Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 05.06.2008, Az.: Ss 187/08
Gerechte Strafzumessung von vier Monaten für einen geringwertigen Diebstahl von Lebensmitteln bei einem vielfachen Wiederholungstäter; Verhängung einer Freiheitsstrafe erst ab einer bestimmten Schadenshöhe als Resultat aus dem Gebot schuldangemessenen Strafens; Überbewertung der täterbezogenen Umstände der Vorstrafen als Verstoß gegen das Übermaßverbot
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 05.06.2008
- Aktenzeichen
- Ss 187/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 16161
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2008:0605.SS187.08.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Aurich - 25.02.2008 - AZ: 14 Ns 16/08
Rechtsgrundlagen
- § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB
- § 47 Abs. 1 StGB
- § 248a StGB
Fundstellen
- StRR 2008, 283 (amtl. Leitsatz)
- StraFo 2008, 297-298 (Volltext mit red. LS)
Amtlicher Leitsatz
Die Bestrafung eines Diebstahls von Lebensmitteln im Wert von 5 EUR mit 4 Monaten Freiheitsstrafe ist auch bei einem vielfachen Wiederholungstäter nicht mehr schuldangemessen, weil damit angesichts des geringen Tatunrechts den täterbezogenen Strafzumessungserwägungen eine unvertretbar große Bedeutung eingeräumt wird.
In der Strafsache
...
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
am 5. Juni 2008
zu 1. nach § 349 Abs. 4 StPO und
zu 2. nach Anhörung des Beschwerdeführers
auf Antrag der Staatsanwaltschaft
gemäß § 349 Abs. 2 StPO -
einstimmig beschlossen:
Tenor:
- 1.
Auf die Revision der Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Aurich vom 25. Februar 2008 abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Wittmund vom 15. November 2007 wird mit der Maßgabe verworfen, dass die verhängte Freiheitsstrafe auf einen Monat herabgesetzt wird.
- 2.
Im Übrigen wird die Revision der Angeklagten verworfen.
- 3.
Die Kosten ihrer Berufung und der Revision werden der Angeklagten auferlegt. jedoch werden die Gebühren für ihre Berufung und für die Revision auf die Hälfte ermäßigt und die Hälfte der insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Angeklagten der Staatskasse auferlegt.
Gründe
I.
Die 74 Jahre alte Angeklagte ist seit 1977 insgesamt 13mal wegen Diebstahls - überwiegend geringwertiger Sachen - bestraft worden. Zwischen den Taten lagen teilweise 5 und mehr Jahre. Die Angeklagte wurde überwiegend mit Geldstrafen, später auch mit Freiheitsstrafen zur Bewährung bestraft. In 3 Fällen, zuletzt 1994, kam es zu Teilverbüßungen.
Durch Urteil des Amtsgerichts Wittmund vom 15. November 2007 ist sie wegen Diebstahls geringwertiger Sachen zu einer Freiheitsstrafe von 4 Monaten ohne Strafaussetzung verurteilt worden. Dem lag zugrunde, dass die Angeklagte in einem Einkaufsmarkt Lebensmittel im Gesamtwert von 5,08 EUR entwendet hatte. Gegen das amtsgerichtliche Urteil haben die Angeklagte und die Staatsanwaltschaft form und fristgerecht Berufung eingelegt. Die Staatsanwaltschaft hat ihr Rechtsmittel auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Das Landgericht Aurich hat mit Urteil vom 25. Februar 2008 beide Berufungen verworfen.
Mit ihrer hiergegen eingelegten Revision rügt die Angeklagte die Verletzung sachlichen Rechts und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie die Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das Rechtsmittel gemäß § 349 Abs. 2 als unbegründet zu verwerfen. Die Revision ist zulässig und hat in der Sache in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
II.
Hinsichtlich des Schuldspruchs, weist das Urteil keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf, so dass ihre Revision insoweit nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen war.
III.
Der Rechtsfolgenausspruch hält hingegen rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Soweit die Revision rügt, das Landgericht habe fehlerhaft, weil ohne Sachverständigenhilfe, die uneingeschränkte Schuldfähigkeit der Angeklagten festgestellt, hat sie allerdings schon deshalb keinen Erfolg, weil keine Anhaltspunkte für eine Aufhebung oder Minderung der Schuldfähigkeit vorliegen, wie dies im angefochtenen Urteil zutreffend im einzelnen ausgeführt wird. Für die Einholung eines Sachverständigengutachtens bestand deshalb keine Veranlassung.
Das Landgericht hat auch rechtsfehlerfrei in Anwendung von § 47 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe unter sechs Monaten verhängt. Diese Vorschrift ist auch bei der Ahndung von Bagatellstraftaten wie der hier vorliegenden anwendbar. Da das Gesetz innerhalb der Fallgruppe der Geringwertigkeit keine weiteren Abstufungen oder Differenzierungen vorsieht, können auch Bagatellcharakter aufweisende Straftaten die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe nach sich ziehen, vgl. OLG Stuttgart NJW 2006, 1222 ff. [OLG Stuttgart 09.02.2006 - 1 Ss 575/05] m. w. Nachw..
Es verstößt auch nicht gegen das verfassungsrechtliche Prinzip schuldangemessenen Strafens, dass das Gesetz die Begehung von Straftaten, die sich auf eine geringwertige Sache oder Leistung beziehen, wahlweise mit Freiheitsstrafe oder Geldstrafe bedroht, vgl. BVerfG NJW 1979, 1039, 1040 [BVerfG 17.01.1979 - 2 BvL 12/77]. Aus dem Gebot schuldangemessenen Strafens ergibt sich auch nicht, dass die Verhängung einer Freiheitsstrafe erst ab einer bestimmten Schadenshöhe in Betracht käme, vgl. BverfG bei [...], Beschluss vom 09.06.1994, Aktz. 2 BvR 710/94.
Die Begründung, mit der das Landgericht die von § 47 Abs. 1 StGB geforderten besonderen Umstände in der Persönlichkeit der Angeklagten, die die Verhängung einer Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf sie unerlässlich machen, bejaht hat, weist keinen Rechtsfehler auf. Insbesondere sind hierbei die zahlreichen einschlägigen Vorstrafen der Angeklagten zu Recht berücksichtigt worden.
Die Verhängung einer kurzen Freiheitsstrafe ist mithin nicht zu beanstanden. Rechtsfehlerhaft ist aber ihre Festsetzung auf 4 Monate. Diese Strafzumessung wird den Anforderungen an einen gerechten Schuldausgleich nicht mehr gerecht, sondern steht zur Tat außer Verhältnis, überschreitet den Rahmen des Schuldangemessenen und verletzt damit auch das verfassungsrechtlich verankerte Übermaßverbot.
Insoweit ist die grundsätzlich dem Tatrichter vorbehaltene Strafzumessung der rechtlichen Überprüfung durch das Revisionsgericht auch zugänglich, vgl. Fischer, StGB, 55. Auflage, § 46, Rd.Nr. 115 ff. m.w.N.).
Grundlage für die Zumessung der Strafe ist nach § 46 Abs. 1 Satz 1 StGB die in Schuld des Täters. Diese bezieht sich hier auf den Diebstahl von Lebensmitteln im Wert von rund 5 EUR in einem Einkaufsmarkt. Das Landgericht hat bei seiner Strafbemessung die der Schuldbewertung durch den Umfang des Tatunrechts gesetzten Grenzen aus dem Blick verloren und demgegenüber den Gesichtspunkt des Handlungsunwerts - nämlich die täterbezogenen Umstände der Vorstrafen - überbewertet. Zwar müssen diese berücksichtigt werden, so nach § 46 Abs. 2 StGB namentlich auch die aus der Tat sprechende Gesinnung und das Vorleben der Angeklagten. Diese fallen hier deutlich straferschwerend ins Gewicht, vor allem die Unbelehrbarkeit der Angeklagten, die trotz zahlreicher früherer Bestrafungen im Laufe der Jahre immer wieder Diebstähle begangen hat. Allerdings darf eine Strafzumessung nicht in der Weise von den die Täterpersönlichkeit betreffenden Umständen geprägt sein, dass dabei die objektiven Umstände der Tat, vor allem das Ausmaß der begangenen Rechtsgutsverletzung, übergangen werden.
Der hier abzuurteilende Diebstahl geringwertiger Sachen - Lebensmitteln im Wert von rund 5 EUR - ist objektiv dem untersten Bereich der Bagatellkriminalität zuzuordnen. Die Verhängung einer viermonatigen Freiheitsstrafe zur Sühne für Tatschuld und Tatunrecht ist bei dem hier eingetretenen Wert der gestohlenen Waren unverhältnismäßig und nicht mehr vertretbar, zumal wegen der unmittelbar nach der Tat erfolgten Rückgabe der Waren an das Kaufhaus kein wirtschaftlicher Schaden verblieb. Von einem gerechten Schuldausgleich kann unter diesen Umständen bei dem Strafausspruch des Landgerichts nicht mehr gesprochen werden, und zwar auch dann nicht, wenn die zahlreichen Vorstrafen der Angeklagten und die in ihrer Person begründeten straferschwerenden Umstände berücksichtigt werden. Der Senat sieht es als schlechthin unangemessen an, die Entwendung von Waren im Wert von ca. 5 EUR aus einem Ladengeschäft mit einer Freiheitsstrafe von vier Monaten zu ahnden.
Dabei war auch ein Wandel in der Strafpraxis der Gerichte zu bedenken, der in den letzten Jahren vermehrt auftritt und über den in den Medien ausführlich berichtet wird. Immer häufiger werden Straftäter, die - insbesondere als Wirtschaftskriminelle - hohe und höchste Schäden bis hin zu solchen in Millionenhöhe verursacht haben, aufgrund von Absprachen ("deals") zu Bewährungsstrafen verurteilt. Wenn die Strafjustiz gleichzeitig Bagatellstraftäter, die verglichen damit nur einen fast unermesslich kleinen Schaden angerichtet haben, mit mehrmonatigen zu verbüßenden Freiheitsstrafen belegt, tangiert dies - unbeschadet aller noch so großer Unterschiede der Sachverhalte und der Täterpersönlichkeiten - die Frage einer gleichen und gerechten Strafrechtsanwendung. Jedenfalls kann in der Bevölkerung der Eindruck einer willfährigen Nachgiebigkeit der Strafjustiz gegenüber "großen" und einer gnadenlosen Härte gegenüber "kleinen" Straftätern entstehen. Die dem zugrunde liegende Diskrepanz der gerichtlichen Ahndungspraxis kann hier nicht weiter thematisiert werden. Sie ist aber eine Tatsache der Rechtswirklichkeit und war als solche bei der Frage, ob die hier ausgeurteilte Strafe noch einen gerechten Schuldausgleich und kein Übermaß darstellt, mit in den Blick zu nehmen.
Aus den dargelegten Erwägungen wird hier allein die Verhängung der Mindestfreiheitsstrafe von 1 Monat (§ 38 Abs. 2 StGB) dem Gebot schuldangemessenen Strafens gerecht.
Der Senat ist befugt, diese Strafe selbst festzusetzen. Nach Lage des Falles kann allein auf diese und damit auf eine absolut bestimmte Strafe im Sinne von § 354 Abs. 1 StPO erkannt werden. Zum einen ist durch die vom Landgericht rechtsfehlerfrei bejahten Voraussetzungen des § 47 Abs. 1 StGB die Strafart Freiheitsstrafe festgelegt, zum anderen scheidet wegen des zu beachtenden Übermaßverbotes eine tatrichterliche Ermessensausübung in Richtung auf eine darüber hinausgehende Strafhöhe aus, vgl. OLG Stuttgart, NJW 2006, 1222 [OLG Stuttgart 09.02.2006 - 1 Ss 575/05] m. w. Nachweisen.
Das Landgericht hat der Angeklagten mit zutreffenden Erwägungen rechtsfehlerfrei eine Strafaussetzung zur Bewährung versagt. In entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO konnte der Senat deshalb auch entscheiden, dass es hierbei auch hinsichtlich der von ihm festgesetzten Freiheitsstrafe von 1 Monat verbleibt. Nach Lage des Falles ist auszuschließen, dass sich in einer neuen Hauptverhandlung gegenüber dem angefochtenen Urteil insoweit der Angeklagten günstigere Feststellungen treffen ließen.
IV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 4 StPO.