Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 21.02.2005, Az.: Ws 46/05
Perpetuierung der Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer; Gleichstellung der Ausweisung eines Verurteilten mit der Unterbrechung der Strafvollstreckung; Einhaltung der besonderen Voraussetzungen für eine Strafaussetzung zur Bewährung auch bei Ausweisung und Abschiebung in das Heimatland des Verurteilten; Erforderlichkeit einer günstigen Sozialprognose und Nachweis der nicht mehr vorgekommenen Straffälligkeit auch hinsichtlich der Zeiten im Ausland
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 21.02.2005
- Aktenzeichen
- Ws 46/05
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2005, 10521
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2005:0221.WS46.05.0A
Rechtsgrundlagen
- § 57 Abs. 2 Nr. 2 StGB
- § 57 Abs. 1 StGB
- § 456a StPO
- § 462a Abs. 1 S. 2 StPO
Fundstelle
- BewHi 2005, 414-415
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Eine Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung nach der Verbüßung der Hälfte der Freiheitsstrafe ist auch nach der Abschiebung des Verurteilten nur unter den Voraussetzungen des § 57 Abs.2 Nr.2 StGB zulässig.
- 2.
Allein ein tadelloses innervollzugliches Verhalten des Verurteilten reicht dafür nicht aus.
Gründe
Durch den angefochtenen Beschluss hat es die Strafvollstreckungskammer abgelehnt, die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung auszusetzen, nachdem der Verurteilte nach Verbüßung von etwas mehr als der Hälfte der Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren nach Polen abgeschoben worden war. Zum Sachverhalt und zur Begründung wird auf die Gründe des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen. Hiergegen hat der Verurteilte über seinen Verteidiger sofortige Beschwerde eingelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel zu verwerfen.
Die sofortige Beschwerde ist zulässig, bleibt aber in der Sache selbst ohne Erfolg.
Die Strafvollstreckungskammer war für den Erlass des angefochtenen Beschlusses zuständig, obwohl der Verurteilte bereits vor ca. zweieinhalb Jahren in sein Heimatland abgeschoben worden war. Denn die Ausweisung des Verurteilten gemäß § 456 a StPO steht einer Unterbrechung der Strafvollstreckung i.S.d. § 462 a Abs.1 S.2 StPO gleich (BGH NStZ 2000, 111; a. A. KG, Beschl. v. 27.01.2000, Az. 5 Ws 698/99), wonach die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer für diesen Fall perpetuiert wird.
In der Sache selbst hat die Strafvollstreckungskammer ihre Entscheidung zutreffend damit begründet, dass es bereits am Vorliegen besonderer Umstände i.S.d. § 57 Abs.2 Nr.2 StGB fehlt, sodass eine Strafaussetzung zur Bewährung bereits nach der Verbüßung der Hälfte der Freiheitsstrafe im vorliegenden Fall nicht in Betracht kommt. Allein der Umstand, dass das innervollzugliche Verhalten des Gefangenen nicht zu beanstanden war und er seiner Arbeit regelmäßig nachkam, reicht hierfür nicht aus. In der Tat selbst - maskiertes Eindringen mit einem Mittäter in einen Kiosk, Überfall des dort anwesenden Ehepaars, Bedrohung mit einem Messer mit erheblichen psychischen Folgen für die Opfer - sind keine besonderen Umstände zu erblicken, auch wenn die Strafkammer seinerzeit von einem minderschweren Fall ausgegangen ist, weil in dem Kiosk keine besonders hohe Beute zu erwarten war und der Angeklagte sich in einem finanziellen Engpass befand. Nach der Rechtsprechung müssen die besonderen Voraussetzungen des § 57 Abs.2 Nr.2 StGB für eine Strafaussetzung zur Bewährung auch dann erfüllt sein, wenn der Verurteilte gemäß § 456 a StPO ausgewiesen und in sein Heimatland abgeschoben wird. Das Kammergericht (Beschl. v. 27.01.2000, Az. 5 Ws 698/99) hat eine Strafaussetzung zur Bewährung sogar noch nahezu achtdreiviertel Jahre nach der Ausweisung mangels Vorliegens besonderer Umstände abgelehnt, obwohl in jenem Fall bei einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren die Vollstreckungsverjährung gemäß § 79 Abs.3 Nr.3 StGB nur zehn Jahre betrug (und eine Ausweisung nach § 456 a StPO ein Ruhen der Verjährung wegen Aufschubs oder Unterbrechung der Vollstreckung nach § 79 a Nr.2 a) StGB nicht bewirkt, Stree in Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl., § 79 a Rdnr.4). Diese Rechtsprechung erscheint nicht von vornherein ungerecht. Denn dem Verbot der Wiedereinreise steht ja die "Wohltat" gegenüber, dass der Verurteilte bereits nach Verbüßung der halben Strafe entlassen wird und in sein Heimatland zurückkehren kann, ohne dass besondere Umstände vorliegen müssen und sogar ohne dass eine günstige Sozialprognose gestellt werden muss. Hierin liegt eine erhebliche Privilegierung gegenüber anderen Tätern, die 2/3 ihrer Strafe verbüßen müssen oder mangels günstiger Sozialprognose ihre Strafe voll verbüßen.
Ob dieser Rechtsprechung auch mit dieser letzten Konsequenz zu folgen ist, braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden. Denn hier ist der Verurteilte erst vor zweieinhalb Jahren abgeschoben worden. Dies stellt keinen hinreichenden Zeitablauf dar, um von der Prüfung des § 57 Abs.2 Nr.2 StGB ganz absehen zu können. Dies gilt insbesondere im vorliegenden Fall, in welchem der Verurteilte ein Gewaltverbrechen begangen hat, wo an die Aussetzung strenge Maßstäbe anzulegen sind, da bei der vorzunehmenden Gesamtwürdigung im Rahmen der Prüfung der besonderen Umstände auch Gesichtspunkt der Verteidigung der Rechtsordnung einfließen (OLG München NStZ 1987, 74; Schönke/Schröder, a.a.O., § 57 Rdnr.25; KG, a.a.O.).
Auf die weitere Frage, ob dem Verurteilten derzeit eine günstige Sozialprognose i.S.d. § 57 Abs.1 StGB gestellt werden kann, kommt es damit nicht mehr an. Allerdings sei in diesem Zusammenhang noch darauf hingewiesen, dass diese nicht allein aufgrund der Behauptung der Verteidigung angenommen werden kann, der Verurteilte sei seit seiner Abschiebung nicht mehr straffällig geworden. Denn die günstige Sozialprognose muss von der Strafvollstreckungskammer positiv festgestellt werden, wobei nicht aufklärbare Unsicherheiten und Zweifel, ob derartige Umstände in zureichendem Maße vorliegen, zu Lasten des Verurteilten gehen (OLG Karlsruhe StV 2002, 322; Gribbohm in Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl., § 57 Rdnr.23). Hierfür müsste zunächst nachgewiesen werden, dass der Verurteilte auch in Polen nicht mehr straffällig geworden ist. Weiterhin hätte auch in diesem Fall die Strafvollstreckungskammer alle in § 57 Abs.1 S.2 StGB genannten Kriterien (Persönlichkeit des Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, das Verhalten des Verurteilten im Vollzug, seine Lebensverhältnisse und die Wirkungen, die von der Aussetzung für ihn zu erwarten sind) abzuwägen, auch wenn sich der Verurteilte nicht in Deutschland befindet (OLG Stuttgart NStE StGB § 57 Nr.19). Schließlich ist im vorliegenden Fall gemäß § 454 Abs.2 StPO auch ein Prognosegutachten einzuholen, da es sich bei der vom Verurteilten begangenen Tat um ein Verbrechen i.S.d .§§ 66 Abs.3 S.1 StGB, 454 Abs.2 S.1 Nr.2 StPO handelt, wobei vorliegend dahingestellt bleiben kann, wie in derartigen Fällen zu verfahren ist (vgl. KG, a.a.O.), weil ein solcher Fall nicht vorliegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs.1 StPO.