Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 15.01.1985, Az.: 11 A 124/84
Ausweisung eines türkischen Staatsangehörigen wegen besonderer Gefährlichkeit nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Ausländergesetz (AuslG) ; Erfordernis des Eintritts der Rechtskraft des Strafurteils für eine Ausweisung nach § 10 Abs. 1 Nr. 2 Ausländergesetz (AuslG) ; Geltung der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 6 MRK im Ausweisungsverfahren; Überprüfung auf Ermessensfehler; Einbeziehung der Folgen eines nach ausländischem Recht strafbaren Verhaltens in das Ausweisungsermessen (Doppelbestrafung, Todesstrafe); Aufenthaltsrechtlicher Schutz eines Verlöbnisses; Gegenstandslos-werden einer Ausreisfrist; Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs nach § 80 Abs. 6 VwGO
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 15.01.1985
- Aktenzeichen
- 11 A 124/84
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1985, 12641
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:1985:0115.11A124.84.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Oldenburg - 17.07.1984 - AZ: 4 OS VG A 272/83
- nachfolgend
- BVerwG - 18.07.1985 - AZ: BVerwG 1 B 39.85
- BVerwG - 01.12.1987 - AZ: BVerwG 1 C 29.85
Verfahrensgegenstand
Ausweisung und Abschiebung.
Prozessführer
des türkischen Staatsangehörigen z.Zt. Justizvollzugsanstalt
Prozessgegner
die Stadt ...,
durch den Oberstadtdirektor,
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat der 11. Senat des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein in Lüneburg
auf die mündliche Verhandlung vom 15. Januar 1985
durch
die Richter am Oberverwaltungsgericht Dr. ...,
und ...
sowie die ehrenamtlichen Richter ...
und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4. Kammer Osnabrück - vom 17. Juli 1984 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Der am 20. Juni 1954 geborene Kläger besitzt die türkische Staatsangehörigkeit. Er reiste im Jahre 1969 in die Bundesrepublik ein, um sich bei den hier lebenden Eltern aufzuhalten. Die zuständigen Ausländerbehörden erteilten ihm ab Vollendung des 16. Lebensjahres eine Aufenthaltserlaubnis und verlängerten diese zuletzt bis 18. Dezember 1980. Im Jahre 1976/77 leistete der Kläger in der Türkei Wehrdienst. Er ist ledig, jedoch Vater zweier nichtehelicher Kinder. Der Kläger war mehrere Jahre in einer Ziegelei in ... als Arbeitnehmer tätig. Mitte des Jahres 1977 wurde er arbeitslos und nahm im Jahre 1981 wieder eine Beschäftigung in einem türkischen Cafe in auf.
Der Kläger ist wie folgt strafrechtlich in Erscheinung getreten:
1.
Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 02.09.1980 - KLs 13 Js 116/80 -: Freiheitsstrafe von fünf Monaten wegen unerlaubten Erwerbs und Besitzes einer Pistole in Tatmehrheit mit unerlaubtem Besitz einer Nun Chaku; die Strafe war durch die Untersuchungshaft verbüßt.
2.
Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 19.04.1983 - 13 Js 222/82 (83/82) -: Freiheitsstrafe von sieben Jahren wegen Handeltreibens in Tateinheit mit Einfuhr von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Der Kläger hat von Anfang 1981 bis Anfang 1982 mehr als 1.500 g Heroin aus der Türkei eingeführt und abzusetzen versucht.
Wegen der letztgenannten Tat wurde der Kläger am 16. Januar 1982 festgenommen. Er verbüßt derzeit die verhängte Freiheitsstrafe.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 20. August 1981 die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis ab und wies den Kläger gestützt auf das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 2. September 1980 gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG unbefristet aus der Bundesrepublik aus. Sie setzte eine Frist zur freiwilligen Ausreise von einem Monat, spätestens bis 25. September 1981 und drohte die Abschiebung an. Der Kläger legte Widerspruch ein, dessen aufschiebende Wirkung das Verwaltungsgericht durch Beschluß vom 6. Oktober 1981 - 4 OS VG D 56/81 - wiederherstellte. Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 1983 wies die Bezirksregierung Weser-Ems den Widerspruch zurück. Sie führte aus, der Kläger habe nach der erneuten Verurteilung durch das Landgericht Osnabrück vom 19. April 1983 den Ausweisungstatbestand des § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG mehrfach erfüllt. Die Ausweisung sei wegen der besonderen Gefährlichkeit der Rauschgiftkriminalität bereits aus generalpräventiven Gründen geboten. Es sei aber auch nicht auszuschließen, daß der Kläger rückfällig werde. Sein langjähriger Aufenthalt im Bundesgebiet rechtfertige im Rahmen der Interessenabwägung keine abweichende Beurteilung.
Am 7. November 1983 hat der Kläger Klage erhoben. Er hat vorgetragen, die Ausweisung stütze sich letztlich auf die Verurteilung durch das Landgericht Osnabrück vom 19. April 1983. Diese reiche angesichts seines langjährigen Aufenthalts in der Bundesrepublik nicht aus.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 20. August 1981 sowie den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 20. Oktober 1983 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch Gerichtsbescheid vom 17. Juli 1984 abgewiesen. Unter Bezugnahme auf einen Beschluß im Verfahren gemäß § 80 Abs. 6 VwGO vom 15. März 1984 - 4 OS VG D 137/83 - hat es ausgeführt, der Kläger sei zu Recht ausgewiesen worden. Er habe zweimal den Ausweisungstatbestand des § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG erfüllt. Ermessensfehler seien im Rahmen der eingeschränkten richterlichen Überprüfung von Ermessensentscheidungen nicht erkennbar. Insbesondere sei es zulässig, bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz generalpräventiven Erwägungen besonderes Gewicht bei zumessen. Der langjährige Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet habe erhebliches Gewicht, müsse jedoch angesichts der Art und Schwere seiner Straftaten zurückstehen.
Gegen diesen am 30. Juli 1984 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich die am 17. August 1984 eingegangene Berufung des Klägers. Er trägt vor, er lebe seit dem 7. Februar 1978 mit der türkischen Staatsangehörigen ... nach moslemischem Recht zusammen. Aus der Verbindung seien der am 30. Dezember 1979 geborene Sohn ... und die am 30. August 1981 geborene Tochter ... hervorgegangen. Seine Angehörigen lebten in .... Er fühle sich als Deutscher und werde sich in der Türkei nicht mehr zurechtfinden. Die Ausweisung sei auch deshalb rechtswidrig, weil das Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 19. April 1983 erst nach Abschluß des Widerspruchsverfahrens rechtskräftig geworden sei und die Beklagte die Gefahr einer nochmaligen Bestrafung nach türkischem Recht nicht gewürdigt habe. Hierfür habe insbesondere deshalb Anlaß bestanden, weit ihm gemäß § 403 TürkStGB die Todesstrafe drohe. Schließlich werde im Widerspruchsbescheid die Abschiebung ohne vorherige Fristsetzung und Androhung gemäß § 13 Abs. 2 AuslG für rechtmäßig erklärt. Hierin liege eine unzulässige Verböserung.
Der Kläger beantragt.
unter Aufhebung des Gerichtsbescheides des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 4. Kammer Osnabrück - vom 17. Juli 1984 nach den in erster Instanz gestellten Anträgen zu erkennen,
hilfsweise,
die Abschiebungsanordnung in den angefochtenen Bescheiden dahin einzuschränken, daß eine Abschiebung in die Türkei für unzulässig erklärt werde.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Gerichtsbescheid.
Wegen des weiteren Sachverhalts wird ergänzend auf die Schriftsätze der Parteien sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten (Beiakten A, B) Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger konnte gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG ausgewiesen werden, denn er ist durch Urteile des Landgerichts Osnabrück vom 2. September 1980 und vom 19. April 1983 wegen Straftaten verurteilt worden. Das Urteil vom 19. April 1983 konnte im Verwaltungsverfahren berücksichtigt werden, obwohl es erst seit dem 24. Januar 1984 rechtskräftig ist. Der Eintritt der Rechtskraft ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bei Ausweisungen gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG nicht erforderlich (vgl. Meyer, NVwZ 84, S. 13, 15 m.w.N.). Die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 6 MRK beschränkt sich auf das strafprozessuale Verfahren. Das Ausweisungsverfahren dient demgegenüber polizeilichen Zwecken und kann mit einem Strafverfahren selbst bei einem "autonomen" Verständnis dieses Begriffs (dazu Kühl. NJW 1984, 1264) nicht gleichgesetzt werden. Der im Schrifttum unter Berufung auf das Bundesverfassungsgericht vertretenen gegenteiligen Auffassung (Huber, NJW 1984, 2011; BVerfG, Beschl. v. 19.08.1983, NVwZ 83, 667) vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die bezeichnete Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts befaßt sich mit Ausweisungshindernissen aus Gründen des Vertrauensschutzes. In diesem Zusammenhang kann es eine Rolle spielen, ob die Ausländerbehörde in Kenntnis einer rechtskräftigen Verurteilung die Aufenthaltserlaubnis verlängert (so auch Meyer, a.a.O., S. 21). Ein solcher Fall war hier indes nicht gegeben. Es bedarf bei dieser Sachlage keiner Erörterung, ob der Kläger mit dem Einwand der mangelnden Rechtskraft auch deshalb ausgeschlossen ist, weil diese inzwischen eingetreten ist.
Die angefochtenen Bescheide lassen im Rahmen der beschränkten richterlichen Nachprüfung von Ermessensentscheidungen (§ 114 VwGO) auch keine Ermessensfehler erkennen. Der Zweck der Ausweisungsermächtigung ist ordnungsrechtlicher Natur. Die Ausweisung soll einer künftigen Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vorbeugen, nicht aber ein in der Vergangenheit liegendes Fehl verhalten des Ausländers ahnden. Die generalpräventiven Erwägungen der angefochtenen Bescheide entsprechen diesen Grundsätzen. Die Ausländerbehörde übt ihr Ermessen sachgerecht aus, wenn sie durch die Ausweisung darauf hinwirken will, daß andere im Bundesgebiet lebende Ausländer keine Rechtsverstöße begehen. Das Ausländergesetz geht grundsätzlich davon aus, daß von der Ausweisung eine abschreckende Wirkung sowie eine Weckung und Festigung des Rechtsbewußtseins und der Rechtstreue erwartet werden kann (BVerwG, Buchholz 402.24, § 10 Nr. 69). Die Ausländerbehörde darf dabei nicht schematisch vorgehen. Sie muß berücksichtigen, daß das Maß der durch eine Ausweisung zu erreichenden Verhaltenssteuerung bei den einzelnen Straftaten unterschiedlich ist. In der Rechtsprechung ist jedoch geklärt, daß Delikte aus dem Bereich der Rauschgiftkriminalität zu den Straftaten gehören, bei denen generalpräventive Erwägungen besonderes Gewicht haben und geeignet sind, das Ausweisungsermessen allein zu tragen (BVerfGE 35, 386; BVerwG, Buchholz 402.24, § 10 Nr. 41). Die angefochtenen Bescheide gehen zudem zu Recht von einer in der Person des Klägers begründeten Wiederholungsgefahr aus. Bei dem vom Landgericht Osnabrück abgeurteilten Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz hat der Kläger ein zielstrebiges, vom Erwerbssinn diktiertes Verhalten an den Tag gelegt. Er hat eine ungewöhnlich große Menge Heroin in das Bundesgebiet verbracht und es dabei vermieden, nach außen selbst in Erscheinung zu treten. Die vorangegangene Verurteilung durch das Landgericht Osnabrück vom 2. September 1980, bei der ebenfalls der Verdacht eines Rauschgiftdelikts bestand, hat er sich nicht zur Warnung dienen lassen. Zudem sind den Verwaltungsbehörden bereits seit dem Jahre 1977 Klagen über eine Neigung des Klägers zur Gewalttätigkeit bekanntgeworden (Vermerke Bl. 4, Bl. 59 Beiakte B betr. Übergriffe gegen Familienmitglieder). Insgesamt wird eine über die Jahre gleichgebliebene mangelnde Anpassungsbereitschaft des Klägers an grundlegende Verhaltensregeln des Gastlands deutlich, die zu erneuten Straftaten führen kann. Dabei ist zu berücksichtigen, daß wegen der besonderen sozialen Schädlichkeit der Rauschgiftkriminalität schon eine geringe Rückfallwahrscheinlichkeit im Rahmen des ausländerbehördlichen Ermessens ein erhebliches Gewicht hat.
Die mit der Ausweisung verbundenen Nachteile stehen auch nicht außer Verhältnis zu den angestrebten general- und spezialpräventiven Zwecken. Dem langen Aufenthalt des Klägers im Bundesgebiet und seiner damit verbundenen wirtschaftlichen und sozialen Integration kommen erhebliches Gewicht zu. Das Ausweisungsermessen des § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG ist jedoch nicht ausgeschlossen. Die Möglichkeiten der vorbeugenden Gefahrenabwehr konnten wegen des großen Gewichts des abzuwendenden Schadens voll ausgeschöpft werden.
Die Beklagte hat auch zu Recht keinen Anlaß gesehen, eine denkbare nochmalige Bestrafung des Klägers wegen der Rauschgifttat gemäß § 403 TürkStGB (dazu Aksoy, Info AuslR 1981, S. 76 ff) in ihre Ermessenserwägungen einzubeziehen. Das verfahrensrechtliche Verbot der Doppelbestrafung gemäß § 103 Abs. 3 GG gilt nach ganz herrschender Meinung nur im Verhältnis zwischen deutschen Gerichten (vgl. aus der verfassungsrechtlichen Literatur nur Schmid - Bleibtreu, GG, 1980, Art. 103, 11 m.w.N., ferner Hallbronner, Ausländerrecht, RdNr. 441, OVG Münster, Urt v. 26.11.1981 - 17 A 1797/81 -, DVBl 1983, 37, Hess VGH, Urt. v. 17.12.1981 - VII OE 112/81 -, Info AuslR (982, S. 177, Meyer, a.a.O., S. 20; a.A. Kunig, DVBl 83, S. 38)). Die Ausländerbehörde hat auch regelmäßig keinen Anlaß, im Rahmen der Ermächtigung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG zu prüfen und zu würdigen, ob der Ausländer möglicherweise nach dem Recht seines Heimatstaats eine Bestrafung zu erwarten hat. Der Strafanspruch ausländischer Staaten ist Ausdruck fremder Hoheitsgewalt, den deutsche Behörden im Interesse der Gegenseitigkeit zu respektieren haben. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Mittel und Zweck verlangt, daß sie die nachteiligen Folgen ihrer eigenen Maßnahmen, nicht aber der fremder Hoheitsträger abwägen. Demgemäß sind die Ausländerbehörden grundsätzlich nicht gehalten, durch Verzicht auf die nach deutschem Recht vorgesehenen aufenthaltsbeendenden Maßnahmen die Anwendung des Heimatrechts auf den Ausländer zu verhindern (BVerwG, Buchholz 402.24, § 10 Nr. 4, OVG Münster, a.a.O., Meyer a.a.O.. S. 20 m.w.N., a.A. Hailbronner, RdNr. 441).
Die Ausweisung kann auch unabhängig davon erfolgen, ob im Falle eines Auslieferungsersuchens Auslieferungshindernisse gemäß §§ 2 ff des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen bestehen würden. Der Ausweisungsermächtigung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG liegt das innerstaatliche Interesse an einer wirksamen Gefahrenabwehr zugrunde, welches im Auslieferungsverfahren keine Rolle spielt. Eine Übertragung der Auslieferungsverbote auf das Ausweisungsverfahren verbietet Sich daher (OVG Münster, a.a.O., Hailbronner, RdNr. 442, 622).
Nur ausnahmsweise kann sich für die Ausländerbehörde die Notwendigkeit ergeben, die Folgen eines nach ausländischem Recht strafbaren Verhaltens bei ihren Entscheidungen in Rechnung zu stellen. Das Grundgesetz erhebt die Achtung der Menschenwürde zum obersten Gebot der deutschen Rechtsordnung. Es verbietet sich daher für jede deutsche Behörde, einen Ausländer der Gefahr einer Bestrafung auszusetzen, die auch bei Berücksichtigung fremder staatspolitischer Gegebenheiten den Grundüberzeugungen der gesamten Kulturwelt widerspricht (BVerfGE 18, 112, auch BVerwG, Urt. v. 17.05.1983, E 67, 184). Eine solche gegen Mindestanforderungen der Menschenwürde verstoßende Behandlung ist aber weder in einer Doppelbestrafung noch in einer nach ausländischem Recht drohenden Todesstrafe zu erblicken. Eine Doppelbestrafung nimmt auch die deutsche Strafprozeßordnung in begrenztem Umfang für sich in Anspruch (vgl. § 153 c Abs. 1 Nr. 1 StPO). Die Todesstrafe ist zwar für die Bundesrepublik Deutschland abgeschafft (vgl. Art. 102 GG). Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (a.a.O.) kann diese Regelung jedoch nicht als rechtsstaatlich-sittliche Grundforderung angesehen werden, welche die Bundesrepublik gegenüber ausländischen Staaten unter Diskriminierung fremder Rechtsordnungen unbedingt durchzusetzen hätte. Der Senat vermag nicht festzustellen, daß nach dem inzwischen erreichten Zivilisationsniveau die Todesstrafe eine allgemeine Ächtung erfahren hat. Nach wie vor wird die Todesstrafe auch in führenden westlichen Demokratien verhängt und vollstreckt. Die Ausländerbehörde hatte daher weder bei der Entscheidung gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 2 AuslG noch bei Vollstreckungsmaßnahmen gemäß § 13 AuslG Erwägungen über eine mögliche Bestrafung des Klägers nach türkischem Recht anzustellen. Abschiebungsmaßnahmen, die im Anfechtungsverfahren der Aufhebung unterliegen können, liegen im übrigen derzeit nicht vor, vgl. unten.
Die Ausweisung des Klägers verletzt schließlich nicht den Schutz von Ehe und Familie. Die "Ehe" des Klägers kann nach deutschem und türkischem Recht allenfalls als Verlöbnis bezeichnet werden. Ein Verlöbnis genießt nach gefestigter Rechtsprechung jedoch keinen erhöhten aufenthaltsrechtlichen Schutz. Es finden sich auch keine Hinweise, daß zu den beiden Kindern andere als unterhaltsrechtliche Beziehungen bestehen. Zwar hat der Kläger nach den Feststellungen im Urteil des Landgerichts Osnabrück vom 2. September 1980 im Mai 1979 eine gemeinsame Wohnung mit Frau ... bezogen. Diese hat die Wohnung jedoch bereits im März 1980 wieder verlassen. Der Kläger selbst hat sich am 3. August 1981 für eine von ihm allein bewohnte Wohnung in Osnabrück angemeldet (Bl. 113 Beiakte B). Bei der Festnahme vom 16. Januar 1982 lebte er mit Frau ... in einer Wohnung in ..., 54, zusammen (Beiakten C Bl. 54).
Der Klage gegen die Ausreisefrist und Abschiebungsandrohung gemäß Bescheid der Beklagten vom 20. August 1981 mangelt es am Rechtsschutzinteresse. Die Regelung der Beklagten gemäß § 13 Abs. 2 AuslG ist gegenstandslos geworden. Der Kläger war von der Ausreisepflicht befreit, nachdem das Verwaltungsgericht im Verfahren gemäß § 80 Abs. 5 VwGO durch Vorsitzendenbeschluß vom 22. September und Kammerbeschluß vom 6. Oktober 1981 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederhergestellt hatte. Die abändernde Entscheidung gemäß § 80 Abs. 6 VwGO durch Beschluß des Verwaltungsgerichts vom 15. März 1984 - 4 OS VG D 137/83 - (Beschl. d. erk. Sen. v. 18.05.1984 - 11 OVG B 320/84 -) konnte hieran nichts mehr ändern, da die Ausreisefrist inzwischen abgelaufen war, ohne daß der Kläger sie zu befolgen hatte. Eine Rückwirkung kam der Entscheidung gemäß § 80 Abs. 6 VwGO nicht zu (vgl. Kopp. VwGO. RdNr. 114 zu § 80). Ein Festhalten an der Regelung gemäß § 13 Abs. 2 AuslG kann auch nicht aus dem Widerspruchsbescheid herausgelesen werden, denn dieser enthält hierzu keinerlei Ausführungen (vgl. dazu BVerwG, NVwZ 83, 476). Soweit er sich zur Zulässigkeit einer Abschiebung gemäß § 13 Abs. 1 AuslG ohne vorherige Androhung und Fristsetzung gemäß § 13 Abs. 2 AuslG äußert, geht dies ins Leere. Eine Anordnung gemäß § 13 Abs. 1 AuslG haben weder die Beklagte noch die Widerspruchsbehörde getroffen. Wie sich aus Tenor und Schlußsatz des Widerspruchsbescheids ergibt, wollte die Widerspruchsbehörde lediglich über den Widerspruch entscheiden. Eine weitergehende Regelung zu der sie im übrigen nicht befugt gewesen wäre (BVerwGE 51, 301, 314 [BVerwG 10.11.1976 - VIII C 92/75]; E 65, 314, 319, Bay. VGH, NJW 82, S. 460), hat sie nicht treffen wollen. Die Ausführungen betreffend die Abschiebung beschränken sich auf die Feststellung, daß diese gerechtfertigt sei, treffen eine entsprechende Regelung selbst aber nicht. Sie dürften darauf zurückzuführen sein, daß die Widerspruchsbehörde davon ausging, die Abschiebung sei bereits von der Beklagten verfügt worden (vgl. Bl. 2 des Widerspruchsbescheids).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 VwGO.