Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 13.05.2014, Az.: 1 Ws 216/14

Feststellung einer unerlaubten Einreise eines Ausländers im Sinne des § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG zum Zweck der illegalen Arbeitsaufnahme bei rechtmäßig erworbenem nationalen Aufenthaltstitel eines Schengen-Mitgliedstaates

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
13.05.2014
Aktenzeichen
1 Ws 216/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 16418
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2014:0513.1WS216.14.0A

Verfahrensgang

vorgehend
StA Hannover - 26.03.2014 - AZ: 6433 Js 20244/13

Fundstellen

  • NStZ-RR 2014, 301
  • StRR 2014, 243
  • StV 2015, 360
  • ZAR 2014, 386

Amtlicher Leitsatz

Verfügt ein Ausländer über einen rechtmäßig erworbenen nationalen Aufenthaltstitel eines Schengen-Mitgliedstaates, das ihn zur Einreise als Tourist nach Deutschland berechtigt, liegt eine unerlaubte Einreise im Sinne des § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG auch dann nicht vor, wenn diese zum Zweck der illegalen Arbeitsaufnahme erfolgt.

In dem Ermittlungsverfahren
gegen T. H. L. N.,
geboren am xxxxxx 1970 in H./Vietnam,
zurzeit JVA H.,
- Verteidiger: Rechtsanwalt A., H.,
Rechtsanwalt S., H. -
wegen Einschleusens von Ausländern
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Beschwerde der Beschuldigten gegen den Beschluss der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Hannover vom 17. April 2014 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft Celle durch die Richter am Oberlandesgericht xxxxxx, xxxxxx und xxxxxx am 13. Mai 2014
beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde wird mit der Maßgabe verworfen, dass der dringende Tatverdacht in den Fällen 6. bis 12. des Haftbefehls des Amtsgerichts Hannover vom 26. März 2014 entfällt und hinsichtlich Ziffer 13 dringender Tatverdacht wegen versuchten Einschleusens von Ausländern besteht.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beschuldigte.

Gründe

I.

Die Beschuldigte befindet sich seit ihrer Festnahme am 1. April 2014 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Hannover vom 26. März 2014 (Aktenzeichen: 277 Gs 11/14) in Untersuchungshaft. Der Beschuldigten wird in dem Haftbefehl vorgeworfen, in Hannover im Zeitraum vom 11. Februar 2011 bis zum 17. März 2014 durch 13 Straftaten jeweils wiederholt handelnd einem Anderen dazu Hilfe geleistet zu haben, eine Handlung nach § 95 Abs. 2 AufenthG zu begehen, wobei sie in den Fällen 1. bis 5. und 13. gewerbsmäßig gehandelt habe. In den Fällen 1. bis 5. soll die Beschuldigte mehreren vietnamesischen Staatsangehörigen mittels Gefälligkeitseinladungen Touristenvisa für die Schengener Vertragsstaaten verschafft und sie nach der Einreise in Scheinehen mit deutschen Staatsangehörigen vermittelt haben. Sodann seien unter Berufung auf die Eheschließung bei deutschen Behörden Aufenthaltsgenehmigungen beantragt worden sein. Hierfür soll die Beschuldigte jeweils einen Betrag in Höhe von 30.000 bis 40.000 € erhalten haben. In den Fällen 6. bis 12. soll die Beschuldigte vietnamesische Staatsangehörige, die über eine tschechische Aufenthaltsgestattung verfügten, durch attraktive Angebote dazu animiert haben, nach Deutschland zu reisen, und diese anschließend illegal in ihren Betrieben beschäftigt haben. Dabei soll sie in den Fällen 6. und 7. den vietnamesischen Staatsangehörigen zudem blanko entwendete italienische Identitätskarten, in die deren Personalien eingetragen worden waren, verschafft haben. Schließlich soll die Beschuldigte im Fall 13. einen vietnamesischen Staatsangehörigen, der über eine ungarische Aufenthaltserlaubnis verfügte, in einem ihrer Betriebe beschäftigt haben und ihm zudem eine Scheinehe mit ihrer Tochter in Aussicht gestellt haben, wofür sie ca. 18.000 € erhalten haben soll.

Nach dem Haftbefehl beruht der dringende Tatverdacht auf den bisherigen Ermittlungsergebnissen der Polizei. Als Haftgrund ist Fluchtgefahr gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO angenommen worden.

Die Beschwerde der Beschuldigten hat die Kammer mit dem angefochtenen Beschluss verworfen. In den Fällen 1. bis 5. sei dringender Tatverdacht gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 96 Abs. 1 Nr. 1 b, Abs. 2 Nr. 1 AufenthG, in den Fällen 6. bis 13. dringender Tatverdacht gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 96 Abs. 1 Nr. 1 b AufenthG gegeben. Dass die betroffenen vietnamesischen Staatsangehörigen sich im Besitz einer tschechischen bzw. ungarischen Aufenthaltserlaubnis befunden haben, die gemäß Art. 5 EG-VO 562/2006 zum Aufenthalt bis zu drei Monaten in der Bundesrepublik berechtigt, stehe der Annahme einer unerlaubten Einreise i. S. des § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG in den Fällen 6. bis 13. nicht entgegen, da eine Einreise zum Zwecke der Erwerbstätigkeit ohne die gemäß § 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG erforderliche Aufenthaltsgenehmigung erfolgt sei.

Gegen diesen Beschluss hat die Beschuldigte weitere Beschwerde erhoben, die sich allein gegen die Annahme von Fluchtgefahr richtet.

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig (§ 310 Abs. 1 Nr. 1 StPO), hat aber in der Sache keinen Erfolg.

1. Es besteht dringender Tatverdacht, dass die Beschuldigte jedenfalls in 6 Fällen gegen das Aufenthaltsgesetz verstoßen hat.

a) In den Fällen zu Ziffer 1. bis 5. des Haftbefehls begründet sich der dringende Tatverdacht auf die Ergebnisse der durchgeführten Observationen und Telekommunikationsüberwachungen sowie weitere Indizien. Dass die Beschuldigte der vietnamesischen Staatsangehörige T. T. L. Ng. bei der Einreise nach Deutschland Hilfe geleistet hat (Ziff. 1), lässt sich daraus schließen, dass diese in dem Antrag auf Erteilung ihres Visums den Namen der Beschuldigten als Einladende angegeben hat und auch der Flug von Vietnam über die E-Mail-Adresse der Beschuldigten gebucht worden ist. Hinsichtlich der anschließend eingegangenen Eheschließung liegen Erkenntnisse über die fehlende Ernsthaftigkeit sowie die unterstützenden Handlungen der Beschuldigten aufgrund des Inhalts mehrerer Telefonate vor. Erkenntnisse darüber, dass die Beschuldigte für ihre Vermittlungsdienste in diesem konkreten Fall Vermögensvorteile erworben hat, lassen sich den Akten zwar nicht entnehmen. Der dringende Tatverdacht beruht insoweit aber darauf, dass in ähnlich gelagerten Fällen (Ziffern 2. bis 5. sowie Fallakten 14 und 15) Geld an die Beschuldigte gezahlt worden sein soll und dies die Annahme rechtfertigt, dass dies auch im Fall zu Ziffer 1 der Fall gewesen ist. Eine genaue Bezifferung des Betrages ist im derzeitigen Verfahrensstadium nicht erforderlich.

Ähnliches gilt für Ziffer 2., 4. und 5., bei denen sich der dringende Tatverdacht aus den Erkenntnissen der Telefonüberwachung und dem zu Ziffer 1. vergleichbaren modus operandi ergibt. So haben mehrfach Telefonate zwischen Mitarbeiterinnen der Beschuldigten stattgefunden, in denen sich die Gesprächsteilnehmerinnen über die Möglichkeiten, durch die Beschuldigte einen Aufenthaltstitel zu erlangen, unterhielten. Hinsichtlich der Ziffern 2. und 5. sind auch Gespräche überwacht worden, in denen sich die Beschuldigte mit einem Dritten zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt über die erfolgreiche Einschleusung von K. L. N. (Ziffer 2.) und D. T. Ph. (Ziffer 5.) unterhalten hat. Hinsichtlich Ziffer 3. ist die Gefälligkeitseinladung durch die Beschuldigte selbst gestellt worden. Auch wenn zu diesem Fall keine konkreten Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung gewonnen werden konnten, ist der dringende Tatverdacht auch hier aufgrund des modus operandi begründet. Zudem ist die deutsche Staatsangehörige A., die in diesem Fall den vietnamesischen Staatsangehörigen T. Q. D. zum Schein geheiratet hat, dieselbe, die die Gefälligkeitseinladung für V. T. V. (Ziffer 4.) abgegeben hat. Sie ist zudem die Cousine von S. C., die zum Schein die Ehe mit V. T. V. eingegangen ist. Hinsichtlich Ziffern 2. und 5. sind die Gefälligkeitseinladungen zudem von R. B., dem Scheinehemann bezüglich Ziffer 1. ausgestellt worden. Dies untermauert, dass die Ziffern 1. bis 5. des Haftbefehls im Zusammenhang stehen, wobei die Telefonüberwachungen die Führungsrolle der Beschuldigten belegen. Ihr Verhalten stellt jeweils eine Hilfeleistung zu einem Verstoß gegen das Aufenthaltsgesetz gemäß § 95 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 96 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG dar. Da ausweislich der Erkenntnisse aus der Telefonüberwachung jeweils eine nicht unerhebliche Menge Geld an die Beschuldigte geflossen sein soll, die Beschuldigte aber trotz des Betriebs ihrer Nagelstudios und Restaurants keine nennenswerten Beträge erwirtschaftet hat, ist auch von Gewerbsmäßigkeit Im Sinne des § 96 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG auszugehen.

b) Hinsichtlich der Taten zu Ziffern 6. bis 12. liegt auf der Grundlage der sich derzeit aus den Akten ergebenden Erkenntnisse hingegen dringender Tatverdacht wegen Einschleusens von Ausländern nicht vor. Denn konkrete Indizien für eine wiederholte Hilfeleistung zu unerlaubten Einreisen mehrerer Ausländer (§ 96 Abs. 1 Nr. 1b i.V.m. § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG) sind bislang nicht gegeben.

Der dringende Tatverdacht für ein Einschleusen von Ausländern läge demnach nur vor, wenn die Beschuldigte als Teilnehmerin einer Straftat vietnamesischer Staatsangehöriger nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG beteiligt gewesen ist, was aufgrund der wiederholten Handlung der Beschuldigten eine Täterschaft nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 b begründen könnte. Eine unerlaubte Einreise nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG liegt jedoch nur vor, wenn die vietnamesischen Staatsangehörigen entgegen § 14 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 AufenthG, also ohne im Besitz eines Passes oder eines Aufenthaltstitels gewesen zu sein, in das Bundesgebiet eingereist wären.

In den Fällen 6 bis 12 haben alle dort betroffenen vietnamesischen Staatsangehörigen über einen Aufenthaltstitel der tschechischen Behörden verfügt. Gemäß Art. 21 Abs. 1 SDÜ war es ihnen mithin gestattet, sich ohne weiteren Titel innerhalb des Schengen-Raums frei zu bewegen. Insoweit käme eine unerlaubte Einreise nur in Betracht, wenn die tschechischen Aufenthaltstitel selbst auf unlautere Weise erlangt worden wären (§ 95 Abs. 6 AufenthG; vgl. BGH NStZ, 2012, 644 [BGH 24.05.2012 - 5 StR 567/11]) oder die Motivation der Ausländer, in Deutschland eine Arbeit aufzunehmen, Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Einreise entfaltete. Zu ersterem verhält sich der dem Senat vorliegende Akteninhalt jedoch nicht. Teilweise sind die tschechischen Aufenthaltsgenehmigungen bereits deutlich älteren Datums als der Tag der Einreise nach Deutschland, so dass nicht ausgeschlossen werden kann, dass die vietnamesischen Staatsangehörigen den Entschluss, in Deutschland illegal zu arbeiten, erst zu einem Zeitpunkt gefasst haben könnten, an dem sie sich bereits mit einer gültigen Aufenthaltserlaubnis in Tschechien befunden haben. Hierfür spricht auch die Annahme, die Beschuldigte habe die Ausländer zur Reise nach Deutschland animiert, weil diese hier mehr als in Tschechien verdienen könnten. Inwieweit etwa die Aussage des V. Ti. V. (Ziffer 6.), unmittelbar nach Ankunft in Tschechien von der Beschuldigten nach Deutschland geholt worden zu sein, eine abweichende Beurteilung zulässt, müssen die weiteren Ermittlungen ergeben. Hierauf wird es auch für die Annahme des Schleusungstatbestandes entscheidend ankommen, da zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Einreise die Motivation, in Deutschland einer Beschäftigung nachzugehen, ansonsten außen vor bleiben muss. Zwar ist die Einreise nach Art. 21 SDÜ nur erlaubt, wenn der Ausländer die in Art. 5 Abs. 1 lit. a, c und e SDÜ (entspricht Art. 5 der EG-Verordnung Nr. 562/2006 - Schengener Grenzkodex -) genannten Voraussetzungen erfüllt. Danach darf der Ausländer u.a. keine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellen, worunter die Aufnahme einer illegalen Beschäftigung fallen könnte (vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 4. Juni 2012, 22 L 613/12 - [...]). Stellte man aber alleine darauf für eine Strafbarkeit des Ausländers nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG ab, könnte von einem erforderlichen eindeutigen Auslegungsmaßstab im Sinne des verfassungsrechtlich gebotenen Bestimmtheitsgrundsatzes von Strafbestimmungen nach Art. 103 Abs. 2 GG nicht gesprochen werden. Nicht nur lässt der Begriff der Gefahr für die öffentliche Ordnung schon per se Interpretationsspielraum, er wird durch die Regelung des Art. 5 Abs. 1 lit. c SDÜ auch zusätzlich in der Erkennbarkeit seiner Bedeutung verwässert, weil darin ausdrücklich zugelassen wird, dass die Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts im Aufnahmemitgliedstaat rechtmäßig, gegebenenfalls also auch durch eine legale Erwerbstätigkeit erworben werden (vgl. VG Frankfurt, Urteil vom 14. Dezember 2010, 7 K 851/10.F - [...]). Dies hat zur Folge, dass für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Einreise es allein auf objektive Kriterien ankommen kann (vgl. so auch die Gesetzesbegründung in BR-Drs. 22/03, S. 164). Es ist daher allein darauf abzustellen, dass die betroffenen Ausländer über eine wirksame Einreisegenehmigung verfügt haben (vgl. BGH NJW 2005, 2095 [BGH 27.04.2005 - 2 StR 457/04]; Renner/Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 10. Aufl., § 95 AufenthG Rn. 53). Dass der Gesetzgeber durch die Einführung von § 95 Abs. 6 AufenthG die Fälle der unlauteren Erlangung von Aufenthaltsgenehmigungen dem Fehlen einer solchen gleichgestellt hat, ist hier unerheblich. Der Gesetzgeber wollte dadurch sämtliche Fälle erfassen, in denen die strafbefreiende Genehmigung auf unlautere Weise erlangt worden ist (vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 199). Daraus lässt sich folgern, dass außerhalb des Anwendungsbereichs des § 95 Abs. 6 AufenthG die Rechtsprechung des BGH (a. a. O.) fortwirkt und es bei einer erteilten Aufenthaltsgenehmigung in welcher Form auch immer auf die Motivation des Antragstellers bei seiner Einreise für die Frage eines strafbaren Verhaltens nach § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG nicht ankommt.

Liegt demnach ein dringender Tatverdacht hinsichtlich der Ziffern 6. bis 12. wegen Einschleusens von Ausländern in der Form des § 95 Abs. 1 Nr. 3 AufenthG gegenwärtig nicht vor, schließt dies nicht aus, dass der Beschuldigten andere Taten vorgeworfen werden könnten. So kommt neben den Urkundsdelikten in Ziffer 6 und 7 (§§ 267, 276, 276a StGB) auch das Einschleusen von Ausländern in der Form des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG in Betracht, da die Ermittlungen ergeben haben, dass die Beschuldigte den Ausländern die Beschaffung deutscher Papiere in Aussicht gestellt hat. Hierzu bedarf es indessen weiterer Ermittlungen. Dass die Beschuldigte die vietnamesischen Staatsangehörigen illegal beschäftigt hat, unterfällt dem Einschleusungstatbestand hingegen selbst dann nicht, wenn die Ermittlungen ergeben würden, dass die Beschuldigte für ihre Hilfeleistung Vorteile erhalten oder sich versprechen lassen hat (§ 96 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Denn die illegale Tätigkeit der Ausländer erfüllt lediglich einen Bußgeldtatbestand, nicht aber die Strafnorm des § 95 Abs. 1a AufenthG, der den Besitz eines Schengen-Visums erfordert.

c) Hinsichtlich Fall 13 gelten die Überlegungen zu 1 b entsprechend. Gleichwohl liegt hier dringender Tatverdacht dafür vor, dass die Beschuldigte bei der Anbahnung einer Scheinehe von H. N. P. mit der Tochter der Beschuldigten zur Erlangung entsprechender Papiere Hilfe geleistet hat. Dass entgegen den Angaben des Mitbeschuldigten P. geplant war, durch Eingehung einer Scheinehe schließlich in den Besitz deutscher Papiere zu gelangen, ergibt sich unmittelbar aus einem nach der Vernehmung erfolgten Anruf des Mitbeschuldigten P. bei seinem Onkel in Vietnam. Darin beklagt sich Ersterer auch, dass das bereits gezahlte Geld weg sei, weil die Beschuldigte inhaftiert worden sei. Ob die einem weiteren Gespräch entnommene Zahl "18.000" tatsächlich die Summe darstellt, die der Beschuldigten zugeflossen ist oder zufließen sollte, kann gegenwärtig dahingestellt bleiben (s.o. 1 a).

Zwar ist es weder zur Eheschließung noch zur anschließenden Antragstellung bei deutschen Behörden gekommen. Dies steht der Annahme dringenden Tatverdachts indessen nicht entgegen, weil der Versuch der Hilfeleistung gemäß § 96 Abs. 3 AufenthG ebenfalls unter Strafe steht. Dieser beginnt, wenn der Täter eine Handlung vornimmt, mit der er nach seiner Vorstellung von der Tat unmittelbar zu einer Förderung der präsumtiven Bezugstat ansetzt. Ob die Bezugstat in das Versuchsstadium eingetreten ist, ist dabei unerheblich. Maßgeblich ist, wie weit sich der Täter bereits dem von ihm anvisierten Unterstützungserfolg angenähert und durch sein Handeln eine Gefahr für das betroffene Rechtsgut begründet hat (vgl. BGH NStZ 2013, 483 [BGH 06.06.2012 - 4 StR 144/12]). Dies ist hier der Fall, nachdem die Beschuldigte bereits die Formalitäten für die Eheschließung erledigt und gegenüber der Mutter des Mitbeschuldigten P. erklärt hatte, dass "die beiden losfahren können, sobald die Papiere da sind".

2. Es besteht der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Selbst mit Wegfall der rechtlichen Einordnung hinsichtlich der Taten zu Ziffern 6. bis 12. als Einschleusen von Ausländern ist aufgrund des wegen der übrigen sechs Taten bestehenden Strafrahmens von mindestens sechs Monaten pro Tat und auch unter Berücksichtigung der zu mildernden Strafe in Ziff. 13 ein hoher Fluchtanreiz für die Beschuldigte gegeben, dem genügend soziale Bindungen in der Bundesrepublik nicht entgegenstehen, um sicherzustellen, dass die Beschuldigte sich dem Verfahren stellen wird. Die Beschuldigte verfügt über wesentliche Kontakte ins außereuropäische Ausland, wie ihre auffällig häufigen Reisen von 2003 bis 2006 nach Vietnam belegen. Zudem verfügt sie offenbar über Kontakt zu Ausweisfälschern (vgl. Ziffern 6. und 7.), die ihr auch ein Untertauchen in anderen Staaten ermöglichen würden. Die finanzielle Situation der Beschuldigten in Deutschland ist zudem desolat. Dass sie eine 9-jährige Tochter zu betreuen hat, stünde einer Flucht der Beschuldigten nicht entgegen, da sie ihre Tochter ohne weiteres mitnehmen könnte.

3. Der Zweck der Untersuchungshaft kann mit weniger einschneidenden Mitteln (§ 116 StPO) nicht erreicht werden. Geeignete Auflagen, die einer Fluchtgefahr hinreichend entgegenwirken könnten, sind nicht erkennbar. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist angesichts der Schwere der der Beschuldigten zur Last gelegten Taten sowie der Dauer der bisher erlittenen Untersuchungshaft nicht berührt. Anhaltspunkte dafür, dass das Ermittlungsverfahren aufgrund von den Justizbehörden zuzurechnenden Verfahrensverzögerungen nicht mit der gebotenen Beschleunigung durchgeführt worden ist, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 StPO.