Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 26.10.2018, Az.: 1 B 2047/18

circular letter; Dublin-Rückkehrer; EGMR; Familie; Garantieerklärung; minderjährig; systematische Mängel; Tarakhel

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
26.10.2018
Aktenzeichen
1 B 2047/18
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2018, 74254
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Dublin-Rückkehrer weisen in Italien keine systemischen Mängel auf, die die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung begründen.

Die Rundschreiben des Dublin-Referats des italienischen Innenministeriums (sogenannte "circular letters") sind geeignet, um der besonderen Situation von Familien mit minderjährigen Kindern im Hinblick den altersentsprechenden Bedarf an Unterkunft und Versorgung Rechnung zu tragen.

Gründe

Der gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, §§ 34a Abs. 2 Satz 1, 75 AsylG statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die im angegriffenen Bescheid verfügte Abschiebungsanordnung in Bezug auf Italien (Ziffer 3 des Bescheids) anzuordnen, hat keinen Erfolg.

Die vom zuständigen Einzelrichter (§ 76 Abs. 4 Satz 1 AsylG) vorzunehmende Interessenabwägung im vorliegenden Eilverfahren, bei der es maßgeblich auf die Erfolgsaussichten in der Hauptsache ankommt, geht zu Lasten der Antragsteller aus. Das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt das private Aussetzungsinteresse der Antragsteller, da sich die auf § 34a AsylG gestützte Abschiebungsanordnung bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung gegenwärtig als rechtmäßig erweist.

§ 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG bestimmt, dass dann, wenn ein Ausländer in einen sicheren Drittstaat oder – wie hier – in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden soll, das Bundesamt die Abschiebung in diesen Staat anordnet, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

Die Antragsgegnerin hat den Asylantrag der Antragsteller zu Recht gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 1 a) AsylG als unzulässig abgelehnt. Sie ist auf der Grundlage der ihr zur Verfügung stehenden Erkenntnisse zutreffend davon ausgegangen, dass Italien für die Prüfung der Anträge auf internationalen Schutz nach Art. 12 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 (Dublin III-VO) zuständig ist. Denn die Antragsteller sind am 12. Juni 2018 mit italienischen Visa in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten (hier: Italien) eingereist und haben das Gebiet der Mitgliedstaaten im Anschluss nicht verlassen. Die bis zum 10. Juli 2018 gültigen Visa waren im Zeitpunkt der Stellung der Anträge auf internationalen Schutz (vgl. Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO) noch gültig. Italien ist gemäß Art. 22 Abs. 7 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 a) der Dublin III-VO zur Aufnahme der Antragsteller verpflichtet. Die Zustimmung Italiens zum fristgerecht übermittelten Aufnahmegesuch der Antragsgegnerin wird nach diesen Vorschriften vermutet, weil Italien nicht binnen zwei Monaten widersprochen hat. Damit ist Italien nach den Vorschriften der Dublin III-VO für die Bearbeitung der Asylanträge zuständig geworden.

Anhaltspunkte für eine vorrangige Zuständigkeit der Antragsgegnerin liegen nicht vor. Insbesondere ergibt sich eine solche nicht aus Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 und 3 der Dublin III-VO. Danach wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags zuständig, wenn es sich aufgrund systemischer Schwachstellen des Asylsystems in dem eigentlich zuständigen Mitgliedstaat, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GR-Charta mit sich bringen, als unmöglich erweist, die Antragsteller dorthin zu überstellen.

Davon ist vorliegend nicht auszugehen.

Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 –, juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 -, juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Konvention für Menschenrechte und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 GR-Charta ausgesetzt zu werden. Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. An die Feststellung systemischer Mängel sind vielmehr hohe Anforderungen zu stellen (vgl. Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 04. April 2018 – 10 LB 96/17 –, Rn. 33, juris). Von systemischen Mängeln ist daher nur dann auszugehen, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber regelhaft so defizitär sind, dass zu erwarten ist, dass dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris). Einzelne Missstände stellen noch keine systemischen Schwachstellen dar. Diese liegen vielmehr erst dann vor, wenn dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er überstellt werden soll, der Zugang zu einem Asylverfahren verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder wenn er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbaren Weise befriedigen kann (vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07. März 2014 – 1 A 21/12.A –, Rn. 124, juris; Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 04. April 2018 – 10 LB 96/17 –, Rn. 38, juris). Es besteht allerdings keine allgemeine Verpflichtung, jedermann mit einer Wohnung zu versorgen, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren oder ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen (vgl. EGMR, Entscheidung vom 4. November 2014 – 29217/12 –, Tarakhel ./. Schweiz). Hingegen ist es jedenfalls mit Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GR-Charta unvereinbar, wenn sich ein Asylbewerber, der von staatlicher Unterstützung vollständig abhängig ist und sich in einer gravierenden Mangel- oder Notsituation befindet, staatlicher Gleichgültigkeit ausgesetzt sieht.

Ausgehend von diesen Maßstäben und unter Berücksichtigung des aktuellen Erkenntnismaterials ist im gegenwärtigen Zeitpunkt nicht davon auszugehen, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen in Italien unter derartigen systemischen Mängeln leiden (vgl. dazu im Einzelnen: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 04. April 2018 – 10 LB 96/17 –, Rn. 40 ff., juris). Insbesondere ist nicht anzunehmen, dass die Antragsteller in ihrer Situation als sog. Dublin-Rückkehrer in Italien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Obdachlosigkeit betroffen oder nicht in der Lage sein werden, ihre elementaren Grundbedürfnisse zu befriedigen. Denn in Italien stehen für Dublin-Rückkehrer grundsätzlich Unterkünfte in ausreichender Anzahl zur Verfügung; dort erfolgt auch die Versorgung mit Lebensmitteln, Hygieneartikeln u.a. Ob hiervon im vorliegenden Fall auch deshalb auszugehen ist, da es sich bei den Antragstellern nicht um mittellose, von staatlicher Unterstützung zwingend abhängige Asylbewerber handelt, kann im vorliegenden Eilverfahren nicht abschließend geklärt werden.

Soweit die Antragsteller auf die derzeitige politische Lage in Italien verweisen, folgt hieraus nichts Gegenteiliges. Die aktuelle politische Situation in Italien lässt gegenwärtig keine belastbaren Rückschlüsse auf das Vorliegen systemischer Mängel zu (vgl. dazu Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 06. August 2018 – 10 LA 320/18 –, juris).

Weiterhin steht fest, dass die Abschiebung der Antragsteller nach Italien durchgeführt werden kann. Die Abschiebung der Antragsteller nach Italien ist rechtlich zulässig und tatsächlich möglich (vgl. Hamburgisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 03. Dezember 2010 – 4 Bs 223/10 –, Rn. 10, juris).

Zielstaatsbezogene Abschiebungsverbote im Hinblick auf Italien stehen der Abschiebung der Antragsteller nach Italien nicht entgegen.

Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG besteht nicht. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Dies ist hier weder im Hinblick auf Art. 3 EMRK noch sonst der Fall. Nach Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden. Die Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung ergibt sich hier insbesondere nicht daraus, dass die Antragsteller in ihrer Situation als Dublin-Rückkehrer in Italien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit von Obdachlosigkeit betroffen oder nicht in der Lage sein werden, ihre elementaren Grundbedürfnisse zu befriedigen (vgl. oben).

Etwas anderes folgt nicht daraus, dass die Antragsteller (Eheleute mit zwei minderjährigen Kindern im Alter von 5 und 8 Jahren) zum Kreis der besonders schutzwürdigen Personen zu zählen sind, bei denen nach der Rechtsprechung des EGMR in der Sache Tarakhel ./. Schweiz (Entscheidung vom 4. November 2014 – 29217/12 –) vor der Abschiebung grundsätzlich zunächst eine individuelle Garantie der italienischen Behörden einzuholen ist, dass bei Familien mit minderjährigen Kindern eine dem Alter der Kinder entsprechende Unterbringung sichergestellt ist und die Familie zusammenbleiben darf.

Eine ausreichende Erklärung der italienischen Behörden für die gebotene Berücksichtigung der besonderen Situation von Familien mit minderjährigen Kindern im Hinblick den altersentsprechenden Bedarf an Unterkunft und Versorgung liegt in Form der allgemeinen Erklärung der italienischen Behörden vom 27. März 2015 sowie den sog. „circular letters“ vor (vgl. zum Inhalt dieser Erklärungen: EGMR, Entscheidung vom 28. Juni 2016 – 15636/16 –, N.A. u.a. ./. Dänemark, Rn. 8, 11 f., 19; dies ebenfalls als ausreichend erachtend: Oberverwaltungsgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 29. März 2018 – 3 L 114/18 –, juris; VG Hamburg, Beschluss vom 23. Mai 2018 – 9 AE 997/18 –, juris; VG Kassel, Beschluss vom 05. Juni 2018 – 1 K 7114/17.KS.A –, juris; a.A.: VG Düsseldorf, Beschluss vom 04. Juli 2018 – 22 L 5076/17.A –, juris, wobei auch die Frage der Aktualität der „circular letters“ von Bedeutung gewesen sein dürfte [dazu sogleich]). Bei den „circular letters“ handelt es sich um Rundschreiben des Dublin-Referats des italienischen Innenministeriums an die Dublin-Referate der anderen Mitgliedstaaten, in denen eine aktualisierte Liste der SPRAR-Projekte („Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati“) übersandt wird, in denen Familien mit minderjährigen Kindern unter Berücksichtigung ihrer besonderen Verletzlichkeit untergebracht werden (die Rundbriefe vom 8. Juni 2015, 15. Februar 2016 und vom 12. Oktober 2016 können unter http://www.asylumlawdatabase.eu/en/content/circular-letter-italian-ministry-interior-all-dublin-units abgerufen werden (letzter Abruf am 26. Oktober 2018 erfolgt); zum aktuellen Rundbrief vom 4. Juli 2018, vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Italien, Gesamtaktualisierung vom 17. Mai 2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 6. Juli 2018, S. 5: „Zuletzt wurde am 4. Juli 2018 ein neuer Rundbrief versendet und die Liste aktualisiert. Diese umfasst nun 19 SPRAR-Projekte mit zusammen 79 Unterbringungsplätzen für Familien mit Kindern“). Die italienischen Behörden haben diese Vorgehensweise – nachvollziehbar – damit erläutert, dass sich das System personenbezogen reservierter Plätze in geeigneten Unterbringungseinrichtungen als nicht praktikabel erwiesen hat, da diese Plätze in der Vergangenheit aufgrund unterschiedlicher Faktoren häufig unbesetzt geblieben waren. Erklärt wurde zudem, dass im Falle eines steigenden Bedarfs die Anzahl der Plätze erhöht würde (vgl. EGMR, Entscheidung vom 28. Juni 2016 – 15636/16 –, N.A. u.a. ./. Dänemark, Rn. 11).

Der EGMR hat die vorgenannte Vorgehensweise akzeptiert und eine Verletzung von Art. 3 EMRK aufgrund drohender Obdachlosigkeit bei der Überstellung von Familien mit minderjährigen Kindern nach Italien ohne individuelle Zusicherung der italienischen Behörden wiederholt verneint (vgl. etwa EGMR, Entscheidung vom 28. Juni 2016 – 15636/16 –, N.A. u.a. ./. Dänemark; EGMR, Entscheidung vom 4. Oktober 2016 – 30474/14 –, Jihana ALI u.a. ./. Schweiz und Italien).

In der Entscheidung des EGMR vom 4. Oktober 2016 (– 30474/14 –, Jihana ALI u.a. ./. Schweiz und Italien, Rn. 34) heißt es dazu ausdrücklich wie folgt:

„The Court notes that the Italian Government were duly informed by their Swiss counterparts that the first and fourth applicants are a single mother with a minor child, and about their scheduled transfer to Italy. The Court understands from the circular letters dated 2 February, 15 April and 8 June 2015 from the Italian Ministry of the Interior (see paragraph 15 above) that the first and fourth applicants would be assigned one of the places in reception facilities in Italy which have been reserved for families with minor children and has no reason to believe that none of these places would be available to them upon their arrival in Italy (see A.T.H. v. the Netherlands (dec.), no. 54000/11, § 38, 17 November 2015)“.

Auch das beschließende Gericht vermag – in Anknüpfung an die vorstehend zitierten Ausführungen des EGMR – nicht zu erkennen, dass die in den SPRAR-Projekten vorgehaltenen Plätze für Familien mit minderjährigen Kindern, hinsichtlich derer die italienischen Behörden überdies zugesichert haben, diese im Bedarfsfall zu erhöhen (vgl. oben), im Falle einer Überstellung nach Italien nicht zur Verfügung stehen werden. Dabei ist darauf zu verweisen, dass sich ein eklatantes Missverhältnis zwischen der Zahl der gestellten Asylanträge und der Zahl von Plätzen in den Einrichtungen des SPRAR-Netzwerks, in denen Familien mit minderjährigen Kindern untergebracht werden, anders als zur Zeit der Entscheidung des EGMR in der Sache Tarakhel ./. Schweiz (Entscheidung vom 4. November 2014 – 29217/12 –) gegenwärtig nicht feststellen lässt.

Das VG Hamburg hat dazu mit Beschluss vom 23. Mai 2018 (– 9 AE 997/18 –, Rn. 29 ff., juris) das Folgende ausgeführt:

„Dublin-Rückkehrern stehen im staatlichen italienischen Unterkunftssystem derzeit Unterkünfte in hinreichender Zahl zur Verfügung (s. auch OVG Lüneburg, Urt. v. 4.4.2018, 10 LB 96/17, juris Rn. 41).

Zum 31. Dezember 2017 verfügte das staatliche Unterkunftssystem in Italien über insgesamt 183.681 Plätze, davon entfielen 152.411 Plätze auf das Erstaufnahmesystem sowie Notfallzentren und 31.270 Plätze auf das Zweitaufnahmesystem (Médecins sans Frontières, Out of Sight, Informal Settlements, social marginality, obstacles to access to healthcare and basic needs for migrants, asylum seekers and refugees, second edition, Februar 2018, S. 3, im Folgenden: MSF; abrufbar unter „https://www.msf.fr/sites/default/files/out_of_sight_130218.pdf“, letzter Abruf am 25. Mai 2018).

Der Großteil der verfügbaren Plätze ist dabei den Notfallzentren („centri di accoglienza straordinaria“, im Folgenden: CAS) zuzuordnen. Diese sind nicht nur auf die Erstaufnahme von Schutzsuchenden ausgerichtet, sondern dienen im Notfall auch als Reserve im Rahmen der Zweitaufnahme. Gegenwärtig werden die Notfallzentren zu diesen Zwecken herangezogen, sie sind praktisch in das reguläre Aufnahmesystem integriert und haben ihren Charakter als Notfallzentren verloren. Es findet eine Versorgung und Unterstützung durch Nahrung, Taschengeld bzw. Gutscheine, Gesundheitsversorgung, Hygieneartikel, Telefonkarte und Asylberatung statt.

Beim Zweitaufnahmesystem („Sisteme di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati“, im Folgenden: SPRAR) handelt es sich um eine dezentrale und auf lokaler Ebene organisierte Unterbringung mit dem Ziel der Teilhabe am kommunalen Leben. Die Unterbringung wird von Unterstützungs- und Integrationsmaßnahmen begleitet. Das System der SPRAR wird als Erfolgsmodell gelobt. Die Aufnahmekapazitäten im Rahmen der SPRAR machen zwar weiterhin nur einen relativ geringen Anteil der Aufnahmekapazitäten insgesamt aus, haben sich in den letzten sieben Jahren jedoch erheblich erhöht von 3.979 Plätzen im Jahr 2011 auf 9.356 Plätze zwischen 2012 und 2013 und 31.270 Plätze Ende des Jahres 2017 (AIDA, Country Report: Italy, 2017 Update, S. 84, im Folgenden: AIDA; abrufbar unter „http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2017update.pdf“, letzter Abruf am 25. Mai 2018).

(bb) Nach Angaben der italienischen Behörden lebten am 1. Dezember 2017 insgesamt 186.833 Personen in den staatlichen Unterbringungseinrichtungen, die sich auf CAS (151.239 Personen), Hotspots (352 Personen), Erstaufnahmeeinrichtungen (10.669 Personen) und SPRAR (24.573 Personen) verteilten (Commissione Parlementare di inchiesta sul sistema di accoglienza, di identificazione ed espulsione, nonché sulle condizioni di trattenimento dei migrant e sulle risorse pubbliche impegnate, S. 508, im Folgenden: Commissione Parlementare; abrufbar unter „http://documenti.camera.it/leg17/resoconti/commissioni/bollettini/pdf/2017/12/20/leg.17.bol0935.data20171220.com69.pdf“, letzter Abruf am 25. Mai 2018).

(cc) Setzte man diese Zahlen der tatsächlichen Belegung am 1. Dezember 2017 und die Unterbringungskapazitäten am 31. Dezember 2017 ins Verhältnis – was aufgrund der nicht deckungsgleichen Stichtage keine exakten Ergebnisse, aber immerhin Anhaltspunkte zu liefern geeignet ist –, ergäbe sich eine relativ geringe Überbelegung mit insgesamt 3.152 Personen (1,7 %), wobei die Überbelegung die Erstaufnahmeeinrichtungen und Notfallzentren mit 9.849 Personen (6,5 %) beträfe, während die für die Aufnahme von Dublin-Rückkehrern mit minderjährigen Kindern besonders geeigneten und hierfür vorgesehenen SPRAR freie Kapazitäten für 6.697 Personen (21,4 %) aufwiesen. Tatsächlich hatten die SPRAR am 30. November 2017 6.302 freie Plätze (Commissione Parlementare, a.a.O., S. 510; AIDA, a.a.O., S. 84).

Zu berücksichtigen ist zudem, dass die Unterkunftskapazitäten im Jahr 2018 weiter ausgebaut wurden. Im Februar 2018 standen in den 876 finanzierten SPRAR Projekten 35.869 Plätze zur Verfügung (AIDA, a.a.O., S. 84), also 4.599 Plätze mehr als Ende des Jahres 2017. Dies entspricht auch den für März 2018 verfügbaren Zahlen (Homepage der SPRAR, abrufbar unter „http://www.sprar.it/i-numeri-dello-sprar“, letzter Abruf am 25. Mai 2018). Gleichzeitig hat sich die Zahl der Personen mit anhängigen Asylverfahren seit Ende des Jahres 2017 nicht unerheblich reduziert. Während es Ende Dezember 2017 noch 152.420 Personen mit anhängigen Asylverfahren in Italien gab, verringerte sich diese Zahl auf 149.200 Ende Januar 2018 und 145.990 Ende Februar 2018 (Zahlen von Eurostat, im Folgenden: Eurostat; abrufbar unter „http://ec.europa.eu/eurostat/de/web/asylum-and-managed-migration/data/main-tables“, letzter Abruf am 25. Mai 2018). Dies bedeutet einen Rückgang um 6.430 Personen.

(b) Hintergrund dieser Entwicklung ist, dass die Zahl der Ankünfte von Asylbewerbern über das Mittelmeer seit der Kooperation italienischer Behörden mit Akteuren in Libyen seit Juli 2017 erheblich gesunken ist (AIDA, a.a.O., S. 21). Die Ankünfte verringerten sich von 170.100 im Jahr 2014, 153.842 im Jahr 2015, 181.436 im Jahr 2016 auf 119.310 im Jahr 2017 (MSF, a.a.O., S. 3). Gleichzeitig stieg die Zahl der Asylanträge von 64.625 im Jahr 2014, 83.540 im Jahr 2015, 122.960 im Jahr 2016 auf 128.850 im Jahr 2017 insbesondere vor dem Hintergrund einer konsequenteren Registrierung der Einreisenden (Eurostat, a.a.O.). Dies ging einher mit einem deutlichen Ausbau der Unterkunftskapazitäten seitens der italienischen Behörden. Während sich die verfügbaren Plätze im Erstaufnahmesystem sowie in den Notfallzentren von 35.562 im Jahr 2014, 76.683 im Jahr 2015, auf 153.602 im Jahr 2016 erhöhten und sich im Jahr 2017 geringfügig auf 152.411 reduzierten, erfolgte ein Ausbau der Plätze in den SPRAR von 20.752 im Jahr 2014, 19.715 im Jahr 2015, 22.952 im Jahr 2016 auf 31.270 im Jahr 2017 (MSF, a.a.O., S. 3). Wie bereits ausgeführt, standen im Februar 2018 in den 876 finanzierten SPRAR Projekten 35.869 Plätze zur Verfügung (AIDA, a.a.O., S. 84).

(c) Auch perspektivisch spricht derzeit Überwiegendes gegen eine gravierende Verschärfung der Unterbringungssituation für Asylbewerber in näherer Zukunft. Nach den vorliegenden aktuellen Zahlen geht die Zahl der Asylanträge in Italien deutlich zurück. Diese haben sich in den ersten vier Monaten des Jahres 2018 (23.390) gegenüber den ersten vier Monaten des Vorjahres (46.995) mehr als halbiert (Eurostat, a.a.O.; Informationen der italienischen Behörden abrufbar unter „http://www.libertaciviliimmigrazione.dlci.interno.gov.it/it/documentazione/statistica/i-numeri-dellasilo“, letzter Abruf am 25. Mai 2018). Zudem hat Italien im Oktober 2017 einen mit EU-Mitteln finanzierten Nationalen Integrationsplan erlassen. Danach ist Italien bestrebt, das CAS-System weitgehend in das SPRAR-System zu überführen, um eine effektive nationale Integration zu ermöglichen. Das Aufnahmesystem soll stärker in Richtung Integration orientiert und das Niveau der Dienstleistungen in den CAS erhöht werden, indem Wege zur Integration eröffnet und bestehende Wege unterstützt werden (National Integration Plan, Oktober 2017, S. 18, abrufbar unter „http://www.interno.gov.it/sites/default/files/piano_nazionale_integrazione_ eng.pdf“, letzter Abruf am 25. Mai 2018).

Dem schließt sich das Gericht für das vorliegende Verfahren zur eigenen Überzeugung an. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch die jüngere Entwicklung keine gegenteilige Tendenz erkennen lässt.

So hat sich die Zahl der insgesamt zur Verfügung stehenden SPRAR-Plätze von im Februar 2018 35.869 Plätzen mit Stand Juli 2018 auf 35.881 Plätze erhöht (vgl. dazu die Angaben unter https://www.sprar.it/i-numeri-dello-sprar (letzter Abruf am 26. Oktober 2018 erfolgt).

Zugleich lebten deutlich weniger Personen in den staatlichen Unterbringungseinrichtungen. Mit Stand 1. Dezember 2017 waren es 186.833 Personen. Mit Stand 31. Dezember 2017 waren es 183.681 Personen, mithin exakt die Anzahl, die an Plätzen im staatlichen Unterkunftssystem in Italien zum 31. Dezember 2017 zur Verfügung gestanden hat (die vom VG Hamburg im vorgenannten Beschluss vom 23. Mai 2018 – 9 AE 997/18 –, Rn. 34, juris mangels verfügbarer Zahlen für den 31. Dezember 2017 unterstellte Überbelegung hat es danach nicht gegeben). Mit Stand 31. Mai 2018 waren (nur) noch 167.739 Personen in den staatlichen Unterbringungseinrichtungen in Italien untergebracht (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Italien, Gesamtaktualisierung vom 17. Mai 2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 6. Juli 2018, S. 5 ff.).

Auch die Zahl der Asylanträge in Italien hat erheblich abgenommen. Im Jahr 2017 wurden in Italien insgesamt 128.850 Asylanträge gestellt. Von Januar 2018 bis August 2018 wurden in Italien bislang rund 40.600 Asylanträge gestellt, was hochgerechnet auf das Jahr 2018 60.900 Asylanträge ergibt (vgl. dazu die Angaben unter https://ec.europa.eu/eurostat/de/web/asylum-and-managed-migration/data/main-tables (letzter Abruf am 26. Oktober 2018 erfolgt) sowie Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Italien, Gesamtaktualisierung vom 17. Mai 2017, letzte Kurzinformation eingefügt am 6. Juli 2018, S. 5 ff.).

Schließlich ist auch die Zahl der in Italien anhängigen Asylverfahren gesunken. Mit Stand Februar 2018 waren noch 145.990 Asylverfahren anhängig, während es Ende August 2018 nur noch 117.100 anhängige Verfahren waren (vgl. dazu die Angaben unter https://ec.europa.eu/eurostat/de/web/asylum-and-managed-migration/data/main-tables (letzter Abruf am 26. Oktober 2018 erfolgt)).

Der Überstellung der Antragsteller nach Italien steht weiterhin nicht entgegen, dass ihnen, sofern sie dort Flüchtlingsschutz oder subsidiären Schutz erhalten, die Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung drohen könnte. Unabhängig davon, ob für anerkannte Schutzberechtigte nach der derzeitigen Berichtslage eine solche Gefahr anzunehmen ist, ist diese Frage im vorliegenden Fall nicht entscheidungserheblich. Denn es ist derzeit noch offen, ob die Antragsteller in Italien Flüchtlings- oder subsidiären Schutz erhalten werden. Gleiches gilt für die Frage, ob die Antragsteller künftig einmal in Italien auf staatliche Sozialleistungen angewiesen sein werden (vgl. dazu Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 04. April 2018 – 10 LB 96/17 –, Rn. 87 f., juris).

Ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG liegt ebenfalls nicht vor. Insbesondere liegt kein krankheitsbedingtes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG vor. Ärztliche Atteste i.S.d. § 60a Abs. 2c AufenthG wurden nicht vorgelegt (zur Geltung von § 60a Abs. 2c AufenthG auch im Rahmen von § 60 Abs. 7 AufenthG, vgl. Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 24. Januar 2018 – 10 ZB 18.30105 –, juris). Auch sonst ergeben sich aus dem Vorbringen der Antragsteller keine Anhaltspunkte für lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankungen i.S.d. § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG (vgl. insbesondere Bl. 20 f., 101 f., 121 der Beiakte 003, Bl. 8 der Beiakte 004, Bl. 3 der Beiakte 005 sowie Bl. 3 der Beiakte 006).

Dass die Antragsteller – erstmals – im gerichtlichen Verfahren unsubstantiiert und ohne Vorlage (fach-)ärztlicher Bescheinigungen behaupten, unter „Depressionen“ und an einer „Posttraumatischen Belastungsstörung“ zu leiden und – der Sache nach – die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragen, ändert daran nichts. Aus den vorgenannten Gründen und aufgrund des im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfungsmaßstabs besteht keine Veranlassung, dem auf das Vorliegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes gerichteten Beweisantrag nachzugehen. Es ist auch nicht angezeigt, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsanordnung anzuordnen, um eine weitere Sachaufklärung im Hauptsacheverfahren zu ermöglichen.

Schließlich liegen keine sonstigen tatsächlichen oder rechtlichen Hindernisse vor, welche der Überstellung der Antragsteller nach Italien entgegenstehen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO und § 83 b AsylG.