Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 16.03.2010, Az.: 3 WF 23/10

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
16.03.2010
Aktenzeichen
3 WF 23/10
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2010, 47942
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Für einen nach § 2 Abs. 2 VAÜG ausgesetzten Versorgungsausgleich, für den im Verbundverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt worden war, kann nach dessen Aufnahme nicht erneut Verfahrenskostenhilfe bewilligt werden (ebenso OLG Brandenburg, Beschluss vom 12.5.2010, 15 WF 125/10;
a. A. OLG Naumburg, Beschluss vom 4.3.2010, 8 WF 33/10).

2. Das Rentnerprivileg nach § 103 Abs. 3 Satz 1 SGB IV a. F. steht einer Durchführung des Versorgungsausgleichs nach neuem Recht nicht entgegen.

Tenor:

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - … vom 11.2.2010 wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Mit Urteil des Amtsgerichts - Familiengerichts - … vom 3.6.2008 ist die Ehe der Parteien geschieden worden, wobei das im Verbund geführte Verfahren über den Versorgungsausgleich ausweislich Ziffer 2 des Tenors gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 VAÜG ausgesetzt wurde. Für das Ehescheidungsverfahren war beiden Parteien Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und ihnen ihr jeweiliger Bevollmächtigter beigeordnet worden.

2

Mit Verfügung vom 15.1.2010 hat das Amtsgericht den ausgesetzten Versorgungsausgleich gemäß § 50 Abs. 1 Nr. 2 VersAusglG wieder aufgenommen, neue Auskünfte der Versorgungsträger eingeholt und die Beteiligten hiervon unterrichtet. Daraufhin hat die Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners mit Schriftsatz vom 25.1.2010 beantragt, dem Antragsgegner Verfahrenskostenhilfe unter ihrer Beiordnung zu bewilligen.

3

Das Amtsgericht hat den Antrag mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen: Die für das Ausgangsverfahren bewilligte Prozesskostenhilfe wirke fort, da die Abtrennung und Aussetzung des Versorgungsausgleichs nach § 2 Abs. 1 Satz 2 VAÜG nicht zu einem neuen Verfahren führe.

4

Mit seiner Beschwerde macht der Antragsgegner geltend, aufgrund der materiell-rechtlichen und verfahrensrechtlichen Neuregelung des Versorgungsausgleichs müssten neue Auskünfte der Versorgungsträger eingeholt und die Rechtslage umfassend neu geprüft werden, was einem neuen Verfahren gleich komme. Er ist darüber hinaus der Ansicht, der Versorgungsausgleich sei bereits im Scheidungsurteil abschließend dahin geregelt worden, dass er nicht stattfinde: Das Amtsgericht habe in dem Urteil seinem Antrag aus dem Schriftsatz vom 12.9.2007 stattgegeben, den Versorgungsausgleich nicht durchzuführen, weil er bereits vor der Scheidung Rentenleistungen erhalten habe und damit unter das Rentnerprivileg gefallen sei.

II.

5

Die Beschwerde des Antragsgegners ist gemäß § 76 Abs. 2 FamFG, § 127 Abs. 2 Satz 2, § 567 Abs. 1 Nr. 1, §§ 569, 571 ZPO i. V. m. § 48 Abs. 2 Nr. 1 VersAusglG, Art. 111 Abs. 4 Satz 1 FGG-RG zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg. Das Amtsgericht hat dem Antragsgegner zu Recht die beantragte Verfahrenskostenhilfe versagt, weil sich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Ehescheidungsverfahren auf den wiederaufgenommenen Versorgungsausgleich erstreckt, also ein Rechtsschutzbedürfnis für eine erneute Bewilligung fehlt.

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1. Soweit der Antragsgegner offenbar davon ausgeht, es handele sich vorliegend um ein neues Verfahren, da der Versorgungsausgleich bereits abschließend geregelt sei (vgl. Schriftsatz vom 1.3.2010 am Ende), beruht dies auf einer unzutreffenden Auslegung des Ehescheidungsurteils. Wie sich aus dessen Tenor und aus den Entscheidungsgründen zum Versorgungsausgleich in Verbindung mit dem Berichtigungsbeschluss vom 8.8.2008 eindeutig ergibt, hat das Amtsgericht den Versorgungsausgleich gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 VAÜG ausgesetzt, weil der Antragsgegner in der Ehezeit zwar die werthöheren angleichungsdynamischen Anrechte erworben hatte, die Antragstellerin aber die werthöheren nichtangleichungsdynamischen Anrechte. Eine abschließende Regelung des Versorgungsausgleichs ist darin nicht zu sehen. Die in den Entscheidungsgründen enthaltenen Ausführungen zum Rentenbezug des Antragsgegners und des für ihn zum Zeitpunkt der Entscheidung geltenden sog. "Rentnerprivilegs" nach § 101 Abs. 3 Satz 1 SGB VI a. F. lassen nicht den Schluss zu, das Amtsgericht habe den Versorgungsausgleich dauerhaft "beenden" wollen. Das Amtsgericht hat damit vielmehr begründet, warum die Voraussetzungen für eine sofortige Durchführung des Versorgungsausgleichs trotz Vorliegens eines Leistungsfalles nach § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VAÜG nicht gegeben waren (vgl. hierzu MünchKommBGB-Weber, 5. Aufl., § 2 VAÜG, Rz. 9 f.; Palandt/Brudermüller, BGB, 68. Aufl., Anh II zu § 1587b, § 2 VAÜG, Rz. 9).

7

Im Übrigen ist die Ansicht des Antragsgegners unzutreffend, das sogenannte Rentnerprivileg schließe die Durchführung des Versorgungsausgleichs aus. Schon nach altem Recht hinderte die Rentenleistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung an den ausgleichspflichtigen Ehegatten das Familiengericht grundsätzlich nicht, den Versorgungsausgleich durchzuführen. Der Besitzschutz des ausgleichspflichtigen Rentenbeziehers wurde dadurch erreicht, dass sich die Kürzung seiner Rentenanrechte aufgrund der Entscheidung des Familiengerichts erst dann auswirkte, wenn der ausgleichsberechtigte Ehegatte seinerseits Rente mit einem Zuschlag aus dem Versorgungsausgleich bezog (§ 101 Abs. 3 Satz 1 SGB VI a. F.). Nach dem neuen Versorgungsausgleich ist dieses "Rentnerprivileg" entfallen (vgl. § 101 Abs. 3 SGB VI n. F.). Im Falle des Antragsgegners dürfte zwar die Übergangsregelung des § 268a Abs. 2 SGB VI zur Anwendung kommen. Einer Regelung des Versorgungsausgleichs durch das Familiengericht steht das aber nicht entgegen.

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2. Nicht richtig ist auch die Auffassung des Antragsgegners, die Wiederaufnahme des nach § 2 Abs. 1 Satz 2 VAÜG ausgesetzten Versorgungsausgleichs führe zu einem neuen Verfahren, für das gesondert Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen sei, sofern die Bewilligungsvoraussetzungen vorliegen.

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Der durch Art. 23 Satz 2 Nr. 4 VAStrRefG aufgehobene § 2 Abs. 1 Satz 2 VAÜG sah in seinem 2. Halbsatz eine entsprechende Anwendung von § 628 Abs. 1 ZPO vor, also die Möglichkeit, unter Abtrennung des Versorgungsausgleichs über den Scheidungsantrag vorab zu entscheiden. Bei der Abtrennung nach § 628 ZPO a. F. handelte es sich nach übereinstimmender Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum nicht um eine echte Verfahrenstrennung mit der Folge, dass der abgetrennte Versorgungsausgleich als selbständige Familiensache fortzusetzen wäre. Er blieb vielmehr Folgesache (BGH FamRZ 1981, 24; OLG Dresden, FamRZ 2002, 1415; Zöller-Philippie, ZPO, 27. Aufl., § 628 Rz. 10). War einem Ehegatten für das Ehescheidungsverfahren Prozesskostenhilfe bewilligt worden, erstreckte sich diese auf die Versorgungsausgleichsfolgesache (§ 624 Abs. 2 ZPO a. F.) und wirkt über deren Abtrennung hinaus fort (OLG Dresden a. a. O.; Zöller-Philippi, ZPO, 27. Aufl., § 628 Rz. 18 f.).

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Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass der Versorgungsausgleich sowohl verfahrensrechtlich als auch materiell-rechtlich neu geregelt wurde. Auch nach dem neuen Verfahrensrecht des FamFG bleiben Versorgungsausgleichsfolgesachen nach einer Abtrennung Folgesachen, was § 137 Abs. 5 Satz 1 FamFG jetzt ausdrücklich ausspricht. Der zusätzliche Arbeitsaufwand, der sich für das Gericht und die Beteiligten durch die neue materielle Rechtslage ergibt, rechtfertigt es ebenfalls nicht, ein neues Verfahren zu konstruieren, für das erneut Prozesskostenhilfe beantragt und bewilligt werden müsste.

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Dieser Auffassung steht auch nicht die Übergangsvorschrift des Art. 111 Abs. 4 FGG-RG entgegen, der die Anwendung neuen Verfahrensrechts auf abgetrennte Versorgungsausgleichsfolgesachen in Altverfahren regelt. Nach Satz 2 dieser Vorschrift sind zwar dann, wenn neben dem Versorgungsausgleich weitere Folgesachen aus dem Scheidungsverbund des Altverfahrens abgetrennt wurden, alle abgetrennten Folgesachen als selbständige Familiensachen fortzuführen, also auch der Versorgungsausgleich selbst. Sinn dieser Regelung, die auch für nach § 2 Abs. 1 VAÜG ausgesetzte Verfahren gilt (vgl. Musielak-Borth, Familiengerichtliches Verfahren, Einl. Rz. 99), ist es aber lediglich klarzustellen, dass zwischen den abgetrennten Folgesachen kein Restverbund besteht, sondern sie jeweils getrennt zu behandeln sind (vgl. BT-Drs. 16/11903, Seite 62). Eine Auswirkung auf die bereits bewilligte Prozesskostenhilfe ist damit nicht verbunden.

12

3. Eine andere Frage ist, ob die Wiederaufnahme des ausgesetzten Versorgungsausgleichs für die Bevollmächtige des Antragsgegners neue Gebühren auslöst. Es ist einerseits allgemein anerkannt, dass Scheidungs- und Folgesache bei einer Vorabentscheidung der Ehesache nach § 628 ZPO a. F. eine einheitliche Gebührenangelegenheit bleiben mit der Folge, dass die Verfahrenswerte zusammenzurechnen sind und die Gebühren nur einmal anfallen (z. B. OLG Düsseldorf, JurBüro 2000, 413; MünchKommZPO-Finger, 3. Aufl., § 628 Rz. 28; Gerold/Schmidt- von Eicken , RVG, 16. Aufl., § 16 Rz. 8 und - Müller-Rabe , ebd., VV 3100 Rz. 97; Zöller-Philippi, a. a. O. Rz. 21). Ebenso einhellige Ansicht ist andererseits, dass bei einer echten Verfahrenstrennung nach § 623 Abs. 2 S. 2 ZPO a. F. (Abtrennung bestimmter Kindschaftssachen und ggf. damit zusammenhängender Unterhaltssachen) die Anwaltsgebühren in den nunmehr als selbständige Familiensache fortzuführenden Folgesachen (§ 623 Abs. 2 Satz 4 ZPO a. F.; jetzt § 137 Abs. 5 Satz 2 FamFG) noch einmal entstehen (z. B. OLG Karlsruhe, JurBüro 1999, 383; OLG Düsseldorf, JurBüro 2001, 686; Gerold/Schmidt- Müller-Rabe , a. a. O, 3100 VV, Rz. 105; Zöller-Philippi, a. a. O., § 623 Rz,. 32k a.E.). Dabei kann der Rechtsanwalt wählen, ob er entweder die Gebühren aus dem einheitlichen Verfahren nach dem dafür maßgeblichen Gesamtstreitwert oder aus den getrennten Verfahren mit den diesbezüglichen Einzelwerten geltend macht. Eine doppelte Geltendmachung scheidet hingegen aus (OLG Düsseldorf a. a. O.; Gerold/Schmidt- Müller-Rabe , a. a. O.).

13

Ob im vorliegenden Fall wegen Art. 111 Abs. 4 Satz 2 FGG-FG ein Verfahren vorliegt, das zumindest gebührenrechtlich wie eine nach § 623 Abs. 2 Satz 2 ZPO a. F. abgetrennte und selbständige Folgesache zu behandeln ist, kann im Rahmen dieses Beschwerdeverfahrens nicht entschieden werden, da es hier lediglich um die (erneute) Bewilligung der beantragten Prozesskostenhilfe geht.