Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 18.09.2008, Az.: SS 58/08
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 18.09.2008
- Aktenzeichen
- SS 58/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 42400
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:2008:0918.SS58.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Braunschweig - 01.02.2008 - AZ: 10 Ns 209/07
- AG Helmstedt - 20.02.2007 - AZ: 10 Ds 801 Js 17109/06
Fundstellen
- StV 2009, 120 (Volltext mit red. LS)
- StraFo 2008, 506-507 (Volltext mit red. LS)
in der Strafsache
...
wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig am 18. September 2008
beschlossen:
Tenor:
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 01. Februar 2008 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Strafkammer des Landgerichts Braunschweig zurückverwiesen.
Gründe
Die Revision ist begründet.
I.
Durch Urteil des Amtsgerichts Helmstedt vom 20. Februar 2007 ist gegen den Angeklagten wegen unerlaubten Handelns mit Betäubungsmittel in 10 Fällen eine Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verhängt worden. Hiergegen haben sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Angeklagte Berufung eingelegt. Durch das angefochtene Urteil ist die Berufung des Angeklagten verworfen worden; auf die Berufung der Staatsanwaltschaft ist das genannte Urteil des Amtsgericht Helmstedt dahin abgeändert worden, dass der Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 7 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden ist. Die Strafkammer hat festgestellt, der Angeklagte habe von Sommer 2005 bis Anfang November 2005 in Königslutter und Braunschweig an den Zeugen Ö.... in mindestens 7 Fällen 1-5 gr. Kokain zum Preis von 50,00 € je Gramm verkauft, ohne im Besitz einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis zu sein. Hiergegen hat der Angeklagte Revision eingelegt. Die Generalstaatsanwaltschaft hat deren Verwerfung gem. § 349 Abs. 2 StPO beantragt.
II.
Die Revision ist in zulässigerweise eingelegt und begründet worden. Sie hat bereits auf die Sachrüge hin einen vorläufigen Erfolg, weil die Beweiswürdigung der Strafkammer Lücken aufweist.
Die Strafkammer hat festgestellt, dass der Angeklagte im genannten Zeitraum das Kokain "in mindestens 7 Fällen" verkauft habe und dass dieser Sachverhalt auf den "glaubhaften Angaben des Zeugen Ö...." beruhe. Die Strafkammer hat jedoch nicht in nachprüfbarer Weise dargelegt, warum sie die Aussage des Zeugen, dass es sich um "mindestens 7 Fälle" gehandelt habe, für glaubhaft ansah. Hierzu hätte insbesondere deshalb Anlass bestanden, weil dem Angeklagten mit der Anklage vom 08.05.2006 (die der Kognitionspflicht des Revisionsgerichts unterliegt) zunächst vorgeworfen worden ist, in demselben Zeitraum "in wenigstens 15 Fällen" 1-5 g Kokain an diesen Zeugen verkauft zu haben, und dass er deshalb in seinem eigenen Verfahren aufgrund seines Geständnisses "wegen dieser 15 Drogenerwerbshandlungen" rechtskräftig zu Freiheitsstrafe verurteilt worden sei. Weiterhin hat das Amtsgericht Helmstedt den Angeklagten in der Vorinstanz wegen unerlaubten Handeltreibens in nur noch 10 Fällen verurteilt. Wenn nun das Landgericht - ohne jegliche Würdigung - die nunmehrige Aussage des Zeugen als "glaubhaft" ansieht, dass er das Kokain an den Angeklagten nur noch in mindestens 7 Fällen verkauft habe, so ist für das Revisionsgericht nicht nachvollziehbar, woraus das Landgericht die Glaubhaftigkeit dieser Zeugenangaben entnimmt, da die Aussage des Zeugen diesbezüglich offenbar ständig wechselte und andere Beweismittel bezüglich der Anzahl der Verkaufshandlungen nicht vorhanden sind.
Die Zweifel hinsichtlich der Glaubhaftigkeit der Angaben dieses Zeugen werden dadurch verstärkt, dass nach den Ausführungen der Strafkammer die Aussage "mit den Angaben" übereinstimme, "die der Zeuge in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren gemacht hat". Sollten die insoweit vereinzelten Ausführungen im Anklagesatz zutreffen, wonach der Zeuge (und damalige Angeklagte) in seinem eigenen Verfahren "wegen dieser 15 Drogenerwerbshandlungen" - die dem hiesigen Angeklagten im vorliegenden Verfahren vorgeworfen werden - rechtskräftig verurteilt wurde, so stimmt die Aussage dieses Zeugen hinsichtlich der Anzahl der Drogengeschäfte gerade nicht mit seinen Angaben im eigenen Verfahren überein, da die Strafkammer aufgrund dieser Zeugenaussage lediglich 7 Verkaufshandlungen festzustellen vermochte und die darüber hinausgehenden Fälle nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt hat.
Weiterer Anlass zur diesbezüglichen Glaubwürdigkeitsprüfung bestand, weil der Zeuge nach den Feststellungen der Kammer einerseits bei der Polizei falsche Anschuldigungen gegenüber verschiedenen Personen im Zusammenhang mit Drogengeschäften erhoben hatte und andererseits in der ersten Instanz des vorliegenden Verfahrens zunächst ausgesagt hatte, er habe das Kokain nicht vom Angeklagten, sondern von einer anderen Person gekauft. Demgegenüber stellt der Umstand, dass eine Reihe von Personen, die der Zeuge beschuldigt hat, inzwischen rechtskräftig - durch Urteil oder Strafbefehl - verurteilt worden sind, nur ein schwaches Indiz dar, weil durch weitere Zeugenaussagen bewiesen sein soll, dass der Zeuge anderweit auch verschiedene Personen zu Unrecht im Zusammenhang mit Drogengeschäften beschuldigt hat.
Im Übrigen kann je nach den Umständen des Einzelfalls auch der Erörterung bedürfen, ob und inwieweit der Zeuge den Angeklagten zu Unrecht belastet haben könnte, um sich selbst eine Strafmilderung nach § 31 BtMG zu verdienen.
III.
Aufgrund dieses Rechtsfehlers war das angefochtene Urteil gem. § 353 StPO mit den Feststellungen aufzuheben und war die Sache gem. § 354 Abs. 2 StPO an eine andere Strafkammer des Landgerichts Braunschweig zurückzuverweisen.
Im Übrigen geben die Gründe des angefochtenen Urteils zu folgendem Hinweis Anlass: Der Tatrichter ist gehalten, Feststellungen auch zur Qualität und zur Wirkstoffmenge des gehandelten Rauschgifts zu treffen, um den Schuldumfang der Straftaten hinreichend bestimmen zu können. Ohne diese Angaben vermag das Revisionsgericht nicht zu prüfen, inwieweit die Einzelstrafen rechtsfehlerfrei bemessen sind, da die Wirkstoffmenge einen wesentlichen Umstand für die Beurteilung der Schwere der Tat und die Bestimmung des Schuldumfangs darstellt ( BGH StV 2006, 184 m.w.N.; Weber, BtMG, 2. Aufl., vor §§ 29 ff., Rn. 742 ff.). Gerade im vorliegenden Fall, wo jede Einzelhandlung mit einer Einzelstrafe von 6 Monaten Freiheitsstrafe sanktioniert worden ist, konnte auf entsprechende Feststellungen nicht verzichtet werden (vgl. Weber, a.a.O., vor §§ 29 ff., Rn. 743). Darüber hinaus bedarf es besonderer Begründung, wenn das Berufungsgericht bei vergleichbaren Feststellungen die Einzelstrafen gegenüber dem amtsgerichtlichen Urteil erheblich erhöht (vgl. Stree in Schönke-Schröder, StGB, 27. Aufl., § 46 Rn. 65); dies gilt insbesondere im vorliegenden Fall, in dem das Berufungsgericht die Höhe der Einzelstrafen gegenüber dem Amtsgericht verdreifacht hat. Auch wenn das Betäubungsmittel nicht sichergestellt wurde und daher eine Untersuchung nicht möglich ist, sind konkrete Feststellungen zum Wirkstoffgehalt - unter Beachtung des Zweifelsgrundsatzes - unter Berücksichtigung aller feststellbaren Tatumstände i.S. einer Mindestqualität unverzichtbar (vgl. hierzu Weber, a.a.O., vor §§ 29 ff, Rn. 747 ff. und § 29a Rn. 921).
Die Entscheidung über die Kosten der Revision war dem Landgericht vorzubehalten, da derzeit der entgültige Erfolg des Rechtsmittels nicht abzusehen ist.