Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 16.08.2021, Az.: 1 WF 97/21

Maßnahmen zur Abwendung einer Gefährdung des seelischen Wohls eines Kindes; Generelle Geltung des Beschleunigungsgebots; Gebot der individuellen Orientierung am Kindeswohl

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
16.08.2021
Aktenzeichen
1 WF 97/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 35556
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2021:0816.1WF97.21.00

Fundstellen

  • FamRZ 2022, 37-39
  • FuR 2021, 675-676
  • NZFam 2021, 894

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Das Beschleunigungsgebot aus § 155 Abs. 1 FamFG gilt in jeder Lage des Verfahrens und ist unter anderem bei der Anberaumung von Terminen, bei der Fristsetzung für die Abgabe eines Gutachtens oder der Bekanntgabe von Entscheidungen zu beachten.

  2. 2.

    Maßstab der beschleunigten Verfahrensführung ist das in allen Phasen des Verfahrens vorrangig zu beachtende Gebot der individuellen Orientierung am Kindeswohl aus § 1697a BGB.

Tenor:

Die Beschleunigungsbeschwerde des Kindesvaters vom 16.07.2021 wird zurückgewiesen.

Die Gebühr für das Beschwerdeverfahren wird nicht erhoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Der Kindesvater wendet sich mit der Beschleunigungsbeschwerde vom 16.07.2021 gegen die Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens, welches die Prüfung von Maßnahmen zur Abwendung einer Gefährdung des seelischen Wohls seiner jetzt neun Jahre alten Tochter J. betrifft.

J. lebt seit der Trennung ihrer Eltern im Juni 2015 im Haushalt der Kindesmutter. Umgang mit dem Kindesvater fand zunächst für zwei bis längstens dreieinhalb Stunden wöchentlich statt, wobei es dem Mädchen durchgehend schwergefallen ist, sich auf direkte Kontakte mit ihm einzulassen und sich von der Mutter zu lösen.

Seit November 2019 lässt die Kindesmutter keinen Umgang mehr zu, weil J. über sexuelle Handlungen des Vaters berichtet habe. Das auf ihre Anzeige von der Staatsanwaltschaft B. zu Az. 213 Js 2037/20 eingeleitete Strafverfahren wegen des Vorwurfs des schweren sexuellen Missbrauchs wurde mit Bescheid vom 14.10.2020 mangels hinreichenden Tatverdachts wegen fehlender Zeugentüchtigkeit des mutmaßlichen Opfers eingestellt. Die dagegen gerichtete Beschwerde der Kindesmutter wurde mit Bescheid vom 19.11.2020 zurückgewiesen. Mehrfache Versuche des Verfahrensbeistands wie auch des Jugendamts, die Kindesmutter daraufhin zur Zustimmung zur Wiederaufnahme der Umgangskontakte zu bewegen, sind gescheitert.

Das Amtsgericht hat auf Anregung des Kindesvaters mit richterlicher Verfügung vom 06.12.2019 das vorliegende Verfahren zur Prüfung der Anordnung von Maßnahmen zur Abwendung einer Gefährdung des Kindeswohls eingeleitet, dem Kind einen Verfahrensbeistand bestellt und diesen sowie das Jugendamt um einen Bericht gebeten. Darüber hinaus hat es Termine zur Anhörung des Kindes und zur mündlichen Erörterung mit den übrigen Beteiligten bestimmt, wobei es Verlegungsanträgen seitens beider Kindeseltern nachgekommen ist. Nach der Vorlage der schriftlichen Berichte des Jugendamts vom 19.12.2019 sowie des Verfahrensbeistands vom 23.01.2020 und 09.02.2020, der richterlichen Anhörung des Kindes am 14.01.2020 und der Durchführung der mündlichen Verhandlung am 10.02.2020 hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 11.02.2020 die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Klärung einer etwaigen Kindeswohlgefährdung im mütterlichen und väterlichen Haushalt sowie zu der Frage angeordnet, ob der Trennung des Kindes von der elterlichen Familie durch ambulante öffentliche Hilfen begegnet werden könne. Zum Sachverständigen wurde Prof. Dr. U. J., L., bestellt und eine Frist zur Vorlage des Gutachtens zum 31.08.2020 bestimmt.

Mit Schreiben vom 11.03.2020 gab der Gutachter bekannt, dass seine Versuche, Kontakt zu der Kindesmutter aufzunehmen, erfolglos geblieben seien. Diese teilte mit Schriftsatz vom 30.03.2020 mit, dass sie den Gutachter wegen fehlender Neutralität ablehne. Das Amtsgericht hat daraufhin zu den von ihr vorgetragenen Bedenken Stellungnahmen des Gutachters, des Kindesvaters und des Verfahrensbeistands eingeholt. Nach erneuter Äußerung der Kindesmutter im Schriftsatz vom 08.06.2021 und Aufforderung des Kindesvaters vom 19.06.2020, über das Gesuch nunmehr zu entscheiden, hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 08.07.2020 die Ablehnung des Gutachters zurückgewiesen.

Mit richterlicher Verfügung vom 18.08.2020 wurde der Gutachter um Fortsetzung der Begutachtung ersucht und nach Anwaltswechsel auf Seiten der Kindesmutter deren nunmehrige Verfahrensbevollmächtigte mit weiterer Verfügung vom 03.09.2020 gebeten, diese bei der Mitwirkung an der Beweiserhebung zu unterstützen. Mit Schriftsätzen vom 07.10.2020 und 15.10.2020 teilte die Kindesmutter mit, dass sie weiterhin weder sich noch J. von Prof. Dr. J. begutachten lassen wolle. Daraufhin wurde ihr nach gerichtlichem Hinweis vom 21.10.2020 mit weiterem Schreiben vom 27.11.2020 unter Fristsetzung zum 10.12.2020 angekündigt, dass bei weiterer Verweigerung der Exploration des Kindes das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Gesundheitssorge für J. auf das Jugendamt als Pfleger übertragen und die Herausgabe des Mädchens angeordnet werde. Daraufhin erklärte die Kindesmutter mit Schriftsatz vom 10.12.2020, grundsätzlich keine Bedenken gegen eine Begutachtung zu haben, Prof. Dr. J. aufgrund aktueller Informationen und Umstände jedoch erneut als Gutachter abzulehnen. Mit richterlichem Antwortschreiben vom 11.12.2020 wurde sie darauf hingewiesen, dass das Gericht weiterhin keinen Anlass für dessen Befangenheit sehe.

Prof. Dr. J. hat am 18.03.2021 das psychologisches Gutachten vom 16.03.2021 vorgelegt, in dem er zu dem Ergebnis gekommen ist, dass das seelische Wohl von J. im mütterlichen Haushalt wie auch bei einem Wechsel in den väterlichen Haushalt oder einer Fremdunterbringung gefährdet sei (dort Seite 17, 18). Nach dem Inhalt der Akten sei von einer langjährigen Konditionierung des Kindes im Hinblick auf die Kontaktaufnahme zu anderen auszugehen, für die die Einflussnahmen der ängstlich-überbeschützende Mutter auf der einen Seite und des wenig feinfühligen Vaters mit erheblichen narzisstischen Bezügen auf der anderen Seite gleichermaßen ursächlich seien (Seite 6). Die weitergehende gerichtliche Fragestellung könne er ohne Gespräche mit den Eltern - die seitens der Mutter verweigert würden - und ohne Exploration des betroffenen Mädchens - die seitens des Kindes verweigert worden sei - jedoch nicht beantworten. Denn zur Beendigung der kindeswohlschädlichen Entwicklung müsse eine andere als eine auf einer methodischen Empfehlung basierende monokausale Lösung gefunden werden, die aus rechtlicher Sicht im Mittelpunkt stehe (Seite 3).

Auf die am 26.03.2021 verfügte Übersendung des Gutachtens vom 16.03.2021 an die Beteiligten haben die Kindesmutter, der Verfahrensbeistand und das Jugendamt mit Schriftsätzen vom 06.04.2021, 19.04.2021 und 30.04.2021 übereinstimmend dargelegt, dass die gutachterlichen Ausführungen für das weitere Vorgehen keine umsetzbaren Ansätze biete und als Grundlage für gerichtliche Entscheidungen unbrauchbar sei. Mit richterlichem Schreiben vom 05.05.2021 wurden die Beteiligten mit Gelegenheit zur Stellungnahme binnen vier Wochen darauf hingewiesen, dass auch das Gericht das Gutachten als ungenügend erachte, beabsichtigt sei, ein neues Gutachten einzuholen und Frau C. G., H., mit der Erstattung zu beauftragen.

Daraufhin hat der Kindesvater mit Schriftsatz vom 26.05.2021 eine Beschleunigungsrüge erhoben, da die bisherige Verfahrensdauer in jeder Hinsicht nicht dem Vorrang- und Beschleunigungsgebot gemäß § 155 Abs. 1 FamFG entspreche. Insbesondere finde kein der Verzögerungstaktik der Kindesmutter entgegenwirkender Verfahrensbetrieb statt, sei das mit Beschluss vom 11.02.2020 beauftragte Gutachten erst am 16.03.2021 erstellt und seinem Verfahrensbevollmächtigten postalisch erst am 19.04.2021 zugegangen. Zudem sei weder nachvollziehbar, weshalb das Gericht das Gutachten als ungenügend betrachte, noch weshalb davon auszugehen sei, dass eine anderweitige Begutachtung nicht dasselbe Schicksal erleide, wie die vorliegende, und weshalb stattdessen nicht ein Termin zur mündlichen Erläuterung des vorliegenden Gutachtens unter Offenlegung der Kritikpunkte daran bestimmt werde.

Nach Vorlage der dazu eingeholten Stellungnahmen der Kindesmutter und des Verfahrensbeistands hat das Amtsgericht die Beschleunigungsrüge mit Beschluss vom 28.06.2021 zurückgewiesen; wegen der Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen Ausführungen Bezug genommen. Der Beschluss wurde dem Verfahrensbevollmächtigten des Kindesvaters am 26.07.2021 zugestellt.

Zwischenzeitlich hat der Kindesvater mit dem am 16.07.2021 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag eine Beschleunigungsbeschwerde unter Wiederholung und Bezugnahme auf seine Ausführungen in der Beschleunigungsrüge vom 26.05.2021 erhoben. Mit weiterem Schriftsatz vom 06.08.2021 hat er mitgeteilt, dass die Beschwerde sowohl auf § 155 c Abs. 4 Satz 1 FamFG beruhe als sich auch gegen den erstinstanzlichen Beschluss vom 28.06.2021 richte.

Der Vorsitzende des Senats hat mit Verfügung vom 27.07.2021 die Akten beim Amtsgericht H. angefordert und der Kindesmutter eine Frist zur Stellungnahme binnen einer Woche gesetzt. Diese hat mit Schriftsatz vom 03.08.2021 beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II.

Die Beschleunigungsbeschwerde des Kindesvaters vom 16.07.2021 ist zulässig, jedoch nicht begründet.

1. Die Zulässigkeit der Beschleunigungsbeschwerde folgt aus § 155c Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 FamFG. Danach kann der Beteiligte innerhalb einer Frist von zwei Monaten beim Oberlandesgericht eine Beschleunigungsbeschwerde einlegen, wenn das Amtsgericht innerhalb der Monatsfrist des § 155b Abs. 2 Satz 1 FamFG keine Entscheidung über die Beschleunigungsrüge getroffen hat. Die Beschwerdefrist beginnt gemäß § 155c Abs. 4 Satz 2 FamFG mit Eingang der Rüge bei Gericht. Eine Entscheidung gilt als getroffen, wenn sie im Sinne des § 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG erlassen wurde (Keidel/Meyer-Holz, Kommentar zum FamFG, 20. Auflage, § 155c Rn. 5), wonach der Erlass der Entscheidung durch Verlesen der Beschlussformel oder durch Übergabe des Beschlusses an die Geschäftsstelle erfolgt.

Hier hat der Kindesvater die Beschleunigungsrüge mit dem am 27.05.2021 beim Amtsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 26.05.2021 erhoben. Über diese Rüge hat das Amtsgericht zwar mit dem auf Montag, den 28.06.2021 datierten Beschluss entschieden, dieser ist ausweislich des Vermerks jedoch erst am 06.07.2021 auf die Geschäftsstelle gelangt. Damit wurde der Beschluss nicht wirksam binnen eines Monats erlassen. Die am 16.07.2021 beim Oberlandesgericht eingegangene Beschleunigungsbeschwerde des Kindesvaters wurde hingegen innerhalb der bis zum 27.07.2021 laufenden Frist von zwei Monate nach Eingang der Beschleunigungsrüge erhoben. Zudem hat der Kindesvater mit dem am 06.08.2021 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz vom selben Tag mitgeteilt, dass sich seine Beschwerde auch gegen den seinem Verfahrensbevollmächtigten am 26.07.2021 zugestellten Beschluss vom 28.06.2021 richte, der gemäß §§ 155b Abs. 2 Satz 1 i.V.m. 155c Abs. 1 Satz 1 FamFG auch innerhalb einer Frist von zwei Wochen nach der schriftlichen Bekanntgabe mit der Beschwerde angefochten werden kann.

2. Die Beschleunigungsbeschwerde ist nicht begründet, da nicht festgestellt werden kann, dass die erstinstanzliche Verfahrensführung den Anforderungen des Beschleunigungsgebots aus § 155 Abs. 1 FamFG widerspricht.

Gemäß § 155 c Abs. 3 Satz 3 FamFG hat das Beschwerdegericht auf die Beschleunigungsbeschwerde hin festzustellen, ob die bisherige Dauer des Verfahrens dem Gebot des § 155 Abs. 1 FamFG entspricht, wonach Kindschaftssachen, die den Aufenthalt, das Umgangsrecht oder die Herausgabe des Kindes betreffen, sowie Verfahren wegen Gefährdung des Kindeswohls vorrangig und beschleunigt durchzuführen sind. Dieses Gebot dient der Verkürzung der Verfahrensdauer in den aufgeführten, das Kindeswohl besonders berührenden Streitigkeiten und verpflichtet das Gericht in erster Linie, Verzögerungen zu vermeiden sowie das Verfahren zu einem zügigen Abschluss zu bringen (OLG Brandenburg, Beschluss vom 28.07.2020, Az. 15 WF 166/20 - juris Rn. 10; Keidel/Engelhardt, Kommentar zum FamFG, 20. Auflage, § 155 Rn. 1). Es gilt in jeder Lage des Verfahrens und ist unter anderem bei der Anberaumung von Terminen, bei der Fristsetzung für die Abgabe eines Sachverständigengutachtens oder der Bekanntgabe von Entscheidungen zu beachten (Keidel/Engelhardt, a.a.O., § 155 Rn. 5). Damit soll vermieden werden, die Sachentscheidung durch Zeitablauf zu präjudizieren, insbesondere, wenn jeder Tag dazu beitragen kann, das Kind von einem Elternteil weiter zu entfremden, so dass eine spätere gerichtliche Entscheidung sich den geänderten tatsächlichen Bindungen und Beziehungen nur noch anpassen, diese aber nicht mehr im Sinne des ursprünglichen Kindeswohls gestalten kann (Keidel/Engelhardt, a.a.O., § 155 Rn. 4).

Eine generelle Festlegung, wie ein Verfahren beschleunigt zu führen ist und wann es nicht beschleunigt durchgeführt wird, ist dabei nicht möglich (OLG Brandenburg, a.a.O., Rn. 10). Maßstab ist vielmehr das in allen Phasen des Verfahrens vorrangig zu beachtende Gebot der individuellen Orientierung am Kindeswohl aus § 1697a BGB. Dieses prägt und begrenzt seinerseits das Beschleunigungsgebot, welches dementsprechend weder schematisch gehandhabt werden kann noch zu einer schnellen Entscheidung um jeden Preis führen oder auf Kosten der Verfahrensgarantien wie der Gewährung rechtlichen Gehörs gehen darf (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 30.04.2020, 4 WF 58/20 - juris Rn.10; Keidel/Engelhardt, a.a. O. § 155 Rn. 5).

Das Beschwerdegericht kann bei seiner Prüfung, ob die Dauer des bisherigen Verfahrens den Anforderungen des Beschleunigungsgebotes entspricht und das Amtsgericht die notwendigen verfahrensfördernden Maßnahmen getroffen hat, zudem nicht den theoretischen Maßstab eines idealen Richters anlegen, sondern hat den konkreten Einzelfall zu bewerten (OLG Brandenburg, Beschluss vom 28.07.2020, 15 WF 166/20 - juris Rn. 11). Dabei ist eine Abwägung aller verfahrens- und sachbezogenen Faktoren sowie der subjektiven, personenbezogenen Umstände vorzunehmen, in der neben der Schwierigkeit des Verfahrens und seiner Bedeutung für die Beteiligten auch deren verfahrensrechtliches Verhalten und die damit verbundenen Auswirkungen auf den Verfahrensfluss zu berücksichtigen sind (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.03.2020, 8 WF 45/20 - juris Rn. 17; OLG Brandenburg, Beschluss vom 28.07.2020, 15 WF 166/20 - juris Rn. 12).

Der Beurteilung im Rahmen der Beschleunigungsbeschwerde ist hingegen die Richtigkeit der Verfahrensführung hinsichtlich der Maßnahmen der Sachverhaltsaufklärung grundsätzlich entzogen. Denn Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens ist nicht die Überprüfung einer Verfahrensgestaltung, die aufgrund richterlicher Sachprüfung in Ausübung der Amtsermittlungspflicht aus § 26 Abs. 1 FamFG erfolgt ist (OLG Brandenburg, Beschluss vom 28.07.2020, 15 WF 166/20 - juris Rn 13; OLG Frankfurt, Beschluss vom 26.03.2020, 8 WF 45/20 - juris 17; Keidel/Engelhardt, a. a. O., § 155 Rn. 5).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze, ist hier dem Amtsgericht nicht vorzuhalten, dass es dem Beschleunigungsgebot nicht hinreichend Rechnung getragen hat.

a) So steht einer zügigen Beendigung des Verfahrens bereits die zugrundeliegende Problematik eines jahrelangen elterlichen Konfliktes mit einhergehender seelischer Belastung der betroffenen Tochter entgegen, für die bisher von keinem der Beteiligten ein dem Amtsgericht umsetzbarer erscheinender Lösungsansatz vorgetragen wurde. Dabei fehlt es offenbar insbesondere an konkreten Erkenntnissen dazu, welche sorgerechtlichen Maßnahmen einer Kindeswohlgefährdung entgegenwirken könnten, ohne dass J. dadurch seelischen Belastungen ausgesetzt wird, deren erwartbaren anderweitigen Nachteilen ihre Entwicklung ebenfalls nachhaltig beeinträchtigen werden:

Nach der mit dem Bericht des Jugendamts vom 19.12.2019 vorgelegten Stellungnahme der Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Dr. B. B.-K. vom 12.11.2019 befindet J. sich in einem erheblichen Loyalitätskonflikt, der Anlass gebe, über ihre außerfamiliäre Unterbringung nachzudenken, um ihre weitere Schädigung zu vermeiden. Prof. Dr. J. ist in seinem psychologischen Gutachten vom 16.03.2021 ebenfalls zu dem Ergebnis gekommen, dass das seelische Wohl von J. in den elterlichen Haushalten gefährdet sei (dort Seite 17, 18). Diese Gefährdung bestehe aber auch bei einer Fremdunterbringung, wobei es allerdings ohnehin praktisch ausgeschlossen erscheine, die kindeswohlschädliche Entwicklung mit gerichtlichen Maßnahmen im Rahmen der rechtlichen Gegebenheiten zu beenden (dort Seite 3). Erforderlich sei vielmehr ein gründlicher Wandel der Einstellungen auf Seiten beider Elternteile wie auch des Kindes. Anhaltspunkte für eine Bereitschaft der Eltern, die eigene Haltung dem jeweils anderen gegenüber grundlegend zu hinterfragen, liegen ausweislich der Stellungnahmen des Jugendamts und der Verfahrensbeistand jedoch nicht vor. Aus deren Berichten ergibt sich vielmehr, dass Versuche, mithilfe gemeinsamer Gespräche mit den Kindeseltern zur Abmilderung der bei den Umgangskontakten deutlich gewordenen Belastung der Tochter beizutragen, stets erfolglos abgebrochen wurden und die Kindesmutter eine zunehmende Verweigerungshaltung entwickelt hat. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 10.02.2020 konnte diese weder eigene Ideen zur Ausgestaltung des Kontakts von J. zum Vater vorbringen noch sich auf die verschiedenen Vorschläge des Kindesvaters oder des Verfahrensbeistands einlassen. Der Verfahrensbeistand hat mit Schreiben vom 21.12.2020 dargelegt, dass die Kindesmutter nach seiner Einschätzung nunmehr alles daransetzen werde, dass es zu keinen Umgängen von J. mit dem Vater mehr kommen werde, so dass ein Durchsetzen entsprechender Regelungen nur erfolgen könne, wenn das Mädchen bei Dritten untergebracht sei. Dabei stelle sich aber weiterhin die Frage, inwieweit dies und die damit einhergehende Fortsetzung der Streitigkeiten noch dem Wohl des Kindes entspreche oder nicht eher eine weitere Schädigung erwarten lasse.

Ausgehend von dieser Problematik hat das Amtsgericht mit Beschluss vom 11.02.2020 die Einholung des Gutachtens zur Klärung der Kindeswohlgefährdung und der Möglichkeiten von ambulanten Hilfen zur Vermeidung der Trennung des Mädchens von den Eltern beauftragt. Diesem an den Interessen des Kindes orientierten Verfahrensschritt ist keiner der Beteiligten entgegengetreten. Auch die Kindesmutter hat erstmals mit Schriftsatz vom 10.12.2020 das Erfordernis einer Begutachtung hinterfragt und im Übrigen wiederholt erklärt, nicht die Begutachtung an sich, sondern lediglich den beauftragten Sachverständigen abzulehnen.

Ausweislich der Schreiben vom 11.12.2020 und 05.05.2021 hält das Amtsgericht eine sachverständige Bewertung der seelischen Belastung des Kindes und der zu treffenden Maßnahmen weiterhin für erforderlich. Dem ist der Verfahrensbeistand im Schriftsatz vom 16.06.2021 ausdrücklich beigetreten und hat zu der Beschleunigungsrüge dahingehend Stellung genommen, dass es um Fragestellungen der elterlichen Sorge gehe, welche ohne ein Gutachten nicht beantwortet werden könnten.

Abgesehen davon, dass es sich bei der Einholung eines Gutachtens ohnehin um eine der Überprüfung im Beschleunigungsverfahren kaum zugängliche Maßnahme der richterlichen Amtsermittlungspflicht handelt, erscheint diese Klärung des Sachverhalts angesichts der Belange des betroffenen Mädchens und der Zerstrittenheit der Eltern auch dem Senat alternativlos.

b) Einer zeitnahen Entscheidung steht derzeit zudem die Qualität des am 16.03.2021 vorgelegten Gutachtens des Prof. Dr. J. entgegen, welches das Amtsgericht ausweislich seines Schreibens vom 05.05.2021 für unzureichend im Hinblick auf die Verwertbarkeit für eine gerichtliche Entscheidung erachtet. In den Gründen des Beschlusses vom 28.06.2021 hat es dazu ausführlich und vereinzelt dargelegt, dass das Gutachten den Mindestanforderungen, welche an ein Sachverständigengutachten in Kindschaftssachen im Hinblick auf ein wissenschaftlich fundiertes Vorgehen, Transparenz, innere Logik, Schlüssigkeit und Nachvollziehbarkeit bei Beantwortung der gerichtlichen Fragestellung zu stellen seien, nicht im Ansatz genüge. So lege der Gutachter bereits nicht offen, auf welcher Grundlage er die Beweisfragen beantwortet habe, auf die er zudem lediglich teilweise eingegangen sei. Soweit er zu dem Ergebnis komme, dass der Verbleib des betroffenen Kindes sowohl im mütterlichen als auch im väterlichen Haushalt wie auch bei Fremdunterbringung eine Kindeswohlgefährdung beinhalte, fehle es zudem an der von ihm selbst geforderten Abwägung im Hinblick auf die damit verbundenen negativen Folgen.

Zu einer damit übereinstimmenden Einschätzung sind auch der Verfahrensbeistand, das Jugendamt und die Kindesmutter gekommen. Der Verfahrensbeistand und die Kindesmutter führen in ihren Stellungnahmen vom 06.04.2021 und 30.04.2021 aus, dass es in den gutachterlichen Ausführungen an jeder nachvollziehbaren Darlegung der überprüfbaren Grundlagen für die angegebenen Gefährdungslagen fehle. Das Jugendamt hat im Schreiben vom 19.04.2021 zudem beanstandet, dass sich in dem Gutachten keine Strategie für eine Lösung über die bisher bereits entfalteten Bemühungen hinaus fänden - und zwar weder im Hinblick auf die eingeschränkte Bindungstoleranz der Kindesmutter noch im Hinblick auf die Instrumentalisierungsversuche des Kindesvaters.

Der Kindesvater hat sich hingegen zu der Verwertbarkeit des Gutachtens vom 16.03.2021 nicht geäußert.

Um zu einer tragfähigen Entscheidung über den künftigen Verbleib des betroffenen Kindes zu kommen, war das Amtsgericht bei dieser Sachlage daher gehalten, die Sinnhaftigkeit einer Aufforderung an den bisherigen Sachverständigen zu einer grundlegenden, umfassenden Überarbeitung seines Gutachtens gegenüber einer gesonderten Begutachtung durch einen anderen Sachverständigen abzuwägen. Dazu hat es in den Gründen des Beschlusses vom 28.06.2021 ausgeführt, dass die Unzulänglichkeiten des vorgelegten Gutachtens, die auf Fehler bei der Datenerhebung zurückzuführen seien, einer Nachbesserung im Rahmen einer ergänzenden schriftlichen oder mündlichen Stellungnahme nicht zugänglich seien. Zudem seien aber auch die von Prof. Dr. J. im Gutachten genannten Gründe für seine mangelnde Beantwortung der Beweisfragen nicht tragfähig. So könne insbesondere die mangelnde Kreativität des Gutachtens nicht darauf zurückgeführt werden, dass sich die Kindesmutter geweigert habe, mit ihm zu sprechen. Denn im Rahmen der Obliegenheit zum multimodalen Vorgehen bei der Begutachtung seien die Befunde in dem nicht unüblichen Fall einer verweigerten Mitwirkung eines Elternteils auf andere Weise zu erheben, um zu einer ausführlichen Beantwortung der aufgeworfenen Beweisfragen zu kommen.

Mit diesen Erwägungen ist das Amtsgericht zu dem nachvollziehbaren Ergebnis gekommen, dass von einer Erläuterung und Ergänzung des vorgelegten Gutachtens abzusehen und umgehend ein neues Gutachten einzuholen sei. Gründe, die diesen Erwägungen unter dem Gesichtspunkt des Beschleunigungsgebotes entgegengehalten werden könnten, vermag der Senat nicht zu erkennen.

c) Soweit es in dem Verfahren zu anderweitigen Verzögerungen gekommen ist, ist nicht feststellbar, dass dem ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur zügigen Verfahrensführung zugrunde liegt. Dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die fehlende Mitwirkungsbereitschaft der Kindesmutter im Verfahren wie auch bei der Begutachtung.

So hat der Gutachter zwar mit Schreiben vom 11.03.2020 bekanntgegeben, dass seine Versuche, Kontakt zu der Kindesmutter aufzunehmen, erfolglos geblieben seien und hat diese Prof. Dr. J. bereits mit Schriftsatz vom 30.03.2020 abgelehnt. Zu den darin vorgetragenen Bedenken hat der Sachverständige sodann mit Schreiben vom 22.04.2020 Stellung genommen, wozu der Kindesvater sich mit Schriftsatz vom 06.05.2020 und der Verfahrensbeistand sich mit Schriftsatz vom 25.05.2020 geäußert haben. Auch wenn dieser in seiner Stellungnahme ausdrücklich dargelegt hat, dass die Kindesmutter mit ihrer Ablehnung verdeutliche, dass sie wie zuvor in anderweitigen Verfahren lediglich auf Zeit spiele, erscheint es auch im Rahmen des Beschleunigungsgebots noch vertretbar, dass das Amtsgericht über deren Gesuch erst mit Beschluss vom 08.07.2020 nach Vorlage ihrer erneuten Stellungnahme entschieden hat.

Auf weitere Verzögerungen hat das Amtsgericht in der Folgezeit überwiegend sehr zeitnah reagiert. So hat es nach einem Anwaltswechsel die nunmehrige Verfahrensbevollmächtigte der Kindesmutter mit Verfügung vom 03.09.2020 aufgefordert, diese bei der Mitwirkung an der Beweiserhebung zu unterstützen, woraufhin mit Schriftsatz vom 07.10.2020 mitgeteilt wurde, dass Bedenken gegen eine Begutachtung von J. nicht erhoben würden. Auf die gegenteilige Erklärung der Kindesmutter im Schriftsatz vom 15.10.2020 wurde sie mit richterlichem Schreiben vom 21.10.2020 darauf hingewiesen, dass bei einer Verweigerung der Begutachtung des Kindes angezeigt sein könne, ihr die insoweit betroffenen Teilbereiche der elterlichen Sorge zu entziehen. Nachdem der Gutachter mit Schreiben vom 26.11.2020, mitgeteilt hatte, dass mit der Exploration von J. weiterhin nicht habe begonnen werden können, hat das Amtsgericht der Kindesmutter mit Verfügung vom Folgetag eine Frist zum 10.12.2020 gesetzt und angekündigt, dass ihr bei weiter verweigerter Begutachtung das Recht zur Aufenthaltsbestimmung und die Gesundheitssorge für J. entzogen, das Jugendamt insoweit als Pfleger bestellt und die Herausgabe des Mädchens angeordnet werde. Die Kindesmutter hat daraufhin mit Schriftsatz vom 10.12.2020 erklärt, grundsätzlich keine Bedenken gegen eine Begutachtung zu haben. Soweit sie darin erneut Prof. Dr. J. als Sachverständigen abgelehnt hat, wurde ihr mit richterlichem Schreiben vom 11.12.2020 mitgeteilt, dass weiterhin keinen Anlass für eine Befangenheit des Gutachters gesehen und die Begutachtung für erforderlich gehalten werde.

In der Gesamtbetrachtung sind damit keine längeren gerichtlichen Bearbeitungslücken in der vorliegenden Kindschaftssache feststellbar, die dem Beschleunigungsgebot aus § 155 Abs. 1 FamFG entgegenstehen.

Die Beschleunigungsbeschwerde des Antragstellers ist damit zurückzuweisen.

Soweit der Antragsteller mit Schriftsatz vom 06.08.2021 eine gesonderte Stellungnahme angekündigt hat, kommt ein weiteres Abwarten zur Entscheidung über seine bereits am 16.08.2021 eingegangene Beschwerde nicht in Betracht. Denn gemäß § 155c Abs. 3 Satz 1 FamFG entscheidet das Beschwerdegericht über die Beschleunigungsbeschwerde unverzüglich nach Lage der Akten, wobei die Entscheidung spätestens innerhalb eines Monats ergehen soll.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 FamFG, Nr. 1912 KV FamGKG. Die Beschwerde wurde seitens des Antragstellers ersichtlich auch im Interesse des betroffenen Kindes an einer beschleunigten Verfahrensführung eingelegt, nachdem ihm die Entscheidung des Amtsgerichts über die am 26.05.2021 erhobenen Beschleunigungsrüge nicht zeitnah nach Ablauf der Monatsfrist zugestellt wurde.