Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 11.12.2017, Az.: 4 A 489/16

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
11.12.2017
Aktenzeichen
4 A 489/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 53698
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

Die Klägerseite – ein Ehepaar und ihre drei Kinder, nach eigenen Angaben syrischer Staatsangehörige, arabischer Volks- und islamischer Religionszugehörigkeit – begehrt im Wege der Aufstockungsklage die Anerkennung als Flüchtlinge.

Vor dem Bundesamt haben sie angegeben, Syrien wegen der allgemeinen Gefährdung durch den dortigen Krieg und drohendem Militärdienst verlassen zu haben.

Die Beklagte erkannte mit dem angegriffenen Bescheid vom 6. Oktober 2016 subsidiären Schutz zu, lehnte aber die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft ab.

Gegen die Ablehnung richtet sich die Klage. Die Kläger machen geltend, aufgrund der Ausreise aus Syrien, Asylantragstellung und Aufenthalt im westlichen Ausland und der Wehrdienstfähigkeit des Ehemanns verfolgt zu werden.

Die Klägerseite beantragt,

den Bescheid vom 6. Oktober 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Der streitgegenständliche Bescheid ist nach Überzeugung des Einzelrichters rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Es besteht nach der maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) kein Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft.

Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (Verfolgungsgründen) außerhalb des Landes (Herkunftslands) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Eine begründete Furcht vor Verfolgung liegt nach ständiger Rechtsprechung nur vor, wenn dem Ausländer die vorgenannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen (vgl. BVerwG, Urteil vom 20. Februar 2013 – 10 C 23.12 –). Zwischen den Verfolgungsgründen und Verfolgungshandlungen muss eine Verknüpfung bestehen (§ 3a Abs. 3 AsylG). Dabei ist unerheblich, ob der Ausländer tatsächlich z.B. die religiösen oder politischen Merkmale aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger nur zugeschrieben werden (§ 3b Abs. 2 AsylG).

Der Einzelrichter schließt sich nach eigener kritischer Prüfung den Ausführungen des bereits mitgeteilten Urteils des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 27. Juni 2017 – 2 LB 91/17 – an und verweist auf diese, insbesondere hinsichtlich des Prüfungsmaßstabs und der Auswertung der Erkenntnismittel. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auch auf die zutreffenden Gründe im angefochtenen Bescheid verwiesen (§ 77 Abs. 2 VwGO). Eine andere Bewertung ist auch bei tagesaktueller Erfassung der entscheidungsrelevanten Tatsachengrundlagen nicht angezeigt (vgl. zuletzt Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 1. November 2017 – 2 LB 587/17 – ).

Aus Syrien stammenden Personen droht bei einer - ohnehin nur hypothetisch zu unterstellenden - Rückkehr nach Syrien im Allgemeinen weder wegen ihrer illegalen Ausreise in Verbindung mit einem "Asylantrag" und dem Verbleib im westlichen Ausland noch wegen der Religionszugehörigkeit oder wegen des Herkunftsortes Verfolgung iSd. § 3 Abs. 1 AsylG. Geflohenen Wehrdienstpflichtigen oder Reservisten, die eine Einberufung erhalten haben oder denen eine solche konkret bevorstand, droht ebenfalls keine Verfolgung iSd. § 3 Abs. 1 AsylG. Der in Syrien herrschenden Bürgerkriegssituation trägt der zuerkannte "subsidiäre Schutz" hinreichend Rechnung (Leitsätze 1,2 und 4 des Urteils vom 27. Juni 2017). Die von der Klägerseite vorgetragenen Argumente gegen diese Wertungen vermögen nicht zu überzeugen.

Es liegt nach der Überzeugung des Einzelrichters keine beachtliche Wahrscheinlichkeit vor, dass Syrern aufgrund illegaler Ausreise, Asylantragstellung und Aufenthalt im westlichen Ausland Verfolgung droht. Es liegt bereits keine beachtliche Wahrscheinlichkeit vor, dass im Falle der Rückkehr am Flughafen Damaskus oder Latakia das reale Risiko einer Verfolgungshandlung in Form einer Befragung mit der konkreten Gefahr einer Verhaftung und/oder einer schwerwiegenden Misshandlung bis hin zur Folter und willkürlichen Tötung droht. Auch dem syrischen Regime muss sich bei der großen Zahl der Flüchtlinge aufdrängen, dass derart viele Flüchtlinge nicht solchen Konsequenzen ausgesetzt werden können. Es drängt sich ebenso auf, dass die Flüchtlinge mehrheitlich schlicht geflohen sind, um ihr Leben vor dem Bürgerkrieg zu retten, so dass selbst im Falle von Verfolgungshandlungen wie Verhaftung etc. eine politische Überzeugung nicht unterstellt werden würde, also nicht an einen Verfolgungsgrund angeknüpft werden würde. Hinsichtlich der Anknüpfung an die Religionszugehörigkeit sind keine zureichend konkreten Verfolgungsfälle für das syrische Regime bekannt, und nur in deren Gebiet könnte eine Rückführung erfolgen. Der Herkunftsort ist ebenso kein tauglicher Anknüpfungspunkt für eine Verfolgung, da sich Bürgerkriegsflüchtlinge bei realitätsnaher Betrachtung gerade dem Konflikt entziehen wollen und daher keine Bedrohung für das syrische Regime darstellen.

Es liegt nach der Überzeugung des Einzelrichters auch keine beachtliche Wahrscheinlichkeit vor, dass aufgrund von Wehrdienstentziehung Verfolgung droht. Das grundsätzliche Unterworfensein von syrischen Männern unter eine nicht verlässlich eingrenzbare Dienstpflicht ist flüchtlingsrechtlich nicht relevant. Sanktionen wegen Wehrdienstentziehung sind in der Staatenpraxis üblich. Selbst wenn darüber hinaus Verfolgungshandlungen erfolgen sollten, wären diese nicht an eine vermeintliche politische Haltung geknüpft. Dass die Gefahren eines Kriegseinsatzes ein mächtiges unpolitisches Motiv für eine Flucht darstellt, muss den syrischen Behörden vor Augen stehen. Dass der Militärdienst konkret Verbrechen, Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit umfassen würde (vgl. § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG), ist nicht dargelegt. Der Ansicht, dass bei § 3a Abs. 2 Nr. 5 AsylG die gesamte Armee als ein Apparat zu betrachten ist, wird nicht gefolgt. Ein Politmalus ist bei der Bestrafung von Wehrdienstentziehern nicht erkennbar.

Darüberhinausgehende individuelle Gründe der Verfolgung sind gegenüber dem Bundesamt und im gerichtlichen Verfahren nicht vorgetragen worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.