Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 11.01.1979, Az.: 4 W 76/78
Versagung des Zuschlages an einen Meistbietenden bei groben Missverhältnis zwischen Meistgebot und festgesetztem Verkehrswert; Erwerb eines Grundstücks im Rahmen eines Zwangsversteigerungsverfahrens
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 11.01.1979
- Aktenzeichen
- 4 W 76/78
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1979, 17422
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1979:0111.4W76.78.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Lüneburg - 11.05.1978 - AZ: 23 K 87/76
- LG Lüneburg - 24.10.1978 - AZ: 4 T 277/78
- LG Lüneburg - 30.10.1978 - AZ: 4 T 279/78
- nachfolgend
- OLG Celle - 11.01.1979 - AZ: 4 W 78/78
- OLG Celle - 20.03.1979 - AZ: 4 W 76/78
Rechtsgrundlagen
- § 83 Nr. 6 ZVG
- § 87 Abs. 2 ZVG
- § 99 Abs. 1 ZVG
- § 100 ZVG
- Art. 14 GG
- § 765a ZPO
Verfahrensgegenstand
Zwangsversteigerung des im Grundbuch von D. Blatt ... eingetragenen Grundstücks Nr. 1
Hinweis
Hinweis: Verbundenes Verfahren
Verbundverfahren:
OLG Celle - 11.01.1979 - AZ: 4 W 77/78
OLG Celle - 11.01.1979 - AZ: 4 W 78/78
In dem Verfahren
...
hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die weitere sofortige Beschwerde der Schuldner vom 6./10. November 1978
gegen
den Beschluß der 4. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 24./30. Oktober 1978
am 11. Januar 1979
beschlossen:
Tenor:
Der angefochtene Beschluß und der Zuschlagsbeschluß des Amtsgerichts Lüneburg vom 11. Mai 1978 werden aufgehoben.
Dem Meistbietenden wird der Zuschlag versagt.
Die Kosten des Erinnerungs- und Beschwerdeverfahrens werden dem Meistbietenden auferlegt.(1)
Beschwerdewert: 205.000 DM.
Gründe
Die weitere Beschwerde hat Erfolg.
Der Zuschlagsbeschluß beruht auf einem Verfahrensmangel (§83 Nr. 6 ZVG i.V.m. §100 ZVG).
Entgegen der Ansicht des Landgerichts hat das Versteigerungsgericht den aus Art. 14 GG folgenden Anspruch der Schuldner verletzt, in ihr Eigentum nur unter Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes einzugreifen, ihnen also auch eine "faire Verfahrensführung" zu gewähren (vgl. BVerfG NJW 1978, 368 f).
Dem Landgericht und auch dem gemäß §99 Abs. 1 ZVG hinzugezogenen Meistbietenden ist zuzugeben, daß die Verletzung dieses Verfahrensgrundsatzes hier nicht etwa auf der Hand liegt. Denn aus ihm folgen keine eindeutigen und für alle im Betracht kommenden Versteigerungsfälle gleichermaßen geltenden Pflichten des Rechtspflegers. Ob der Grundsatz verletzt worden ist, läßt sich vielmehr nur unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des einzelnen Falles feststellen. So besteht bei einem groben Mißverhältnis zwischen Meistgebot und festgesetztem Verkehrswert weder eine generelle Verpflichtung des Rechtspflegers, den anwaltlich nicht vertretenen Schuldner darüber zu belehren, daß er vor der Entscheidung über den Zuschlag die einstweilige Einstellung des Verfahrens gemäß §765 a ZPO beantragen kann, noch ist in derartigen Fällen grundsätzlich die sofortige Verkündung des Zuschlags Verfahrensfehlerhaft. Was sich in der - eine Vermögensauseinandersetzung vorbereitenden - Teilungsversteigerung (§§180 ff ZVG) als eindeutig unangemessene Maßnahme darstellen kann (vgl. BVerfG NJW 1976, 1391 ff [BVerfG 24.03.1976 - 2 BvR 804/75]: sofortige Zuschlagserteilung auf ein Meistgebot von 2.000 DM bei auf 144.000 DM festgesetztem Verkehrswert ohne vorherige Belehrung des anwesenden, anwaltlich nicht vertretenen Schuldners über die Möglichkeit der Einstellungsbewilligung oder Antragsrücknahme), muß nicht im Zwangsversteigerungsverfahren, bei dem die Interessen der Gläubiger im Vordergrund stehen, ohne weiteres in gleicher Weise verfahrensrechtlich bedenklich sein. Auch für die Aussichten eines etwaigen Einstellungsantrages, von denen die hier in Rede stehenden verfahrensrechtlichen Pflichten des Versteigerungsgerichts naturgemäß wesentlich mitbestimmt werden, lassen sich keine allgemein gültigen Regeln aufstellen. Ein unter der Hälfte des geschätzten Verkehrswertes liegendes Meistgebot wird - in Anlehnung an die vom Rechtsausschuß des deutschen Bundestages einstimmig gebilligte Fassung des neu einzuführenden §85 a ZVG, wonach im ersten Versteigerungstermin der Zuschlag zu versagen ist, wenn das abgegebene Meistgebot einschließlich des Kapitalwertes der nach den Versteigerungsbedingungen bestehen bleibenden Rechte die Hälfte des Grundstückswertes nicht erreicht, vgl. Bundestags-Drucksache 8/2152 vom 29.9.78 - im ersten Versteigerungstermin eine Einstellung zur Vermeidung einer als unbillige Härte i.S.v. §765 a ZPO anzusehenden Verschleuderung regelmässig rechtfertigen, kann aber auch in einem späteren Termin bei Hinzutreten besonderer Umstände noch zu einer Einstellung führen.
Im voriegenden Fall stand der sofortigen Zuschlagserteilung die Abwesenheit des Rechtsanwalts S. entgegen, der zu Beginn des Versteigerungsverfahrens als Vertreter beider Schuldner sich gemeldet hatte und in dieser Eigenschaft auch in der Sitzungsniederschrift aufgeführt worden ist.
Läßt der Schuldner sich im Versteigerungsverfahren durch einen Rechtsanwalt vertreten, so gelten für dessen Beteiligung die Vorschriften über die Prozeßvollmacht entsprechend (vgl. Zeller, 9. Aufl., Anm. 359 zu §1). Der Anwalt ist in allen Verfahrensabschnitten zu beteiligen. Terminsnachrichten etc. sind an ihn zuzustellen. Soweit dem Schuldner rechtliches Gehör zu gewähren ist, kann das ohne Beteiligung des Prozeßbevollmächtigten wirksam ebensowenig erfolgen wie sonst im Zivilprozeß. Das gilt grundsätzlich auch für eine Anhörung des Schuldners im Versteigerungstermin.
Die für die Entscheidung des vorliegenden Falles bedeutsame Anhörung des Schuldners zur Zuschlagserteilung ist im Zwangsversteigerungsgesetz nicht vorgeschrieben. Ist jedoch der Schuldner im Versteigerungstermin anwesend, so ist selbstverständlich auch ihm wie allen Beteiligten Gelegenheit zur Geltendmachung von Zuschlagsversagungsgründen zu geben. Hat der Schuldner einen Prozeßbevollmächtigten bestellt, so kann ohne dessen Beteiligung eine ausreichende Anhörung des Schuldners nicht stattfinden.
Dabei ist allerdings zu beachten, daß die Durchführung der Versteigerung die Anwesenheit des Schuldners oder seines Bevollmächtigten im Termin nicht voraussetzt. Hat aber der Schuldner dem Versteigerungsgericht gegenüber deutlich gemacht, daß er seine Rechte im Termin durch einen Rechtsanwalt wahrnehmen lassen will, so gebietet die Pflicht zur Gewährung eines "fairen Verfahrens", dies dem Schuldner auch zu ermöglichen, soweit das den Gläubigern, deren Interessen im Zwangsversteigerungsverfahren im Vordergrund stehen, noch zuzumuten ist. Mit den Gläubigerinteressen unvereinbar wäre es, den Versteigerungstermin - zwangsläufig langfristig - zu vertagen, nur weil der Schuldner oder sein Bevollmächtigter verhindert sind, den Termin wahrzunehmen. Hingegen ist es den Gläubigern ohne weiteres zuzumuten, daß über den Zuschlag nicht sofort, sondern in einem - gemäß §87 Abs. 2 ZVG regelmässig nicht über eine Woche hinaus - anberaumten besonderen Termin entschieden wird. Daß als Folge solchen Verfahrens der Schuldner die Möglichkeit erhält, einen unter Umständen erfolgreichen Antrag auf Einstellung des Verfahrens nach §765 a ZPO zu stellen, ist dabei ohne Bedeutung. Die Abwägung der Interessen der Gläubiger gegen die des Schuldners hat insoweit erst bei der Entscheidung über den Einstellungsantrag selbst zu erfolgen und darf nicht schon durch die Wahl der Verfahrensführung vorweg getroffen werden, sofern ein solcher Antrag nicht ohne jeden Zweifel aussichtslos wäre. Die Anberaumung eines besonderen Verkündungstermins wird deshalb der Schuldner stets beanspruchen können, wenn er dem Versteigerungsgericht gegenüber deutlich gemacht hat, daß er seine Rechte im Versteigerungstermin durch einen Rechtsanwalt wahrgenommen wissen will. Diesen Wunsch haben die Schuldner hier zweifelsfrei dadurch zum Ausdruck gebracht, daß bei Terminsbeginn Rechtsanwalt S. sich als Bevollmächtigter beider Schuldner gemeldet hat. Solange für das Versteigerungsgericht nicht zweifelsfrei feststand, daß Rechtsanwalt Schweikart durch seine Abwesenheit während der Bietestunde etwa hat zum Ausdruck bringen wollen, daß er auf eine Anhörung zur Zuschlagsentscheidung verzichte, mußte es davon ausgehen, daß er an rechtzeitiger Rückkehr vor der Entscheidung über den Zuschlag - aus welchen Gründen auch immer - gehindert worden war. Es durfte sich in solcher Situation nicht mit der Anhörung des Schuldners begnügen, der schon mit der Beauftragung eines Anwalts deutlich gemacht hatte, daß er sich dessen Rechtskenntnisse zunutze machen wollte, und daß er sich selbst für außerstande hielt, das Verfahren zu verstehen und verfahrensgerecht zu reagieren. Ein solcher Schuldner wird in unangemessener Weise an der Wahrnehmung seiner Rechte gehindert, wenn er ohne Beistand seines Anwalts gehört wird. Er hat Anspruch darauf, daß durch Hinausschieben der Entscheidung über den Zuschlag seinem Rechtsanwalt Gelegenheit gegeben wird, sich zu jener Entscheidung zu äußern, insbesondere einen Einstellungsantrag zu stellen.
Als Verfahrensmangel im Sinne von §83 Nr. 6 ZVG stellt sich eine solchermaßen unzureichende Anhörung des Schuldners jedoch nur dar, wenn er dadurch in seinen Rechten beeinträchtigt worden sein kann. Im vorliegenden Fall kommt insoweit nur das Abschneiden der Möglichkeit in Betracht, die Einstellung des Verfahrens gemäß §765 a ZPO zu beantragen, sofern ein solcher Antrag nicht offensichtlich aussichtslos gewesen wäre. Dabei kam es wegen der denkbaren unterschiedlichen Einschätzungen der Voraussetzungen der Anwendung der Billigkeitsvorschrift des §765 a ZPO nicht darauf an, ob die Rechtspflegerin meinte, einem solchen Antrag entsprechen zu können. Angesichts dessen, daß die Schuldner die Möglichkeit, einen solchen Einstellungsantrag zu stellen, endgültig verloren, wenn dies nicht vor der Zuschlagserteilung geschah (vgl. Senatsbeschluß Nds. RPfl. 1978, 56) eine großzügige Einschätzung der Einstellungsvoraussetzungen geboten. Danach war hier ein Einstellungsantrag jedenfalls nicht zweifelsfrei aussichtslos. Zwar wären nach dem zweiten Versteigerungstermin strengere Anforderungen an die Voraussetzungen einer Einstellung nach §765 a ZPO zu stellen gewesen. Ein Mißverhältnis zwischen Grundstückswert und Meistgebot - d.h. ein deutlich unter 50 % des festgesetzten Grundstückswerts liegendes Gebot - würde dann regelmässig für sich alleine eine solche Einstellung nicht mehr rechtfertigen. Die Tatsache, daß im ersten Versteigerungstermin am 5. Januar 1978 mit 257.000 DM ein erheblich über dem jetzigen Meistgebot liegender Betrag geboten worden war, rechtfertigte jedoch die Erwartung, daß bei einer erneuten Versteigerung ein solches Mißverhältnis vermieden werden könne. Dabei kam es nicht darauf an, ob der Schuldner durch seine Bitte, den Termin in der örtlichen Zeitung nicht bekannt zu machen, zu dem unbefriedigenden Terminsergebnis selbst beigetragen hatte. Denn es kann mangels ausreichender Anhaltspunkte nicht davon ausgegangen werden, daß der Schuldner eine solche Auswirkung der Erfüllung seiner Bitte erkannt oder sogar - um das Verfahren zu verzögern - erstrebt hatte.
Bei alledem versteht es sich von selbst, daß die Feststellung, die Rechtspflegerin habe dem Schuldner kein "faires Verfahren" gewährt, keinen subjektiven Schuldvorwurf enthält, sondern nur in einem objektiven Sinne verstanden sein will (vgl. BVerfG NJW 1976, 1391 [BVerfG 24.03.1976 - 2 BvR 804/75]).
Die Kostenentscheidung beruht auf §91 ZPO.
(1) Red. Anm.: