parteien auch nicht etwa deshalb anzuwenden, weil durch die Unwirksamkeit ihrer Einbeziehung eine Regelungslücke entstanden ist, die gemäß § 306 Abs. 2 BGB mit den Vorschriften der AVBGasV/GasGVV zu schließen wäre.

31

Eine Regelungslücke besteht nicht. Denn die Parteien haben ihrer Vertragsbeziehung einen konkreten Preis zugrunde gelegt. Dass in jedem Fall eine Vereinbarung der Möglichkeit einer einseitigen Preisanpassung gewollt war, kann nicht festgestellt werden.

32

Entgegen der Ansicht der Klägerin kann dieser das beanspruchte Preisanpassungsrecht auch nicht im Rahmen einer ergänzenden Vertragsauslegung zugebilligt werden.

33

Eine solche ist im Interesse der Klägerin, der das Recht zur Kündigung des Liefervertrages zusteht, nicht etwa geboten. Denn der Umstand, dass der streitige Vertrag kein wirksames Preisanpassungsrecht der Klägerin beinhaltet, beruht zum einen auf der vertraglichen Klassifizierung der Beklagtenseite als Sondervertragskunden durch die Klägerin selbst, zum anderen auf der Unfähigkeit der Klägerin, in das vorliegende Rechtsverhältnis die von ihr gewünschten allgemeinen Geschäftsbeziehungen rechtswirksam einzubeziehen. Die aus Sicht der Klägerin bestehende Vertragslücke ist deshalb allein ihrem eigenen Risikobereich zuzurechnen und rechtfertigt eine Schließung im Sinne der Klägerin nicht.

34

Die Klägerin irrt schließlich auch, wenn sie meint, der Beklagte habe einer Preisanpassung konkludent zugestimmt, indem er nach Mitteilung der entsprechenden allgemeinen Geschäftsbedingungen widerspruchslos weiter Gas bezogen habe. Denn auch hier gilt der allgemeine Rechtsgrundsatz, das Schweigen im Rechtsverkehr grundsätzlich keine Willenserklärung darstellt. Ein Einverständnis des Beklagten mit der Einräumung eines einseitigen Preisanpassungsrechts kann deshalb im Weiterbezug von Energie nicht gesehen werden.

35

Mangels wirksamer Preisanpassung kann der Klägerin ein Anspruch auf Zahlung der Restbeträge aus ihren auf die einseitigen Preiserhöhungen gestützten Jahresabrechnungen deshalb nicht zugesprochen werden.

36

Die Klage war mit der Kostenfolge aus § 91 Abs. 1 ZPO abzuweisen.

37

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Hachmann