Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 08.10.1992, Az.: 8 U 81/92
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 08.10.1992
- Aktenzeichen
- 8 U 81/92
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1992, 23361
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:1992:1008.8U81.92.0A
Rechtsgrundlagen
- SGB X § 116
- RVO § 636
- RVO § 637
- RVO § 550
Fundstellen
- NZV 1993, 399-400 (Volltext mit amtl. LS)
- VersR 1994, 332 (Volltext mit red. LS)
- zfs 1994, 86-87 (Volltext)
Amtlicher Leitsatz
Zur Frage, ob die Mitnahme eines Arbeitskollegen im privaten Kfz zu einer auswärtigen Betriebsversammlung haftungsprivilegiert ist.
Gründe
Leistungs- und Feststellungsklage sind begründet; denn die Bekl. zu 1) haftet für die Folgen des durch eine betriebliche Tätigkeit (§ 637 I RVO) verursachten Unfallfolgen, weil sich der Unfall bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr (§ 636 I 1 RVO) ereignete.
Eine Beschränkung der Schadensersatzpflicht der Bekl. zu 1) tritt nicht ein. Zwar wurde der Arbeitsunfall, den Frau H. erlitt, durch eine betriebliche Tätigkeit der Bekl. zu 1) verursacht, er ereignete sich aber bei der Teilnahme am öffentlichen Verkehr i.S. von § 636 I 1 2. Alt. RVO, so daß die Bekl. für den entstandenen Schaden eintreten müssen.
Der Arbeitsunfall wurde durch eine betriebliche Tätigkeit der Bekl. zu 1) verursacht. Eine betriebliche Tätigkeit erfordert zumindest ein im Betriebsinteresse ausgeführtes Handeln (BAG, NJW 1967, 220). Insoweit ist der Begriff der betrieblichen Tätigkeit weit auszulegen (Kolb, in: Geigel, Der Haftpflichtprozeß, 20. Aufl., Kap. 31 Rdnr. 106). Er schließt auch betriebsbezogene und den Betriebsinteressen dienende Tätigkeiten ein (BGH, VersR 1971, 565[BGH 05.03.1971 - V ZR 168/68]). Die Teilnahme an der auswärtigen Betriebsversammlung und damit auch die Fahrt dorthin dienten betrieblichen Interessen, weil die Betriebsversammlung die Möglichkeit eröffnete, betriebliche Probleme zu erörtern und Lösungen auch im Interesse des Betriebes zu suchen. Deshalb gehört auch die Mitnahme von Frau H. durch die Bekl. zur betrieblichen Tätigkeit i.S. von § 637 I RVO.
Eine Haftungsbeschränkung nach § 636 RVO zugunsten der Bekl. zu 1) ist nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift tritt eine Haftung nur dann ein, wenn, was hier nicht der Fall ist, der Arbeitsunfall vorsätzlich herbeigeführt wurde oder wenn er bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr eintritt. Die Frage, ob ein Arbeitsunfall sich bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr ereignete, entscheidet sich danach, ob der Verletzte den Unfall als normaler Verkehrsteilnehmer oder als Betriebsangehöriger erlitt (BGH, NJW 1992, 572 (573) = NZV 1992, 112 [BGH 05.11.1991 - VI ZR 20/91] m.w.Nachw.). Der Begriff der Teilnahme am allgemeinen Verkehr ist der Auffassung des BGH in dem Sinne relativ zu verstehen, daß es darauf ankommt, ob sich der Unfall im Verhältnis zwischen Schädiger und Geschädigtem als innerbetrieblicher Vorgang darstellt (BGH, a.a.O.). Nur wenn der Geschädigte nicht in seinem innerdienstlichen Verhältnis zum Schädiger vom Unfall betroffen wurde, liegt Teilnahme am allgemeinen Verkehr vor. Dabei ist entscheidend, ob sich in dem Unfall das betriebliche Verhältnis zwischen dem Schädiger und dem Geschädigten manifestiert oder ob insoweit zur betrieblichen Beziehung zwischen beiden kein oder nur ein loser Zusammenhang bestand (BGH, a.a.O.).
Eine Teilnahme am allgemeinen Verkehr scheidet aus, wenn die Gemeinsame Fahrt selbst sich als Teil des innerbetrieblichen Organisations- und Funktionsbereichs darstellt, wenn die Fahrt durch Organisation (Werksverkehr, Einsatz eines betriebseigenen Fahrzeuges, Fahrt auf dem Werksgelände) als innerbetrieblicher Vorgang gekennzeichnet ist oder wenn sie durch Anordnung des Arbeitgebers zur betrieblichen Aufgabe erklärt worden ist. Nicht ausreichend ist eine Fahrt, mit der nur die Förderung eines betrieblichen Interesses verbunden ist (BGH, NJW 1992, 572 (573) = NZV 1992, 112 [BGH 05.11.1991 - VI ZR 20/91]).
Die Fahrt, die die Bekl. mit Frau H. ausführte, ist in diesem Sinn nicht durch die betriebliche Organisation geprägt, weil sie sich nicht als Teil des innerbetrieblichen Organisations- und Funktionsbereiches darstellt. Die Fahrt wurde nicht im betriebseigenen Fahrzeug ausgeführt. Eine Anordnung des Arbeitgebers, die Fahrt gemeinsam anzutreten, fehlt ebenfalls. Auch wenn diese Fahrt nur deshalb in einem von der Bekl. gemieteten Fahrzeug stattfand, weil eine sonst vorgesehene Mitfahrt im Fahrzeug des Niederlassungsleiters nicht stattfinden konnte, stellt der bei der Fahrt eingetretene Unfall keinen innerbetrieblichen Vorgang dar, weil zur betrieblichen Beziehung der Unfallbeteiligten nur ein loser Zusammenhang bestand. Daran ändert auch der Umstand nichts, daß, wie die Bekl. darlegen, es sich von selbst verstand, daß die Betriebsangehörigen an der Betriebsversammlung teilnahmen; denn die Förderung eines betrieblichen Interesses rechtfertigt nicht die Feststellung, der Arbeitsunfall habe sich nicht bei der Teilnahme am allgemeinen Verkehr ereignet. Die Fahrt der Versicherten und der Bekl. zu 1) ist ebenso wie die Mitnahme eines Arbeitskollegen als Privatsache anzusehen.
Mangels eines Haftungsausschlusses müssen die Bekl. deshalb der Kl. die geltend gemachten Beträge bezahlen, gegen deren Höhe sie in der Berufungsinstanz nichts vorbringen.