Amtsgericht Nordhorn
Beschl. v. 15.08.2011, Az.: 11 F 168/11 UK

In Verzug geraten i.S.d. § 1613 Abs. 1 BGB bei Aufforderung an den Verfahrensbevollmächtigten eines früheren Verfahrens

Bibliographie

Gericht
AG Nordhorn
Datum
15.08.2011
Aktenzeichen
11 F 168/11 UK
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2011, 37420
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGNOHOR:2011:0815.11F168.11UK.0A

Fundstellen

  • FamRZ 2012, 879-880
  • FuR 2012, 619

Amtlicher Leitsatz

Verzug setzt eine ordnungsgemäße Aufforderung an einen wirksam Bevollmächtigten voraus. Die Aufforderung an den Verfahrensbevollmächtigten eines früheren Verfahrens reicht nicht aus.

Tenor:

  1. 1.

    Der Antrag wird zurückgewiesen.

  2. 2.

    Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.

  3. 3.

    Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird angeordnet.

  4. 4.

    Der Verfahrenswert wird auf 623,00 € festgesetzt.

Gründe

1

Der Antragsteller ist der eheliche Sohn des Antragsgegners. Mit der im Tenor genannten Jugendamtsurkunde verpflichtete sich der Antragsgegner, an den Antragsteller monatlichen Unterhalt in Höhe von 309,00 € zu zahlen. Im Wege der Stufenklage begehrte der Antragsteller zunächst Auskunftserteilung. Nach erteilter Auskunft und Vorlage einer vollstreckbaren Unterhaltsverpflichtungserklärung für die Zeit ab dem 01.02.2011 über monatlich 398,00 € begehrt er nunmehr noch rückständigen Unterhalt für die Monate Juli 2010 bis Januar 2011 in Höhe von 623,00 € (7 x 89,00 €).

2

Hinsichtlich des Auskunftsbegehrens haben die Beteiligten das Verfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt.

3

Der Antragsteller behauptet, der Antragsgegner sei über die Rechtsanwälte W. mit Schreiben vom 22.07.2010 zur Auskunftserteilung aufgefordert worden. Diese hätten auf Grund ihrer früheren Tätigkeit für den Antragsgegner Zustellungsvollmacht auch in dieser Angelegenheit gehabt.

4

Der Antragsteller beantragt,

5

den Antragsgegner zu verpflichten, an den Antragsteller für die Monate Juli 2010 bis einschließlich Januar 2011 Unterhalt in Höhe von insgesamt 623,00 € in Abänderung der vollstreckbaren Unterhaltsverpflichtungserklärung vom 05.07.2004, Urk.-Reg.-Nr. pp. des Landkreises pp., zu zahlen.

6

Der Antragsgegner beantragt,

7

den Antrag zurückzuweisen.

8

Er behauptet, die Rechtsanwälte W. in dieser Angelegenheit nicht mandatiert zu haben. Die frühere Vollmachtserteilung reiche für dieses Verfahren nicht mehr aus.

9

Wegen des Sach- und Streitstandes im Einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

10

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die Vernehmung des Zeugen pp. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 01.08.2011 Bezug genommen.

11

Der Antrag ist unbegründet.

12

Der Antragsteller hat gegen den Antragsgegner keinen Anspruch auf Zahlung rückständigen Unterhalts für die Zeit von Juli 2010 bis Januar 2011 in Höhe von 623,00 €.

13

Gemäß § 1613 Abs. 1 BGB kann Unterhalt für die Vergangenheit nur von dem Zeitpunkt an gefordert werden, zu welchem der Verpflichtete zum Zwecke der Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs aufgefordert war, über seine Einkünfte und sein Vermögen Auskunft zu erteilen oder er in Verzug gekommen war. Dieses kann erst mit der Zustellung des Abänderungsantrages am 18.02.2011 festgestellt werden. Gemäß § 613 Abs. 1 Satz 2 BGB wird der geänderte Unterhalt mithin ab dem 1. Februar 2011 geschuldet.

14

Zwar hat der Antragsteller den Antragsgegner mit Schreiben vom 22.07.2010 über den früheren Prozessbevollmächtigten des Antragsgegners, den Rechtsanwalt P., zur Auskunftserteilung aufgefordert. Es kann allerdings nicht festgestellt werden, dass der Antragsgegner persönlich dieses Schreiben erhalten hat. Der Zugang bei dem früheren Prozessbevollmächtigten reicht insofern nicht aus.

15

Entscheidend ist, ob Rechtsanwalt P. insofern noch Zustellungsvollmacht besaß. Unstreitig hat Rechtsanwalt P. den Antragsgegner im Rahmen der Trennung im Scheidungsverfahren sowie bei der Vermögensauseinandersetzung und im Bereich des Ehegatten- und Kindesunterhalts im Jahre 2004 vertreten. Hinsichtlich des Unterhalts des Antragstellers hat der Antragsgegner seinerzeit die Jugendamtsurkunde erstellen lassen, deren Abänderung nunmehr begehrt wird. Wie der Zeuge pp. nachvollziehbar und glaubhaft bekundete, wurde er seinerzeit umfassend von dem Antragsgegner bevollmächtigt, wie es zudem durch die von dem Zeugen überreichte Vollmachtsurkunde belegt wird. In ihr ist vermerkt, dass sich die Vollmacht auch auf Neben- und Folgeverfahren aller Art erstreckt, wie zum Beispiel Arrest und einstweilige Verfügung oder Vollstreckungs- und Hinterlegungsverfahren. Er war insofern auch berechtigt, Zustellungen entgegen zu nehmen. Der Zeuge pp. war insofern letztmalig etwa Mitte 2006 für den Antragsgegner tätig. Seinerzeit wurde der Antragsgegner über den Zeugen durch den jetzigen Antragstellervertreter aufgefordert, höheren Unterhalt für ein weiteres Kind zu zahlen. Er hat dieses Schreiben dann dem Antragsgegner übersandt mit der Empfehlung, eine entsprechende Jugendamtsurkunde erstellen zu lassen. Dieses hat der Antragsgegner sodann gemacht und dem Zeugen pp. als Beleg eine Kopie davon übersandt, die dieser wiederum dem Antragstellervertreter zuleitete. Seitdem gab es keinerlei Tätigkeiten des Zeugen pp. mehr für den Antragsgegner. Aus diesem Grund legte der Zeuge die bei ihm geführten Akten auch im Jahre 2009 ab. Er sah nach eigenem Bekunden das Mandat als beendet an. Andererseits räumte er aber ein, dass es unter den hiesigen Rechtsanwälten üblich ist, Aufforderungsschreiben an den früheren Bevollmächtigten zu übersenden.

16

Maßgeblich ist mithin, ob die im Jahre 2004 erteilte Zustellungsvollmacht auch noch für das übersandte Schreiben vom 22.07.2010 galt. Unter Abwägung der maßgeblichen Aspekte gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass dies nicht der Fall war. Eine durchschnittlich denkende Person geht bei der Bevollmächtigung eines Rechtsanwaltes davon aus, dass diese Bevollmächtigung mit der Beendigung der Angelegenheit auch endet. Zwar werden Neben- und unmittelbar mit der Angelegenheit zusammen hängende Folgesachen noch von dem Mandatsverhältnis und damit auch von der Vollmacht erfasst sein. Dies gilt aber nicht für neue Verfahren, auch wenn sie - wie beim Unterhaltsverfahren - den gleichen Grundsachverhalt betreffen. Dann müsste ein solcher Mandant nämlich ausdrücklich in jeder neuen Angelegenheit das Mandatsverhältnis erst beenden, um aus ihm herauszukommen. Im Falle des Anschreibens durch den Gegner wäre aber der Anwalt bereits in dieser Sache tätig, was einen Gebührenanspruch auslösen dürfte. Hiermit rechnet aber kein durchschnittlicher Mandant. Er geht vielmehr davon aus, dass die Angelegenheit nach dem Abschluss vollständig beendet ist.

Auch aus Sicht des tätigen Rechtsanwalts in eine entsprechende Wertung geboten. Er wäre nämlich ansonsten zustellungsbevollmächtigt mit der Folge, dass entsprechende Aufforderungsschreiben die Wirkung des § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB auslösen würden. Er hätte dann die Aufgabe, den Mandanten zu unterrichten, was allerdings im Falle eines Umzugs mit erheblichen Problemen verbunden sein könnte. Dieses Risiko kann einem Anwalt aber nicht aufgebürdet werden. Entsprechend erklärte der Zeuge pp. auf Frage des Gerichts auch, dass er in dem Fall, dass der an den Antragsgegner geschickte Brief als unzustellbar zurückgekommen wäre, dem Antragstellervertreter mitgeteilt hätte, dass er den Antragsgegner nicht mehr vertrete. In diesem Fall sollten dann aber auch keinerlei Rechtswirkungen durch seine bisherige Tätigkeit ausgelöst worden sein. Dies wäre aber nur dann nicht der Fall, wenn das frühere Mandatsverhältnis und damit auch die Vollmacht zwischenzeitlich erledigt wären.

18

Schließlich ist zu berücksichtigen, dass bis zu einem erneuten Tätigwerden ein langer Zeitraum von mehreren Jahren vergehen kann und es aus den dargelegten Gründen nicht angemessen erscheint, eine Vollmacht und ein Mandatsverhältnis so lange ohne entsprechende konkrete Absprache bestehen zu lassen.

19

Die im hiesigen Bezirk praktizierte Übung, den früheren Bevollmächtigten anzuschreiben, belegt auch nicht zwingend das Fortbestehen eines Mandatsverhältnisses. Die Vorgehensweise ist pragmatisch, da vielfach der frühere Bevollmächtigte auch in neuen weiteren Verfahren tätig wird. Nach Auffassung des Gerichts bedarf es aber einer erneuten Mandatierung mit einer neuen Vollmachtserteilung, die letztendlich darin zu sehen ist, dass der von dem früheren Bevollmächtigten angeschriebene Mandant diesem antwortet.

20

Da eine entsprechende Rückäußerung des Antragsgegners gegenüber dem Anschreiben des Zeugen pp. nicht vorlag und die ursprünglich erteilte Vollmacht durch Beendigung der Angelegenheit erloschen war, war der Zeuge pp. hinsichtlich des Schreibens vom 22.07.2010 nicht zustellungsbevollmächtigt, sodass keine wirksame Aufforderung gemäß § 1613 Abs. 1 Satz 1 BGB gegeben war.

21

Entgegenstehendes lässt sich auch nicht aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 06.04.2011 - VIII ZR 22/10 - (NJW-RR 2011; 997 f) herleiten. Darin hat es der Bundesgerichtshof zwar für zulässig erklärt, dass eine Zustellung ohne Weiteres an den in der Klageschrift benannten Beklagtenvertreter erfolgen kann. Dadurch werden aber nicht dessen Bevollmächtigung und die Wirksamkeit der Zustellung festgeschrieben. Vielmehr trägt der Kläger das Risiko, dass der vom Kläger benannte Prozessbevollmächtigte keine Prozessvollmacht besitzt und die an diesen bewirkte Zustellung deshalb unwirksam ist.

22

Die Kostenentscheidung beruht auf § 243 FamFG; die Anordnung über die sofortige Wirksamkeit auf § 116 Abs. 3 Satz 2 FamFG, diejenige über die Wertfestsetzung auf § 51 FamGKG.