Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 27.04.2017, Az.: 1 U 24/16

Insolvenzanfechtung von Umsatzsteuervorauszahlungen durch eine später in Insolvenz gefallene Organgesellschaft auf die Steuerschuld der Organträgerin im Rahmen einer Organschaft

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
27.04.2017
Aktenzeichen
1 U 24/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 42755
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - 16.06.2016 - AZ: 4 O 2433/15

Amtlicher Leitsatz

Der Fiskus ist nicht Insolvenzgläubiger im Sinne des § 131 Abs. 1 InsO, wenn die Schuldnerin als Organgesellschaft einer umsatzsteuerlichen Organschaft auf Steuerschulden der Organträgerin zahlt und zu diesem Zeitpunkt eine Haftungsinanspruchnahme der Schuldnerin den konkreten Umständen nach nicht droht.

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 16.6.2016 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der Kosten der Nebenintervention trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht das beklagte Land vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.

Der Kläger ist Verwalter in dem auf Eigenantrag vom 13.3.2013 am 1.5.2013 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der B GmbH (nachfolgend: Schuldnerin). Die Schuldnerin betrieb ein Bauunternehmen im Hoch- und Ingenieurbau.

Die Streithelferin war geschäftsführende Alleingesellschafterin sowohl der Schuldnerin als auch der Z GmbH. Zwischen den beiden Gesellschaften und der Streithelferin bestand eine dem beklagten Land bekannte umsatzsteuerliche Organschaft, bei der die Streithelferin als Organträgerin und die Schuldnerin und ihre Schwestergesellschaft als Organgesellschaften fungierten. Die Streithelferin war als Organträgerin Umsatzsteuerschuldnerin gegenüber dem Finanzamt; umsatzsteuerpflichtige Geschäfte tätigten im Wesentlichen die beiden Organgesellschaften. Während des Bestehens der Organschaft zahlten entweder die Streithelferin oder eine der beiden Organgesellschaften die fälligen Umsatzsteuervorauszahlungen jeweils fristgerecht. Am 11.1. und 13.2.2013 überwies die Schuldnerin von ihrem Geschäftskonto gerade fällig gewordene Umsatzsteuervorauszahlungen in Höhe von insgesamt 243.574,84 € an das beklagte Land. Auf den Überweisungsträgern waren als Verwendungszweck jeweils die Steuernummer der Streitverkündeten, die Steuerart sowie der Voranmeldezeitraum angegeben.

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens schloss der Kläger mit der Streithelferin zur Abgeltung aller wechselseitigen Ansprüche einen außergerichtlichen Vergleich. Er begehrt im Wege der Insolvenzanfechtung von dem beklagten Land die Erstattung der am 11.1. und 13.2.2013 geleisteten Umsatzsteuervorauszahlungen.

Wegen des Sachverhalts wird im Übrigen auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. § 131 Abs. 1 InsO gestatte nur die Anfechtung gegenüber dem Gläubiger des Schuldners. Die Leistung müsse daher aus der objektiven Warte des Empfängers die Tilgung einer gegen den Schuldner gerichteten Forderung bezwecken. Da die Umsatzsteuervorauszahlungen die Umsatzsteuerschuld der Organträgerin betrafen, noch kein Haftungsbescheid nach § 73 AO erlassen und die Zahlungen mit eindeutigen Verwendungsangaben auf die Umsatzsteuerschuld der Organträgerin überwiesen worden seien, sei mit den Zahlungen allein die Tilgung der bisher nur gegen die Organträgerin gerichteten Forderung bezweckt gewesen.

Dagegen wendet sich der Kläger mit der Berufung unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Auch wenn noch kein Haftungsbescheid erlassen gewesen sei, seien die streitgegenständlichen Zahlungen in Ansehung einer potentiellen Haftung der Schuldnerin erfolgt. Dies sei für das beklagte Land erkennbar gewesen, zumal in der Vergangenheit häufig die Streitverkündete die Umsatzsteuervorauszahlungen geleistet habe. Nichts anderes ergebe sich daraus, dass die Steuerschulden gerade erst fällig gewesen seien. Für die Frage der Tilgungsbestimmung sei allein auf die Sicht der zahlenden Schuldnerin abzustellen. Die Angabe des Verwendungszwecks auf den Überweisungsträgern habe erfolgen müssen, um dem Finanzamt eine Zuordnung der Zahlung zu ermöglichen. Es könne keinen maßgeblichen Unterschied machen, ob die Vorauszahlungen - wie vorliegend - per Überweisung oder, wie in dem der Entscheidung des BGH vom 19.1.2012 - IX ZR 2/11- zugrunde liegenden Fall, per Lastschrift erfolgten. Die Schuldnerin sei im Zeitpunkt der Zahlungen zahlungsunfähig gewesen.

Der Kläger beantragt,

1. das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 16.6.2016 - Az.: 4 O 2433/15 - abzuändern und das beklagte Land zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von 243.574,84 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1.5.2013 zu zahlen.

2. das beklagte Land zu verurteilen, an den Kläger einen Betrag von 1.531,90 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Zustellung dieses Schriftsatzes zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Streithelferin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das beklagte Land tritt - unterstützt durch die Streithelferin - der Berufung nach Maßgabe ihrer Erwiderung entgegen. Das Land sei nicht Insolvenzgläubiger der Schuldnerin, da die Vorauszahlungen überwiesen und nicht per Lastschrift eingezogen worden seien, und beruft sich auf das Urteil des BFH vom 23.9.2009 - Az. VII R 43/08 -. Die Anfechtung sei zudem vorrangig gegen die Streithelferin als Organträgerin zu richten. Es fehle an einer Gläubigerbenachteiligung, da durch die Zahlung auf eine fremde Schuld ein Ausgleichsanspruch der Schuldnerin gegen die Organträgerin entstanden sei. Die Schuldnerin sei am 11.1.2013 zahlungsfähig gewesen. Die streitgegenständlichen Ansprüche seien zudem von dem zwischen dem Kläger und der Streithelferin geschlossenen Vergleich umfasst und damit auch gegenüber dem beklagten Land erledigt.

II.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rückzahlung der am 11.1. und 13.2.2013 an das beklagte Land überwiesenen Umsatzsteuervorauszahlungen gem. §§ 143, 129, 131 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO.

1. Das Landgericht hat im Ergebnis zutreffend festgestellt, dass das beklagte Land nicht Insolvenzgläubigerin der Schuldnerin im Sinne des § 131 Abs. 1 InsO ist.

Eine Deckungsanfechtung setzt voraus, dass die Leistung aus der objektiven Warte des Empfängers die Tilgung einer gegen den Schuldner gerichteten Forderung bezweckte. Lässt sich aus den dem Finanzamt bei Zahlung erkennbaren Umständen nicht erschließen, wessen Steuerschuld der zahlende Gesamtschuldner begleichen wollte, so wird im Allgemeinen angenommen, dass der Gesamtschuldner nur seine eigene Steuerschuld tilgen wollte (BGH, Urteil vom 19.1.2012 - IX ZR 2/11 - Rn 19 f. - juris). Es kommt mithin entscheidend darauf an, wie das Finanzamt die Zahlung nach den objektiven Umständen verstehen durfte.

Vorliegend stellten sich die streitgegenständlichen Zahlungen nach den dem Finanzamt offenkundigen tatsächlichen Umständen nicht als Zahlung auf die Haftungsschuld der Schuldnerin, sondern als Zahlung auf die Steuerschuld der Organträgerin dar. Zwar war dem Finanzamt das Vorliegen einer umsatzsteuerlichen Organschaft bekannt. Anders als in dem der Entscheidung des OLG Hamm vom 28.2.2013 (27 U 120/12 - juris) zugrunde liegenden Fall kann daraus vorliegend jedoch nicht der Schluss auf eine offenkundige Zahlung auf die Haftungsschuld der Schuldnerin gezogen werden.

Eine Haftungsinanspruchnahme der Schuldnerin stand von vornherein jeweils nur für einen Teil der streitgegenständlichen Zahlungen im Raum. Denn der Organkreis bestand nicht nur aus der Schuldnerin als Organgesellschaft und der Streithelferin als Organträgerin. Vielmehr existierte mit der Z GmbH eine weitere Organgesellschaft, die ebenfalls umsatzsteuerpflichtige Geschäfte tätigte. Die streitgegenständlichen Umsatzsteuervorauszahlungen der Schuldnerin rührten nicht nur aus ihrer eigenen Geschäftstätigkeit, sondern auch aus derjenigen ihrer Schwestergesellschaft. Für die im Geschäftsbetrieb der Schwestergesellschaft entstandenen und fälligen Umsatzsteuervorauszahlungen stand aber eine Haftungsinanspruchnahme der Schuldnerin gem. § 73 AO durch das Finanzamt von vornherein nicht im Raum. Eine Haftungsinanspruchnahme einer Organgesellschaft kommt regelmäßig nur für selbst verursachte Steuern in Betracht, wobei lediglich umstritten ist, ob die Beschränkung der Haftung bereits auf Tatbestandsebene oder erst im Rahmen der Ermessensausübung zu berücksichtigen ist (zum Meinungsstand vgl. die Darstellung bei Hübschmann/Hepp/Spitaler/Boeker, AO, Stand August 2016, § 73 Rn 15). Wenn aber eine Haftungsinanspruchnahme der Schuldnerin allenfalls für den auf ihre eigene Geschäftstätigkeit entfallenden Anteil der streitgegenständlichen Umsatzsteuervorauszahlungen in Betracht kam, stellten sich die einheitlichen Zahlungen in ihrer Gesamtheit offenkundig nicht als Zahlungen auf eine mögliche Haftungsschuld der Schuldnerin dar. Vielmehr spricht der Umstand, dass die Schuldnerin einheitlich Zahlungen auf sämtliche im Organkreis entstandenen Umsatzsteuern geleistet hat, dafür, dass sie auf den gegen die Organträgerin bestehenden Steueranspruch des beklagten Landes zahlen wollte.

Auch bezweckten die streitgegenständlichen Zahlungen der Schuldnerin im Gegensatz zu dem der Entscheidung des OLG Hamm zugrunde liegenden Fall (aaO.) nicht die Freigabe zuvor geleisteter Sicherheiten und bezweckten auch deshalb nicht die Befreiung von einer (potentiell) eigenen Haftung.

Hinzu kommt, dass die Zahlungen nicht vom Finanzamt eingezogen, sondern freiwillig von der Schuldnerin geleistet wurden. Eine Haftungsinanspruchnahme der Schuldnerin drohte nach den konkreten Umständen nicht. Da die Vorauszahlungen stets pünktlich beglichen wurden, war es während des Bestehens der Organschaft weder zu einer Haftungsinanspruchnahme der Schuldnerin noch zu einer entsprechenden Androhung gekommen. So hat die Schuldnerin auch die streitgegenständlichen Umsatzsteuervorauszahlungen im Zeitpunkt der Fälligkeit bezahlt, ohne dass Anzeichen für Zahlungsschwierigkeiten der Organträgerin bekannt gewesen wären.

Schließlich lässt auch der Umstand, dass die Zahlung erkennbar vom Geschäftskonto der Schuldnerin erfolgt ist, keine Rückschlüsse darauf zu, dass die Schuldnerin auf eine eigene Haftungsschuld zahlen wollte. Vielmehr hat die Schuldnerin durch die Angabe der Steuernummer der Streithelferin, der Steuerart und des Voranmeldezeitraums deutlich gemacht, auf die Steuerschuld der Streitverkündeten zahlen zu wollen, zumal ein Hinweis auf eine Haftungsschuld der zahlenden Schuldnerin fehlt.

Bei einer Gesamtschau der im Zeitpunkt der Zahlungen offenkundigen Umstände stellten sich die streitgegenständlichen Zahlungen damit im Ergebnis als Zahlungen auf die Steuerschuld der Organträgerin dar.

Nichts anderes ergibt sich, wenn man in Anlehnung an die jüngste Rechtsprechung des BGH zum Zahlungsverkehrsrecht (vgl. BGH, Urteil vom 16.6.2015 - XI ZR 243/13 - juris) nicht auf die objektive Sicht des Zahlungsempfängers, sondern auf die der zahlenden Schuldnerin abstellen wollte. Der Schuldnerin waren insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Streithelferin als Organträgerin geschäftsführende Alleingesellschafterin der Schuldnerin war, die genannten maßgeblichen Umstände ebenso bekannt wie dem Finanzamt als Zahlungsempfänger. Da die Umsatzsteuervorauszahlungen mal von der Organträgerin, mal von den Organgesellschaften gezahlt wurden, liegt es nahe, dass jeweils das Mitglied des Organkreises die fälligen Vorauszahlungen geleistet hat, bei dem gerade entsprechende Liquidität vorhanden war. Da im Innenverhältnis des Organkreises derjenige Beteiligte die Steuerlast zu tragen hatte, aus dessen Umsätzen die an das Finanzamt geleisteten Umsatzsteuerbeträge herrührten, dürfte die direkte Zahlung durch eine der beiden Organgesellschaften auch der Zahlungsvereinfachung gedient haben. Anlass der streitgegenständlichen Zahlungen war damit auch aus Sicht der Schuldnerin nicht ein etwaiger gegen sie gerichteter Haftungsanspruch, sondern der gegen die Streithelferin als Organträgerin bestehende Steueranspruch des Fiskus.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Revision bestehen nicht, § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine erneute Entscheidung des Revisionsgerichts. Die rechtlichen Fragen der Insolvenzgläubigereigenschaft bei Zahlung von Umsatzsteuervorauszahlungen durch die Organgesellschaft bei Bestehen einer umsatzsteuerlichen Organschaft sind durch die Entscheidungen des BGH vom 19.1.2012 (Az. IX ZR 2/11) und 20.2.2014 (Az. IX ZR 96/13) hinreichend geklärt. Von dieser Rechtsprechung weicht der Senat nicht ab, sondern gelangt aufgrund einer Würdigung der tatsächlichen Umstände zu dem Ergebnis, dass die Schuldnerin auf eine fremde Schuld gezahlt hat.