Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 09.10.2008, Az.: 5 W 91/08
Haftung einer Reha-Klinik wegen des Sturzes eines Patienten der geriatrischen Abteilung beim Verlassen des Bettes
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 09.10.2008
- Aktenzeichen
- 5 W 91/08
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2008, 36336
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGOL:2008:1009.5W91.08.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- LG Osnabrück, 2 O 1918/08 vom 09.10.2008
Rechtsgrundlagen
- § 107 Abs. 2 Nr. 2 SGB V
- § 280 BGB
- § 823 Abs. 1 BGB
Amtlicher Leitsatz
Stürzt ein Patient in der geriatrischen Abteilung einer Reha-Klinik beim Verlassen des Bettes, so ist durch Einholung eines medizinischen Gutachtens zu klären, ob der Sturz bei ordnungsgemäßem medizinischen bzw. pflegerischen Verhalten zu verhindern gewesen wäre.
Beschluss
5 W 91/08
In der Beschwerdesache
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Landgericht... und den Richter am Oberlandesgericht ... beschlossen:
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 2. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück vom 9.10.2008(1) abgeändert:
Der Antragstellerin wird für die beabsichtigte Klage gemäß Schriftsatz vom 31.7.2008 Prozesskostenhilfe bewilligt.
Ihr wird Rechtsanwalt T..., O..., zu ihrer Vertretung in dem Rechtsstreit erster Instanz beigeordnet.
Gleichzeitig wird ihr aufgegeben , ab 1.1.2009 monatliche Raten von 60,EUR an die Landeskasse zu zahlen.
Gründe
I.
Die am 20.8.1913 geborene Antragstellerin musste wegen eines Oberschenkelhalsbruches links im M... O... operativ versorgt werden. Bei Abschluss der Behandlung war sie hinreichend orientiert und wieder imstande, sich mit Hilfe eines Rollators fortzubewegen. Am 16.8.2007 wurde sie zur Rehabilitation in die Klinik der Antragsgegnerin, dort die Geriatrische Abteilung, überwiesen. Bereits in der Nacht vom 16.8. auf den 17.8.2007 stürzte sie nach Verlassen ihres Bettes erneut, wobei sie einen Oberschenkelhalsbruch rechts davontrug. Mit der beabsichtigten Klage verlangt die Antragstellerin die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes und begehrt, festzustellen, dass die Antragsgegnerin ihr den zukünftigen weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu erstatten hat. Die Antragstellerin hat der Antragsgegnerin vorgeworfen, sie hätte ihr Bett mit einem Bettgitter absichern müssen. Ihre Tochter habe die Mitarbeiter der Antragsgegnerin bei der Aufnahme ausdrücklich davon in Kenntnis gesetzt, dass sie - die Antragstellerin - im M... eine Neigung zur Bettflüchtigkeit entwickelt habe und sie deshalb in einem Bett mit Bettgitter untergebracht worden sei. Demgegenüber hat die Antragsgegnerin behauptet, die Antragstellerin habe bei der Aufnahme bei kognitiver Auffälligkeit einen guten postoperativen Status mit guten Möglichkeiten zur Eigenmobilisation gezeigt. Aufgrund der sich bietenden klinischen Befunde habe sich die individuelle Sturzgefahr der Antragstellerin nicht so dargestellt, dass weitere Maßnahmen geboten gewesen seien. Die 2. Zivilkammer des Landgerichts Osnabrück hat den Antrag der Antragstellerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 09.10.2008 mangels hinreichender Erfolgsaussicht abgelehnt. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der sofortigen Beschwerde.
II.
Die gemäß den §§ 127 Abs. 2, 567 ff. ZPO zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist insoweit begründet, als ihr unter Anordnung monatlicher Ratenzahlungen Prozesskostenhilfe für die erste Instanz zu gewähren war. Die Antragstellerin ist nur teilweise in der Lage, die Kosten der Prozessführung aufzubringen. Die von ihr beabsichtigte Klage hat hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 114 ZPO.
1.) Im vorliegenden Fall geht es nicht um die Obhutspflichten eines Pflegeheimträgers, sondern um die Pflicht der Antragsgegnerin, die Antragstellerin auf der Grundlage eines Behandlungsvertrages im Rahmen einer Rehabilitationsmaßnahme pflegerisch und ärztlich zu betreuen.
2.) Umfang und Ausmaß der von einem Krankenhaus zu gewährleistenden Pflege und Betreuung richten sich nach dem Gesundheitszustand des jeweiligen Patienten, also in erster Linie nach den Beschwerden und Erkrankungen, die den stationären Aufenthalt und die Betreuung notwendig machen. Weiter sind bedeutsam die körperliche, seelische und geistige Verfassung. Ob und in welchem Umfang der Zustand des Patienten besondere und zusätzliche pflegerische Maßnahmen erfordert, ist vom behandelnden Arzt des Krankenhauses zu klären und zu entscheiden (Oberlandesgericht Düsseldorf, GesR 2006, S. 214, 215. vgl. dazu auch Feifel, GesR 2005, S. 196, 197. Oberlandesgericht Schleswig, OLG-Report 2004, S. 3,4. Oberlandesgericht Düsseldorf, OLG-Report 2002, S. 372, 373 f.).
3.) Nichts anderes gilt für die Behandlung in einer Rehabilitationseinrichtung. Denn diese Einrichtungen dienen gemäß § 107 Abs. 2 Nr. 1b SGB V u.a. der stationären Behandlung des Patienten, um eine Krankheit zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern oder im Anschluss an eine Krankenhausbehandlung den dabei erzielten Behandlungserfolg zu sichern oder zu festigen. Dabei muss die Einrichtung fachlichmedizinisch unter ständiger ärztlicher Verantwortung und unter Mitwirkung von besonders geschultem Personal darauf eingerichtet sein, den Gesundheitszustand des Patienten nach einem ärztlichen Behandlungsplan zu verbessern (§ 107 Abs. 2 Nr. 2 SGB V). Von einer Krankenhausbehandlung unterscheidet sich die Rehabilitation nur dadurch, dass im Krankenhaus die ärztliche Versorgung des Patienten im Vordergrund steht, während im Rahmen der Rehabilitation die pflegerische Betreuung der ärztlichen Behandlung eher gleichwertig nebengeordnet ist (Ratzel / Luxenburger-Vollmöller, Hdb. Medizinrecht, § 35 Rdnr. 66, 69).
4.) Der erforderliche Sorgfaltsmaßstab wird im Arzthaftungsrecht durch den ärztlichen und pflegerischen Standard bestimmt (Feifel, a.a.O., S. 197), den das Gericht nicht ohne Hinzuziehung eines Sachverständigen allein aus einer eigenen rechtlichen Beurteilung heraus festlegen darf (Bundesgerichtshof, VersR 1995, S. 659, 660 [BGH 29.11.1994 - VI ZR 189/93]. Steffen/Pauge, Arzthaftungsrecht, 10.A., Rdnr. 602). Im Hinblick darauf wird durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu klären sein, ob der Sturz der Klägerin bei ordnungsgemäßem ärztlichen bzw. pflegerischen Verhalten zu verhindern gewesen wäre (vgl. dazu auch Oberlandesgericht Düsseldorf, GesR 2006, S. 214, 215. Oberlandesgericht Schleswig, OLG-Report 2004, S. 3, 4. Oberlandesgericht Düsseldorf, OLG-Report 2002, S. 372, 374). Ist aber über die Behauptung der Prozesskostenhilfe begehrenden Partei Beweis zu erheben, ist die hinreichende Erfolgsaussicht ihrer Klage regelmäßig gegeben (Zöller-Philippi, ZPO, 28.A., § 114 Rdnr. 26).
Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 127 Abs. 4 ZPO.
(1) Red. Anm.: