Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 21.11.2016, Az.: 1 Ss 65/16

Freispruch vom Vorwurf des Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht; Auszugsweise Wiedergabe des Beschlusses über die Führungsaufsicht in den Urteilsgründen; Voraussetzungen für die Begründung einer Strafbarkeit durch Weisungsverstöße; Gerichtliche Konkretisierung der Kontakthaltungspflicht zum Bewährungshelfer

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
21.11.2016
Aktenzeichen
1 Ss 65/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 29125
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2016:1121.1SS65.16.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Goslar - 18.07.2016 - AZ: 22 Ds 109 Js 510/15

Fundstellen

  • StRR 2017, 3
  • StV 2020, 29-30

Amtlicher Leitsatz

In Anbetracht des Bestimmtheitsgebots des Art. 103 Abs. 2 GG und der Tatsache, dass § 68b Abs. 2 StGB auch nicht strafbewehrte Weisungen ermöglicht, muss bei einer Verurteilung wegen eines Verstoßes gegen § 145a StGB der Beschluss über die Führungsaufsicht jedenfalls insoweit auszugsweise in den Urteilsgründen wiedergegeben werden, als dies eine Prüfung ermöglicht, ob hierin unmissverständlich klargestellt wurde, dass es sich bei den in Rede stehenden Weisungen um solche handelt, die gemäß § 68b Abs. 1 StGB strafbewehrt sind.

In der Strafsache
gegen pp
- Verteidiger:
Rechtsanwalt Jan-Robert Funck, Schleinitzstraße 14, 38106 Braunschweig -
wegen Diebstahls u.a.
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig am 21. November 2016 gemäß § 349 Abs. 4 StPO
beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Goslar vom 18. Juli 2016 (Az.: 22 Ds 109 Js 510/15) aufgehoben.

Der Angeklagte wird freigesprochen

Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

Die zulässige Sprungrevision des Angeklagten hat Erfolg und führt zu einem Freispruch von dem Vorwurf des Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht gem. § 145a StGB (§ 354 Abs. 1 StPO).

Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Goslar vom 18.07.2016 wegen Verstoßes gegen Weisungen während der Führungsaufsicht zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden (BI. 210 ff. Bd. I d.A.). Gegen dieses Urteil hat er über seinen Verteidiger fristgerecht "Rechtsmittel" eingelegt. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 25.08.2016, rechtzeitig eingegangen bei dem Amtsgericht Goslar am 29.08.2016, hat er das Rechtsmittel als Sprungrevision bezeichnet und diese begründet.

Er beantragt,

das Urteil des Amtsgerichts Goslar mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.

In formeller Hinsicht rügt er einen Verstoß gegen § 261 StPO. Die allgemein erhobene Sachrüge wird dahingehend vereinzelt, dass es an Feststellungen zu einem Strafantrag der Führungsaufsichtsstelle und den Vorstrafen des Angeklagten fehle, zudem seien die Feststellungen im Konjunktiv gehalten und die Voraussetzungen des § 47 StGB seien nicht dargetan. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Revisionsbegründung (BI. 2 ff. Bd. II d.A.) verwiesen.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt,

das Urteil im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben, die weitergehende Revision zu verwerfen und die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Goslar zurückzuverweisen.

II.

Die zulässige Sprungrevision des Angeklagten (§ 355 Abs. 1 StPO) ist begründet.

Das Urteil unterliegt aufgrund der umfassend erhobenen Sachrüge der Aufhebung, so dass es auf die Rüge der Verletzung formellen Rechts nicht ankommt.

Die Feststellungen des Amtsgerichts tragen den Schuldspruch nicht.

Abgesehen davon. dass es schon von vornherein keinen Verstoß gegen die im Beschluss des Amtsgerichts Hameln vom 15.02.2013 auferlegte Weisung, sich im Fall der Erwerbslosigkeit bei der zuständigen Agentur für Arbeit oder einer anderen zur Arbeitsvermittlung zugelassen Stelle zu melden darstellt, wenn der Angeklagte weder an einer beruflichen Qualifizierungsmaßnahme teil- noch eine reguläre Arbeit aufnimmt, lassen die Feststellungen eine erforderliche Subsumtion unter den Tatbestand des § 145a StGB insgesamt vermissen.

Bei § 145a StGB handelt es sich um eine Blankettvorschrift, deren Tatbestand erst durch eine genaue Bestimmung der Führungsaufsichtsweisungen seinen Inhalt erhält; erst hierdurch wird die Vereinbarkeit der Norm mit Art. 103 Abs. 2 GG gewährleistet. Voraussetzung für eine Bestrafung nach § 145a StGB ist deshalb, dass die betreffende Weisung rechtsfehlerfrei ist, was als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal vollständig in den Urteilsgründen darzustellen ist. Der Tatrichter hat folglich darzutun, ob die Weisung zulässig, hinreichend bestimmt und ihre Einhaltung dem Betroffenen auch zumutbar ist, denn nur unter diesen Voraussetzungen können Weisungsverstöße eine Strafbarkeit nach § 145a StGB begründen (BGH, Beschluss vom 19.08.2015, 5 StR 275/15, Rn. 5 und Beschluss vom 11.02.2016, 2 StR 512/15, Rn. 8, jeweils zitiert nach ). Daran fehlt es hier. Hierzu hätte jedoch sogar in besonderem Maße Anlass bestanden, da die erteilte Weisung, zu den vom Bewährungshelfer gesetzten Terminen persönlich im Büro der Bewährungshilfe vorzusprechen, ersichtlich zu unbestimmt ist. Die Konkretisierung einer solchen Kontakthaltungspflicht obliegt dem Gericht und kann nicht dem Bewährungshelfer überlassen werden.

Darüber hinaus muss in Anbetracht des Bestimmtheitsgebots des Art. 103 Abs. 2 GG und der Tatsache, dass § 68b Abs. 2 StGB auch nicht strafbewehrte Weisungen ermöglicht, der Beschluss über die Führungsaufsicht jedenfalls insoweit auszugsweise in den Urteilsgründen wiedergegeben werden, als dies eine Prüfung ermöglicht, ob hierin unmissverständlich klargestellt wurde, dass es sich bei den in Rede stehenden Weisungen um solche handelt, die gemäß § 68b Abs. 1 StGB strafbewehrt sind (BGH, a.a.O., Rn. 6 und Rn. 9). Auch dies lässt sich den Feststellungen des Amtsgerichts jedoch nicht entnehmen.

Der Senat hält es für ausgeschlossen, dass entsprechende Feststellungen zu einer ausreichenden Klarstellung des Charakters der Weisungen als strafbewehrt noch getroffen werden könnten. Der Führungsaufsichtsbeschluss verhält sich hierzu nicht und auch im Verlauf der Führungsaufsicht ist keine Nachholung erfolgt. Soweit sich der Akte ein Schreiben der Führungsaufsichtsstelle an den Angeklagten vom 25.09.2014 entnehmen lässt (BI. 55 Bd. 1 d.A.), so bezieht sich die Androhung eines neuen Strafverfahrens ausschließlich auf die mangelnde Kontakthaltung zum Bewährungshelfer. Die dem zugrunde liegende Weisung war jedoch zu unbestimmt und wurde auch später nicht konkretisiert.

Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass der ursprünglich ebenfalls verfahrensgegenständliche Vorwurf eines Diebstahls (siehe Anklageschrift Bl. 31 Bd. I d.A.) in der Hauptverhandlung mit Blick auf den Verstoß gegen Weisungen während der Führungsaufsicht nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt wurde (BI. 206 Bd. I d.A.), so dass nunmehr eine Wiederaufnahme nach § 154 Abs. 4 StPO zu prüfen sein dürfte.

Die Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen folgt aus § 467 Abs. 1 StPO.