Landgericht Bückeburg
Beschl. v. 02.03.2001, Az.: Qs 15/01

Zulässigkeit der Entnahme von Körperzellen und der Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters durch molekulargenetische Untersuchung bei einem wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung rechtskräftig Verurteilten; Annahme erneuter Strafverfahren wegen Straftaten von erheblicher Bedeutung als Voraussetzung für die Untersuchung; Verbrechen nach § 29 a Betäubungsmittelgesetz (BtMG) als Straftaten von erheblicher Bedeutung; Erforderlichkeit der molekulargenetischen Untersuchung im Rahmen der Verfolgung unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln; Verlängerung der angeordneten Führungsaufsicht des Verurteilten als Indiz für eine geringe Hemmschwelle hinsichtlich der wiederholten Begehung erheblicher Straftaten

Bibliographie

Gericht
LG Bückeburg
Datum
02.03.2001
Aktenzeichen
Qs 15/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2001, 10853
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGBUECK:2001:0302.QS15.01.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Rinteln - 01.12.2000 - AZ: 6 Gs 89/00
STA Hannover - 05.12.2000 - AZ: 13 Js 82040/94

Verfahrensgegenstand

Herr ..., geb. am ... in Isabey/Türkei, wohnhaft ...
Handeltreibens mit Heroin in nicht geringer Menge

In dem DNA-Identitätsfeststellungsverfahren
hat die Große Strafkammer I des Landgerichts Bückeburg
auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hannover (Az.: 13 Js 82040/94) vom 05.12.200
gegen den Beschluss des Amtsgerichts Rinteln (Az.: 6 Gs 89/00) vom 01.12.2000
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht ...
die Richterin am Landgericht ... und
die Richterin ...
am 02.03.2001
beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Dem Verurteilten dürfen Körperzellen in Form einer Speichelprobe -im Falle der Weigerung in Form einer Blutprobe- gemäß § 2 DNA-IFG in Verbindung mit §§ 81 g, 81 a StPO entnommen werden.

Die entnommenen Körperzellen des Verurteilten dürfen molekulargenetisch gemäß § 2 DNA-IFG in Verbindung mit §§ 81 g, 81 f StPO untersucht werden.

Zum Sachverständigen wird das Landeskriminalamt Niedersachsen-Fachgruppe 501, ... Schützenstr. 25, 30161 Hannover, bestimmt.

Gründe

1

I.

Mit Urteil vom 13.12.1996 sprach das Landgericht Hannover (Az.: StK 12/46 a 42/96) den Verurteilten wegen Handeltreibens mit Heroin in nicht geringer Menge im Frühjahr 1993 schuldig und verhängte gegen ihn eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren. Zuvor hatte gegen ihn bereits ein dänisches Gericht mit Urteil vom 12.01.1994 wegen Einfuhr von 986.4 g Heroin aus Deutschland nach Dänemark am 22.09.1993 eine Freiheitsstrafe von 4 Jahren ausgesprochen. Der Verurteilte verbüßte seine Haftstrafen in Dänemark und in der Bundesrepublik Deutschland. Am 04.06.1998 wurde er aus der Justizvollzugsanstalt Meppen entlassen. Mit Beschluss vom 28.05.1998 ordnete die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Osnabrück (Az.: 17 BRs 104/98) für den Verurteilten die gesetzliche Führungsaufsicht für 2 Jahre an. Mit Beschluss vom 04.05.2000 (Az.: 17 BRs 104/98) verlängerte das Landgerichts Osnabrück die festgesetzte Führungsaufsicht um ein Jahr, weil das Amtsgericht Rinteln (Az.: 507 Js 9480/99) gegen ihn im Strafbefehlsverfahren eine Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 25,- DM wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis am 06.06.1999 verhängt hatte.

2

Am 04.10.2000 hat die Staatsanwaltschaft Hannover (Az.: 13 Js 82040/94) beim Amtsgericht Rinteln zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Verfahren beantragt, dem Verurteilten Körperzellen in Form einer Speichelprobe -im Falle der Weigerung in Form einer Blutprobe- gemäß § 2 DNA-IFG i.V.m. §§ 81 g, 81 a StPO entnehmen und die entnommenen Körperzellen des Verurteilten molekulargenetisch gemäß § 2 DNA-IFG i.V.m. §§ 81 g, 81 f StPO untersuchen zu dürfen. Zur Begründung hat sie ausgeführt, die Schwere der begangenen Tat deute auf ein hohes Maß an krimineller Energie hin und die Verurteilungen sprächen für eine geringe Hemmschwelle gegenüber der Verletzung jeglicher Rechtsgüter. Diesen Antrag hat das Amtsgericht Rinteln (Az.: 6 Gs 89/00) mit Beschluss vom 01.12.2000 abgelehnt. Zu berücksichtigen sei, dass der Verurteilte zu der Tat im Frühjahr 1993 durch seinen Schwager bewegt worden sei. Anhaltspunkte für die erneute Begehung solcher Straftaten seien nicht zu finden.

3

Dieser Beschluss ist der Staatsanwaltschaft Hannover am 05.12.2000 zugegangen. Hiergegen wendet sie sich mit der Beschwerde vom selben Tag, eingegangen beim Amtsgericht in Rinteln am 08.12.2000. Die Staatsanwaltschaft Hannover bejaht die Prognose, dass der Verurteilte künftig erneut Straftaten von erheblicher Bedeutung begehen wird. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Beschwerdebegründung (Bl. 148-152 d.A.) verwiesen. Das Amtsgericht Rinteln hilft der Beschwerde nicht ab, weil die Staatsanwaltschaft nicht die Besonderheiten des Falles genügend berücksichtige.

4

II.

Die gemäß § 304 Abs. 1 StPO zulässige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Hannover ist begründet. Die beantragte Anordnung war unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des Amtsgerichts Rinteln zu erlassen.

5

Gemäß § 2 DNA-IFG in Verbindung mit § 81 g StPO dürfen einem wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung rechtskräftig Verurteilten zum Zwecke der Identitätsfeststellung in künftigen Strafverfahren Körperzellen entnommen und diese zur Feststellung des DNA-Identifizierungsmusters molekulargenetisch untersucht werden, wenn wegen der Art oder Ausführung der Tat, der Persönlichkeit des Verurteilten oder sonstiger Erkenntnisse Grund zu der Annahme besteht, dass gegen ihn künftig erneut Strafverfahren wegen einer Straftat von erheblicher Bedeutung zu führen sind. Es muss sich folglich um eine Straftat von erheblicher Bedeutung handeln. Die Maßnahme muss erforderlich sein, was bedeutet, dass sie nur in Betracht kommt, wenn durch sie ein Aufklärungserfolg in einem künftigen Strafverfahren erwartet werden kann. Schließlich muss eine Wiederholungsgefahr (Negativprognose) bestehen. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

6

Die Straftaten, wegen derer gegen den Verurteilten Freiheitsstrafen verhängt worden sind, sind von erheblicher Bedeutung. In beiden Fällen handelt es sich um Verbrechen gemäß § 29 a BtMG.

7

Die von der Staatsanwaltschaft Hannover beantragten Maßnahmen sind ferner erforderlich. Die Erforderlichkeit ist zu bejahen, wenn durch sie ein Aufklärungserfolg in einem künftigen Strafverfahren erwartet werden kann. Das ist im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität der Fall. Wie eine Antrage beim Landeskriminalamt Niedersachsen ergab, was im Übrigen den Erfahrungen der hiesigen Strafkammer entspricht, wird im Rahmen der Verfolgung unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln häufig DNA-Spurenmaterial sichergestellt, von welchem ein Aufklärungserfolg erwartet werden kann.

8

Dies gilt etwa für Haare. Hautpartikel, Blutstropfen oder Speichelanhaftungen, die in Betäubungsmitteldepotwohnungen oder in Kraftfahrzeugen, die zur Durchführung des illegalen Drogenhandels benutzt werden, gefunden werden und bei entsprechender Untersuchung einen Aufklärungserfolg ermöglichen.

9

Schließlich ist die Wiederholungsgefahr gegeben. Der Staatsanwaltschaft ist darin zuzustimmen, dass bei dem Verurteilten im Jahre 1993 eine geringe Hemmschwelle zu verzeichnen war hinsichtlich der Begehung erheblicher Straftaten. Hieraus ist auch die Befürchtung zu schlussfolgern, dass der Verurteilte -zumindest im Jahre 1993- jegliche Rechtsgüter missachtete. Diese Gefahr besteht noch heute. Während seiner Inhaftierung bis zum 04.06.1998 hatte der Verurteilte keine Gelegenheit, Straftaten von erheblichem Gewicht zu begehen. Dass ihm derzeit keine positive Sozialprognose gestellt werden kann, zeigt sich bereits in dem Umstand, dass die angeordnete Führungsaufsicht verlängert werden musste. Gerade die Beeinflussung durch seinen Schwager, die das Amtsgerichts zu Gunsten des Verurteilten gewertet hat, zeigt jedoch nach Auffassung der Kammer, dass der Verurteilte in einem problematischen sozialen Umfeld lebt. Es ist nicht ersichtlich, dass er sich hiervon gelöst hat und durch die Haft so geläutert ist, dass sicher zu erwarten ist, der Verurteilte werde sich nunmehr rechtstreu verhalten. Im Gegenteil besteht nach wie vor eine latente Gefahr darin, dass sich der Verurteilte auch zukünftig dazu hinreißen lassen könnte, mit Drogen zu handeln oder andere erhebliche Straftaten zu begehen.

10

Unter diesen Umständen war den Anträgen der Staatsanwaltschaft Hannover zu entsprechen.