Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 18.01.2019, Az.: 1 Ss 217/18

Schuhe als gefährliches Werkzeug bei Körperverletzung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
18.01.2019
Aktenzeichen
1 Ss 217/18
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2019, 44581
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Osnabrück - 29.06.2018 - AZ: 5 Ns 201/17

Redaktioneller Leitsatz

Ein beschuhter Fuß kann bei einem empfindlichen Körperteil wie den Knien bei entsprechender Wucht zu erheblichen Verletzungen führen und ist deshalb ein gefährliches Werkzeug.

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 5. kleinen Strafkammer des Landgerichts Osnabrück vom 29. Juni 2018 wird auf seine Kosten als unbegründet verworfen.

Der Angeklagte hat auch die durch das Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen des Nebenklägers zu tragen.

Gründe

Das Amtsgericht Osnabrück - Schöffengericht - hatte den Angeklagten am 15. September 2017 wegen einer gefährlichen Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt und die Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Mit Urteil vom 29. Juni 2018 hat das Landgericht Osna-brück auf die hiergegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft den Angeklagten wegen einer gefährlichen Körperverletzung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Die Berufung des Angeklagten wurde verworfen.

Mit seiner Revision gegen das landgerichtliche Urteil rügt der Angeklagte die Verletzung materiellen Rechts und beantragt, das Urteil in vollem Umfang aufzuheben.

Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg. Die Überprüfung des Urteils auf die in zulässiger Weise erhobene Sachrüge lässt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erkennen.

1.

Die Strafkammer hat festgestellt, dass der Angeklagte gemeinsam mit drei weiteren Mittätern am TT. MM 2016 in der (...) Innenstadt auf den Zeugen X traf und diese miteinander verbal in Streit gerieten. Im Laufe des sich zunächst entwickelnden Wortgefechtes zog der Zeuge X ein mitgeführtes Messer und bedrohte die Gruppe um den Angeklagten. Der Nebenkläger BB, der mit dem Zeugen X in Form einer Wohngemeinschaft zusammenlebte, stand abseits von dem Geschehen und mischte sich nicht in den Streit ein. Als die Stimmung der Gruppe um den Angeklagten aggressiver wurde und der Zeuge X befürchtete, körperlich angegriffen zu werden, lief er in Richtung seiner Wohnung davon. Die Gruppe um den Angeklagten folgte ihm. Der Nebenkläger lief ebenfalls hinterher. Dem Zeugen X gelang es, in das Gebäude zu entkommen und die Tür zu schließen. Die Gruppe um den Angeklagten wandte sich daraufhin dem bis dahin völlig unbeteiligten Nebenkläger zu und begann, diesen über einen Zeitraum von zehn bis zwanzig Minuten zu schlagen und zu treten. Nachdem der Nebenkläger zu Boden gegangen war, traten die vier Personen weiter auf ihn ein, wobei sich die Tritte insbesondere auch gegen seinen Kopf, sein Gesicht und seine Genitalen richteten. Im weiteren Verlauf der Attacke stellte sich der Angeklagte mit seinen Füßen auf die Oberarme und den Oberkörper des Nebenklägers, um ihn so am Boden zu fixieren und am Weglaufen zu hindern, während die anderen Mittäter weiter auf ihn eintraten.

Als der Zeuge Y, ein mit dem Nebenkläger nur zufällig namensgleicher, unbeteiligter Passant, vorbeikam und dem am Boden liegenden Nebenkläger zur Hilfe kommen wollte, stieg der Angeklagte einem spontanen Tatentschluss entsprechend vom Oberkörper des BB herab, lief auf den Y zu und trat mit Wucht gegen dessen beide Knie, so dass sich dieser vor Schmerzen gleich wieder zurückzog.

Sowohl der Nebenkläger als auch der Zeuge Y mussten anschließend im Krankenhaus behandelt werden.

2.

Die Beweiswürdigung, aufgrund welcher das Landgericht das äußere Tatgeschehen und die Täterschaft des Angeklagten festgestellt hat, ist nicht zu beanstanden. Rechtsfehlerfrei ist die Kammer nach umfassender Würdigung der hinzugezogenen Beweismittel, insbesondere der Aussagen der vernommenen Zeugen, zu dem Ergebnis gelangt, dass der Angeklagte gemeinsam mit den anderen Mittätern diverse Schläge und Tritte gegen den Nebenkläger geführt, ihn mit den Füßen am Boden fixiert und auch dem zu Hilfe eilenden Zeugen Y in die Knie getreten hat.

3.

Zutreffend hat das Landgericht nicht nur die Tat zum Nachteil des Nebenklägers, sondern auch die Verletzungshandlung zum Nachteil des Zeugen Y durch den Tritt gegen beide Knie als gefährliche Körperverletzung gewertet.

Eine gefährliche Körperverletzung im Sinne des § 224 Absatz 1 Nr. 2 2. Alt. StGB liegt dann vor, wenn ein "anderes gefährliches Werkzeug" zur Tatausführung eingesetzt wird. Dabei ist ein Gegenstand dann ein gefährliches Werkzeug, wenn er nach seiner objektiven Beschaffenheit und nach seiner Art der Benutzung im Einzelfall geeignet ist, erhebliche Verletzungen zuzufügen. Schuhe kommen als solche in Betracht, je nach Art des Einsatzes neben festen, schweren Schuhen auch gewöhnliche Straßen- und handelsübliche Turnschuhe. Hinsichtlich letzterer wird ein gefährlicher Einsatz im Allgemeinen dann bejaht, wenn mit dem beschuhten Fuß gegen einen besonders empfindlichen Körperteil, wie zum Beispiel Gesicht, Kopf, Bauch oder die Genitalien, getreten wird (vgl. Stree/Strenberg-Lieben, in: Schönke/Schröder, StGB, 29. Auflage, § 224 Rd. 5; Hardtung, in: Münchener Kommentar zum StGB, 3. Auflage, § 224 Rd. 28). Eine gefährliche Körperverletzung kann aber auch dann vorliegen, wenn gegen einen anderen Körperteil getreten wird, sofern dadurch aufgrund der Umstände des konkreten Einzelfalls die Gefahr folgenschwerer Verletzungen eintritt (vgl. BGH, Urteil vom 20.3.2003, 4 StR 527/02, juris), so etwa bei einem Tritt in die Rippen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 15.11.1988, 2 Ss 329/88; NJW 1989, 920, juris).

So liegt der Fall hier.

Die Strafkammer hat festgestellt, dass der Angeklagte handelsübliche, feste Turnschuhe trug und damit "mit großer Wucht gegen beide Knie [des Zeugen Y trat], um ihn zu verletzen und in die Flucht zu schlagen." Durch diese Tathandlung hat der Angeklagte bewusst gegen einen sehr anfälligen Körperteil getreten und die Gefahr einer folgenschweren Verletzung für das Opfer herbeigeführt. Denn das Kniegelenk stellt ein empfindliches und gleichzeitig hochkomplexes Gelenk des menschlichen Körpers dar, das sich durch eine besondere Verletzbarkeit bei stumpfer Gewalteinwirkung auf die Kniescheibe mit den darunterliegenden Bändern, Gelenken und Gefäßen auszeichnet. Durch Gewalteinwirkungen jeglicher Art, vor allem aber durch einen gezielten Tritt gegen das Knie, können erhebliche Verletzungen entstehen, die zu dauerhaften Einschränkungen oder Beschädigungen des Gelenks und damit der Gehfähigkeit des Opfers führen können (vgl. auch BGH, Urteil vom 12.03.2015, 4 StR 538/14, juris). Diese Gefahr hat sich hier durch den wuchtigen Tritt des Angeklagten sogar verwirklicht. Als Folge wurde der Zeuge an seinen Knien so schwer verletzt, dass er sofort im Krankenhaus behandelt werden musste, für eine Woche arbeitsunfähig krankgeschrieben wurde und während dieser Zeit erhebliche Schwierigkeiten beim Laufen hatte.

4.

Die Einordnung der gegen den Zeugen Y gerichteten Verletzungshandlung als eigenständige Tat ist revisionsrechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Mit zutreffender Begründung geht die Strafkammer davon aus, dass die erste Handlungseinheit - das gemeinsame Treten und Schlagen des Nebenklägers - durch das Hinzukommen des helfenden Zeugen Y und den Entschluss des Angeklagten, diesen abzuwehren, unterbrochen worden ist. Es handelt sich bei den beiden Opfern um individuelle Rechtsgutträger, so dass bereits aufgrund der Verletzung höchstpersönlicher Rechtsgüter die Annahme einer natürlichen Handlungseinheit nicht naheliegt (vgl. BGH, Urteil vom 13.9.1995, 3 StR 221/95, juris, Rd. 4). Zwar kann eine Handlungseinheit bei einem einheitlichen Tatgeschehen im Einzelfall dann zu bejahen sein, wenn mehrere Geschädigte durch dieselbe Einwirkungshandlung oder aufgrund eines insgesamt gefassten Tatentschlusses verletzt werden. Beide Fallvarianten liegen hier jedoch nicht vor. Die Tathandlungen erfolgten getrennt voneinander und durch unterschiedliche Tatbeteiligte. Die Tatentschlüsse wurden von dem Angeklagten separat gefasst.

5.

Schließlich weisen auch die für die beiden Fälle der gefährlichen Körperverletzung vorgenommene Strafzumessung der Strafkammer sowie die vorgenommene Gesamtstrafenbildung keine Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf.

Rechtsfehlerfrei hat die Strafkammer bzgl. des Angeklagten AA und des nicht revidierenden Mitangeklagten CC trotz der unterschiedlichen Tatbeiträge auf dieselbe Strafhöhe erkannt. Es ist dem Tatrichter nicht verwehrt, auch unterschiedliche Tatbeiträge gleich zu gewichten und trotz verschiedener Handlungen zu einer einheitlichen Strafhöhe zu gelangen. Denn auch wenn der nicht revidierenden Mitangeklagte CC in den Urteilsgründen als der "Hauptaggressor" angeführt wird, hat die Strafkammer hinsichtlich des Angeklagten AA festgestellt, dass dieser auf dem Oberkörper des Nebenklägers gestanden und ihn damit am Boden fixiert hat. Im Ergebnis ist eine übereinstimmende Gewichtung dieser unterschiedlichen Tatbeiträge mit der Folge einer gleichen Strafhöhe nicht zu beanstanden, zumal dem Tatgericht bei der Strafzumessung ein weiter Beurteilungsspielraum zusteht, in dessen Rahmen das Revisionsgericht jede rechtsfehlerfrei begründete Entscheidung hinzunehmen hat. Dabei ist auch nicht zu beanstanden, dass die Strafkammer die Erwägungen bzgl. der Tatbeiträge nicht explizit in die Urteilsgründe aufgenommen hat. Das Tatgericht ist nach § 267 Abs. 3 Satz 1 StPO nicht gehalten, alle, sondern nur "die bestimmenden Strafzumessungserwägungen" darzulegen. Eine erschöpfende Darstellung ist nicht erforderlich (vgl. BGH, Beschluss vom 21.9.2005, 5 StR 263/05, juris). Ebenso wenig erweist es sich als rechtsfehlerhaft, dass die Urteilsgründe hinsichtlich der Strafzumessung für den Angeklagten AA Bezug nehmen auf die zuvor vorgenommene Strafzumessung für den Mitangeklagten CC. Da die Erwägungen sämtlichst auf beide zutreffen, wäre es reine Förmlichkeit, würde man verlangen, die Erwägungen erneut aufzulisten, obwohl durch eine Bezugnahme ebenso deutlich wird, dass das Gericht diese Erwägungen seiner Strafzumessung zu Grunde gelegt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 472 Abs.1, 473 Abs. 1 StPO.