Landgericht Lüneburg
Urt. v. 23.02.2023, Az.: 25 Ns/1112 Js 38078/20 (1/23)

Bibliographie

Gericht
LG Lüneburg
Datum
23.02.2023
Aktenzeichen
25 Ns/1112 Js 38078/20 (1/23)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 28844
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGLUENE:2023:0223.25NS1.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
AG Lüneburg - 11.07.2022 - AZ: 15 Ls 37/21

Amtlicher Leitsatz

Die Weisung an den Angeklagten nach § 56c StGB, das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland zu verlassen und während der Bewährungszeit nicht erneut einzureisen, ist zulässig.

In der Strafsache
gegen
A. F.,
geboren am,
wohnhaft
Staatsangehörigkeit: afghanisch,
wegen versuchter Vergewaltigung
hat das Landgericht Lüneburg - 5. Kleine Strafkammer - in der öffentlichen Sitzung vom 23.02.2023, an der teilgenommen haben:
als Vorsitzender
als Schöffen
als Beamt. der Staatsanwaltschaft
als Verteidiger
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Angeklagten wird unter Verwerfung des Rechtsmittels im Übrigen das Urteil des Amtsgerichts Lüneburg vom 11. Juli 2022 im Rechtsfolgenausspruch abgeändert und zur Klarstellung wie folgt neu gefasst:

Der Angeklagte ist der versuchten Vergewaltigung schuldig.

Er wird zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr 9 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zu Bewährung ausgesetzt wird.

Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen. Jedoch wird die Berufungsgebühr um 50 % ermäßigt. In diesem Umfang trägt die Landeskasse die notwendigen Auslagen des Angeklagten in der Berufungsinstanz.

Gründe

I.

Der Angeklagte und Berufungsführer ist mit Urteil des Amtsgerichts - Schöffengericht - Lüneburg vom 11. Juli 2022 wegen versuchter Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 3 Monaten verurteilt. Mit seiner Berufung wendet sich der Angeklagte gegen das Urteil mit dem Ziel, zu einer Freiheitsstrafe verurteilt zu werden, deren Vollstreckung noch zur Bewährung ausgesetzt wird. Die Berufung hat zu einem wesentlichen Teil Erfolg.

II.

Aufgrund der im Hauptverhandlungstermin vom 23. Februar 2023 erfolgten Beschränkung der Berufung des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch sind folgende Feststellungen zum Tatgeschehen, wie sie das Amtsgericht Lüneburg in seiner angefochtenen Entscheidung vom 11. Juli 2022 getroffen hat, in Rechtskraft erwachsen:

"Der Angeklagte traf in der Nacht vom 21. auf den 22.09.2020 gegen 02:45 Uhr auf die auf einer Treppe im Eingang zu dem Gebäude ...in Lüneburg sitzende Zeugin S., die genauso wie der Angeklagte unter dem Einfluss von Alkohol stand.

Zunächst legte er ihr seine Jacke über, was die Zeugin aber ablehnte. Die Zeugin wählte im Anschluss die Notrufnummer des ...Klinikums ..., weil sie sich in einer psychischen Notsituation wähnte. Im Laufe des sich hieran anschließenden Telefonats richtete sie ihren Blick nach unten, weswegen ihr die Haare ins Gesicht fielen und sie zunächst nicht bemerkte, dass sich der Angeklagte nun vor sie stellte, seine Hose öffnete und seinen erigierten Penis hervorholte. Der Angeklagte griff der Zeugin nun an deren Kinn, zog ihren Kopf hoch und versuchte, seinen Penis gegen den Willen der Zeugin in deren Mund einzuführen.

Die Zeugin schrie hierauf los, dass er dies sein lassen solle und versuchte, den Angeklagten von sich wegzustoßen. Der Angeklagte gab indes nicht nach, sondern versuchte nun auch die Hose der Zeugin mit dem Ziel zu öffnen, mit ihr den Geschlechtsverkehr zu vollziehen. Trotz der Gegenwehr der Zeugin in Form von Schreien und Schlägen gelang es dem Angeklagten, das Band der Hose der Zeugin zu öffnen. Der Angeklagte handelte dabei in dem Wissen, dass die Geschädigte die vorgenannten sexuellen Handlungen des Angeklagten nicht wollte.

Der Angeklagte ließ erst von der Zeugin ab, als er die zwischenzeitlich von einem unbekannten Mitarbeiter der Lokalität "..." herbeigerufenen Polizeibeamten PK ... bemerkte und erkannte, dass er seien Tatplan nicht mehr würde umsetzen können.

Der Angeklagte stand zum Zeitpunkt der Blutentnahme am 22.9.2020 um 04:22 Uhr unter dem Einfluss von Alkohol (1,21 g o/oo) sowie unter dem Einfluss von Cannabinoiden (THC 4.5 ng/ml)."

III.

Diese Feststellungen tragen den vom Amtsgericht gefundenen Schuldspruch - versuchte Vergewaltigung gem. §§ 177 Abs. 1, Abs. 6 S. 2 Nr. 1, 22, 23 StGB - und sie ermöglichen der Kammer eine Überprüfung des Strafausspruchs in eigener Zuständigkeit.

IV.

Nach ergänzender Beweisaufnahme fällt diese Überprüfung zugunsten des Angeklagten und Berufungsführers aus. Tat- und schuldangemessenen verurteilt die Kammer den Angeklagten wegen der wie oben festgestellten Tat zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten.

1.

Nach Gesamtwürdigung aller Tatumstände und aller schuldrelevanten Umstände, insbesondere zur Person des Angeklagten und zur gegenwärtigen Situation der Geschädigten, der Zeugin S., entnimmt die Kammer diese Strafe dem nach § 23 Abs. 2 iVm § 49 Abs. 1 StGB gemilderten Strafrahmen des § 177 Abs. 6 StGB. Der anzuwendende Strafrahmen sieht danach die Verhängung von Freiheitsstrafe zwischen 6 Monaten und 11 Jahren 3 Monaten vor.

Ausschlaggebend hierfür ist zum einen die ausgebliebene Vollendung: es ist eben noch nicht zur absoluten Entwürdigung des weiblichen Tatopfers durch Vollzug des erzwungenen Oralverkehrs gekommen. Zudem hat der Angeklagte, was ihm bei der Abwägung noch zugutegehalten werden kann, gegenüber der Zeugin nicht bis zum Äußersten gehende, brutale Gewalt angewendet, sondern ihr immer noch einen Spielraum gelassen, in dem sie sich bis zum glücklichen und schnellen Eintreffen der Polizeibeamten irgendwie ihm noch entwinden konnte.

2.

Zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten trifft die Kammer folgende Feststellungen:

Der Angeklagte kennt seinen genauen Geburtstag nicht. Er ist afghanischer Staatsangehöriger, mit der Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Tadschiken, die im Norden Afghanistans leben und Persisch in Form von Dari sprechen. Er hat sich selbst Dari lesen und schreiben beigebracht, Deutsch beherrscht er einigermaßen gesprochen, nicht als Schriftsprache.

Der Angeklagte kam 2015 nach Deutschland. Mit Bescheid des BAMF vom ... 2017 wurde sein Asylantrag abgelehnt, Flüchtlingsstatus und subsidiärer Schutz wurden nicht zuerkannt, der Angeklagte ist seitdem vollziehbar ausreisepflichtig, er wird jedoch geduldet.

Zunächst wurde er zum Aufenthalt in die Region L. zugeteilt. Hier traf er auf den Zeugen W., der - so die Angaben des Zeugen - den Angeklagten seit vielen Jahren als "Betreuer", will sagen als ehrenamtlich tätiger Bürger bei allen Behörden- und sonstigen Angelegenheiten unterstützt habe, sozialarbeiterischen Einfluss ausgeübt und den Schriftwechsel auch mit der Polizei begleitet habe.

Nach 2015 begann der Angeklagte Alkohol, Cannabis-Produkte und synthetische Drogen zu konsumieren und Straftaten zu begehen. Der Angeklagte bringt die Begehung aller Straftaten mit seinem Drogen- und Alkoholmissbrauch in Verbindung. Er sei in falsche Kreise geraten.

Der Angeklagte ist wie folgt vorbestraft:

- Das Amtsgericht Lüneburg verurteilte den Angeklagten am 14.8.2018 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 20,00 Euro.

- Ferner wurde der Angeklagte durch das Amtsgericht Lüneburg am 14.05.2019 wegen Bedrohung in Tateinheit mit Beleidigung zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10,00 Euro

- sowie am 25.08.2020 wegen Hehlerei zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15,00 Euro verurteilt.

- Am 07.04.2022 verurteilte ihn das Amtsgericht Braunschweig wegen Sachbeschädigung zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 15,00 Euro.

Die Kammer hat mit dem Angeklagten die Anklagen in den Verfahren 15 Ds 38 und 47/21 erörtert, die seinem Verteidiger nicht bekannt gewesen sind und zu denen sich der Angeklagte nicht weiter eingelassen hat.

Die vom Drogen- und Alkoholmissbrauch geprägte Phase, in die auch die hier verurteilte Tat fällt, dauerte bis Ende 2020, Anfang 2021. Im Anschluss setzte sich der Angeklagte dann, auch für den Zeugen W. überraschend, für ca. 8 Monate zu einem Verwandten nach Frankreich ab, um nach Wiedereinreise in die Bundesrepublik über Aufenthalte in ... und ... dem Landkreis ... zugewiesen zu werden, wo er seitdem in ... wohnt.

Diese Angaben zur Person beruhen auf Einlassungen des Angeklagten, die vom Zeugen W. im Kern bestätigt werden. Der Zeuge W. ergänzte, dass der Angeklagte stets darum bemüht gewesen ist, erwerbstätig zu sein, er habe auch verschiedentlich als Hilfsarbeiter (Gastronomie, Bau) gejobt und Einkommen bis zu 1.800,- monatlich gehabt. Von diesem Wenigen habe er immer 400,- bis 500,- Euro über Kontaktleute in H. nach Afghanistan überführt. Einmal habe er sogar lieber Ersatzfreiheitsstrafe in ... und ... verbüßt als auf diese Geldzuweisung zu verzichten. In ... sei er leider erneut bei einem Polizeieinsatz auffällig geworden

Zu den Überweisungen ergänzte der Angeklagte, dass dieser Eurobetrag 25.000 Afghani entspreche, von denen 13 Familienmitglieder ernährt würden.

Das Gericht hat sich keine Überzeugung zu den weiteren Familienverhältnissen bilden können. Nach Angaben des Angeklagten habe er bis 2015 als LKW-Fahrer für NATO-Truppen gearbeitet und sei deshalb vor den Taliban geflüchtet. Er sei seit 2012 verheiratet und habe eine Tochter, ein älterer Sohn sei irgendwann gestorben. Er habe Kontakt zur Familie, sei aber seit der Flucht nach Europa nie wieder in Afghanistan gewesen. Diese Angaben waren vage und wirr und dafür, dass es sich um vermeintlich hochpersönliche und dringliche Momente der eigenen Familie handelt, nicht nachvollziehbar und oberflächlich.

Gegenwärtig ist der Angeklagte als Hilfsarbeiter bei dem Handwerksunternehmen .... bei einem Gehalt von bis zu 1.750,- Euro netto angestellt, wie er durch Vorlage von Kopien der Abrechnung unter Beweis gestellt hat.

3.

Der Angeklagte hat die ihm vorgeworfene Tat vor der Kammer noch einmal eingestanden und aufrichtig bereut. Ursächlich sei letztlich der Konsum von Alkohol und Drogen, er sei dann aggressiv und böse, er wolle alles möglichst wiedergutmachen und sei auch unbedingt bereit, ein Schmerzensgeld an die Zeugin S. zu zahlen. Alles tue ihm sehr leid.

4.

Die Kammer hatte die Zeugin M., Sozialarbeiterin beim AJSD, gebeten, die heutige Situation der Zeugin S. zu eruieren. Diese Maßnahme sollte der Zeugin einen weiteren belastenden Auftritt vor Gericht zu ersparen.

Die Zeugin M. teilte zu ihrem Auftrag mit, dass die Zeugin tatsächlich froh gewesen sei, nicht nach Lüneburg zum Gericht zu müssen. Sie habe mit der Zeugin per Video-Schalte gesprochen, die Zeugin halte sich im Moment in einer Therapie-Station in ... auf. Die Zeugin sei psychisch labil, kämpfe gegen ihren Alkohol- und Drogenmissbrauch und habe eine schwierige Lebensgeschichte.

Die erlittene, hier gegenständliche Straftat habe ihr sehr zugesetzt, zunächst mit enormen Angstzuständen, auch mit der Folge von Rückfällen von Alkoholkonsum und von Schlafstörungen. Bis heute habe sie das Erlebte nicht verarbeitet geschweige denn verwunden.

5.

Strafschärfend hat die Kammer die genannten Vorstrafen berücksichtigt, wobei auch die jüngste, datierend auf den 25.08.2020, im Zeitpunkt der Tat, 22.09.2020, bereits verhandelt worden war. Strafschärfend ist auch der Umstand einzubeziehen, dass die Folgen der Tat die geschädigte Zeugin nach wie vor beeinträchtigen und sie stark belasten, auch wenn ihre persönlichen Probleme bis hin zu ihrem Krankheitsbild entscheidende Ursachen in ihrer Lebensgeschichte unabhängig von der Tat des Angeklagten haben. Festzuhalten bleibt zulasten des Angeklagten, dass er einen ohnehin labilen schwachen Menschen weiter und erheblich psychisch in Mitleidenschaft gezogen hat.

Ein wichtiges strafschärfendes Moment liegt schließlich darin, dass der Angeklagte eben diese Labilität seines in Aussicht genommenen Opfers sofort erkannte. Ohne Zweifel und Skrupel näherte er sich einer sichtbar alkoholisierten und im emotionalen Tiefpunkt befindlichen Frau, die allein und tief in der Nacht in einem dunklen Hauseingang sitzt, um sie entwürdigend zur eigenen sexuellen Befriedigung zu missbrauchen.

5.

Strafmildernd hat die Kammer zu berücksichtigen, dass die Zeugin in keiner Weise physisch in Mitleidenschaft gezogen worden und dass sich der Angeklagte bei dem Übergriff auf die Zeugin mit dem Einsatz von harter, körperlich zwingender überwältigender Gewalt noch zurückgehalten hatte.

Außerdem hat der Angeklagte die Tat in erster Instanz bereits eingeräumt und er hat vor der Kammer mit Hilfe seines Verteidigers deutlich gemacht, dass natürlich auf eine erneute Beweisaufnahme zum Geschehen unter größtmöglicher Schonung der Zeugin S. verzichtet werden könne.

Neben sein Geständnis tritt aufrichtige Reue, die klare Bitte um Entschuldigung und das deutliche Bemühen, zugunsten der Zeugin erfüllbare Entschädigungsleistungen anzubieten.

Zugunsten des Angeklagten hat das Gericht seine schwierige Lebensgeschichte einbezogen, die Ausreise aus afghanischem Elend in dem Bestreben, in Europa für die Ernährung seiner zurückgebliebenen Familie zu sorgen, sein ungeklärtes Leben im Spannungsfeld von Flucht- und Arbeitsmigration ohne jede Aussicht, legal in Europa als Einwanderer mit Integrations-Perspektiven anerkannt zu werden.

Zugunsten des Angeklagten sieht die Kammer schließlich auf seine drogen- und alkoholbedingte Enthemmung in der nächtlichen Tatsituation.

6.

Unter Abwägung der soeben dargelegten Zumessungsgesichtspunkte hält die Kammer die Verhängung einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten für tat- und schuldangemessen.

V.

Unter Zurückstellung von Bedenken setzt die Kammer die Vollstreckung dieser Freiheitstrafe gem. § 56 StGB zur Bewährung ausgesetzt.

In der Berufungshauptverhandlung hat sich die Kammer ein gutes Bild von seiner Persönlichkeit machen können. Der Angeklagte hat sich in den zurückliegenden 7 bis 8 Jahren in seiner charakterlichen Festigkeit und in seinen Fähigkeiten nicht weiter entwickeln können. Als Hilfs- und Gastarbeiter mag er ein bescheidenes Auskommen haben, Perspektiven der Integration hin zu einer erfolgreichen Einwanderung hat er nicht. Er zeigt Anwandlungen, auf seine Umwelt aufbrausend und narzisstisch herabzublicken und anderen vorschnell die Schuld für Fehler und Misstände anderen zuzuweisen.

Die vorliegende Verurteilung wegen einer schweren Gewalttat ist eine Zäsur. Die Kammer vermag für die Zukunft nicht auszuschließen, dass der Angeklagte erneut in eine Verzweiflungsspirale von Drogenmissbrauch und Straffälligkeit gerät. Deshalb ist sein weiterer Verbleib in Deutschland nicht im Sicherheitsinteresse der deutschen Bevölkerung.

Die Kammer trägt ihren Bedenken einerseits, dem Interesse des Angeklagten, sich nicht der Vollstreckung einer längeren Freiheitsstrafe zu unterwerfen, andererseits dadurch Rechnung, dass sie dem Angeklagten die Weisung zur Ausreise aus dem Bundesgebiet erteilt mit der zusätzlichen Maßgabe, während der Bewährungszeit nicht wieder einzureisen.

1.

Diese Vorgabe ist Weisung im Sinne der begleitenden Maßnahmen gem. § 56 c StGB, weil sie einen entscheidenden Beitrag dazu zu leisten beabsichtigt, dass der Angeklagte keine Straftaten mehr in Deutschland begeht. Die gegenlautende Auffassung (ausführlich OLG Nürnberg, Beschl. v. 5.5.2014, 2 Ws 704/13, Rn. 38ff; abl. auch MK/Groß, § 56c, Rn. 20; LK/Hubruch, § 56c, Rn. 6; SK/Schall, § 56c, Rn. 5; Schönke/Schröder/Kinzig, § 56c, Rn 6), wonach eine solche Vorgabe allein bezwecke, die Ausreise zu beschleunigen, dem Verurteilten nicht helfe, zukünftig Straftaten zu vermeiden, und deshalb als vermeintliche Weisung unzulässig sei, greift zu kurz. Der Appell, der gegenüber dem Angeklagten mit Verurteilung und Weisung nach Strafrecht einhergeht, richtet sich in erster Linie darauf, keine weiteren Straftaten mehr (in Deutschland) zu begehen, und wird bei verständiger Würdigung dem entsprechenden Resozialisierungsziel der hiesigen Strafrechtsordnung zwanglos, unmittelbar und effektiv gerecht.

2.

Die aus der Strafrechtsordnung erwachsende Weisung setzt dem Angeklagten außerdem einen entscheidenden Anreiz, der ohnehin bestehenden Anordnung nach Ausländer- und Asylrecht Folge zu leisten, das Land umgehend zu verlassen. Die oben zitierte Auffassung verkennt, dass der Angeklagte nicht nur kein Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet hat, sondern sich hier im Gegenteil seit 2017 sogar in Missachtung einer Anordnung zur Ausreise aufhält.

Sie verkennt außerdem, dass der Angeklagte durch die Weisung seine eigene Rechtsposition zu verbessern vermag und für ihn günstig durch Ausreise die Vollstreckung von Freiheitsstrafe vermeiden kann.

3.

Die oben genannte Auffassung vermag auch deshalb nicht zu überzeugen, weil die Strafrechtsordnung den Ausländerbehörden sehr wohl eine Hilfestellung dabei leisten darf, straffällig gewordenen Ausländer, die keinen Anspruch mehr auf Aufenthalt im Bundesgebiet haben, zur Ausreise zu veranlassen.

Nach Auffassung der Kammer ist es spätestens nach der Gewalttat im schleswig-holsteinischen Brokstedt Ende Januar 2023, bei der ein ausreisepflichtiger staatenloser und wegen Gewalttaten zu Freiheitsstrafe verurteilter Ausländer trotz mehrmonatiger Vollstreckung von (Untersuchungs-)Haft wieder auf freiem Fuß zwei Jugendliche tötete, nicht mehr hinnehmbar, dass Ausländerbehörden (BAMF, Landkreise) und Strafverfolgungsorgane (Gerichte, Staatsanwaltschaften, Polizeibehörden, JVAs) hilflos nebeneinander stehen und über sehr lange Zeiträume die Vollstreckung der Anordnung zur Ausreise nicht effektiv angehen können.

Diese Ineffektivität ist nach der Brokstedter Gewalttat allenthalben beklagt worden. Unzureichende Kommunikation zwischen den zahlreichen beteiligten Institutionen mag ein Kritikpunkt sein, ein anderer ist aber nach Auffassung der Kammer, dass die Anordnung zur Ausreise konsequent vollstreckt werden muss, was wie in jeder anderen Verfahrensordnung auch heißen kann, den Willen des Betroffenen zu beugen.

Ein in dieser Hinsicht sogar milderer und also erst recht verhältnismäßiger Weg ist es dann, einem zu Ausreise verpflichteten Ausländer, der wegen erheblicher Gewalttaten verurteilt worden ist, vonseiten der Strafrechtsordnung einen starken Anreiz zu geben, sich rechtmäßig zu verhalten, also das Bundesgebiet zu verlassen und auf diese Weise dem Sicherheitsinteresse der Bevölkerung zu genügen. Legitime Rechte der verurteilten Straftäter stehen dann, wenn die genannten Voraussetzungen gegeben sind, einem konsequenten Vollzug der Ausreisepflicht nicht mehr entgegen.

VI.

Die Kostenentscheidung fußt auf § 473 StPO.