Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 03.07.2003, Az.: 1 Ws 171/03 (StrVollz)
Anspruch eines Strafgefangenen auf einen Einzelhaftraum; Rechtswidrigkeit von Doppelbelegungen in einem Haftraum; Unumgänglichkeit; Organisationsfrist zur Unterbringung von Strafgefangenen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 03.07.2003
- Aktenzeichen
- 1 Ws 171/03 (StrVollz)
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2003, 22090
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:2003:0703.1WS171.03STRVOLLZ.0A
Rechtsgrundlage
- § 18 StVollzG
Fundstellen
- NStZ-RR 2003, 316-317 (Volltext mit amtl. LS)
- StV 2003, 567-568 (Volltext mit amtl. LS)
- StraFO 2003, 289-290 (Volltext mit amtl. LS)
- StraFo 2003, 289-290 (Volltext mit amtl. LS)
Verfahrensgegenstand
Zuweisung eines Einzelhaftraums
Amtlicher Leitsatz
In nach dem 1. Januar 1977 errichteten Haftanstalten darf das Recht des Gefangenen auf einen Einzelhaftraum nicht durch einen Mangel an Einzelhaftplätzen unterlaufen werden. Die Vollzugsanstalt darf einen Gefangenen wegen hoher Belegungszahlen nicht auf eine "Organisationsfrist" von drei Monaten verweisen.
In der Strafvollzugssache
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin
gegen den Beschluss der 2. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts vom 26. März 2003
nach Beteiligung des Niedersächsischen Justizministeriums,
vertreten durch den Zentralen Juristischen Dienst für den Niedersächsischen Justizvollzug,
durch den Richter am Oberlandesgericht ... ,
den Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richterin am Oberlandesgericht
am 3. Juli 2003 beschlossen:
Tenor:
Die Hauptsache ist erledigt.
Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen des Antragstellers hat die Antragsgegnerin zu tragen.
Gründe
I.
Der Antragsteller verbüßt bei der Antragsgegnerin Strafhaft.
Am 2. Januar 2003 beantragte der in einer Doppelzelle mit einem anderen Gefangenen untergebrachte Antragsteller die Unterbringung in einem Einzelhaftraum aus gesundheitlichen Gründen. Nach Untersuchung durch die Anstaltsärztin hat die Antragsgegnerin zwingende Gründe für eine Einzelunterbringung aus medizinischen Gründen abgelehnt, den Anspruch des Gefangenen auf einen Einzelhaftraum aber bejaht und ihn auf die dort geführte Warteliste gesetzt. Wegen der chronischen Überbelegung behilft sich die Vollzugsanstalt mit einer "Organisationsfrist" von drei Monaten, um den unmittelbaren Rechtsanspruch der Gefangenen auf einen Einzelhaftraum nicht auf Kosten von Mitgefangenen mit gleichem Rechtsanspruch durchsetzen zu müssen.
Auf den dagegen gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 23. Februar 2003 hat die Strafvollstreckungskammer die Antragsgegnerin mit dem angefochtenen Beschluss vom 26. März 2003 angewiesen, dem Antragsteller unverzüglich einen Einzelhaftraum zuzuweisen, weil jeder Gefangene in der Justizvollzugsanstalt gemäß § 18 StVollzG einen Anspruch auf Einzelunterbringung habe.
Dagegen wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Rechtsbeschwerde.
II.
Der Senat braucht auf die Rechtsbeschwerde in der Sache nicht zu entscheiden.
Die Hauptsache hat sich nach dem Eingang der Rechtsbeschwerde bei Gericht am 28. April 2003 in anderer Weise als durch Zurücknahme erledigt: Am 3. Juni 2003 ist der Antragsteller in die Justizvollzugsanstalt verlegt worden.
III.
Gemäß § 121 Abs. 2 Satz 2 StVollzG war daher nur über die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen nach billigem Ermessen zu entscheiden.
Der Senat hat der Antragsgegnerin die Verfahrenskosten auferlegt, die auch die notwendigen Auslagen des Antragstellers zu tragen hat.
Die Rechtsbeschwerde wäre zwar im Hinblick auf die Einheitlichkeit der Rechtssprechung und die Fortbildung des Rechts zulässig, in der Sache aber unbegründet gewesen.
1.
Zu Recht hat die Strafvollstreckungskammer einen Anspruch des Antragstellers auf Zuweisung eines Einzelhaftraums aus § 18 Abs. 1 StVollzG bejaht. Danach werden Gefangene während der Ruhezeit allein in ihren Hafträumen untergebracht; eine gemeinsame Unterbringung ist nur ausnahmsweise zulässig, sofern ein Gefangener hilfsbedürftig ist oder eine Gefahr für Leben oder Gesundheit eines Gefangenen besteht. Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor. Die chronische Überbelegung der Anstalt ist keine solche Ausnahme (OLG Celle ZfStrVo 1999, 57). Die Ausnahmeregelung des § 201 Nr. 3 StVollzG greift nicht, weil mit der Errichtung der Justizvollzugsanstalt erst nach dem 1. Januar 1977 begonnen wurde.
Dabei verkennt der Senat nicht, dass es angesichts der derzeitigen Belegungszahlen im niedersächsischen Justizvollzug nicht immer möglich ist, Doppelbelegungen zu vermeiden. Der Mangel an Einzelhaftplätzen darf jedoch nicht dazu herhalten, das geltende Recht und seine Intentionen zu unterlaufen (s.a. KG NStZ-RR 98,191). Hier Abhilfe zu schaffen, ist Aufgabe der Vollzugs- und Vollstreckungsbehörden und ggfs. des Gesetzgebers. Die vom Land Niedersachsen seit 1995 in dem Bestreben, den Vorgaben des Gesetzgebers Rechnung zu tragen, eingeleiteten und teilweise bereits durchgeführten Baumaßnahmen sind daher aus Sicht des Senats unumgänglich. Sie sind geeignet, der rechtswidrigen Doppelbelegung in der Zukunft entgegenzuwirken, können diese jedoch im Rahmen des - hier allein einschlägigen - § 18 StVollzG nicht rechtfertigen.
2.
Entgegen der in der Beschwerdeschrift vertretenen Auffassung verletzt der angefochtene Beschluss auch nicht deswegen materielles Recht, weil es unmöglich ist, allen Gefangenen der Justizvollzugsanstalt ohne Wartefrist einen Einzelhaftraum auf Dauer zuzuweisen, der Beschluss mithin nicht umgesetzt werden kann, ohne gleichzeitig andere Gefangene in ihrem Recht auf Einzelunterbringung nach § 18 StVollzG zu verletzen. Es ist anzuerkennen, dass die Vollzugsanstalt versucht, den (rechtswidrigen) Mangel möglichst gerecht zu verwalten, dies ändert jedoch nichts an der Rechtswidrigkeit der Doppelunterbringung als solcher. Das Dilemma ist aus Sicht des Senats - bei gleich bleibenden Gefangenenzahlen - erst durch die Einrichtung zusätzlicher Vollzugsplätze zu lösen.
3.
Eine "Organisationsfrist" von drei Monaten für die Unterbringung von Gefangenen in einem Einzelhaftraum steht der Antragsgegnerin nicht zu.
a.
Der insoweit herangezogene Vergleich zur so genannten "Organisationshaft" bei der Überstellung aus der Strafhaft in den Maßregelvollzug (zur Zulässigkeit s. BVerfG NStZ 1998,77 [BVerfG 18.06.1997 - 2 BvR 2422/96]) trägt nicht:
Zum einen muss nach der Rechtssprechung des Senats die zulässige Dauer der Organisationshaft im Einzelfall festgestellt werden; eine allgemein zulässige Zeitspanne - z.B. von drei Monaten - kann nicht festgelegt werden. Der rechtskräftig zur Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus Verurteilte darf vielmehr nur so lange in einer Justizvollzugsanstalt verbleiben, wie die Vollstreckungsbehörde unter Berücksichtigung des in Haftsachen zu berücksichtigenden Beschleunigungsgebotes benötigt, um einen Platz in einer Maßregelvollzugsanstalt zu finden und den Verurteilten dorthin zu überstellen (Senatsentscheidung vom 19. August 2002 - 1 Ws 203/02; abgedruckt in NStZ-RR 2002, 349). Fehlende Kapazitäten im Maßregelvollzug allein rechtfertigen die Organisationshaft nicht (ebenda, s.a. OLG Brandenburg NStZ 2000, 500 [OLG Brandenburg 08.02.2000 - 2 Ws 337/99] und 504).
Zum anderen ist die Suche nach einem passenden Maßregelvollzugsplatz - ggf. auch über die Landesgrenzen hinweg - nur schwerlich mit der Frage der Zuweisung eines bestimmten Haftraums innerhalb der nach dem Vollstreckungsplan zuständigen Haftanstalt zu vergleichen. Letzteres dürfte - die Überbelegung einmal hinweggedacht - in wesentlich kürzerer Zeit zu bewerkstelligen sein, sobald ein Gefangener das Aufnahmeverfahren durchlaufen hat.
In Anbetracht der Tatsache, dass der Antragsteller bis zum Beschluss der Strafvollstreckungskammer am 26. März 2003 bereits nahezu drei Monate (und bis zur Verlegung am 3. Juni 2003 sogar fünf Monate) seit seinem Antrag in einer Doppelzelle untergebracht war, war der für die Zuweisung einer Einzelzelle an sich erforderliche Zeitraum hier deutlich überschritten.
b.
Entgegen der Auffassung des Zentralen Juristischen Dienstes für den Niedersächsischen Strafvollzug spricht auch die Regelung des § 113 Abs. 1 StVollzG nicht für die Zulässigkeit einer dreimonatigen "Organisationsfrist".
Nach dieser Vorschrift ist ein Antrag auf gerichtliche Entscheidung nicht vor Ablauf von drei Monaten zulässig, wenn sich der Antragsteller gegen das Unterlassen einer Maßnahme wenden will. Mit dieser Vorschrift soll der Vollzugsbehörde eine angemessene Handlungs- und Entscheidungsfrist gewährt werden (Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 9. Aufl., § 113 Rdn 2). Dieser Rechtsgedanke kann hier jedoch nicht herangezogen werden: Das Begehren des Antragstellers ist im Kern keine auf Vornahme einer unterlassenen Handlung (Zuweisung eines Einzelhaftraums) gerichtete Untätigkeitsklage nach § 113 Abs. 1 StVollzG, sondern eine Anfechtungs- und Verpflichtungsklage auf Aufhebung einer ihn belastenden - rechtswidrigen - Maßnahme (Unterbringung in einer Doppelzelle) in Verbindung mit der Verpflichtung zur Herstellung des rechtmäßigen Zustands (Zuweisung des Einzelhaftraums). Überdies regelt die Vorschrift Fragen der Zulässigkeit des gerichtlichen Verfahrens, soll aber den Vollzugsbehörden nicht eine regelmäßige Bearbeitungszeit von drei Monaten einräumen (Callies/Müller-Dietz ebenda).
4.
Lediglich ergänzend bemerkt der Senat:
Die Unterbringung des Antragstellers in einer Doppelzelle stellt nach Auffassung des Senats zwar einen Verstoß gegen einfaches Recht, nicht aber gegen höherrangiges Recht dar. Angesichts der im angefochtenen Beschluss dargestellten Haftbedingungen (Zellengroße 9,82 qm mit räumlich abgetrennter Nasszelle von 1,42 qm) liegt in der gemeinsamen Unterbringung auch unter Berücksichtigung der neueren höchstrichterlichen Rechtssprechung (BVerfG, Beschl. v. 27. Februar 2002, abgedruckt in ZfStrVo 2002, 176f) keine Verletzung der Menschenwürde des Antragstellers.
IV.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 48 a, 13 GKG. Angesichts der Erledigung bemisst sich der Streitwert lediglich nach dem Wert den entstandenen Kosten und Auslagen.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird für das Rechtsbeschwerdeverfahren auf 50,00 EUR festgesetzt.
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 48 a, 13 GKG. Angesichts der Erledigung bemisst sich der Streitwert lediglich nach dem Wert den entstandenen Kosten und Auslagen.