Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 18.09.1985, Az.: 1 Ws 140/85

Zulässigkeit einer Haftbeschwerde neben einem Antrag auf Haftprüfung; Erfordernis der Verhältnismäßigkeit bei bei Beurteilug der Straferwartung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
18.09.1985
Aktenzeichen
1 Ws 140/85
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1985, 31065
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1985:0918.1WS140.85.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Osnabrück - AZ: 15 Js 547/85 OS

Fundstelle

  • MDR 1986, 163 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Kindesentziehung

In dem Ermittlungsverfahren
...
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
am 18. September 1985
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht xxx und
die Richter am Oberlandesgericht xxx und xxx
beschlossen:

Tenor:

Auf die weitere Beschwerde der Beschuldigten werden der Haftbefehl des Amtsgerichts Osnabrück vom 24. April 1985 und der Beschluß des Landgerichts Osnabrück vom 22. August 1985 aufgehoben.

Gründe

1

Durch den angefochtenen Beschluß hat das Landgericht die Beschwerde der Beschuldigten gegen den Beschluß des Amtsgerichts Osnabrück vom 9. August 1985, mit dem das Amtsgericht den Haftbefehl vom 24. April 1985 nach der Verkündung aufrechterhalten hatte, verworfen. Die weitere Beschwerde der Beschuldigten führt zur Aufhebung des Haftbefehls und des angefochtenen Beschlusses, einer gesonderten Aufhebung des Haftfortdauerbeschlusses vom 9. August 1985 bedarf es nicht.

2

Die weitere Beschwerde ist nach § 310 Abs. 1 StPO zulässig.

3

Dem steht nicht entgegen, daß der Verteidiger kurz nach ihrer Einlegung vorsorglich die Ansetzung eines Haftprüfungstermins beantragt hat. Neben einem Antrag auf Haftprüfung ist allerdings eine Haftbeschwerde unzulässig, und zwar tritt die Unzulässigkeit auch dann ein, wenn der Haftprüfungsantrag erst nach dem Einlegen der Erst- oder der weiteren Beschwerde gestellt wird. Dies kann aber (entgegen OLG Zweibrücken, JurBüro 1982, 1857, und Kleinknecht/Meyer, StPO, 37. Aufl., 2 zu § 117 StPO) dann nicht gelten, wenn der Haftprüfungsantrag vorsorglich für den Fall gestellt wird, daß die Haftbeschwerde erfolglos bleiben sollte. Die Regelung in § 117 Abs. 2 StPO soll verhindern, daß sich mehrere Instanzen gleichzeitig mit der Haftfrage befassen müssen und möglicherweise zu voneinander abweichenden Entscheidungen gelangen; demgemäß ist der unteren und damit sachnäheren Instanz der Vorrang zugeteilt worden. Macht der Verhaftete den Haftprüfungsantrag aber von dem Ausgang des Haftbeschwerdeverfahrens abhängig, so greift er (entgegen der Ansicht des OLG Zweibrücken a.a.O.) nicht in die gesetzlich geregelte Reihenfolge der Haftentscheidungen ein; mit dem Verlangen nach einer Haftprüfung nur für den Fall der Verwerfung der (weiteren) Haftbeschwerde erstrebt er nichts anderes als das, was er nach der Entscheidung des Beschwerdegerichts umgehend beantragen könnte. Hierbei kann nicht ausschlaggebend sein, ob der Haftprüfungsantrag erst nach dem Erlaß der Beschwerdeentscheidung zu den Akten gebracht wird oder (mit der ausdrücklichen Kennzeichnung als vorsorglich gestellt) schon vorher. Daß der Verteidiger den Haftprüfungsantrag in diesem Sinne vorsorglich stellen wollte, entnimmt der Senat der kaum anders zu verstehenden Bezeichnung als vorsorglich im Zusammenhang mit der späteren Klarstellung des Verteidigers im Schriftsatz vom 12. September 1985.

4

Damit erübrigt sich eine Entscheidung über den mit dem weiteren Schriftsatz vom 12. September 1985 gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, der allerdings, da Wiedereinsetzung nach § 44 StPO nur für die Versäumung von Fristen, nicht aber zum Ersatz unzulässiger Rechtsmittel erteilt werden kann, keinen Erfolg hätte haben können.

5

Die weitere Beschwerde ist auch begründet.

6

Die Beschuldigte ist zwar eines Vergehens nach § 235 Abs. 1 StGB dringend verdächtig; auch dauert der durch ihre Tat herbeigeführte Zustand nach wie vor an. Gegen sie besteht, der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs, 2 Nr. 2 StPO); gerade im Hinblick darauf, daß sie das Kind Cxxx in die Türkei gebracht und selbst die Absicht geäußert hat, mit ihrem Lebensgefährten und ihren anderen Kindern nach dort überzusiedeln, besteht die naheliegende Möglichkeit, daß sie sich dem Strafverfahren und seinen Folgen, der im Fall der Verurteilung zu erwartenden Strafvollstreckung, durch die Ausreise entziehen werde.

7

Jedoch fehlt es an dem Erfordernis der Verhältnismäßigkeit (§ 112 Abs. 1 Satz 2 StPO). Denn bei der Beurteilung der Straferwartung können die Besonderheiten des Falles nicht außer Betracht bleiben; sie bestehen darin, daß die Beschuldigte ihr leibliches Kind entführt hat, nachdem die in der Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 5. Juni 1982 - 5 W 20/82 - als erforderlich bezeichneten Versuche, es wieder zu seinen leiblichen Eltern hinzuführen, jedenfalls zu keinen von ihrem Standpunkt aus gesehen greifbaren Ergebnissen geführt hatten. Danach erscheint es fraglich, ob das Strafverfahren zur Verurteilung in eine (über das Maß der anzurechnenden Untersuchungshaft hinaus) zu vollstreckende Freiheitsstrafe führen wird. Bei dieser Sachlage erscheint die Untersuchungshaft nicht weiter vertretbar.

8

Dieser Beschluß ergeht ohne Entscheidung über Kosten und Auslagen, weil er weder ein Verfahren noch einen selbständigen Verfahrensabschnitt im Sinne von § 464 Abs. 1 und 2 StPO abschließt.