Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 21.07.2014, Az.: 1 Ss 154/14

Gewässerverunreinigung bei Verkehrsunfällen; Kein Nachholen des öffentlichen Interesses an der Strafverfolgung zur Begründung der Revision nach vorausgegangener ausdrücklicher oder konkludenter Verneinung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
21.07.2014
Aktenzeichen
1 Ss 154/14
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2014, 37771
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:2014:0721.1SS154.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Oldenburg - 06.02.2014 - AZ: 14 Ns 580/13

Fundstellen

  • DAR 2016, 92-93
  • NStZ-RR 2016, 14-15
  • NuR 2016, 71-72
  • StV 2017, 409
  • StraFo 2015, 509-510
  • VRS 129, 140 - 143

Amtlicher Leitsatz

1. Zum Anwendungsbereich des Tatbestandes der (fahrlässigen) Gewässerverunreinigung bei Verkehrsunfällen.

2. Hat die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung ausdrücklich oder konkludent verneint, kommt eine Bejahung dieses Interesses zur Begründung der Revision gegen einen Freispruch oder eine Einstellung nicht mehr in Betracht.

Redaktioneller Leitsatz

Der Anwendungsbereich der fahrlässigen Gewässerverunreinigung ist bei einem Verkehrsunfall nur dann erfüllt, wenn die verletzte Sorgfaltspflicht einen gewässerspezifischen Bezug hat. Die Verletzung allgemeiner straßenverkehrsrechtlicher Normen ist nicht ausreichend.

Tenor:

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil der 14. kleinen Strafkammer des Landgerichts Oldenburg vom 6. Februar 2014 wird als unbegründet verworfen.

Die durch die Revision der Staatsanwaltschaft veranlassten Kosten und notwendigen Auslagen des Angeklagten trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

1. Die Staatsanwaltschaft Oldenburg hat dem Angeklagten mit dem unter dem 6. Mai 2013 beantragten Strafbefehl zur Last gelegt, am 28. Dezember 2012 in Stadland fahrlässig ein Gewässer verunreinigt zu haben. Er soll ein auf der Kreisstraße 200 vor ihm fahrenden und deutlich langsamer werdenden Transporter ................... trotz Sichtbehinderung überholt haben. Nach Passieren des Transporters sei er mit dem vor dem Transporter befindlichen und nach links abbiegenden PKW ..................... zusammengestoßen. Der Angeklagte sei mit seinem PKW von der Fahrbahn abgekommen und im Graben liegen geblieben, der durch infolge des Unfalls austretende Betriebsstoffe verunreinigt worden sei.

Das Amtsgericht Nordenham hat den Angeklagten nach Erlass des Strafbefehls und hiergegen eingelegten Einspruch am 24. September 2013 wegen fahrlässiger Gewässerverunreinigung zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu je 20 € verurteilt.

2. Auf seine gegen dieses Urteil eingelegte Berufung hat das Landgericht Oldenburg - 14. kleine Strafkammer - am 6. Februar 2014 das Urteil des Amtsgerichts Nordenham aufgehoben und den Angeklagten aus tatsächlichen und aus rechtlichen Gründen freigesprochen.

Eine Verurteilung wegen fahrlässiger Gewässerverunreinigung gemäß § 324 Abs. 1 und Abs. 3 StGB scheide aus tatsächlichen Gründen aus, weil sich keine Sorgfaltspflichtverletzung des Angeklagten feststellen lasse. Der Verkehrsunfall sei von der Unfallgegnerin schuldhaft verursacht worden, weil diese durch das abrupt eingeleitete Manöver zum Abbiegen in ein Grundstück ohne vorherige linksseitige Einordnung und ausreichende Überprüfung des rückwärtigen Verkehrs gegen § 9 Abs. 1 S. 2 und Abs. 5 StVO verstoßen habe. Ein Sorgfaltspflichtverstoß des Angeklagten lasse sich demgegenüber unter keinem Gesichtspunkt, insbesondere nicht als Überholen bei unklarer Verkehrslage im Sinne von § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO feststellen.

Ferner sei eine Verurteilung wegen fahrlässiger Gewässerverunreinigung aus rechtlichen Gründen nicht möglich gewesen. Zwar komme eine entsprechende Strafbarkeit durchaus bei der Verursachung von Straßenverkehrsunfällen in Betracht. Es sei jedoch danach zu differenzieren, ob die Straßenverkehrsvorschrift zumindest auch den Schutz des Wassers bezwecke oder nicht. Dies treffe anders als beim Umgang mit gefährlichen Gütern nicht auf allgemeine Vorschriften zur Geschwindigkeit oder zum Überholen zu.

3. Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und von der Generalstaatsanwaltschaft vertretene Revision der Staatsanwaltschaft, die die Verletzung materiellen und formellen Rechts rügt und beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben.

Im Rahmen der Sachrüge bejaht die Staatsanwaltschaft "nunmehr" das öffentliche Interesse an der Verfolgung einer zum Nachteil der beiden Insassen des anderen Unfallfahrzeuges begangenen fahrlässigen Körperverletzung (§ 230 StGB). Weiter führt die Revision aus, dass die Feststellungen des Landgerichts zum tatsächlichen Geschehen unklar und widersprüchlich seien. Die Kammer habe ferner den Begriff der unklaren Verkehrslage (§ 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO) zugunsten des Angeklagten zu eng ausgelegt; der Angeklagte habe nicht ausschließen können, dass vor dem Transporter sich ein weiteres Fahrzeug befände. Soweit das Landgericht die Anwendbarkeit des § 324 StGB verneine, setze es sich in Widerspruch zur überwiegenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung.

Mit der Aufklärungsrüge bemängelt sie, dass die Kammer die beiden Insassen des anderen am Unfall beteiligten PKW nicht zum Unfallhergang vernommen habe.

II.

Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg. Der Freispruch hält rechtlicher Nachprüfung stand.

1. Der Senat teilt zwar die Ansicht der Revision, dass schon das vom Landgericht festgestellte Fahrverhalten des Angeklagten ein Überholen bei unklarer Verkehrslage im Sinne von § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO darstellen dürfte. Denn wenn dem Angeklagten wegen der Ausmaße des vor ihm fahrenden Transporters die Sicht nach Vorne genommen ist, ist die Verkehrslage schlicht unübersichtlich und somit unklar (vgl. zur unklaren Verkehrslage: Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl. 2014, § 5 StVO Rn. 26).

2. Im Übrigen begegnet der aus rechtlichen Gründen erfolgte Freispruch jedoch keinen Bedenken. Im Einzelnen:

a. Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft und mit dem Landgericht hält der Senat in Ansehung der dem Angeklagten als Führer eines PKW vorgeworfenen Handlung den Anwendungsbereich der fahrlässigen Gewässerverunreinigung gemäß § 324 Abs. 1, Abs. 3 StGB für nicht eröffnet.

aa. Nach dem im Gesetzentwurf (BT-Drs 8/2382, S. 15) formulierten Willen des Gesetzgebers soll sich die Prüfung der in Absatz 3 normierten Fahrlässigkeit selbstverständlich auf die Frage der Sorgfaltspflichtverletzung erstrecken, wobei sozialadäquate Risiken zu berücksichtigen seien. Die in diesem Zusammenhang ausdrücklich in Bezug genommenen Erläuterungen zu Absatz 1 weisen darauf hin,

"... auch Verkehrsunfälle, die zu Verunreinigungen führen, werden (vornehmlich über Absatz 3) erfaßt (Kollisionen mit Tankwagen, Zusammenstöße mit Schiffen, die - wie Öltanker - gefährliche Fracht befördern)".

Schon diese Formulierung spricht dagegen, dass es der Intention des Gesetzgebers gerecht werden dürfte, wollte man Ereignisse des normalen Straßenverkehrs im Hinblick auf mögliche Umweltgefährdungen unter Strafe stellen.

bb. Diese Einschätzung fügt sich mit einer Auswertung der zur fahrlässigen Gewässerverunreinigung ergangenen Rechtsprechung. Die insoweit veröffentlichten Entscheidungen behandeln durchweg allein solche Fallgestaltungen, die der Gesetzgeber mit seiner Beschränkung auf gefährliche Fracht befördernde Transportmittel bereits im Blick hatte (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 1. Dezember 1992 - 2 Ss 263/92 -, NJW 1993, 1408 [OLG Düsseldorf 01.12.1992 - 2 Ss 263/92 - 88/92 II], [OLG Düsseldorf 01.12.1992 - 2 Ss 263/92 - 88/92 II] betreffend einen Heizöltransporter; OLG Hamm, Beschluss vom 3. November 1992 - 2 Ss 1029/92 -, juris, betreffend ein Tankfahrzeug; OLG Hamburg, Urteil vom 25. Oktober 1982 - 2 Ws 144/82 -, NStZ 1983, 170, betreffend eine Schiffskollision).

cc. Der Meinungsstand in der Literatur gibt ein uneinheitliches Bild ab. Während verschiedene Stimmen - einige ohne nähere Begründung - eine auf einen Verkehrsunfall zurückzuführende Verunreinigung von der Norm erfasst sehen wollen (vgl. Fischer, 61. Aufl. 2014, StGB, § 324 Rn. 10; Ransiek, in: Kindhauser/Neumann/Paeffgen, StGB, 4. Aufl. 2013, § 324 Rn. 47 und § 324a Rn. 17; LK- Steindorf, StGB, 11. Aufl. 2005, § 324 Rn. 122) wird auch die einschränkende Ansicht vertreten, die Norm sanktioniere nur Führer solcher Fahrzeuge, die für die Umwelt darstellende gefährliche Güter mitführen (vgl. Alt, in: MüKO, StGB, 2. Aufl. 2014, § 324 Rn. 51).

Der Senat hält demgegenüber die Auffassung für vorzugswürdig, die sowohl den ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers als auch den daraus herzuleitenden Schutzzweck der Norm zureichend in den Blick nimmt (vgl. hierzu Heine/Hecker, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Aufl. 2014, § 324 Rn. 15, Schall, in: SK-StGB, 8. Aufl., Stand Juli 2012, § 324 Rn. 49; Krell, NZV 2012, 116). Danach ist maßgeblich, ob die Verkehrsvorschriften nur allgemein die Verkehrssicherheit regeln (wie Vorschriften zu Geschwindigkeit, Überholen, Fahrzeugzustand) oder zumindest auch den Schutz des Wassers bezwecken wollen. Allein die Verletzung allgemeiner straßenverkehrsrechtlicher Normen ist nicht ausreichend; die verletzte Sorgfaltspflicht muss vielmehr gewässerspezifisch sein und nicht bloß einen Schutzreflex darstellen (vgl. Krell, aaO., S. 117). Denn wer zu schnell oder bei Rot über die Ampel fährt, handelt zweifelsfrei fahrlässig gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern, aber nicht gegenüber der Umwelt. Für eine solche Begrenzung des Schutzzwecks der Norm streitet zudem ein Vergleich mit dem allgemein angewendeten Sorgfaltsmaßstab im Umweltstrafrecht. Dort ist bei fehlenden Sondernormen entscheidend, welche Sorgfalt ein "umweltbewusster Rechtsgenosse" (vgl. hierzu OLG Celle, Urteil vom 15. Oktober 2009 - 32 Ss 113/09 -, NdsRpfl 2010, 32) hätte walten lassen. Dass ein solcher gerade aus Pflichtbewusstsein gegenüber der Umwelt stets verkehrstreu sein Fahrzeug lenkt, ist lebensfremd (vgl. Krell, aaO.).

Ob dabei allein Verkehrsverstöße von Kraftfahrern, die gefährliche Güter transportieren, erfasst werden oder auch von Fahrern, die solche Fahrzeuge beispielsweise überholen, kann hier dahinstehen; denn beide Alternativen liegen nicht vor.

b. Das von der Staatsanwaltschaft erstmals mit der Revision bejahte besondere öffentliche Interesse nach § 230 StGB führt ebenfalls nicht zum Erfolg des Rechtsmittels. Die Erklärung ist unbeachtlich.

Zwar unterliegt die Kundgabe des besonderen Strafverfolgungsinteresses keiner Frist und kann - worauf die Generalstaatsanwaltschaft rekurriert - noch in der Revisionsinstanz nachgeholt werden (vgl. Fischer, aaO., § 230 Rn. 4; Stree/Sternberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 29.Aufl. 2014, § 230 Rn. 8; jeweils m.w.N.). Verneint die Staatsanwaltschaft allerdings im gerichtlichen Verfahren ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung, so ist sie hieran nach Erlass des Urteils gebunden (vgl. BGH, Urteil vom 3. Juli 1964 - 2 StR 208/64 -, NJW 1969, 1969 = BGHSt 19, 377). Dies ist zur Überzeugung des Senats hier der Fall.

aa. Die Staatsanwaltschaft hat mit dem Strafbefehlsantrag allein die fahrlässige Gewässerverunreinigung verfolgt. Dies geschah in Kenntnis des Umstandes, dass zuvor die Fahrerin des anderen am Unfall beteiligten PKW ausdrücklich durch Erklärung ihres Bevollmächtigten auf einen Strafantrag verzichtet und deren Beifahrerin sich die Stellung eines Strafantrages zwar vorbehalten, letztlich aber keinen solchen gestellt hatte. Indem die Staatsanwaltschaft im Übrigen keine nach § 154a StPO mögliche Verfolgungsbeschränkung vorgenommen hatte, dokumentierte sie ihr - seinerzeit - fehlendes Strafverfolgungsverlangen.

bb. Bis zur Revisionsbegründung ist es seitens der Staatsanwaltschaft zu keiner anderen Beurteilung der Interessenlage gekommen, obwohl bereits das Amtsgericht in seinem Urteil ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass eine Strafverfolgung wegen der zum Nachteil der Fahrzeuginsassen begangenen fahrlässigen Körperverletzungen an der mangelnden Erklärung seitens der Staatsanwaltschaft nicht in Betracht komme. Wenn die Staatsanwaltschaft in Kenntnis dieser Ausführungen gleichwohl nachfolgend nicht erklärt, sie bejahe das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung, kann dem keine andere Bedeutung beigemessen werden, als dass dies gerade nicht geschehen soll (vgl. hierzu Senatsbeschluss vom 29. Oktober 2008 - 1 Ss 408/08 -, juris Rn. 7). Dies gilt umso mehr, als die Staatsanwaltschaft in der Revisionsbegründung erklärt, das besondere öffentliche Interesse werde "nunmehr" bejaht.

In diesem Zusammenhang kann die unter Hinweis auf eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 18. Oktober 2011 (5 StR 346/11, juris) vertretene Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft nicht überzeugen, sie habe das besondere öffentliche Interesse in der Hauptverhandlung nicht bindend verneint. Der vom Bundesgerichtshof zu beurteilende Sachverhalt zeichnet sich - anders als hier - dadurch aus, dass die Anklageerhebung wegen des - dasselbe Rechtsgut betreffenden - Vorwurfs der gefährlichen Körperverletzung erfolgte. Die Staatsanwaltschaft hatte daher bei Anklageerhebung im Gegensatz zum vorliegenden Geschehen keinen Anlass, die Frage des Vorliegens eines öffentlichen Interesses zu prüfen. Erst als das erkennende Gericht hiervon abweichend auf eine mögliche Verurteilung wegen einfacher Körperverletzung hingewiesen hatte, war die Staatsanwaltschaft gefordert. Im vorliegenden Fall, in dem es um die Einbeziehung einer weiteren Rechtsgutsverletzung ging, hatte die Staatsanwaltschaft diese Frage schon mit der Anklageerhebung ablehnend entschieden.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 und Abs. 2 StPO.