Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 05.08.2010, Az.: 2 A 118/09
Erforderlichkeit einer kommunalen Satzung zur Regelung des "Ob" und "Wie" der Festsetzung von Kostenbeiträgen für die Inanspruchnahme von Kindertagespflege durch den örtlichen Träger der Jugendhilfe; Voraussetzungen für eine zulässige Staffelung der Kostenbeiträge für die Inanspruchnahme von Kindertagespflege anhand des Einkommens
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 05.08.2010
- Aktenzeichen
- 2 A 118/09
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2010, 29229
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGGOETT:2010:0805.2A118.09.0A
Rechtsgrundlagen
- § 22 SGB VIII
- § 23 SGB VIII
- § 24 SGB VIII
- § 90 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, S. 2, 3 SGB VIII
- § 90 Abs. 4 SGB VIII
- § 44 SGB X
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Regelt der örtliche Träger der Jugendhilfe das Ob und Wie der Festsetzung von Kostenbeiträgen für die Inanspruchnahme von Kindertagespflege, bedarf es hierfür eines materiellen Gesetzes (Satzung) der kommunalen Gebietskörperschaft (Anschluss an VG Osnabrück, Urteil vom 27.01.2010, 4 A 185/08, [...]).
- 2.
Sollen die Kostenbeiträge für die Inanspruchnahme von Kindertagespflege anhand des Einkommens gestaffelt werden, setzt dies die Definition des insoweit zu berücksichtigenden Einkommens in dem entsprechenden Regelungswerk voraus.
Tatbestand
Aus dem Entscheidungstext
Die Klägerin wendet sich gegen die Festsetzung von Kostenbeiträgen durch den Beklagten.
Unter dem 01. Juni 2008 erließ der Beklagte die "Richtlinie zur finanziellen Förderung der Tagespflege", in der es zu der Festsetzung von Kostenbeiträgen für die Inanspruchnahme der Angebote der Tagespflege heißt:
" IV. Elternbeitrag
Für die Inanspruchnahme der Angebote der Tagespflege werden Kostenbeiträge der Personensorgeberechtigten erhoben. Sind die Bedingungen des Abschnitts I erfüllt, erfolgt die Berechnung des Elternbeitrags in Abhängigkeit vom Netto-Jahreseinkommen der Unterhaltspflichtigen und dem Umfang der Betreuung.
Im Einzelnen werden folgende Einkommensgruppen festgelegt:
Stufe Netto-Jahreseinkommen der Eltern Elternbeitrag pro Betreuungsstunde 1 Bis 12.270 EUR 0 EUR 2 12.271 bis 18.000 EUR 0,30 EUR 3 18.001 bis 25.000 EUR 0,50 EUR 4 25.001 bis 30.000 EUR 1,20 EUR 5 30.001 bis 35.000 EUR 1,90 EUR 6 35.001 bis 38.000 EUR 2,20 EUR 7 Mehr als 38.000 EUR 2,50 EUR (...)."
In dem genannten Abschnitt I der Richtlinie legte der Beklagte fest, unter welchen Voraussetzungen die Kindertagespflege finanziell gefördert wird. Eine Regelung, wie das maßgebliche Netto-Jahreseinkommen zu berechnen ist und welche Einkommensarten hierbei zu berücksichtigen sind, enthält die Richtlinie nicht.
Die Klägerin ist verheiratet mit Herrn K. C.. Aus dieser Beziehung ist der am xx.xx.xxxx geborene Sohn L. M. hervorgegangen. Am 08. September 2008 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Gewährung von Jugendhilfe in Form der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und in Kindertagespflege gemäß §§ 22 ff. SGB VIII ab dem 01. September 2008. Zur Begründung erklärte sie, in der Zeit vom 21. August 2008 bis voraussichtlich Ende Juni 2009 die Berufsfachschule im Bildungsgang "Sozialpflege für Realschulabsolventen" zu besuchen. Da ihr Ehemann den ganzen Tag lang arbeiten müsse, solle der gemeinsame Sohn während der Dauer des Schulbesuchs durch die Tagesmutter N. O. betreut werden. In dem entsprechenden Formblattantrag erklärte die Klägerin, ihr Ehemann beziehe ein monatliches Arbeitseinkommen in Höhe von netto 1.600,- EUR bis 1.700,- EUR; außerdem erhalte sie für ihren Sohn L. M. Kindergeld in Höhe von monatlich 154,- EUR. Die Klägerin füllte zudem die im Vordruck enthaltenen Felder zu den "Ausgaben" und "besonderen Belastungen" aus. Auf eine entsprechende Nachfrage des Beklagten erklärte die Klägerin mit Schreiben vom 17. Oktober 2008, sie habe für sich einen Antrag auf Bewilligung von Ausbildungsförderungsleistungen nach dem BAföG sowie auf Bewilligung von Kindergeld gestellt; über beide Anträge sei noch nicht entschieden worden; sie wisse leider nicht, ob sie entsprechende Ansprüche habe.
Daraufhin erkannte der Beklagte mit Bescheid vom 29. Oktober 2008 die Betreuung von L. M. in der Tagespflegestelle von Frau N. O. für die Zeit vom 01. September 2008 bis zum 30. April 2009 als Maßnahme im Sinne von § 23 SGB VIII an. Zugleich setzte er den von der Klägerin zu zahlenden Kostenbeitragssatz gemäß § 90 SGB VIII auf 0,50 EUR pro Stunde fest. Ausweislich eines Berechnungsbogens, der nicht zum Bestandteil des Bescheides vom 29. Oktober 2008 gemacht wurde, errechnete der Beklagte das hierfür maßgebliche Einkommen der Klägerin und ihres Ehemannes wie folgt:
Einkommen Mutter | 0,00 EUR |
---|---|
zzgl. Einkommen Vater | 1.811,06 EUR |
(Durchschnittswert der Lohnabrechnungen 6/08 bis 8/08) | |
zzgl. Kindergeld für L. M | 154,00 EUR |
= Zwischensumme | 1.965,06 EUR |
x 12 Monate | 23.580,72 EUR |
abzgl. Bereinigung für jedes weitere Kind | 0,00 EUR |
= maßgebliches Einkommen | 23.580,72 EUR |
In Anwendung der oben wiedergegebenen Tabelle der Einkommensgruppen ergab sich der von dem Beklagten ermittelte Kostenbeitragssatz in Höhe von 0,50 EUR/Stunde.
In der Folgezeit setzte der Beklagte gegen die Klägerin auf Grundlage des von ihm berechneten Kostenbeitragssatzes und der von Frau O. geleisteten Betreuungsstunden regelmäßig den von der Klägerin zu zahlenden monatlichen Kostenbeitrag fest.
Bereits mit Bescheid vom 28. November 2008 hatte der Beklagte (Amt für Ausbildungsförderung) der Klägerin für den Bewilligungszeitraum September 2008 bis Juni 2009 Ausbildungsförderungsleistungen in Höhe von monatlich 568,- EUR bewilligt. Außerdem war der Klägerin zwischenzeitlich ab dem Monat August oder September 2008 Kindergeld bewilligt worden. Hiervon erlangte der Beklagte (Jugendamt) zunächst keine Kenntnis.
Am 04. Juni 2009 beantragte die Klägerin bei dem Beklagten die Abrechnung der im Monat Mai 2009 geleisteten Betreuungsstunden für L. M.. Daraufhin teilte der Beklagte der Klägerin mit, die Leistungsbewilligung der Jugendhilfe sei Ende April 2009 ausgelaufen; die von Frau O. im Mai 2009 geleisteten Betreuungsstunden seien daher von der Klägerin privat zu bezahlen. Gleichzeitig forderte der Beklagte die Klägerin auf, den Kindergeldbescheid sowie den Bescheid über die Bewilligung von BAföG-Leistungen zu übersenden.
Am 18. Juni 2009 beantragte die Klägerin die Weiterbewilligung der Jugendhilfeleistungen für die Monate Mai und Juni 2009. Sie erklärte, aus persönlichen Gründen die rechtzeitige Antragstellung versäumt zu haben. Sie gab zudem an, seit August bzw. September 2008 Kindergeld zu beziehen und Ausbildungsförderungsleistungen zu erhalten.
Mit Bescheid vom 22. Juni 2009 erkannte der Beklagte die Betreuung von L. M. in der Tagespflegestelle von Frau O. für die Monate Mai 2009 und Juni 2009 als Maßnahme im Sinne von § 23 SGB VIII an. Gleichzeitig setzte er den hierfür zu erhebenden Kostenbeitragssatz gemäߧ 90 SGB VIII auf 1,90 EUR pro Stunde fest. Dabei berechnete der Beklagte das maßgebliche Einkommen der Klägerin und ihres Ehemannes auf einem internen Berechnungsbogen wie folgt:
Einkommen Mutter | 0,00 EUR |
---|---|
zzgl. Einkommen Vater | 1.811,06 EUR |
(Durchschnittswert der Lohnabrechnungen 6/08 bis 8/08) | |
zzgl. Kindergeld für L. M | 164,00 EUR |
zzgl. Kindergeld für Mutter | 164,00 EUR |
zzgl. BAföG-Leistungen Mutter 568,00 EUR | |
= Zwischensumme | 2.707,06 EUR |
x 12 Monate | 32.484,72 EUR |
abzgl. Bereinigung für jedes weitere Kind 0,00 EUR | |
= maßgebliches Einkommen | 32.484,72 EUR |
In Anwendung der oben dargestellten Tabelle zu den Einkommensgruppen ergab sich der von dem Beklagten ermittelte Kostenbeitragssatz in Höhe von 1,90 EUR/Stunde.
Mit weiterem Bescheid vom 22. Juni 2009 setzte der Beklagte den von der Klägerin zu zahlenden Kostenbeitrag für den Monat Mai 2009 unter Berücksichtigung des neu ermittelten Kostenbeitragssatzes und der Anzahl der von Frau O. geleisteten Betreuungsstunden auf 262,20 EUR (entspricht 138 Stunden x 1,90 EUR/Stunde) fest.
Mit Bescheid vom 23. Juni 2009 berechnete der Beklagte zudem den von der Klägerin für die Monate September 2008 bis April 2009 zu zahlenden Kostenbeitrag neu. Als Berechnungsgrundlage wandte er auch insoweit den nunmehr ermittelten Kostenbeitragssatz in Höhe von 1,90 EUR/Stunde an. Unter Berücksichtigung der von Frau O. in diesem Zeitraum geleisteten Betreuungsstunden gelangte er auf einen Nachzahlungsbetrag in Höhe von insgesamt 1.193,85 EUR.
Mit Bescheid vom 06. Juli 2009 setzte der Beklagte schließlich den Kostenbeitrag für den Monat Juni 2009 auf 306,85 EUR (entspricht 161,50 Stunden x 1,90 EUR/Stunde) fest.
Am 17. Juli 2009 hat die Klägerin gegen den Kostenbeitragsbescheid für den Monat Mai 2009 des Beklagten vom 22. Juni 2009 sowie gegen den Bescheid des Beklagten vom 23. Juni 2009 Klage erhoben. Am 05. August 2009 hat die Klägerin die Klage erweitert, indem sie den Kostenbeitragsbescheid vom 06. Juli 2009 in das laufende Gerichtsverfahren einbezogen hat. Zur Begründung ihrer Klage trägt sie vor, die Einkommensberechnung des Beklagten sei nicht nachvollziehbar; laut der Gehaltsabrechnung für Juni 2008 habe der Ehemann der Klägerin in diesem Monat ein Nettoeinkommen in Höhe von 1.605,19 EUR erzielt; hingegen habe der Beklagte ein Arbeitseinkommen des Ehemanns in Höhe von 1.811,06 EUR berücksichtigt; zudem seien die in dem Antragsformular angegebenen Belastungen nicht in die Berechnung eingeflossen.
Die Klägerin beantragt,
- 1.
den Bescheid des Beklagten vom 23. Juni 2009 aufzuheben,
- 2.
die Bescheide des Beklagten vom 22. Juni 2009 und vom 06. Juli 2009, mit denen Kostenbeiträge für die Monate Mai und Juni 2009 festgesetzt werden, aufzuheben, soweit ein jeweils höherer Kostenbeitrag als 0,50 EUR pro Betreuungsstunde festgesetzt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält seine Bescheide für rechtmäßig und tritt den Ausführungen der Klägerin im Einzelnen entgegen. Der Berechnung des Kostenbeitragssatzes sei der Einkommensbegriff nach § 90 SGB VIII zugrunde gelegt worden. Ein Abzug von Belastungen sei bei der pauschalierenden Kostenberechnung nach§ 90 SGB VIII nicht vorgesehen. Die Klägerin hätte die Gelegenheit gehabt, diesbezüglich einen Härtefallantrag zu stellen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Sie ist insgesamt zulässig, jedoch nur in Bezug auf den Nachforderungsbescheid vom 23. Juni 2009 begründet. Dieser Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (vgl.§ 113 Abs. 1 VwGO). Im Übrigen, also hinsichtlich der Kostenbeitragsbescheide für die Monate Mai und Juni 2009, ist die Klage hingegen nicht begründet.
Der angefochtene Nachforderungsbescheid vom 23. Juni 2009 ist rechtswidrig, weil es insoweit keine Rechtsgrundlage gibt, aufgrund derer der Beklagte einen Kostenbeitrag in Höhe von 1,90 EUR je Betreuungsstunde bzw. überhaupt einen Kostenbeitrag festsetzen kann.
Gem. § 90 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB VIII können für die Inanspruchnahme von Angeboten der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen und Kindertagespflege nach den §§ 22 bis 24 SGB VIII Kostenbeiträge festgesetzt werden. Soweit Landesrecht nichts anderes bestimmt, sind Kostenbeiträge, die für die Inanspruchnahme von Tageseinrichtungen und von Kindertagespflege zu entrichten sind, zu staffeln (§ 90 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII in der ab dem 16. Dezember 2008 gültigen Fassung; in der zuvor geltenden Fassung war demgegenüber eine Ermächtigung für den Landesgesetzgeber nur für die Festsetzung der Kostenbeiträge in Kindertageseinrichtungen und nicht für die Kostenbeiträge bei Inanspruchnahme von Kindertagespflege vorgesehen; dies wurde jedoch überwiegend als ein redaktionelles Versehen gewertet). Als Kriterien für die Staffelung können insbesondere das Einkommen, die Anzahl der kindergeldberechtigten Kinder in der Familie und die tägliche Betreuungszeit berücksichtigt werden (§ 90 Abs. 1 Satz 3 SGB VIII). Machen die Länder von der bundesrechtlich vorgesehenen Ermächtigung zur Festsetzung der Kostenbeiträge Gebrauch, so können auch sie im Hinblick auf die vom KJHG vorgesehene soziale Staffelung die genannten Kriterien berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist dabei dem Landesgesetzgeber bei der Bestimmung des maßgeblichen Einkommensbegriffs (Brutto- oder Nettobezüge, Berücksichtigung bestimmter pauschaler Freibeträge etc.) ebenso wie bei der Frage der Berücksichtigung weiterer Kinder (Ermäßigung nur bei zeitgleicher Inanspruchnahme gleicher Betreuungsangebote durch Geschwisterkinder oder generelle Berücksichtigung aller im Haushalt lebenden kindergeldberechtigter Kinder) ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt (statt aller: BVerwG, Beschluss vom 13. April 1994 - 8 NB 4.93 -, NVwZ 1995, 173; BVerwG, Urteil vom 15.09.1998 - 8 C 25.97 -, BVerwGE 107, 188 ff.).
Von der bundesrechtlich vorgesehenen Ermächtigung haben die Länder unterschiedlich Gebrauch gemacht. In Niedersachsen wurde im Jahre 1992 das Niedersächsische Gesetz über Tageseinrichtungen für Kinder (Nds. KiTAG, Nds. GVBl. S. 353) erlassen. § 20 Abs. 1 Satz 2 dieses Gesetzes in der Fassung vom 07. Februar 2002 (Nds. GVBl. S. 57) sieht vor, dass die Sätze der Gebühren und Entgelte für den Besuch von Kindertagesstätten und Kinderspielkreisen nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Sorgeberechtigten unter Berücksichtigung der Zahl ihrer Kinder gestaffelt werden sollen.
Eine entsprechende gesetzliche Regelung für den Bereich der Kindertagespflege hat der niedersächsische Landesgesetzgeber hingegen (noch) nicht erlassen. Damit sind in Niedersachsen die kommunalen Gebietskörperschaften als Träger der Kinder- und Jugendhilfe aufgerufen, für die Elternbeiträge in Kindertagespflege Kostenbeiträge festzusetzen. Auch ihnen ist bei der Gestaltung des Kostenbeitrages der Eltern in der Tagespflege ein Gestaltungsfreiraum verblieben. Dieser ist jedoch gegenüber dem potenziellen Gestaltungsspielraum des Landesgesetzgebers erheblich eingeschränkt. Nach den bundesrechtlichen Vorgaben sind nämlich in diesem Fall die Kostenbeiträge zu staffeln. Der jeweiligen kommunalen Gebietskörperschaft verbleibt damit lediglich hinsichtlich der Art der Staffelung ein Spielraum. Wird die Höhe der Kostenbeiträge von den Einkommensverhältnissen abhängig gemacht, so besteht bei der Bestimmung des maßgeblichen Einkommensbegriffs ein weiter Gestaltungsspielraum (Hauck, SGB VIII, § 90, RdNr. 14b).
Der Beklagte hat für eine einheitliche Handhabung der Kindertagespflege die "Richtlinie zur finanziellen Förderung der Tagespflege" erlassen. Diese regelt in ihrem Abschnitt IV, dass für die Inanspruchnahme der Angebote der Tagespflege Kostenbeiträge in Abhängigkeit vom Netto-Jahreseinkommen erhoben werden. In Anwendung dieser Richtlinie setzte der Beklagte gegen die Klägerin mit dem in Streit stehenden Bescheid Kostenbeiträge in Höhe von 1,90 EUR je Betreuungsstunde fest. Dieses Vorgehen hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Denn zur Überzeugung des Gerichts bedarf es für die Festsetzung von Kostenbeiträgen einer gesetzlichen Grundlage, vorliegend also einer Satzung des Beklagten. Eine solche liegt indes nicht vor. In einem vergleichbaren Fall hat das VG Osnabrück (Urteil vom 27. Januar 2010 - 4 A 185/08 -, [...], RdNr. 32 ff.) in diesem Zusammenhang ausgeführt:
" Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, dass § 90 Abs. 1 Nr. 3 SGB VIII eine unmittelbare Ermächtigungsgrundlage für die Festsetzung von Entgelten für die Inanspruchnahme von Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege nach den §§ 22 bis 24 SGB VIII ist und eine zusätzliche landesrechtliche Regelung nicht erforderlich ist. Nach Auffassung der Kammer bedeutet dies jedoch, dass die Regelungszuständigkeit an die örtlichen Träger der Kinder- und Jugendhilfe in ihrer Funktion als kommunale Gesetzgeber weitergegeben wird und nicht durch Verwaltungsvorschriften erfolgen kann. Die vom örtlichen Träger zu treffenden Regelungen haben unmittelbare Außenwirkungen gegenüber Dritten und sind somit als materielle Gesetze durch den kommunalen Gesetzgeber zu verabschieden und in einem Veröffentlichungsorgan bekanntzumachen.
Die Kammer schließt dies aufgrund folgender Überlegungen: Mit den hier zur Überprüfung stehenden Richtlinien hat der Beklagte als örtlicher Träger der Kinder- und Jugendhilfe nicht nur norminterpretierende Vorgaben fixiert, sondern grundsätzlich das Ob und Wie der Tagespflege geregelt. Eine solche Regelung kann zur Überzeugung der Kammer nur in Form einer Satzung erfolgen, die zu unterschreiben und zu veröffentlichen ist (s. insoweit betreffend kommunale "Richtlinien für die Schülerbeförderung" grundlegendBVerwG, Urteil vom 22.10.1993 - 6 C 10.92 - und OVG Lüneburg, Urteil vom 20.12.1995 - 13 L 2013/93 - und Urteil vom 19.06.1996 - 13 L 5072/94 - alle zitiert nach [...]).
Verwaltungsvorschriften oder Verwaltungsrichtlinien richten sich ausschließlich an nachgeordnete Verwaltungsbehörden. Ihr Wirkungsbereich ist grundsätzlich auf das Innenrecht der Verwaltung beschränkt; sie beruhen auf einem hierarchischen Aufbau der Verwaltung und regeln von oben nach unten Einzelheiten der Tätigkeit der nachgeordneten Behörden. Es handelt sich um Vorschriften der Exekutive, die generell keine rechtliche Außenwirkung gegenüber dem Bürger entfalten und deshalb einer Verkündung in einem dafür vorgesehenen Publikationsorgan (Amtsblatt oder ähnliches) nicht bedürfen. In der Regel werden in derartigen Richtlinien durch die Verwaltung Auslegungshilfen vorgegeben, um das vom Gesetz eingeräumte Ermessen zu lenken oder aber für im Gesetz enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe Beurteilungsspielräume auszufüllen. Sie sind von der Willensbildung des parlamentarischen Gesetzgebers weitgehend unbeeinflusst.
Die in Ansehung stehenden Richtlinien des Beklagten, die von der Form her als Verwaltungsvorschrift fixiert sind, beinhalten jedoch keineswegs nur Anweisungen für eine einheitliche Rechtsanwendung durch die nachgeordnete Behörden, sondern entfalten durchaus eine rechtliche Außenwirkung gegenüber dem einzelnen Bürger, indem sie auf dessen subjektiv-öffentliche Rechte unmittelbar einwirken. Die Regelungen des Beklagten betreffend die Kostenbeiträge bei Inanspruchnahme von Tagespflege sind somit nicht nur binnenrechtlich wirkende Ausführungsbestimmungen auf der Grundlage der bundesrechtlichen Ermächtigung, sondern sie haben auch Bindungswirkung für die Personensorgeberechtigten, die Tagespflege für ihre Kinder in Anspruch nehmen. Sie geben der Höhe des zu leistenden "Teilnahmebeitrags" die abschließende Gestalt. (s. insoweit auch BVerwG, Urteil vom 25.11.2004 - 5 CN 1/03 -, zitiert nach [...] zur Bekanntgabe von Verwaltungsvorschriften im Bereich von Sozialhilfeleistungen). Der Beklagte wäre somit gehalten gewesen, als Satzungsgeber tätig zu werden, die vom KJHG vorgegebene Regelungsbefugnis in Form einer Satzung wahrzunehmen und diese in einem dafür vorgesehenen amtlichen Medium zu veröffentlichen.
Das voranstehende Ergebnis bestätigt sich für die Kammer zudem aufgrund folgender Überlegungen: Zwar ist im Bereich der Kinder- und Jugendhilfe im Hinblick auf die Beteiligung der Personensorgeberechtigung an den Kosten einer jugendhilferechtlichen Maßnahme regelmäßig von Teilnahmebeiträgen oder Kostenbeiträgen die Rede. Entgegen dem üblichen Sprachgebrauch handelt es sich jedoch insbesondere bei den Kostenbeiträgen der Personensorgeberechtigten bei der Inanspruchnahme von Kindertagesstätten insoweit um eine Gebührenschuld, die am 1. des Monats entsteht, in dem das Kind einen Kindergarten besucht.
Gebühren sind öffentlich-rechtliche Geldleistungen, die als Anlass individuell zurechenbarer öffentlicher Leistungen dem Gebührenschuldner durch eine öffentlich-rechtliche Norm auferlegt werden und dazu bestimmt sind, in Anknüpfung an diese Leistung deren Kosten ganz oder teilweise zu decken (s. insoweit Rosenzweig/ Freese, Kommentar zum Nds. NKAG, zu § 4 Anm. 3, m.z.w.N.). Zum Beitrag unterscheidet sich die Gebühr dadurch, dass eine Gebühr für die tatsächliche, ein Beitrag für die potenzielle Inanspruchnahme einer staatlichen Leistung erhoben wird (s. BVerfG, Beschluss vom 24.01.1995 in BVerfGE 92, 91 ff., 115 [BVerfG 24.01.1995 - 1 BvL 18/93]). Da Gebühren öffentliche Abgaben sind, gilt für ihre Regelung der Vorbehalt des Gesetzes. Konkret bedeutet dies, dass für ihre Geltendmachung eine entsprechende Satzung als Ermächtigungsgrundlage erlassen werden muss. Dementsprechend haben die Kommunen, so im vorliegenden Fall auch die Gemeinde B., eine Gebührensatzung bezüglich des "Kostenbeitrags" beim Besuch eines Kindergartens erlassen.
Nichts anderes kann nach Einschätzung der Kammer für die Festsetzung der "Kostenbeiträge" im Rahmen der Kindertagespflege gelten. Zwar wird bei der Kindertagespflege in der Regel keine öffentliche Einrichtung im baurechtlichen Sinne in Anspruch genommen. Dennoch handelt es sich auch bei den hier zu fordernden "Elternbeiträgen" im kommunalabgabenrechtlichen Sinne um Benutzungsgebühren, die als Entgelt oder Gegenleistung für die tatsächliche Inanspruchnahme einer von der öffentlichen Hand angebotenen Jugendhilfeleistung erhoben werden (s. insoweit Rosenzweig/ Freese, a.a.O.., zu § 5 Anm. 424 m.w.N. im Hinblick auf Kindergartenbeiträge).
Handelt es sich jedoch auch bei den "Teilnahmebeiträgen" für die Inanspruchnahme von Tagespflege um ein Entgelt für die Inanspruchnahme öffentlicher Leistungen mit dem Zweck, die Kosten dieser individuell zurechenbaren öffentlichen Leistungen ganz oder teilweise zu decken, so handelt es sich auch bei diesen "Elternbeiträgen" im kommunalrechtlichen Sinne um Benutzungsgebühren, deren Festsetzung eine Satzung, d.h. ein Gesetz im materiellen Sinne, erfordert."
Diesen umfangreichen und überzeugenden Ausführungen schließt sich das erkennende Gericht an.
Aber selbst dann, wenn die Festsetzung von Kostenbeiträgen für die Kindertagespflege aufgrund einer Richtlinie für grundsätzlich zulässig erachtet würde, ändert sich das gefundene Ergebnis nicht. Denn die "Richtlinie zur finanziellen Förderung der Tagespflege" des Beklagten ist auch aufgrund ihrer inhaltlichen Ausgestaltung für die Festsetzung von Kostenbeiträgen nicht geeignet. Es fehlt nämlich an einer Regelung über die konkrete Berechnung des maßgeblichen "Netto-Jahreseinkommens", anhand dessen der Kostenbeitragssatz pro Betreuungsstunde zu bestimmen ist. So ergibt sich aus der Richtlinie noch nicht einmal, welche Einkommensarten hierbei berücksichtigt werden sollen. Ferner fehlt es an einer Bestimmung darüber, welcher Berechnungszeitraum für das Einkommen maßgebend sein soll; auch insoweit steht dem Beklagten ein weiter Gestaltungsspielraum zu; er könnte z.B. die Einkommensverhältnisse im Bewilligungszeitraum für maßgeblich erklären und sie im Wege einer Prognose ermitteln; er könnte insoweit aber auch auf die Einkommensverhältnisse des letzten Kalenderjahres vor Antragstellung o.ä. abstellen. Entgegen der Ansicht des Beklagten kann zur Einkommensermittlung auch nicht auf die Regelung in § 90 Abs. 4 SGB VIII zurückgegriffen werden. Dort wird bestimmt, dass für die Feststellung der zumutbaren Belastung bestimmte Normen des Zwölften Buches entsprechend gelten. Diese Vorschrift steht damit im Bezug zu der Frage, bei welchem Einkommen ein Kostenbeitrag auf Antrag ganz oder teilweise erlassen oder ein Teilnahmebeitrag auf Antrag ganz oder teilweise vom Träger der öffentlichen Jugendhilfeübernommen werden kann (vgl. § 90 Abs. 2 SGB VIII); für die Berechnung der festzusetzenden Kostenbeiträge ist sie hingegen ohne Belang. Die in der Richtlinie dargestellte Kostenbeitragstabelle kann folglich mangels Bestimmbarkeit des insoweit maßgeblichen Netto-Jahreseinkommens der Eltern keine Anwendung finden. Ist der Kostenbeitragssatz je Stunde nicht ermittelbar, kann auch die - hier in Streit stehende - Festsetzung der zu zahlenden Kostenbeiträge für eine bestimmte Anzahl von Betreuungsstunden keinen Bestand haben.
Die Kostenbeitragsbescheide vom 22. Juni 2009 und vom 06. Juli 2009 sind hingegen rechtlich nicht zu beanstanden. Denn der Beklagte hat den Kostenbeitragssatz für die Jugendhilfemaßnahmen für die Monate Mai 2009 und Juni 2009 im Bescheid vom 22. Juni 2009 verbindlich auf 1,90 EUR je Betreuungsstunde festgesetzt. Dieser Bescheid ist nicht angefochten worden und stellt folglich die Rechtsgrundlage für die im Streit stehenden Kostenbeitragsbescheide vom 22. Juni 2009 und 06. Juli 2009 dar. Diese beiden Bescheide enthalten hinsichtlich der Höhe des Kostenbeitrags je Stunde keine selbständig angreifbare Regelung, so dass die Klägerin mit ihrem Einwand, der der Berechnung zugrunde liegende Kostenbeitragssatz von 1,90 EUR/Stunde sei zu hoch, nicht gehört werden kann. Andere Bedenken gegen diese Bescheide werden nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich. Daher ist die Klägerin insoweit auf die Möglichkeit zu verweisen, bei der Beklagten gemäߧ 44 SGB X die Rücknahme bzw. Änderung der Festlegung des Kostenbeitragssatzes in Höhe von 1,90 EUR/Stunde im Bescheid vom 22. Juni 2009 zu beantragen; denn mangels einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage für die Festlegung eines Kostenbeitragssatzes (s.o.) ist auch dieser Bescheid rechtswidrig. Die Kostenbeitragsbescheide vom 22. Juni 2009 und 06. Juli 2009 könnten danach entsprechend aufgehoben bzw. geändert werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Grundlage in§ 167 VwGO i.v.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.