Verwaltungsgericht Braunschweig
Beschl. v. 16.05.1988, Az.: 2 VG D 22/88
Ausgestaltung des nachbarlichen Rechtsschutzes gegen eine abfallrechtliche Plangenehmigung zu Errichtung und Betrieb einer ortsfesten Anlage zur Lagerung und Behandlung von Autowracks; Voraussetzungen der Anfechtung eines sog. einheitlichen Verwaltungsaktes
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 16.05.1988
- Aktenzeichen
- 2 VG D 22/88
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1988, 20496
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGBRAUN:1988:0516.2VG.D22.88.0A
Rechtsgrundlagen
- § 7 Abs. 2 AbfG
- § 68 Abs. 2 Nr. 2 BauO
Verfahrensgegenstand
Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer ortsfesten Anlage zur Lagerung von Autowracks (Nachbarwiderspruch)
In der Verwaltungsrechtssache
...
hat die 2. Kammer des Verwaltungsgerichts Braunschweig
am 16. Mai 1988
beschlossen:
Tenor:
Es wird festgestellt, daß die Klage der Antragsteller gegen die Plangenehmigung der Antragsgegnerin vom 27. Oktober 1987 aufschiebende Wirkung hat.
Die Antragsgegnerin und der Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 30.000,- DM festgesetzt.
Gründe
I.
Die Antragsteller sind Eigentümer von Eigentumswohnungen in dem Hause ... in ....
Der Beigeladene erhielt durch die Plangenehmigung vom 27. Oktober 1987 die Erlaubnis, auf dem benachbarten Grundstück eine ortsfeste Anlage zur Lagerung und Behandlung von Autowracks zu errichten und zu betreiben. Die entsprechende Genehmigung wurde den Antragstellern am 08. Januar 1988 zugestellt. Sie legten gegen die Plangenehmigung Widerspruch ein, der mit Bescheid der Antragsgegenerin vom 31. März 1988 zurückgewiesen wurde.
Die Antragsteller haben am 28. April 1988 Klage erhoben und gleichzeitig bei Gericht um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht.
Die Antragsgegnerin, die den Sofortvollzug der Plangenehmigung nicht angeordnet hat, ist der Auffassung daß die Plangenehmigung vom 27. Oktober 1987 immanent die Anordnung der sofortigen Vollziehung enthalte da diese Plangenehmigung gleichzeitig die Baugenehmigung umfasse.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Verwaltungsunterlagen, die Gegenstand der Beratung waren, Bezug genommen.
II.
Der Antrag ist zulässig und begründet.
Den Antragstellern war daher vorläufiger Rechtsschutz zu gewähren.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin besitzt der zulässige Widerspruch oder die nachfolgende Klage eines Nachbarn gegen eine Plangenehmigung gemäß §7 Abs. 2 AbfG auch dann aufschiebende Wirkung (§80 Abs. 1 VwGO), wenn sich der Widerspruch oder die Klage wesentlich auf bauplanungsrechtliche Gesichtspunkte stützt und damit gegen die in der Genehmigung enthaltene Baugenehmigung (vgl. §68 Abs. 2 Nr. 2 NßauO) richtet.
Die Genehmigung nach §7 Abs. 2 AbfG ist ein einheitlicher Verwaltungsakt, nicht eine bloße Zusammenfasung verschiedener begünstigender Verwaltungsakte. Die Rechtswirkungen dieser Genehmigung können daher auch nur einheitlich beurteilt und nicht danach differenziert werden, mit welchen rechtlichen Erwägungen ein Drittbetroffener sein gegen die Genehmigung gerichtetes Rechtsmittel begründet und in welchen rechtlichen Interessen er betroffen ist. Dies gilt insbesondere für die Frage, ob ein solches Rechtsmittel aufschiebende Wirkung hat. Ob dies der Fall ist oder nicht, hängt nach der in §80 Abs. 1 und 2 VwGO getroffenen Regelung allein von dem Gegenstand und Inhalt des angefochtenen Verwaltungsaktes, nicht hingegen von der Begründung des Rechtsmittels ab. Demgemäß stellt auch die Rechtsprechung u.a. des OVG Lüneburg (OVGE 21, 450), wonach der Widerspruch eines Nachbarn gegen eine Baugenehmigung keine aufschiebende Wirkung hat, auf die Rechtsnatur der Baugenehmigung ab. Auf eine abfallrechtliche Genehmigung lassen sich die für die Baugenehmigung geltenden Gesichtspunkte nicht übertragen.
Aus dem Schutzzweck des Abfallgesetzes folgt, daß ein Widerspruch, der von einem Drittbetroffenen eingelegt wird und die sich daran anschließende Anfechtungklage, aufschiebende Wirkung hat, sofern die Genehmigung nicht für sofort vollziehbar erklärt worden ist. Der Grund für die gesetzliche Konkretisierung dieses Schutzzweckes und für die sich daraus ergebenden verfahrensrechtlichen Konsequenzen sind die potentiellen Gefahren, Nachteile und Belästigungen, die von Abfallentsorgungsanlagen ausgehen und durch die diese sich von einem anderen Bauvorhaben wesentlich unterscheiden. Gegen die von der Antragsgegnerin insoweit vorgenommene Differenzierung sprechen im übrigen auch elementare Gesichtspunkte der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit, ganz abgesehen von den durch eine solche Differenzierung aufgeworfenen Abgrenzungsproblemen, wenn ein Rechtsmittel sowohl auf abfallrechtliche als auch auf baurechtliche Gründe gestützt wird.
Da die Antragsgegnerin die umstrittene Genehmigung nicht für sofort vollziehbar erklärt hat und die Klage der Kläger (Antragsteller) nicht erkennbar unzulässig ist, haben sowohl der eingelegte Widerspruch als auch die erhobene Anfechungsklage gemäß §80 Abs. 1 VwGO aufschiebende Wirkung entfacht. Es bedurfte daher nicht erst der gerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß §80 Abs. 5 VwGO. Gleichwohl ist der darauf gerichtete Antrag nicht mangels Rechtsschutzinteresses als unzulässig abzuweisen. Denn in Fällen, in denen es zweifelhaft ist, ob ein Rechtsmittel aufschiebende Wirkung besitzt, ist es geboten, den gestellten Antrag so auszulegen oder umzudeuten, wie es dem von den Antragstellern verfolgten Rechtsschutzinteresse nach der jeweiligen Rechts- und Verfahrenslage entspricht. Insoweit kann durch Beschluß nach §80 Abs. 5 VwGO auch festgestellt werden, daß ein Rechtsmittel kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung hat (vgl. auch OVG Münster, Beschluß vom 21.04.1970, NJW 70, 1812). Dies gilt hier umso mehr, als die Antragsgegnerin meint, daß die angefochtene Plangenehmigung aus sich selbst heraus sofort vollziehbar sei.
Nach allem mußte dem Antrag der Antragsteller mit der Kostenfolge aus §154 Abs. 1 und 3 VwGO stattgegeben werden.
Die Entscheidung über die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG. Die Kammer bemißt das Interesse eines jeden Antragstellers mit 6.000,- DM. Der sich danach ergebende Streitwert von 60.000,- DM war im Hinblick auf das vorläufige Rechtsschutzverfahren auf die Hälfte zu reduzieren.
III.
Gegen die Streitwertentscheidung ist die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg statthaft. Sie ist innerhalb von 6 Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, beim Verwaltungsgericht in Braunschweig schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerde ist nicht gegeben, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 100,- DM nicht übersteigt.
Im übrigen ist gegen die Entscheidung die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht in Lüneburg statthaft. Sie ist innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe dieses Beschlusses beim Verwaltungsgericht in Braunschweig schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist beim Oberverwaltungsgericht eingeht.
Haupt
Dr. Berner-Peschau